Forschungspublikationen

24.10.2025

Textile Aktuatoren aus Formgedächtnispolymeren und 3D-Druck für soziale Interaktion in der virtuellen Realität

Fasern Sensorik Smart Textiles

Zusammenfassung

Im Rahmen des Projekts wurde ein Konzept für programmierbare 4D-Textilien entwickelt, das die Kombination aus additiver Fertigung, textiler Vorspannung und Formgedächtnispolymeren nutzt. Durch die Untersuchung verschiedener Geometrien und Stickarten konnten Strukturen identifiziert werden, die eine stabile bistabile Bewegung ermöglichen. Besonders effektiv erwies sich die Beinwicklung auf der Sonnenstruktur, die eine zuverlässige Umwandlung zwischen zwei stabilen Zuständen gewährleistet.

Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurde ein Kissen mit integrierten textilen Aktuatoren realisiert. Die Aktivierung erfolgt über eine steuerbare Heizfolie, die das Garn thermisch anspricht und gezielte Bewegungen im Kissen ermöglicht. Damit zeigt das Projekt, wie 4D-Textilien als aktive, formveränderliche Komponenten in interaktiven Produkten eingesetzt werden können, insbesondere im Kontext von Virtual Reality, um physische Rückmeldungen und immersive Erlebnisse zu ermöglichen.

Abbildung 5: Nackenkissen mit integrierten textilen Aktuatoren und steuerbarer Heizfolie zur thermischen Aktivierung.

Bericht

Abstract

Mit zunehmendem Alter sinkt oft die soziale Teilhabe, was häufig mit einem stärkeren Gefühl von Einsamkeit einhergeht. Da gängige Kommunikationstechnologien wie Smartphones oder Tablets von vielen älteren Menschen nur begrenzt genutzt werden, setzt das Projekt ZEIT auf eine neue, intuitive Lösung: eine immersive Virtual-Reality-Technologie, integriert in ein Kissen mit programmierbaren Textilien. Diese Kombination aus interaktiver VR-Umgebung, Emotionserkennung und taktilem Feedback ermöglicht es älteren Menschen, soziale Kontakte auf neue Weise zu erleben und Emotionen wie Freude oder eine Umarmung virtuell zu teilen und in der Realität zu spüren. Erste Ergebnisse zeigen eine hohe Akzeptanz und weisen darauf hin, dass das System soziale Bindungen stärken und Einsamkeit im Alter wirksam reduzieren kann. Das Projekt verdeutlicht das Potenzial virtueller Realität als Schlüsseltechnologie für eine digitale, sozial vernetzte Gesellschaft. Der Beitrag stellt programmierbare Textilien vor, die mithilfe von 3D-Druck und Formgedächtnispolymeren (SMP) entwickelt wurden.

Einleitung

Programmierbare Textilien stellen eine neue Generation funktionaler Materialien dar, die auf äußere Reize reagieren und dadurch ihre Form oder Funktion verändern können. Eine zentrale Rolle spielen dabei weiche Aktuatoren, die im Vergleich zu konventionellen Aktuatoren durch ihre hohe Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Konfigurierbarkeit überzeugen. Diese Eigenschaften ermöglichen vielseitige Anwendungen, etwa in der Medizintechnik, Robotik oder interaktiven Textiloberflächen.

Eine Schlüsseltechnologie zur Herstellung solcher Strukturen ist der 3D-Druck, ein additives Fertigungsverfahren, bei dem Bauteile schichtweise aus flüssigen oder pulverförmigen Materialien aufgebaut werden. Unter den gängigen Verfahren wie Fused Deposition Modeling (FDM), Stereolithografie (SLA) und Selektivem Lasersintern (SLS) steht im Fokus dieser Arbeit das FDM-Verfahren, das aufgrund seiner Materialvielfalt und Zugänglichkeit besonders geeignet ist.

Durch die Erweiterung des 3D-Drucks um die zeitabhängige Dimension entsteht der 4D-Druck, bei dem Strukturen ihre Form oder Funktion im Laufe der Zeit in Reaktion auf äußere Reize wie Temperatur, Feuchtigkeit oder Licht verändern. In Kombination mit textilen Substraten entstehen daraus 4D-Textilien, die gezielte Bewegungen wie Falten, Biegen oder Dehnen ermöglichen und so als programmierbare Textilien fungieren.

Eine Schlüsselrolle spielt hierbei der Einsatz von Formgedächtnispolymeren (SMPs), die nach einer Deformation durch äußere Reize, meist Wärme, in ihre ursprüngliche Form zurückkehren. Aufgrund ihres geringen Gewichts, ihrer Flexibilität und einfachen Verarbeitbarkeit eignen sich SMP-basierte Synthesefasern ideal für den Einsatz in aktiven textilen Strukturen. Damit bilden sie die Grundlage für innovative Anwendungen im Bereich der Softrobotik und interaktiven Textiltechnologien.

Material und Methoden

Für die Herstellung der textilen Aktuatoren wurde das Prinzip des 3D-Drucks auf vorgespannte Textilien angewendet. Dabei dient ein elastisches Polyamid-Elasthan-Gewirk als Substrat, das vor dem Druckprozess gezielt gedehnt wird, um eine definierte Vorspannung zu erzeugen. Diese Vorspannung speichert potenzielle Energie, die nach der Druckfreigabe zur Formänderung beiträgt.

Der Druckprozess erfolgte mit einem FDM-3D-Drucker unter Verwendung flexibler Thermoplaste wie TPU. Durch die Kombination der gedruckten Strukturen mit dem elastischen Textil entstehen funktionale Verbundsysteme, die nach der Entlastung in eine räumliche Form übergehen. Die so entstehenden 4D-Textilien verbinden additive Fertigung mit der intrinsischen Elastizität textiler Materialien.

Zur weiteren Funktionalisierung wurden Garne aus Formgedächtnispolymeren (SMP) eingesetzt, die als selbstgesponnene Filamente hergestellt wurden. Diese Garne ermöglichen die gezielte Aktivierung der Struktur durch Temperaturerhöhung bei etwa 40°C.

Die SMP-Garne werden auf das 4D-Textil aufgestickt und verformen dieses durch ihre Formänderung bei Aktivierung. Wenn eine Struktur zwei stabile Zustände besitzt, kann sie durch die Aktivierung des SMP-Garns von einem Zustand in den anderen überführt werden. Daher spielt die Bistabilität eine entscheidende Rolle für die Funktion dieser Aktuatoren.

Die Einflussfaktoren der Bistabilität hängen von der Strukturgeometrie und der Vorspannung des Textils ab. Um diese Zusammenhänge zu untersuchen, wurden verschiedene Geometrien getestet, um Strukturen mit ausgeprägter bistabiler Charakteristik zu identifizieren. Zur Veranschaulichung sind in der folgenden Abbildung die getesteten Strukturen dargestellt.

Abbildung 1: Übersicht der getesteten Geometrien zur Identifikation bistabiler Strukturen.

Zur Optimierung der Aktivierung wurden verschiedene Stickarten getestet, darunter Linienstich, Kreuzstich, Sternstich, Beinwicklung sowie Rund-/Kreisstich.

Die ersten drei Varianten, Linienstich, Kreuzstich und Sternstich, führen das Garn direkt an der Textiloberfläche durch die Struktur. Dabei unterscheiden sich sowohl die Anzahl als auch die Ausrichtung der Filamente.

Bei der Beinwicklung und dem Rund-/Kreisstich wird das Garn hingegen um die Beine der Struktur geführt. In der Beinwicklung sind gegenüberliegende Garne miteinander verbunden, während beim Rund-/Kreisstich benachbarte Beine verbunden werden. In der folgendenAbbildung zeigt die verschiedene Stickarten bei der Sonne, Blume und Stern Struktur.

Abbildung 2: Verschiedene Stickarten bei der Sonne-, Blume- und Stern-Struktur.

Ergebnis

Die bistabilen Zustände sind in der folgenden Abbildung dargestellt. Eine Leerstelle bedeutet, dass kein zweiter stabiler Zustand vorhanden ist. Insgesamt wurden neun Strukturen untersucht und in drei Gruppen eingeteilt.

Abbildung 3: Neun untersuchte Strukturen und ihre bistabilen Zustände.

Die erste Gruppe umfasst Strukturen mit einem zentralen Körper und umliegenden Beinen, wie Sonne, Blume oder Achteck. Die quadratische Sonnenstruktur erreicht keinen zweiten stabilen Zustand, da sie durch ungleichmäßige Spannung und fehlende Abstützung instabil wird.

Die zweite Gruppe besteht aus linienförmigen Strukturen wie Kreuz und Stern. Beim Kreuz fehlt die diagonale Unterstützung, weshalb es keinen zweiten stabilen Zustand ausbildet.

Die dritte Gruppe zeigt wiederholte Muster, etwa Ring- und Punkt-Cluster. Trotz fehlender zentraler Verbindung bleiben diese Formen dank der textilen Vorspannung stabil.

Ob eine Struktur bistabil ist, hängt vom Zusammenspiel zwischen der Vorspannung des Textils und der Steifigkeit der Form ab. Wird die Struktur zu hoch oder zu lang, reicht die Spannung des Textils nicht mehr aus, um sie in Position zu halten, und die Stabilität geht verloren.

Die Ergebnisse der Stickversuche zeigen, dass die Beinwicklung auf der Sonnenstruktur besonders effektiv ist und eine zuverlässige Umwandlung ermöglicht. Die folgende Abbildung veranschaulicht diesen Prozess.

Abbildung 4: Umwandlungsprozess der Sonnenstruktur mit Beinwicklung.

 

Danksagung

Wir danken dem Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) für die Förderung des Forschungsprojekts ZEIT (FKZ: 16SV8711). Zudem möchten wir allen Beteiligten in diesem Projekt für ihre Beiträge und ihr Engagement danken.

 

AutorInnen: Danchen Zhang Felix Krooß Yuvraj Salhan Frank Omoafese Thomas Gries

ITA - Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Straße 1, 52074 Aachen

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24.10.2025

Datengetriebenes Green Shopfloor Management für nachhaltige Produktionssysteme

Vliesstoffe Nachhaltigkeit Kreislaufwirtschaft

Zusammenfassung

Die zunehmenden Anforderungen an nachhaltige Produktionssysteme erfordern eine systematische Integration ökologischer und sozialer Zielgrößen in bestehende Lean-Management-Strukturen. In diesem Beitrag wird ein datenbasiertes Konzept für ein Green Shopfloor Management im Rahmen eines Nachhaltigkeitsdatenmanagementsystems (NDMS) vorgestellt. Das Konzept erweitert das klassische Shopfloor Management um Nachhaltigkeitsziele, -kennzahlen und -entscheidungsprozesse und basiert auf vier Komponenten: einem an der Unternehmensstrategie ausgerichteten Zielsystem, einem darauf aufbauenden Kennzahlensystem auf Basis der Overall Sustainability Equipment Effectiveness (OSEE), standardisierten Shopfloor-Runden zur funktionsübergreifenden Entscheidungsfindung sowie einem digitalen Shopfloorboard zur Visualisierung von Kennzahlen und Maßnahmen. Durch die Verknüpfung von Lean-Prinzipien und Nachhaltigkeitsmanagement wird ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess ermöglicht, der ökonomische, ökologische und soziale Dimensionen gleichermaßen berücksichtigt und datenbasiert steuert.

Bericht

Inhaltsverzeichnis

1       Einleitung und Kontext...................................................................... 3

2       Konzept des Green Shopfloor Management................................. 4

3       Datenmodell der OSEE.................................................................... 11

4       Ausblick und Weiterentwicklung................................................... 16

5       Literaturverzeichnis......................................................................... 18

 

Impressum

Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University

52074 Aachen

Otto-Blumenthalstraße 1

Autoren: Florian Pohlmeyer, Thomas Gries

14.10.2025

DOI: 10.18154/RWTH-2025-08596

 

 

  1. Einleitung und Kontext

Die textile Wertschöpfungskette gehört zu den ressourcenintensivsten Industriesektoren weltweit. Sie ist verantwortlich für bis zu 10 % der globalen CO₂-Emissionen, einen Wasserverbrauch von rund 93 Milliarden m³ pro Jahr und erhebliche Mengen textiler Reststoffe. Innerhalb dieses Sektors nimmt die Vliesstoffindustrie eine besondere Rolle ein: Sie ist technologisch hoch entwickelt, vielseitig anwendbar und sowohl in kurzlebigen Konsumgütern als auch in langlebigen technischen Anwendungen vertreten. Gleichzeitig steht sie unter erheblichem Transformationsdruck – geprägt durch volatile Rohstoffmärkte, niedrige Margen, hohe Qualitätsanforderungen und steigende regulatorische Verpflichtungen im Bereich Nachhaltigkeit. Europäische und nationale Strategien wie der Green Deal, der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft, die EU-Textilstrategie und die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) fordern eine tiefgreifende Neuausrichtung industrieller Produktionssysteme. Unternehmen müssen ökologische, ökonomische und soziale Zielgrößen in ihre Entscheidungsprozesse integrieren, Nachhaltigkeitskennzahlen systematisch erfassen und über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg kommunizieren. Für viele kleine und mittlere Unternehmen stellt dies eine erhebliche Herausforderung dar: Es fehlen häufig die personellen, finanziellen und digitalen Ressourcen, um Nachhaltigkeitsziele messbar zu machen und operativ zu steuern.

Ein wesentlicher Hebel zur Bewältigung dieser Herausforderungen ist die Verfügbarkeit und Nutzung produktionsnaher Daten. Digitale Technologien ermöglichen es, Informationen zu Energie- und Ressourceneffizienz, Qualität und Prozessleistung in Echtzeit zu erfassen und als Entscheidungsgrundlage bereitzustellen. Entscheidend ist dabei, dass Nachhaltigkeit nicht als zusätzliches Berichtsthema, sondern als integraler Bestandteil des täglichen Shopfloor-Managements verstanden wird. Hier setzt das Konzept des Green Shopfloor Management an: Es verbindet die Prinzipien des Lean Managements – also die Vermeidung von Verschwendung und die kontinuierliche Verbesserung – mit den Zielen nachhaltiger Entwicklung. Im Green Shopfloor Management werden operative Prozesse durch ein datengetriebenes Kennzahlensystem transparent gemacht, das ökologische und soziale Dimensionen in bestehende Leistungskennzahlen integriert. Auf dieser Grundlage lassen sich Abweichungen erkennen, Maßnahmen im Sinne des PDCA-Zyklus ableiten und die Zielerreichung messbar verfolgen. Das Konzept zielt darauf ab, Nachhaltigkeit dort zu verankern, wo sie entsteht – am Ort der Wertschöpfung. [Bar24]

Die Verknüpfung von Nachhaltigkeitsmanagement, Lean-Prinzipien und Datenverfügbarkeit eröffnet neue Potenziale für die industrielle Transformation: Prozesse können energie- und ressourceneffizienter gestaltet, Zielkonflikte zwischen Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit besser adressiert und Verbesserungsmaßnahmen datenbasiert priorisiert werden. Gleichzeitig fördert die Integration von Nachhaltigkeitskennzahlen in das Shopfloor Management eine stärkere Beteiligung der Mitarbeitenden und schafft Transparenz über die ökologischen und sozialen Auswirkungen des eigenen Handelns. Vor diesem Hintergrund verfolgt das Green Shopfloor Management das Ziel, Nachhaltigkeit in den operativen Alltag produzierender Unternehmen zu integrieren und durch datenbasierte Entscheidungsunterstützung einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu etablieren. Es bildet damit einen zentralen Baustein auf dem Weg zu einer datengetriebenen, ressourceneffizienten und sozial verantwortlichen Produktion – und leistet einen konkreten Beitrag zur Umsetzung der europäischen Nachhaltigkeitsziele in der Industrie.

  1. Konzept des Green Shopfloor Management

Das Lean Management steht für das Streben nach verschwendungsfreien und ressourceneffizienten Prozessen in der Produktion und der perfekten Organisation [KR22]. Die Mitarbeitenden eines Produktionssystems werden bei der Entscheidungsfindung durch aufbereitete Informationen und Kennzahlen (engl.: Key Performance Indicator (KPI)) unterstützt. [KR22] Die Kommunikation und die Visualisierung von Kennzahlen sind zentrale Elemente des Shopfloor Management im Lean Management, um die KPIs an den Ort der Wertschöpfung zu bringen und den Wertschöpfungsprozess in den Mittelpunkt zu stellen. Nachhaltigkeit und Lean Management sind eng verknüpft, da bei beiden Themen die Vermeidung von Verschwendung im Fokus steht. [Ber20; Bar24]

Die elementaren Bestandteile des hier betrachteten Green Shopfloor Management sind das Zielsystem, das Kennzahlensystem, die Shopfloor-Runden und die Definition von Maßnahmen (siehe Abb. 2.1).

 

Abb. 2.1: Aufbau des Green Shopfloor Management

Zielsystem

Das Zielsystem eines Produktionssystems wird an der langfristigen Vision des Unternehmens und der Unternehmens- und Nachhaltigkeitsstrategie ausgerichtet. Das Zielsystem bildet die Grundlage für das Kennzahlensystem und stellt sicher, dass die entscheidungsbestimmenden Kennzahlen im Produktionssystem auf die Unternehmensziele ausgerichtet sind.

Das Zielsystem ist das Ergebnis eines Zielableitungsprozesses, der einen kaskadierenden Prozess von der Unternehmensvision bis zu den Zielen der operativen Ebene beschreibt (siehe Abb. 2.2) [Ber20]. Der Grad der Zielerreichung kann durch das Kennzahlensystem bestimmt werden. Der Fokus liegt auf den quantifizierbaren Zielen. Beim Aufbau des Zielsystems sind die Grundsätze der VDI-Richtlinien 2870 (Blätter 1-2), 2871 (Blätter 1-2), 2872 (Blätter 1-2) zu beachten [VDI12; VDI13; VDI21; VDI17; VDI19; VDI22].

 

Abb. 2.2: Ableitung des Zielsystems im NDMS

In dieser Arbeit werden die klassischen Zieldimensionen Qualität, Kosten und Zeit um die Dimension Nachhaltigkeit erweitert. Der Ausgangspunkt für die Integration der Dimension Nachhaltigkeit ist die Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens. Aus der Unternehmens- und Nachhaltigkeitsstrategie werden in einem manuellen Zielableitungsprozess messbare, spezifische Ziele abgeleitet. Die Ziele sind auf den Funktionsbereich Produktionssystem bezogen und können zur besseren Vergleichbarkeit auch produktspezifisch sein. Das Ergebnis des Zielableitungsprozesses sind n Jahresziele. Im Prozess ist zu beachten, dass die Anzahl der Ziele überschaubar ist und die Ziele realistisch sind [VDI13]. Die n Ziele werden in einer Datenbank als Tupel aus Kennzahl und Zielwert abgespeichert. Ein Beispiel für das Ziel zur Senkung des Energieverbrauches in einem Produktionssystem ist der Zielwert {Energieverbrauch [kWh/kg]; 1,1}. Der konkrete Aufbau des erforderlichen Datenmodells erfolgt weiter unten in Kapitel 3. Herausforderungen liegen in möglichen Zielkonflikten und einer mangelnden Fokussierung bei zu vielen Zielen [VDI13]. Diesen Herausforderungen wird in der Datenmodellierung begegnet (siehe unten).

Kennzahlensystem

Das Kennzahlensystem dient der Messung der Leistung und Zielerreichung und steht in einem direkten Zusammenhang zum Zielsystem. Die Kennzahlen entsprechen den quantifizierbaren Zielen. [Bar24; Ber20; VDI12] Mit den Leistungskennzahlen muss eine ganzheitliche Bewertung und Überwachung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen auf Abruf möglich sein. Außerdem sollte das Kennzahlensystem möglichst in bestehende Prozesse und Systeme integriert werden und auf prozessnahen Daten beruhen. Die Kennzahlen müssen auf einheitlichen Kalkulationsverfahren beruhen und einen Bezug zur Unternehmensstrategie aufweisen.

Das Kennzahlensystem wird aus dem Zielsystem abgeleitet und entspricht einem Datenmodell aus Kennzahlen, deren Beschreibung und deren Berechnungsvorschriften (siehe Abb. 2.3).

 

Abb. 2.3: Ableitung von Kennzahlen im NDMS

Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) sind das von der EU vorgegebene Rahmenwerk für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. Das Kennzahlensystem sollte sich an diesem Rechtsstandard orientieren, um Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Auch beim Kennzahlensystem werden die Vorgaben der VDI-Richtlinien 2870-2872 beachtet. Auf dieser Grundlage sind die folgenden Anforderungen an die Kennzahlen zu beachten [Ber22; Hel21]:

AK.1:   Kennzahlen müssen SMART (Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realistisch, Terminiert) formuliert sein.

AK.2:   Die Anzahl der Kennzahlen sollte auf 3-5 pro Ebene begrenzt sein.

AK.3:   Die Kennzahlen sollten durch die Mitarbeitenden beeinflussbar sein.

AK.4:   Die Kennzahlen müssen repräsentativ, aussagekräftig, reversibel und zielorientiert sein.

AK.5:   Die Kennzahlen müssen wirtschaftlich ermittelbar sein.

Eine technische Lösung, die die Anforderungen erfüllt ist das Kennzahlensystem der Overall Sustainability Equipment Effectiveness (OSEE) [MA24]. Die Overall Equipment Effectiveness (OEE) ist ein weitverbreitetes Kennzahlensystem, in das die OSEE Nachhaltigkeitsdimensionen integriert. Die Stärke der Lösung liegt im operativen Fokus des Kennzahlensystems und Nachhaltigkeitsdimensionen auf taktischer oder strategischer Ebene werden bewusst ausgeklammert. Die Kennzahlen sind also durch die Mitarbeitenden des Produktionssystems beeinflussbar. Das Kennzahlensystem umfasst 3 Hauptkennzahlen (Ökonomische, Ökologische und Soziale Nachhaltigkeit), die eine beliebige Anzahl von Indikatoren aggregieren.

Die Berechnung der OSEE erfolgt gemäß Gleichung 2.1 als Produkt aus der Ökonomischen Dimension (OEE), der Ökologischen Dimension und der Sozialen Dimension.

Gleichung 2.1

Gleichung 2.1

Die Berechnung der OEE erfolgt gemäß Gleichung 2.2 und ist das Produkt aus der Anlagenverfügbarkeit, dem Leistungsfaktor und der Qualitätsrate.

Gleichung 2.2

Gleichung 2.2

 

 

 

Neben dem Datenmodell des Kennzahlensystems ist ein Datenverarbeitungsdienst zur Berechnung der Kennzahlen bzw. zur Datenverarbeitung erforderlich. Der Dienst implementiert die Berechnungsvorschriften der Kennzahlen und greift auf verschiedene Datenquellen zu. Die Daten werden aus den Datenquellen importiert, harmonisiert und für die Kennzahlberechnung vorbereitet. Abschließend erfolgt die Berechnung der jeweiligen Kennzahlen. Die Kennzahlen werden wiederum in einer für Zeitreihen geeigneten Datenbank gespeichert. Die berechneten Kennzahlen liegen in Tupeln des Formates {Bezeichnung, Wert} vor. Das Konzept der OSEE sieht vor, dass die Kennzahlen einer Relation des IST-Zustandes im Vergleich zum Zielzustand in % entsprechen.

Die wesentliche Herausforderung im Bereich des Kennzahlensystems liegt in der Anzahl der Kennzahlen, die durch die Komplexität der Nachhaltigkeitsdimensionen zu hoch sein kann. Dieser Herausforderung wird hier durch die Aggregation der Kennzahlen durch die OSEE begegnet.

Shopfloor-Runden

Die Shopfloor-Runden sind der Kern des Shopfloor-Managements und dienen der Führung am Ort der Wertschöpfung und einem schnellen und zielgerichteten Informationsfluss. Unter den Shopfloor-Runden sind regelmäßige standardisierte und kurzzyklische Besprechungen mit funktionsübergreifenden Teilnehmern zu verstehen. [Ber20] Die Basis für die Besprechungen bildet das Kennzahlensystem. In den Besprechungen werden die Kennzahlen besprochen und bei Abweichungen Maßnahmen beschlossen. Die Leistungskennzahlen müssen in die Entscheidungsprozesse der jeweiligen Entscheidungsträger integriert werden und dabei abteilungsübergreifende Zielkonflikte berücksichtigen.

In den Shopfloor-Runden sollten in diesem Fall funktionsübergreifend mindestens die Produktentwicklung, der Einkauf und die Materialwirtschaft, die Produktion und der Vertrieb teilnehmen (siehe Abb. 2.4). In den Shopfloor-Runden finden zur Kennzahlvisualisierung Shopfloorboards Anwendung, die nachfolgend für den Anwendungsfall ausgelegt werden.

 

Abb. 2.4: Umfang der Shopfloor-Runden

Der Umfang und die Durchführung der Shopfloor-Runden weicht durch die Integration der Nachhaltigkeitskennzahlen nicht von den üblichen Standards ab. Das Vorgehen nach VDI-Richtlinie 2871-2 bedarf keiner weiteren Anpassung [VDI21]. Außerdem sind die Shopfloor-Runden ein Prozess, der keiner weiteren softwaretechnischen Auslegung bedarf.

Definition von Maßnahmen

Ein Teil der Shopfloor-Runden ist die Definition von Maßnahmen bei Problemen oder Abweichungen. Die Definition, Umsetzung und Überwachung der Maßnahmen dienen der schnellen Problemlösung und Zielerreichung. Dieser Prozess dient der Umsetzung eines nachhaltigen und kontinuierlichen Verbesserungsprozesses unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsdimensionen. Das System trägt zu einem dauerhaften Verbesserungsprogramm bei.

Die Definition von Maßnahmen setzt eine Abweichungserkennung voraus und orientiert sich am PDCA-Zyklus (siehe Abb. 2.5). Die Abweichungserkennung basiert auf den Kennzahlen und Zielwerten. Weichen die Kennzahlen von den jeweiligen Zielwerten ab, werden im PDCA-Zyklus Maßnahmen abgeleitet. Im Sinne des Nachhaltigkeitsmanagements ist keine weitere Anpassung des Prozesses erforderlich, weil die Nachhaltigkeitsdimensionen über das Kennzahlensystem Berücksichtigung finden. Die Umsetzung orientiert sich an den Methoden PDCA und Shopfloor-Management der VDI-Richtlinien VDI 2870 Blatt 2 und VDI-MT 2871 Blatt 2. [VDI13; VDI21]

 

Abb. 2.5: Definition, Umsetzung und Bewertung von Verbesserungsmaßnahmen

Shopfloorboard

Das Shopfloorboard dient der Visualisierung und Transparenz des aktuellen Prozessstatus am Ort der Wertschöpfung und ist das zentrale Kommunikationsinstrument in den Shopfloor-Runden. Mit dem Board soll es möglich sein, den Status eines Produktionssystems auf einen Blick zu erfassen. [VDI19; VDI22; VDI21; CEL19]

Das Shopfloorboard muss in dieser Arbeit auf eine Überwachung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen im Produktionssystem angepasst werden und stützt sich dabei auf das Kennzahlensystem. Das Board ist das Kommunikationsmittel, um die Leistungskennzahlen in die Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen. Das Shopfloorboard muss die Nachhaltigkeitsdaten verständlich, übersichtlich und eindeutig auslegbar als Entscheidungsgrundlage bereitstellen. Dazu kommen aussagekräftige Dashboards zum Einsatz, die eine gleichzeitige Überwachung mehrerer Zielgrößen ermöglichen. Die Visualisierung muss durch eine schnell interpretierbare Form die wahrgenommene Komplexität reduzieren.

Das Shopfloorboard visualisiert die Kennzahlen und die Maßnahmen. Das Board wird in den täglichen Shopfloor-Runden zur Visualisierung von Informationen genutzt. Die Übersicht ist in Abb. 2.6 dargestellt.

 

Abb. 2.6: Übersicht über das Shopfloorboard

In der VDI-Richtlinie VDI-MT 2871 Blatt 2 sind Vorgaben für die Gestaltung von Shopfloorboards enthalten [VDI21]. Die Boards müssen den aktuellen Status eines Produktionssystems zeigen und sollten nicht überentwickelt sein. Wichtig ist außerdem, dass die Boards unternehmensindividuell von den Nutzenden selbst entwickelt werden sollten. Die VDI-Richtlinie VDI 2870 Blatt 1 zeigt ein Beispiel [VDI12].

Für das Shopfloorboard ist ein Datenverarbeitungsdienst zur Visualisierung von Daten erforderlich. Der Dienst implementiert grafische Benutzeroberflächen und greift auf verschiedene Datenquellen zu. Die Daten werden aus den Datenquellen importiert und in verschiedenen Diagrammtypen dargestellt. Die spezifische Auslegung des Dienstes wird hier nicht weiter detailliert, weil unternehmensindividuelle Anforderungen berücksichtigt werden sollten. Allerdings ist in Abb. 2.7 ein beispielhafter Aufbau eines Shopfloorboardes dargestellt.

 

Abb. 2.7: Visualisierung von Kennzahlen und Maßnahmen im Shopfloorboard in Anlehnung an [VDI12]

  1. Datenmodell der OSEE

Das Datenmodell für das Kennzahlensystem dient der einheitlichen Interpretation der Daten und ermöglicht semantische Interoperabilität. Im Datenmodell für das Kennzahlensystem müssen die drei Nachhaltigkeitsdimensionen ganzheitlich abgebildet sein. Außerdem gelten die bereits im Kennzahlensystem festgelegten Spezifikationen. Die Grundlage des Datenmodells bilden das Kennzahlensystem OSEE und die in den Nachhaltigkeitsstrategien der Vliesstoffunternehmen verankerten Nachhaltigkeitsziele.

Das Datenmodell basiert auf der Grundstruktur der Overall Sustainable Equipment Effectiveness (OSEE), welche die Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales systematisch integriert. Zentrales Element ist die Kennzahl OSEE, die sich aus der OEE (Gesamtanlageneffektivität) sowie aggregierten ökologischen S(Ökologisch) und sozialen S(Sozial) Indikatoren zusammensetzt (siehe Abb. 3.1). Die inhaltliche Ausgestaltung dieser Indikatoren erfolgt auf Basis einer systematischen Analyse der Nachhaltigkeitsstrategien von Unternehmen der Vliesstoffindustrie. Zur Sicherstellung von Interoperabilität und Vergleichbarkeit werden im Datenmodell Daten und Metadaten modelliert.

 

Abb. 3.1: Datenmodell für das Kennzahlensystem

Für das Erstellen von Datenmodellen sollten existierende Standards genutzt werden. Das Konzept der OSEE ist in [MA24] definiert. Ein einheitliches Datenmodell der OSEE oder der OEE für die Vliesstoffindustrie ist bislang nicht bekannt. Allerdings sind verschiedene Standards für die Nachhaltigkeitsfaktoren und die OEE für das Vokabular und die Ontologie des Datenmodells zu berücksichtigen. Auf bestehende Normen und Standards für die Nachhaltigkeitsfaktoren wird im weiteren Verlauf bei der Definition einzelner Kennzahlen eingegangen. Für die OEE existieren bestehende Modelle, die in dieser Arbeit nicht weiterentwickelt werden. Die ISO 22400-Reihe bietet einen Rahmen, um KPIs im Manufacturing Operations Management (MOM) standardisiert zu definieren und zu bewerten. ISO 22400-1 beschreibt die grundlegenden KPI-Konzepte [ISO14], während ISO 22400-2 konkrete Kennzahlenformeln (z. B. OEE, Verfügbarkeit, Qualitätsraten) sowie deren zugehörige Zeit- und Datenmodelle definiert [ISO14]. Der Standard ist auch als XML-Implementierung verfügbar [Dol16]. Eine Ergänzung zur ISO 22400 stellt die VDI 3423 dar, die zentrale Zeitarten (z. B. Nutzungszeit, Ausfallzeiten) und Berechnungsgrundlagen für die technische Verfügbarkeit bereitstellt [VDI11]. Diese bilden die zeitlogische Basis für OEE-Kennzahlen und lassen sich konsistent mit den Strukturvorgaben der ISO 22400 kombinieren. Die Normenreihe IEC 62264 (ISA-95) bietet eine konsistente Grundlage für die Modellierung der OEE-Komponente innerhalb des OSEE-Datenmodells [DIN14; DIN14; DIN17]. Sie definiert hierfür eine einheitliche Systemhierarchie, standardisierte Objekt- und Attributstrukturen sowie zugehörige Aktivitätsmodelle für Planung, Ausführung und Analyse. Dadurch lassen sich OEE-relevante Daten verorten, strukturiert erfassen und interoperabel in bestehende Produktions- und IT-Systeme integrieren. Für die technische Implementierung bietet die Verwaltungsschale (AAS) nach IEC 63278 eine standardisierte Struktur zur semantischen Beschreibung von Assets (hier das Produktionssystem) und Kennzahlen [IEC23]. Die konkrete Nutzung der AAS zur Modellierung der OSEE-Kennzahlen wird im folgenden Abschnitt zu den Entwurfsentscheidungen erläutert.

 

 

Die technische Modellierung des Kennzahlensystems erfolgt in vier Schritten:

  1. Ableitung der Faktoren von S(Ökologisch) und S(Sozial) auf der Basis von Nachhaltigkeitsstrategien aus der Vliesstoffindustrie.
  2. Semantisch eindeutige Beschreibung der Faktoren durch eine Zuordnung zu existierenden Standards und Normen.
  3. Zusammenführung der Faktoren und der OEE im erweiterten OSEE-Modell.
  4. Modellierung des Kennzahlensystems in der Verwaltungsschale.

Die Grundlage für die Ableitung der einzelnen Faktoren bildet eine systematische Analyse von Nachhaltigkeitsberichten und -strategien von 23 Unternehmen, die Vliesstoffe produzieren, und die Nachhaltigkeitsstrategie der Edana. Die Grundgesamtheit sind die 73 Mitgliedsunternehmen der Edana in der Kategorie „Nonwoven“ (Stand: Januar 2025). Nicht alle dieser Unternehmen veröffentlichen Informationen über Nachhaltigkeitsstrategien und -ziele. Zur Erhöhung der Vergleichbarkeit werden jeweils spezifische Werte verwendet. Sämtliche Werte werden auf die produzierte Menge von Vliesstoff in m² bezogen. Die 20 Indikatoren für den Faktor S(Ökologisch) sind in Tab. 3.1 aufgelistet und jeweils Standards und Normen zur semantischen Beschreibung zugeordnet.

Tab. 3.1: Indikatoren für den Faktor S(Ökologisch)

 

Die 3 Faktoren für den Faktor S(Sozial) sind in Tab. 3.2 aufgelistet und jeweils Standards und Normen zur semantischen Beschreibung zugeordnet.

Tab. 3.2: Indikatoren für den Faktor S(Sozial)

 

Für eine Vergleichbarkeit der Faktoren müssen sie nachfolgend normiert werden. Im Kontext der OSEE werden die Faktoren auf einen Wertebereich von 0 bis 100 % normiert, wobei 100 % gleichbedeutend mit einer vollständigen Zielerreichung ist. Für sämtliche Indikatoren sind Zielwerte zu definieren (siehe Auslegung des Zielsystems). Für die Berechnung der normierten Faktoren gilt dann:

Berechnung 3.1

Die resultierenden normierten Faktoren werden in ein Datenmodell integriert, das auf der bestehenden OEE-Struktur basiert. Die OEE-Komponente (Verfügbarkeit, Leistung, Qualität) wird nicht neu entwickelt, sondern auf Basis etablierter Standards (z. B. ISO 22400, VDI 3423) übernommen. Die S(Ökologisch)- und S(Sozial)-Indikatoren werden ergänzend als gewichtete Teilkennzahlen eingebunden und in einem gemeinsamen semantischen Modell mit den OEE-Daten verknüpft.

Zur semantischen und strukturellen Abbildung der Kennzahlen wird die Verwaltungsschale (Asset Administration Shell, AAS) gemäß IEC 63278 genutzt. Die relevanten KPI-Daten werden in einem eigenen Teilmodell „OSEE“ modelliert, da ein entsprechendes Teilmodell noch nicht als Template veröffentlicht ist. Bei der Modellierung von Teilmodellen der Verwaltungsschale sind die Grundsätze aus der Spezifikation der Verwaltungsschale zu beachten [Ind24; BDE+21]. Der Grundsatz der Modularisierung besagt, dass komplexe Informationen nicht monolithisch, sondern in fachlich und funktional abgegrenzten Modulen strukturiert werden sollen. Dementsprechend wird das Datenmodell der OSEE in SubmodelElementCollections (SEC) strukturiert (siehe Abb. 3.2).

 

Abb. 3.2: Modularisierung im Teilmodell für das Kennzahlensystem OSEE

Die SECs der Faktoren enthalten jeweils 3 Properties:

  • actualValue: IST-Wert des Indikators
  • targetValue: Zielwert des Indikators
  • normalizedValue: Normierter Faktor

Die Beschreibungen der Faktoren sind über das Attribut description integriert, um Zweck und Inhalt der Faktoren für menschliche Nutzer zu erläutern. Die Zuordnung der Standards und Normen als semantische Beschreibungen der Faktoren erfolgt über das Attribut semanticId der Teilmodellelemente. Die semanticId ist ein Verweis auf den inhaltlichen Bedeutungsgehalt eines Elements [Ind24]. Die semanticIds sind vom Typ ExternalReference. Die GLOBAL_REFERENCEs verweisen über einen Link auf die zugrundeliegenden Normen oder Standards. Zusätzlich werden zwei fachliche Qualifier für die Teilmodellelemente eingesetzt, um die Kennzahlen zu spezifizieren. Die physikalische Einheit der Elemente wird durch Qualifier der Art VALUE_QUALIFIER und dem typeunit“ eindeutig zugeordnet. Die Optimierungsrichtung einer Kennzahl wird durch Qualifier der Art CONCEPT_QUALIFIER und dem typeoptimizationDirection“ eindeutig zugeordnet. Damit sind sowohl die Einheiten als auch die Optimierungsrichtung für Applikationen maschinenlesbar.

 

Abb. 3.3: Ansicht des OSEE-Teilmodells im AASX Package Explorer

  1. Ausblick und Weiterentwicklung

Die in dieser Arbeit vorgestellte Konzeption eines datengetriebenen Green Shopfloor Managements stellt einen ersten Ansatz dar, um Nachhaltigkeitsziele systematisch in die operative Produktionssteuerung zu integrieren. Durch die Verbindung der Lean-Prinzipien mit einem Nachhaltigkeitsdatenmanagementsystem (NDMS) konnte gezeigt werden, dass ökologische und soziale Leistungsdimensionen mess- und steuerbar in bestehende Prozesse eingebettet werden können. Dennoch ergeben sich aus der praktischen Umsetzung und den konzeptionellen Grenzen des Ansatzes mehrere Entwicklungsfelder.

(1) Erweiterung des Datenmodells und Integration weiterer Datenquellen.

Das entwickelte Datenmodell der Overall Sustainability Equipment Effectiveness (OSEE) bildet den gegenwärtigen Stand der Integration von ökonomischen, ökologischen und sozialen Indikatoren ab. Für eine ganzheitliche Betrachtung zukünftiger Produktionssysteme ist eine Erweiterung um zusätzliche Dimensionen, wie z. B. Lieferkettentransparenz, Materialkreisläufe und Produktlebenszyklen, erforderlich. Eine Verknüpfung mit externen Datenquellen – etwa über den Digitalen Produktpass (DPP) – ermöglicht eine Bewertung jenseits der Fabrikgrenzen und unterstützt die Systemtransparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

(2) Automatisierung und Echtzeitfähigkeit der Datenerfassung.

Aktuell beruhen viele Nachhaltigkeitskennzahlen noch auf periodischen Datenerhebungen. Zukünftige Entwicklungen sollten auf eine stärkere Automatisierung und Echtzeitintegration abzielen, um Abweichungen unmittelbar zu erkennen und dynamische Steuerungsmechanismen zu ermöglichen. Hierfür sind Schnittstellen zu Produktions- und Energiemanagementsystemen (z. B. MES, EMS) zu standardisieren und um semantische Datenmodelle zu erweitern.

(3) Integration von Entscheidungsunterstützung und KI-basierten Analysen.

Eine Weiterentwicklung des Green Shopfloor Management liegt in der Nutzung datenanalytischer Verfahren zur Entscheidungsunterstützung. Methoden der künstlichen Intelligenz können Muster in großen Datenmengen erkennen und Optimierungspotenziale in Bezug auf Energieeffizienz, Ressourcennutzung und soziale Faktoren automatisiert identifizieren. Die OSEE kann dabei als Zielgröße für lernende Systeme dienen.

(4) Sozio-technische Implementierung und Organisationsentwicklung.

Die technische Umsetzung muss durch ein angepasstes Change Management flankiert werden. Zukünftige Arbeiten sollten die sozialen Aspekte der Systemeinführung stärker berücksichtigen – insbesondere Schulung, Motivation und Akzeptanz der Mitarbeitenden. Nachhaltigkeit am Shopfloor kann nur gelingen, wenn technologische Innovationen mit einer partizipativen Organisationskultur verbunden werden.

(5) Validierung und Standardisierung.

Eine umfassende Validierung des Konzepts in weiteren industriellen Umgebungen, insbesondere außerhalb der Vliesstoffindustrie, ist erforderlich, um die Übertragbarkeit zu prüfen. Parallel dazu sollte die formale Standardisierung der OSEE und ihrer semantischen Beschreibung in der Verwaltungsschale (AAS) vorangetrieben werden, um eine breite industrielle Anwendung zu ermöglichen.

(6) Verknüpfung mit europäischen Datenräumen.

Langfristig bietet die Anbindung an entstehende industrielle Datenräume wie Catena-X oder Manufacturing-X die Möglichkeit, Nachhaltigkeitsdaten sicher und souverän zwischen Unternehmen auszutauschen. Damit kann das Green Shopfloor Management zu einem operativen Knotenpunkt für Nachhaltigkeitsdaten im Produktionsnetzwerk werden.

 

 

 

  1. Literaturverzeichnis

[Bar24] Bardy, S.:
Shopfloor Management für die ressourceneffiziente Produktion. Darmstadt: Technische Universität Darmstadt, Dissertation,

[Ber20] Bertagnolli, F.:
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[Ber22] Bertagnolli, F.:
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[CEL19] Conrad, R. W.; Eisele, O.; Lennings, F.:
Shopfloor-Management - Potenziale mit einfachen Mitteln erschließen. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2019

[Hel21] Helmold, M.:
Kaizen, Lean Management und Digitalisierung.
Wiesbaden, Heidelberg: Springer Gabler, 2021

[IEC23] IEC 63278-1:2023 2023Asset Administration Shell for industrial applications - Part 1: Asset Administration Shell structure.

[KR22] Kletti, J.; Rieger, J.:
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[MA24] Madreiter, T.; Ansari, F.:
From OEE to OSEE: How to reinforce Production and Maintenance Management Indicator Systems for Sustainability?
6th IFAC Workshop on Advanced Maintenance Engineering, Services and Technologies (2024)

[VDI12] Richtlinie VDI 2870 Blatt 1 00.07.2012Ganzheitliche Produktionssysteme - Grundlagen, Einführung und Bewertung.

[VDI13] Richtlinie VDI 2870 Blatt 2 00.02.2013Ganzheitliche Produktionssysteme - Methodenkatalog.

[VDI17] Richtlinie VDI 2871 Blatt 1 00.01.2017Ganzheitliche Produktionssysteme - Führung.

[VDI19] Richtlinie VDI 2872 Blatt 1 00.10.2019Ganzheitliche Produktionssysteme - Lean-Enterprise-System - Grundlagen und Einführung.

[VDI21] Richtlinie VDI-MT 2871 Blatt 2 00.06.2021Ganzheitliche Produktionssysteme - Führung - Methodenkatalog.

[VDI22] Richtlinie VDI 2872 Blatt 2 00.04.2022Ganzheitliche Produktionssysteme - Lean-Enterprise-System - Methodenkatalog.

AutorInnen: Florian Pohlmeyer Thomas Gries

Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University
52074 Aachen
Otto-Blumenthalstraße 1

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21.10.2025

Tubular tissues with rigid and flexible structural zones and mass transport for the biomimetic construction of the trachea

Gewebe Smart Textiles Medizin

Zusammenfassung

The successful treatment of tracheal (windpipe) injuries is an immense challenge and has great social and medical relevance. Every treatment and subsequent care of the trachea with a stoma leads to functional disadvantages such as humidification of the air we breathe, poorer sense of smell and taste, or faulty voice formation. Another disadvantage is that up to 20% of patients suffer from stenosis (narrowing) of the trachea [1]. As part of the interdisciplinary IGF research project 01IF22889N of the ITM, an integrally manufactured, textile, pressure-stable biomimetic tracheal implant was therefore developed.

Bericht

Initial situation and problem definition

The windpipe (trachea) fulfils two main functions: (I) it provides an airtight and mechanically stable passage from the larynx to the bronchial tree of the lungs for air transport, and (II) it facilitates the transport of mucus. Function (I) is performed by a tubular structure consisting of cartilage rings and longitudinal muscles, which provide lateral stability and longitudinal flexibility. This keeps the lumen open for breathing air. In addition, the inhaled air is moistened and warmed. Function (II) is a cleaning mechanism that is performed by a special mucous membrane layer (mucociliary respiratory epithelial layer). Here, mucus-producing cells and cells with tiny hairs (cilia) on their surface transport mucus and particles [2].

After an injury to the trachea, these functions are impaired by the insertion of a tracheal cannula. In Germany, 53,000 tracheal resections (replacement of part of the trachea) are performed annually [3]. A high proportion, around 40,000 patients, receive non-clinical care through a surgically created opening in the windpipe, known as a stoma [3]. This treatment has significant disadvantages: 1. poorer humidification and warming of the inhaled air, 2. poorer sense of smell and taste, 3. impaired voice formation, and 4. narrowing of the windpipe.

The gold standard for tracheal reconstruction is end-to-end anastomosis, in which part of the trachea is removed and the remaining ends are sutured together [4]. However, for this procedure to be performed, at least half of the trachea must remain in adults and one third in children, otherwise the operation cannot be carried out [5]. Nevertheless, complications occur in up to 20% of cases [6]. As the sutured ends of the trachea are subject to considerable force, this can lead to the suture tearing and the trachea shifting into the chest cavity. There is also a risk that the ends will not grow together properly, leading to scarred narrowing of the trachea, tracheitis, hoarseness, loss of voice and paralysis of the vocal cord nerves, as well as swallowing disorders [7]. Approaches investigated to date – including synthetic implants, constructs made from the patient's own tissue, donor tracheas and tissue engineering procedures – have not yet been able to replicate a functional cilia layer for mucus and particle transport. Neither this lack of transport function nor the high complication rate and shortage of suitable donor tissue currently allow for reliable use in cases of larger tracheal defects following clinically necessary resection. As a result, there is currently no implant available that can adequately replace the trachea.

It is therefore necessary to develop novel implants that mimic both the mechanical stability and the internal transport function of the natural trachea. The aim of the IGF project was therefore to develop a textile, functional and biomimetic tubular fabric. This fabric should have a cilia-like structure for active substance transport. At the same time, rigid, 3D-printed support structures, which can be integrated during the weaving process, were to protect the tubular fabric from collapsing. Both aspects serve to safely bridge missing or removed tracheal tissue. The ciliary movement should be achieved by electroactive piezoelectric PVDF fibres integrated into the tissue in the form of polarised naps. The ciliary movement is to be activated by the piezoelectric effect, which is triggered by the electric field generated by current-carrying conductors.

Development of tubular tissue structures

To produce a tubular fabric with cilia on the fabric surface, various variants were developed for a multi-layer fabric with naps pointing into the interior of the tube. The fabrics were manufactured using commercially available shuttle loom technology with a Jacquard unit for versatile adaptation of the fabric structure.

The tubular base structure was woven from polyester threads. Depending on the variant, cilia threads or a combination of cilia threads (piezoelectric PVDF or Nitinol threads) and conductor threads (silver-plated polyamide, Madeira HC40) were incorporated into the base fabric. The use of conductor threads was necessary when using electroactive PVDF multifilament threads or short fibres to stimulate cilia movement. When using one-way or two-way shape memory (SM) filaments as cilia material, no separate conductor filaments had to be incorporated into the fabric, as the SM filaments were directly contacted and conductive in order to initiate the movement of the cilia.

Development of biomimetic support structures

The human trachea has approximately 15 to 20 tracheal cartilages. They are horseshoe-shaped, have a diameter of 20 mm, with the open side facing dorsally (towards the back), and are approximately 4 mm wide and 1 mm thick. Their outer surface is flat and the inner surface is convex. Tracheal cartilages that can be integrated into the web (cartilage clips/support structures) should be manufactured using 3D printing and should be able to withstand a compression force of at least 1.2 N.

Based on this geometry, a total of 10 different models were developed. The differences in geometry resulted from variations in the leg geometry (C- and U-shaped), wall thickness and radius. The support structures were produced using photopolymer printing based on the stereolithography concept with an Objet 30 Prime from Stratasys in order to achieve the necessary geometric details. Exemplary structures are shown in Figure 1.

To examine the cartilage structures, clamps that meet the requirements for commercially available measurement technology were developed, designed and implemented using 3D printing. The clamps developed enable pressure loading in various anatomical positions of the cartilage segments (anterior-posterior & medial-lateral).

Integration of support structures into the tissue structure

Based on the previously presented woven tubular fabric, including the naps anchored in the base fabric on the fabric surface, a weaving structure was developed that could accommodate and fix the developed support structures at defined intervals in the base fabric. The integration of the support structures was achieved by weaving a fabric pocket over the entire circumference of the fabric. The dimensions (width and thickness) of the fabric pocket were adapted to those of the support structures, which were fixed between two layers of fabric and secured against slipping and "twisting out" of the structure. The number of support structures per defined fabric length was adjustable in terms of binding, and different clip widths could also be integrated into the tubular fabric by adjusting the fabric pocket size. The implemented demonstrator is shown in Figure 3. The inward-facing cilia and tissue pockets with the integrated support structures are clearly visible.

Textile physical analysis of the support and tissue structures as well as movement analysis

The average tensile strength of the human trachea is approximately 230 N [8]. The tubular tissue structures with integrated support structures exhibited a maximum tensile strength of approximately 4300 N. A yield strength of approximately 1400 N was determined. This means that the mechanical requirements of the human trachea are fully met. All support structures developed to prevent the trachea from collapsing exhibited a compression force greater than 1.2 N. In some cases, the target value was exceeded tenfold.

In addition, the influence of repeated or cyclic tensile loading on the position of the support structures integrated into the tissue was investigated. To this end, a load cycle test with 150 cycles was performed, in which a tensile load of up to a maximum force of 230 N (target value) was repeatedly applied, followed by relief to the initial position. A sample holder was developed and implemented for this purpose so that the tubular structure was loaded biomimetically across the entire cross-section. The results show that the support structures woven into the tissue pockets remained firmly fixed and did not "twist out" in the circumferential direction. The selected integration and fixation method thus ensures permanent positional stability under cyclic loading.

Motion analysis of the various patterns showed that PVDF fibres did not enable ciliary movement. However, the SM filaments with a two-way effect demonstrated repeatable ciliary movement. This approach can be used in the future to replicate the functioning of human cilia. As a further alternative approach, fabrics with parallel conductor threads were flocked with polyamide short fibres. Using an alternating electric field, intermittent cilia movement could also be simulated here.

Summary

A novel tracheal implant was developed at ITM that excellently replicates the macroscopic structure of the human trachea. The developed structure could be manufactured using commercially available shuttle weaving technology without any design modifications. To maintain a pressure-stable tubular structure, 3D-printed support structures were integrated into tissue pockets. Production can be carried out integrally and can be adapted to individual patients in terms of tissue length, support structure spacing, number of support structures and pressure stability. In addition, various concepts were investigated to replicate the microscopic structure in order to generate mass transport. The basis for this was the creation of polnop tissue and the use of piezoelectric PVDF fibres. It was found that PVDF nubs did not allow for movement on a microscopic scale. Ciliary movement was achieved using other actuator fibres such as nitinol fibres. Ciliary movement can also be achieved using flock fibres.

Acknowledgements

The project ‘Tubular tissues with rigid and flexible structural zones and mass transport for the biomimetic construction of the trachea (01IF22889N)’ is funded by the Federal Ministry for Economic Affairs and Energy as part of the ‘Industrial Collective Research (IGF)’ programme on the basis of a resolution passed by the German Bundestag.

References

[1]  Aleksanya, A.; Stoelben, E.: Laryngotracheal resection as an alternative to permanent tracheostomy. Pneumologie 73 (2019), No. 4, pp. 211–218. URLhttps://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/a-0809-0232

[2]  Udelsma, Brooks; Mathisen, Douglas J.; Ott, Harald C.: A reassessment of tracheal substitutes—a systematic review. In: Annals of Cardiothoracic Surgery 7 (2018), No. 2, pp. 175–182. URLhttps://www.annalscts.com/article/view/16458/16661

[3]  BVMe d:  BVMed provides information on tracheotomy and laryngectomy care. URL https://www.bvmed.de/verband/presse/pressemeldungen/bvmed-informiert-ueber-tracheotomie-und-laryngektomie-versorgung. – Update date: 19 May 2016 – Review date: 15 October 2025

[4]  Canzan, F.; Aggazzotti Cavazza, E.; Mattioli, F.; Ghidini, A.; Bottero, S.; Presutti, L.: Step-by-Step Tracheal Resection with End-to-End Anastomosis. In: Ghidini, Angelo; Mattioli, Francesco; Bottero, Sergio; Presutti, Livio (eds.): Atlas of Airway Surgery :  ACham: Springer International Publishing, 2017, pp. 75–82

[5]  Weme, Richard D.; Detamore, Michael; Weatherly, Robert A.: Immunohistochemical characterisation of rabbit tracheal cartilages. In: Journal of Biomedical Science and Engineering 03 (2010), No. 10, pp. 1007–1013

[6]  Damian o, Giuseppe; Palumbo, Vincenzo Davide; Fazzotta, Salvatore; Curione, Francesco; Lo Monte, Giulia; Brucato, Valerio Maria Bartolo; Lo Monte, Attilio Ignazio: Current Strategies for Tracheal Replacement: A Review.  In: Life 11 (2021), No. 7, pp. 618. URLhttps://www.mdpi.com/2075-1729/11/7/618

[7]  Rettinge, Gerhard; Hosemann, Werner; Hüttenbrink, Karl-Bernd; Werner, Jochen Alfred: ENT Surgery : . 5th, completely revised edition. Stuttgart: Thieme, 2018

[8]  A. Berghau s: . In: Cardiac, Thoracic and Vascular Surgery 1987 (1987), Volume 1. URL https://epub.ub.uni-muenchen.de/6218/1/6218.pdf – Review date 2025-10-15

 

AutorInnen: Pötzsch, H. F. Happel, A. Bruns, M. Wöltje, M. Cherif, Ch.

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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21.10.2025

Tubuläre Gewebe mit rigiden und flexiblen Strukturzonen und Stofftrans-port zum biomimetischen Aufbau der Trachea

Gewebe Smart Textiles Medizin

Zusammenfassung

Die erfolgreiche Therapie von Verletzung der Trachea (Luftröhre) stellt eine immense Herausforderung dar und hat eine große gesellschaftliche und medizinische Relevanz. Jede Behandlung und anschließende Versorgung der Trachea mit einem Stoma führen zu funktionellen Nachteilen wie der Befeuchtung der Atemluft, schlechterem Geruchs- und Geschmackssinn oder fehlerhafte Stimmbildung. Ein weiterer Nachteil ist, dass bis zu 20 % der Patienten an einer Stenose (Verengung) der Trachea leiden [1]. Im Rahmen des interdisziplinären IGF-Forschungsprojektes 01IF22889N des ITM wurde deshalb ein integral gefertigtes, textiles, druckstabiles biomimetisches Tracheaimplantat entwickelt.

Bericht

Ausgangssituation und Problemstellung

Die Luftröhre (Trachea) erfüllt zwei Hauptfunktionen: (I) Realisierung des luftdichten und mechanisch stabilen Übergangs vom Kehlkopf zum Bronchialbaum der Lunge für den Lufttransport und (II) Erleichterung des Schleimabtransports. Funktion (I) übernimmt. eine röhrenförmige Konstruktion aus Knorpelspangen und Längsmuskeln, die für die seitliche Stabilität sowie die Längsflexibilität sorgen. Auf diese Weise wird das Lumen für die Atemluft offengehalten. Zusätzlich wird beim Einatmen die Atemluft angefeuchtet und erwärmt. Funktion (II) ist ein Reinigungsmechanismus, der durch eine besondere Schleimhautschicht (mukoziliäre respiratorische Epithelschicht) erfüllt wird. Hierbei übernehmen schleimproduzierende Zellen und Zellen mit Flimmerhärchen (Zilien) auf der Oberfläche den Transport von Schleim und Partikeln [2].

Nach einer Verletzung der Trachea sind diese Funktionen durch das Einsetzen einer Trachealkanüle beeinträchtigt. So werden in Deutschland jährlich 53.000 Trachearesektionen (Ersetzen eines Teils der Trachea) durchgeführt [3]. Ein hoher Anteil, etwa 40.000 Patienten erhalten dabei eine außerklinische Versorgung durch eine operativ geschaffene Öffnung in der Luftröhre, ein sogenanntes Stoma [3]. Diese Versorgung ist mit erheblichen Nachteilen verbunden: 1. einer schlechteren Befeuchtung und Erwärmung der Atemluft, 2. eines schlechteren Geruchs- und Geschmackssinns, 3. einer fehlerhaften Stimmbildung, und 4. einer Verengung der Luftröhre.

Der Gold-Standard für die Rekonstruktion der Trachea ist die End-to-End Anastomose, bei der ein Teil der Luftröhre entfernt und die verbleibenden Enden miteinander vernäht werden [4]. Für die Anwendung muss aber bei Erwachsenen mindestens die Hälfte und bei Kindern ein Drittel der Trachea vorhanden bleiben, da die Operation sonst nicht durchgeführt werden kann [5]. Trotzdem treten in bis zu 20 % der operierten Fälle Komplikationen auf [6]. Da auf die vernähten Tracheaenden große Kräfte wirken, kann dies zum Ausreißen der Naht und zu einer Verschiebung der Luftröhre in den Brustraum führen. Auch besteht die Gefahr, dass die Enden nicht richtig zusammenwachsen und es zu narbigen Verengungen der Luftröhre, Luftröhrenentzündungen, Heiserkeit, Stimmverlust und Lähmung der Stimmlippennerven sowie Schluckstörungen kommt [7]. Bisher untersuchte Ansätze – darunter synthetische Implantate, Konstrukte aus patienteneigenem Gewebe, Spendertracheen und Tissue-Engineering-Verfahren – konnten bislang keine funktionsfähige Zilienschicht für den Schleim- und Partikeltransport nachbilden. Weder diese fehlende Transportfunktion noch die hohe Komplikationsrate und der Mangel an geeignetem Spendergewebe erlauben aktuell einen verlässlichen Einsatz bei größeren Tracheadefekten nach einer klinisch notwendigen Resektion. Deshalb steht derzeit kein Implantat als adäquater Tracheaersatz zur Verfügung.

Somit ist es notwendig, neuartige Implantate zu entwickeln, die sowohl die mechanische Stabilität, als auch die innere Transportfunktion der natürlichen Trachea nachahmen. Ziel des durchgeführten IGF-Projekts war es deshalb ein textiles, funktionelles und biomimetisches Schlauchgewebe zu entwickeln. Dieses Gewebe sollte eine zilienähnliche Struktur für den aktiven Stofftransport aufweisen. Gleichzeitig sollten rigide, 3D-gedruckte Stützstrukturen, die bereits während des Webprozesses integriert werden können, das Schlauchgewebe vor einem Kollaps schützen. Beide Aspekte dienen dazu, fehlendes oder entferntes Tracheagewebe sicher zu überbrücken. Die Zilienbewegung sollte hierbei durch elektroaktive piezoelektrische PVDF-Fasern realisiert werden, die in Form von Polnoppen in das Gewebe integriert wurden. Die Aktivierung der Zilienbewegung soll hierbei durch den piezoelektrischen Effekt erfolgen, der durch das erzeugte elektrische Feld von stromdurchflossenen Leitern aktiviert wurde.

Entwicklung tubulärer Gewebestrukturen

Zur Herstellung eines tubulären Gewebes mit Zilien an der Gewebeoberfläche wurden verschiedene Varianten für ein mehrlagiges Gewebe mit in das Schlauchinnere zeigende Polschlaufen entwickelt. Die Gewebe wurden mittels marktverfügbarer Spulenschützenwebmaschinentechnologie unter Verwendung einer Jacquardeinheit für eine vielseitige Anpassung der Gewebestruktur gefertigt.

Die schlauchförmige Grundstruktur wurde aus Polyesterfäden gewebt. Je nach Variante wurden Zilienfäden bzw. eine Kombination aus Zilienfäden (piezoelektrisches PVDF oder Nitinol-Fäden) und Leiterfäden (besilbertes Polyamid, Madeira HC40) in das Grundgewebe eingebunden. Der Einsatz von Leiterfäden war bei Verwendung von elektroaktiven PVDF-Multifilamentfäden oder Kurzfasern nötig, um die Zilienbewegung anzuregen. Beim Einsatz von Ein- bzw. Zwei-Weg-Formgedächtnis (FG)-Fäden als Zilienmaterial waren keine separaten Leiterfäden in das Gewebe einzubinden, da die FG-Fäden direkt kontaktiert wurde und leitfähig waren, um die Bewegung der Zilien einzuleiten.

Entwicklung biomimetischer Stützstrukturen

Die menschliche Luftröhre besitzt etwa 15 bis 20 Trachealknorpel. Sie sind hufeisenförmig, haben einen Durchmesser von 20 mm, wobei die offene Seite nach dorsal (zum Rücken gewandt) weist, und etwa 4 mm breit und 1 mm stark ist. Ihre Außenfläche ist plan und die nach innen weisende Oberfläche konvex. Webtechnisch integrierbare Trachealknorpel (Knorpelspangen/Stützstrukturen) sollten mittels 3D-Druck gefertigt werden und sollten einer Kompressionskraft von mind. 1,2 N standhalten.

Basierend auf dieser beschriebenen Geometrie wurden insgesamt 10 verschiedene Modelle entwickelt. Die Unterschiede der Geometrien ergaben sich aus der Variation in der Schenkelgeometrie (C- und U-förmig), Wandstärke und Radius. Die Erzeugung der Stützstrukturen wurde mittels Photopolymerdruck nach dem Stereolithographiekonzept mit einem Objet 30 Prime, Fa. Stratasys umgesetzt, um die notwendigen Geometriedetails realisieren zu können. Exemplarische Strukturen sind in Abbildung 1 dargestellt.

Zur Untersuchung der Knorpelstrukturen sind anforderungsgerechte Klemmen für marktverfügbare Messtechnik entwickelt, konstruiert und mittels 3D-Druck umgesetzt worden. Die entwickelten Klemmen ermöglichen eine Druckbelastung in verschiedenen anatomischen Lagen der Knorpelspangen (anterior-posterior & medial-lateral).

Integration der Stützstrukturen in die Gewebestruktur

Auf Basis der zuvor vorgestellten Bindung für das Schlauchgewebe inklusive der im Grundgewebe verankerten Schlaufen an der Gewebeoberfläche, wurde eine Bindung entwickelt, welche die entwickelten Stützstrukturen in definierten Abständen im Grundgewebe aufnehmen und fixieren konnte. Die webtechnische Integration der Stützstrukturen wurde durch das Weben einer Gewebetasche über den gesamten Schlauchumfang des Gewebes realisiert. Die Dimensionen (Breite und Dicke) der Gewebetasche wurden an die der Stützstrukturen angepasst, wodurch diese zwischen zwei Gewebelagen fixiert und gegen ein Verrutschen sowie ein „Herausdrehen“ aus der Struktur gesichert wurden. Die Anzahl der Stützstrukturen pro definierter Gewebelänge war bindungstechnisch einstellbar, ebenso konnten unterschiedliche Spangenbreiten durch Anpassung der Gewebetaschengröße in das Schlauchgewebe integriert werden. Der umgesetzte Demonstrator ist in 3 dargestellt. Deutlich erkennbar sind die nach innen zeigenden Zilien und Gewebetaschen mit den integrierten Stützstrukturen.

Textilphysikalische Analyse der Stütz- und Gewebestrukturen sowie Bewegungsanalyse

Die mittlere Reißkraft der menschlichen Luftröhre liegt bei ca. 230 N [8]. Die tubulären Gewebestrukturen mit integrierten Stützstrukturen wiesen eine Maximalzugkraft von ca. 4300 N auf. Dabei ist eine Streckgrenze von ca. 1400 N ermittelt worden. Somit werden die mechanischen Anforderungen der menschlichen Trachea vollständig erfüllt. Alle entwickelten Sützstrukturen zum Vermeiden des Zusammenfallens der Trachea wiesen eine höhere Kompressionskraft als 1,2 N auf. Teilweise wurde der Zielwert um das zehnfach übertroffen.

Darüber hinaus wurde der Einfluss wiederholter bzw. zyklischer Zugbelastung auf die Position der in das Gewebe integrierten Stützstrukturen untersucht. Dazu wurde ein Lastwechselversuch mit 150 Zyklen durchgeführt, bei dem eine Zugbelastung bis zu einer maximalen Kraft von 230 N (Zielkennwert) und eine anschließende Entlastung bis zur Ausgangsposition wiederholt wurde. Hierfür ist eine Probenaufnahme entwickelt und umgesetzt worden, damit die tubuläre Struktur biomimetisch über den gesamten Querschnitt belastet wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass die in die Gewebetaschen eingewebten Stützstrukturen stabil fixiert blieben und kein „Herausdrehen“ in Umfangsrichtung auftrat. Die gewählte Integrations- und Fixiermethode gewährleistet somit eine dauerhafte Positionsstabilität unter zyklischer Belastung.

Die Bewegungsanalyse der verschiedenen Muster hat ergeben, dass mittels PVDF-Fasern keine Zilienbewegung ermöglicht wurde. Jedoch konnte mittels der FGL-Fäden mit einem Zwei-Wege-Effekt eine wiederholbare Bewegung der Zilien gezeigt werden. Dieser Ansatz kann zukünftig dazu verwendet werden, die Funktionsweise menschlicher Zilien nachzustellen. Als weiteren alternativen Ansatz wurden Gewebe mit parallelen Leiterfäden mit Polyamid Kurzfasern beflockt. Mittels eines elektrischen Wechselfeldes konnte auch hier eine intermittierende Zilienbewegung nachgestellt werden.

Zusammenfassung

Am ITM wurde ein neuartiges Trachealimplantat entwickelt, welches die makroskopische Struktur der menschlichen Luftröhre hervorragend nachbildet. Die entwickelte Struktur war mittels marktverfügbarer Schützenwebtechnologie ohne eine konstruktive Anpassung herstellbar. Zum Erhalt einer druckstabilen tubulären Struktur sind 3D-gedruckte Stützstrukturen in Gewebetaschen integriert worden. Die Fertigung kann integral erfolgen und ist patientenindividuell anpassbar in Gewebelänge, Stützstrukturabstand, -anzahl und Druckstabilität. Darüber hinaus wurden zur Nachbildung der mikroskopischen Struktur verschiedene Konzepte untersucht, um einen Stofftransport zu erzeugen. Grundlage war die Erzeugung von Polnoppengeweben und der Verwendung von piezoelektrischen PVDF-Fasern. Hierbei hat sich herausgestellt, dass mittels PVDF-Noppen keine Bewegung im mikroskopischen Maßstab erzielbar war. Mittels anderer Aktorfasern wie Nitinolfasern konnte eine Zilienbewegung erzeugt werden. Zudem ist auch mittels Flockfasern eine Zilienbewegung erzeugbar.

Danksagung

Das Projekt „Tubuläre Gewebe mit rigiden und flexiblen Strukturzonen und Stofftrans-port zum biomimetischen Aufbau der Trachea (01IF22889N)“ wird im Rahmen des Programms „Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF)“ durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Literaturverzeichnis

[1] Aleksanyan, A. ; Stoelben, E.: Die laryngotracheale Resektion als Alternative zum permanenten Tracheostoma. In: Pneumologie 73 (2019), Nr. 4, S. 211–218. URL https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/a-0809-0232

[2] Udelsman, Brooks ; Mathisen, Douglas J. ; Ott, Harald C.: A reassessment of tracheal substitutes-a systematic review. In: Annals of Cardiothoracic Surgery 7 (2018), Nr. 2, S. 175–182. URL https://www.annalscts.com/article/view/16458/16661

[3] BVMed: BVMed informiert über Tracheotomie- und Laryngektomie-Versorgung. URL https://www.bvmed.de/verband/presse/pressemeldungen/bvmed-informiert-ueber-tracheotomie-und-laryngektomie-versorgung. – Aktualisierungsdatum: 2016-05-19 – Überprüfungsdatum 2025-10-15

[4] Canzano, F. ; Aggazzotti Cavazza, E. ; Mattioli, F. ; Ghidini, A. ; Bottero, S. ; Presutti, L.: Step-by-Step Tracheal Resection with End-to-End Anastomosis. In: Ghidini, Angelo; Mattioli, Francesco; Bottero, Sergio; Presutti, Livio (Hrsg.): Atlas of Airway Surgery : A Step-by-Step Guide Using an Animal Model. Cham : Springer International Publishing, 2017, S. 75–82

[5] Wemer, Richard D. ; Detamore, Michael ; Weatherly, Robert A.: Immunohistochemical characterization of the rabbit tracheal cartilages. In: Journal of Biomedical Science and Engineering 03 (2010), Nr. 10, S. 1007–1013

[6] Damiano, Giuseppe ; Palumbo, Vincenzo Davide ; Fazzotta, Salvatore ; Curione, Francesco ; Lo Monte, Giulia ; Brucato, Valerio Maria Bartolo ; Lo Monte, Attilio Ignazio: Current Strategies for Tracheal Replacement: A Review. In: Life 11 (2021), Nr. 7, S. 618. URL https://www.mdpi.com/2075-1729/11/7/618

[7] Rettinger, Gerhard ; Hosemann, Werner ; Hüttenbrink, Karl-Bernd ; Werner, Jochen Alfred: HNO-Operationslehre : Mit allen wichtigen Eingriffen. 5., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart : Thieme, 2018

[8] A. Berghaus: Alloplastischer Trachealersatz. In: Herz-, Thorax- und Gefässchirurgie 1987 (1987), Band 1. URL https://epub.ub.uni-muenchen.de/6218/1/6218.pdf – Überprüfungsdatum 2025-10-15

 

AutorInnen: Pötzsch, H. F. Happel, A. Bruns, M. Wöltje, M. Cherif, Ch.

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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12.09.2025

PFAS-freie POF und Vibrationsverbreiterungsstrukturen für soziale Präsenz durch immersive, emotionale und lebendige Erfahrungen von Nähe auf Distanz

Rohstoffe Fasern Nachhaltigkeit Smart Textiles

Zusammenfassung

Das durch das BMBF geförderte dreijährige Projekt „SPIELEND - Soziale Präsenz durch immersive, emotionale und lebendige Erfahrungen von Nähe auf Distanz“ beschäftigt sich mit der Frage, wie technikunterstützte Spiele gestaltet sein sollten, um Teilnehmenden auch über Entfernungen hinweg das Gefühl der sozialen Nähe zu vermitteln. Explizit zählt hierzu die Repräsentation des Gegenübers bzw. der Mitspielenden. Um die entstandene Nähe messen zu können werden die entsprechenden Evaluationsmöglichkeiten im Rahmen des Projektes aus der psychologischen und kognitionswissenschaftlichen Forschung abgeleitet. Im Rahmen des Projektes werden unterschiedliche, digitale Augmented Reality Spiele designt, umgesetzt und getestet. Um eine immersive und emotionale Erfahrung zu ermöglichen und ein verstärktes Gefühl der sozialen Präsenz zu erzeugen, werden die Augmented Reality Spiele unter Einbezug von smarten, funktionalen Textilien entwickelt.

Bericht

1.       Einleitung

Unsere Gesellschaft befindet sich im Wandel: Ausbildung, Studium und Beruf, aber auch die Knappheit von Wohnraum in Ballungszentren stellen zunehmend steigende Ansprüche an die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger [1]. Gleichzeitig erweist sich das Reisen hinsichtlich seiner ökologischen und ökonomischen Konsequenzen als nicht dauerhaft tragfähige Lösung [2]. Das Social Distancing in der COVID-19-Pandemie verschärfte die Separierung von Familien, Freunden, Vereinsmitgliedern und Kirchengemeinden. Nach [3] hatten 69 % der Befragten keine privaten Treffen während der Corona-Maßnahmen 2020. Gleichzeitig beschleunigte sich pandemiebedingt die Digitalisierung des sozialen Austauschs. Jede 2. Person im Alter 16-29 Jahre nutzte Videoanrufe, um sich mit Familie und Freunden auszutauschen [4]. Während diese Entwicklungen vor dem Hintergrund der Ressourceneffizienz begrüßenswert erscheinen, zeichnen sich gleichzeitig auch negative Auswirkungen der digitalen Kommunikation ab, die soziale Nähe fehlt: Videokonferenzen können reale Treffen nicht ersetzen; es fehlt an Spontanität, nonverbalem Austausch, Spiel und Emotionalität. Die sogenannte “Zoom-Fatigue” macht sich breit [5]; selten sind Personen gewillt, privat noch eine Videokonferenz mit Familie und Freunden abzuhalten.

Das Ziel des dreijährigen BMBF-Projektes SPIELEND ist die Entwicklung eines Systems, das körperlich-emotionale Immersion im Kontext einer spielerischen Interaktion auf Distanz zur Intensivierung eines Nähegefühls ermöglicht. Dabei werden bekannte Spielkonzepte genutzt, weiterentwickelt und um sensorische Qualitäten insbesondere durch polymeroptische Fasern (POF) und 4D-Textilien erweitert. So lässt sich erreichen nahestehende Menschen, die unter den sozialen Nebenwirkungen räumlicher Trennung leiden, zu unterstützen. Für die Erweiterung der sensorischen Qualitäten wird insbesondere auf smarte Textilien gesetzt. Im Fokus der Untersuchung stehen dabei die Einflussfaktoren der Repräsentation des Mitspielers, der multimodalen Stimulation, sowie der Spielelemente inklusive gemeinsamer Aktivitäten auf die soziale Präsenz.

2.         Material und Methoden

Zur physische Distanzinteraktion werden zwei Arten von smarten Textilien eingesetzt: Zum einen textile Emitter in Form von polymeroptischen Fasern (POF), zum anderen 4D-Textilien.

POF werden entweder als Endlichtfasern oder als Seitenlichtfasern konzipiert. Endlichtfasern leiten das eingekoppelte Licht von der lichtquellennahen Stirnseite der Faser zur lichtquellenabgewandten Stirnseite. Seitenlichtfaser hingegen emittieren zusätzlich Licht über die gesamte Mantelfläche der POF. Endlicht-POF können somit für den Einsatz einer Punktbeleuchtung und integriert in eine textile Struktur für den Einsatz einer Linienbeleuchtung eingesetzt werden. Seitenlicht-POF können als Linienbeleuchtung und integriert in eine textile Struktur als Flächenbeleuchtung eingesetzt werden (s. Abb. 1). Alle kommerziellen lichtleitenden Fasern aus Kunststoff bestehen aus zwei Polymerwerkstoffen. Zum einen Polymethylmethacrylat (PMMA) im Faserkern. Zum anderen einem Fluorpolymer im Fasermantel. Die kommerzielle POF ist daher durch PFAS belastet. Im Rahmens des Projektes werden mögliche alternative Mantelmaterialen eruiert und PFAS-freie POF mittels des Bikomponentenschmelzspinnverfahren hergestellt.

s. Abb. 1 Darstellung verschiedener Verwendungsoptionen von Endlicht-POF und Seitenlicht-POF, jeweils nicht in eine textile Struktur eingebettet (oben) und in eine textile Struktur (unten) eingebettet mit den folgenden Komponenten – 1: Lichtquelle, 2: Bündelung mittels Ferrule, 3: POF, 4: Bereich der Lichtemission

Gängige Materialien für textiler Aktuatoren sind PLA (Polylactid) und TPU (Thermoplastisches Polyurethan). Kritsch sind bzgl. textiler Aktuatoren die Adhäsionseigenschaften und Gewährleistung der Flexibilität des Textils. Für die Vibrationsverbreitungsstruktur wurden die Polymere TPU und PLA, sowie die zwei Textilien, Eurojersey und Buttinette betrachtet.

3.         Ergebnisse

Durch ein theoretisches Material-Screening anhand von optischen, thermischen und wirtschaftlichen Bewertungskriterien konnten die folgenden Polymere als mögliche Alternativen zum derzeitig verwendeten Fluormaterial gefunden werden: Polymethylpenten (PMP) und Polymilchsäure (PLA) – wobei ersteres in praktischen Vorversuchen vielversprechender scheint. Durch ein Material-Screening anhand von optischen, rheologischen und thermischen Bewertungskriterien konnten drei Arten von Polymethylpenten (PMP-Grades) zur Erprobung ausgewählt werden: TPX MX002, TPX DX820 und TPX RT18 – alle von Mitsui Chemicals, Inc., Tokio (Japan) (s. Abb. 2). Durch mehrfach iterative, experimentelle Analysen mittels des Bikomponentenschmelzspinnversuchen sowie anschließenden geometrischen, mechanischen und optischen Bewertungsmethoden konnten Erkenntnisse und Verbesserungen in der Herstellung PFAS-freier erzielt werden. So konnten PFAS-freie POF mit einer Rundheit von über 99 % mit den drei PMP-Grades und jeweils PMMA 7N von der Röhm GmbH, Darmstadt (Deutschland) produziert werden. Die erzielten feinheitsbezogenen Festigkeiten sind vergleichbar mit kommerziellen POF. Mit DX820 als Mantelmaterial, einer maximalen Temperatur des Mantelextruders von 255 °C und einem Durchmesser der Düsenlochkapillare von 3,5 mm wurden PFAS-freie POF (Durchmesser 500 µm) mit der niedrigsten Dämpfung produziert.

s. Abb. 2 Darstellung der verwendeten Granulate a) PMMA 7N als Kernpolymer, b) PMP TPX MX002 als Mantelpolymer und c) PMP TPX DX820 als Mantelpolymer

Für die Anwendung textiler Aktuatoren auf Textilien zeigte sich, dass die gängigen Materialien PLA und TPU mittels Fused Deposition Modeling (FDM) gedruckt werden können. TPU zeigte eine überlegene Haftung im Vergleich zu PLA und wurde aufgrund seiner besseren Adhäsionseigenschaften sowie seiner Flexibilität als geeignetes Material für smarte Textilien ausgewählt. Zur Identifikation geeigneter Materialkombinationen der Vibrationsverbreitungsstruktur wurden die Adhäsion an der Grenzfläche zwischen den Polymeren und den Textilien systematisch analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass PLA die besten Haftungseigenschaften auf Buttinette-Textilien aufweist, während TPU eine verbesserte Adhäsion auf Eurojersey-Textilien zeigt. Diese Materialkombinationen wurden als optimal für die weitere Entwicklung der Vibrationsverbreitungsstruktur bestimmt. Im Rahmen der Untersuchung textiler Aktuatoren wurden TPU und Eurojersey als geeignete Materialkombination identifiziert. Die Auswahl erfolgte basierend auf der weichen Beschaffenheit von TPU sowie dessen verbesserter Adhäsion auf Eurojersey. Diese Eigenschaften ermöglichen eine optimale Interaktion mit der textilen Struktur und sind besonders vorteilhaft für die Umsetzung eines taktilen Feedbacks (s. Abb. 3).

Abb. 3 Darstellung Vibrationsverbreitungsstruktur a) 3D-Modell der Struktur, b) 3D gedruckte Struktur auf vorgespanntes Textil, c) Struktur nach Lösen der Vorspannung im entspannten, gekrümmten Zustand

4.         Zusammenfassung

Das Projekt SPIELEND stellt auf zwei Ebenen einen innovativen Ansatz dar das Erlebnis von digitalen Spielen zur Distanzinteraktion zu erweitern und somit nahbarer zu machen (s. Abb. 4). So werden Vibrationsverbreitungsstrukturen auf Textilen exploriert, welche das Spielerlebnis physisch erlebbar zu machen. Somit kann ein Feedback direkt an den Spieler weitergegeben werden. Als beste Materialkombination wurde thermoplastisches Polyurethan auf einem Eurojersey-Textil eruiert. Zum anderen ermöglicht der Einsatz von lichtleitenden Fasern aus Kunststoff (polymeroptische Faser, POF) das Spielerlebnis durch realerlebbare visuelle Reize zu erweitern. Hierfür wurden PFAS-frei POF theoretisch konzipiert und praktisch mittels des Bikomponentenschmelzspinnverfahrens hergestellt, welche somit nicht durch fluorhaltige Stoffe kontaminiert sind.

s. Abb. 4 Smarte Weste mit POF Leuchtband, der Vibrationsverbreiterungsstruktur und der Ansteuerung durch das RoboHeart vom Projektpartner Augmented Robotics

5.         Danksagung

Wir danken dem Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) für die Förderung des Forschungsprojekts SPIELEND (FKZ: 16SV9098). Zudem möchten wir allen Beteiligten in diesem Projekt für ihre Beiträge und ihr Engagement danken.

 

6.         Literaturverzeichnis

[1]        Deutschland Bundeszentrale für Politische Bildung, Datenreport 2021 ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. 2021.

[2]        Europäische Kommission und Generaldirektion Mobilität und Verkehr, „EU transport in figures : statistical pocketbook 2021“. Publications Office, 2021. Zugegriffen: 11. Februar 2022. [Online]. Verfügbar unter: https://data.europa.eu/doi/10.2832/733836

[3]        „Statista: Häufigkeit von privaten Treffen pro Woche vor und während der Corona-Maßnahmen 2020“, 2020. https://bit.ly/3BlCgOj (zugegriffen 11. Februar 2022).

[4]        „Statista: Umfrage zu erhöhter Nutzung von Videoanrufen während der Corona-Krise nach Alter 2020“.

https://bit.ly/3HOOG3n (zugegriffen 11. Februar 2022).

[5]        J. N. Bailenson, „Nonverbal Overload: A Theoretical Argument for the Causes of Zoom Fatigue“, Technol. Mind Behav., Bd. 2, Nr. 1, Feb. 2021, doi: 10.1037/tmb0000030.

 

AutorInnen: Mark Pätzel Z. Danchen S. Rekik T. Gries

ITA - Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Straße 1, 52074 Aachen

Clothtech POF PFAS-frei TPU 3D-Druck

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31.07.2025

Development of Hybrid Yarn Structures from Carbon, Stainless Steel, and Elastomer Fibers for Composite Applications

Fasern Garne Composites Recycling Nachhaltigkeit

Zusammenfassung

As part of the IGF research project 01IF22916N, a complete, industry-ready process chain for producing three-component hybrid yarns from rCF, MF, and EF was successfully developed at the ITM of TU Dresden. The process chain comprises fiber preparation, carding, and drafting to form slivers, followed by modified flyer spinning to produce hybrid yarns.

Proof of concept was provided through the production of hybrid yarns with defined fiber volume contents and a functional demonstrator. Fig. 3 illustrates the full process chain from fiber preparation to demonstrator production from rCF, MF and EF at ITM. The resulting yarns ranged from 1500 to 3500 tex and were successfully processed into textile preforms. The resulting composites demonstrated excellent mechanical performance: a maximum flexural strength of 806 ± 18 MPa, flexural modulus of 83 ± 4 GPa, and an impact strength of up to 117 ± 17 kJ/m².

The results show that yarn twist significantly influences composite mechanical properties: moderate twist enhances flexural behavior, while higher twist improves impact resistance. By adjusting the yarn twist level, the mechanical performance of hybrid composites can be effectively tailored.

These novel hybrid yarns are particularly suited for producing cost-efficient, high-performance thermoset composites with complex geometries. Their application-specific performance and process-integrated production offer high innovation and market potential, especially in the fields of materials engineering, lightweight design, sustainability, and resource efficiency. For small and medium-sized enterprises (SMEs) in the textile industry, this technology provides opportunities to develop advanced fiber-reinforced products and establish themselves as key suppliers in sectors such as automotive, mechanical engineering, wind energy, aerospace, medical technology, and sports equipment.

Bericht

Introduction

The size of the CF-CFRP (carbon fiber-reinforced plastics) market was estimated at USD 21.12 billion in 2023. It is projected to grow from USD 22.57 billion in 2024 to USD 38.4 billion by 2032, with a CAGR of approximately 6.86% during the forecast period (2024–2032) [1]. Due to their high specific stiffness and strength, CFRPs are widely used in the automotive, sports, leisure, and aerospace industries [2]. However, CFRP components are brittle under impact loading, which can result in catastrophic failure and severe splintering [3]. This brittleness raises concerns for the use of thermoset CFRP structures in safety-critical components such as wind turbine blades or automotive B-pillars.

Current hybridization concepts aim to combine materials with high stiffness, strength, and ductility [4]. Existing approaches integrate carbon fibers (CF) with stainless steel fibers (MF) or elastomer fibers (EF) using metal or elastomer films in fiber-metal laminates (FMLs), such as CARALL [5–8], or in elastomer-based laminates, such as KRAIBON [9–14]. Metal films offer higher energy absorption due to their plastic deformability and elongation at break of up to 20%, surpassing CFRP and carbon/aramid hybrid composites [15–17]. Elastomer films reduce hazardous splintering under dynamic loading due to their elastic deformation behavior [9]. While such multilayer systems improve impact and splinter resistance, they also carry a high risk of delamination [18]. Moreover, there is a lack of cost-effective and sustainable composites with enhanced impact and splinter properties that fully utilize the benefits of their individual components.

Objective

The goal of this research project was the simulation-based development of novel three-component hybrid yarns with micro-scale hybridization using three distinct material concepts. These yarns were then used to produce functional composite structures for sustainable lightweight applications. By strategically combining ductile metal fibers (MF), highly elastic elastomer fibers (EF), and high-stiffness, high-strength recycled carbon fibers (rCF), scalable composites with tailored mechanical properties were developed.

The developed hybrid yarns form the basis for application-specific composites with high energy absorption capacity and improved damage resistance.

 

Hybrid Yarn Structures and Related Composites: Development and Characterization

Development and Production of Hybrid Yarns Using Flyer Spinning Technology

Starting from the selected and characterized rCF and EF fiber materials with an average fiber length of 80 mm and defined blend ratios, the fibers were prepared using mechanical pre-opening and blending units. The pre-opened and pre-mixed fibers were processed using a lab-scale carding machine to produce card slivers of rCF and EF. Characterization of these slivers revealed a CF damage level of 10–25%, while EF fibers showed no length reduction.

To avoid damaging the stainless steel fibres during carding, card slivers were firstly produced that were either 100% rCF or a blend of rCF and EF. These were combined with 100% MF slivers to develop sandwich-type structures (rCF/MF or rCF/EF/MF slivers), which served as feed material for the drafting process. The slivers were drafted multiple times to enhance fiber blending and homogeneity. These drafted slivers were then used to produce hybrid yarns.

The ITM’s specialized flyer spinning machine was modified to optimize drafting mechanics, sliver feed, and machine settings to avoid fiber misalignment. Based on experimental investigations, optimal settings were determined, and hybrid yarns with a yarn count of 1500 tex and twist levels ranging from 40 to 150 T/m were produced. These yarns were characterized in accordance with DIN EN ISO 13934-1, evaluating unevenness, yarn structure, and tensile behavior, and were subsequently used to produce composite.

Manufacturing of Recycled Carbon Fiber-Reinforced Composite

Using the developed hybrid yarns, unidirectional (UD) composites were produced via the resin transfer molding (RTM) process. The hybrid yarns were wound under constant tension onto a frame and consolidated under optimized parameters. The resin system consisted of Hexion RIMH 135 and hardener Hexion RIMH 137.

Composite characterization followed standardized test methods. Tensile specimens were prepared based on DIN EN ISO 527-5/A/2, with tensile testing conducted according to             DIN EN ISO 527-4. The flexural properties were evaluated in accordance with DIN EN ISO 14125 and impact resistance was assessed using DIN EN ISO 179-2 (Charpy method). The compression-after-impact (CAI) performance was measured following DIN ISO 18352. Additionally, a custom test rig was developed to analyze splintering behavior using a ZwickRoell HTM 5020 high-speed testing machine. Puncture resistance was evaluated according to DIN EN ISO 6603-2.

Selected Results and Discussion

Fig. 1 presents the relationship between flexural strength and modulus for various twist levels in hybrid yarn-based composites at a constant fiber volume content of 50 vol%. Both a CF-filament-based reference composite and three UD composites made from rCF/MF hybrid yarns (90 wt% rCF / 10 wt% MF) were investigated, differing only in yarn twist (40, 80 and 120 T/m). The reference composite achieved 725 ± 35 MPa flexural strength and a modulus of 74 ± 8 GPa. Notably, the T40 hybrid variant surpassed these values, reaching 806 ± 18 MPa and 83 ± 4 GPa, respectively.

However, increasing the yarn twist (80 and 120 T/m) led to a continuous decline in flexural properties. The intensified helical structure reduces fiber alignment in the load direction, which weakens load transfer and overall flexural performance.

Fig. 2 shows the impact strength of composites made from rCF/MF hybrid yarns at varying yarn twist levels. Results indicate a trend of increasing impact strength with higher twist (40 → 120 T/m), from 85 kJ/m² to 117 kJ/m². This improvement is attributed to a more compact yarn structure, enhanced fiber cohesion, and improved energy absorption during impact. Additionally, the tighter fiber arrangement enhances load transfer and structural integrity by reducing the number of loose fiber ends, resulting in greater resistance to sudden loads.

Summary

As part of the IGF research project 01IF22916N, a complete, industry-ready process chain for producing three-component hybrid yarns from rCF, MF, and EF was successfully developed at the ITM of TU Dresden. The process chain comprises fiber preparation, carding, and drafting to form slivers, followed by modified flyer spinning to produce hybrid yarns.

Proof of concept was provided through the production of hybrid yarns with defined fiber volume contents and a functional demonstrator. Fig. 3 illustrates the full process chain from fiber preparation to demonstrator production from rCF, MF and EF at ITM. The resulting yarns ranged from 1500 to 3500 tex and were successfully processed into textile preforms. The resulting composites demonstrated excellent mechanical performance: a maximum flexural strength of 806 ± 18 MPa, flexural modulus of 83 ± 4 GPa, and an impact strength of up to 117 ± 17 kJ/m².

The results show that yarn twist significantly influences composite mechanical properties: moderate twist enhances flexural behavior, while higher twist improves impact resistance. By adjusting the yarn twist level, the mechanical performance of hybrid composites can be effectively tailored.

These novel hybrid yarns are particularly suited for producing cost-efficient, high-performance thermoset composites with complex geometries. Their application-specific performance and process-integrated production offer high innovation and market potential, especially in the fields of materials engineering, lightweight design, sustainability, and resource efficiency. For small and medium-sized enterprises (SMEs) in the textile industry, this technology provides opportunities to develop advanced fiber-reinforced products and establish themselves as key suppliers in sectors such as automotive, mechanical engineering, wind energy, aerospace, medical technology, and sports equipment.

Acknowledgements

The IGF project 01IF22916N of the research association Forschungskuratorium Textil e.V. was funded via the DLR within the framework of the program for the promotion of industrial collaborative research and development (IGF) by the German Federal Ministry for Economic Affairs and Climate Action, based on a resolution of the German Bundestag. We thank the aforementioned institutions for their financial support.

 

References

  1. WiseGuyReports. (n.d.). CF & CFRP Market Report. Accessed on 29.07.2025, https://www.wiseguyreports.com/de/reports/cf-cfrp-market
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  4. D. Nestler: Beitrag zum Thema Verbundwerkstoffe - Werkstoffverbunde: Status quo und For-schungsansätze. Chemnitz: Univ.-Verl., 2014. – ISBN 9783944640129
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  6. GUPTA, R. K.; MAHATO, A.; BHATTACHARYA, A.: Notch Shape Influence on Damage Evolution of Al/CFRP Laminates Under Tensile Loading: Experimental and Numerical Analysis. Appl Compos Mater (2022). https://doi.org/10.1007/s10443-022-10051-2
  7. TRZEPIECIŃSKI, T.; NAJM, S. M.; SBAYTI, M.; BELHADJSALAH, H.; SZPUNAR, M.; LEMU, H. G.: New Advances and Future Possibilities in Forming Technology of Hybrid Metal–Polymer Composites Used in Aerospace Applications. J. Compos. Sci. 5(2021)8, Pp. 217 f. https://doi.org/10.3390/jcs5080217
  8. PONNARENGAN, H.; KAMARAJ, L.; BALACHANDRAN, S. R.; KATHAR BASHA, S.: Evaluation of me-chanical properties of novel GLARE laminates filled with nanoclay. Polym. Compos. 42(2021)8, Pp. 4015-4028. https://doi.org/10.1002/pc.26113
  9. KRAIBON®: https://www.kraiburg-rubber-compounds.com/kraibon (31.07.2025)
  10. D. Düring; L. Weiß; D. Stefaniak; N. Jordan; C. Hühne: Low-velocity impact response of composi-te laminates with steel and elastomer protective layer. Composite Structures 134(2015), Pp. 18-26. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2015.08.001
  11. E. Stelldinger; A. Kühhorn; M. Kober: Experimental evaluation of the low-velocity impact dama-ge resistance of CFRP tubes with integrated rubber layer. Composite Structures 139(2016), Pp. 30-35. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2015.11.069
  12. E. Sarlin; M. Apostol; M. Lindroos; V.-T. Kuokkala; J. Vuorinen; T. Lepistö; M. Vippola: Impact properties of novel corrosion resistant hybrid structures. Composite Structures 108(2014), Pp. 886-893. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2013.10.023
  13. LI, Z.; ZHANG, J.; JACKSTADT, A.; KÄRGER, L.: Low-velocity impact behavior of hybrid CFRP-elastomer-metal laminates in comparison with conventional fiber-metal laminates. 02638223 287(2022), Pp. 115340 f. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2022.115340
  14. FLEISCHER, J. (HRSG.): Intrinsische Hybridverbunde für Leichtbautragstrukturen – Grundlagen der Fertigung, Charakterisierung und Auslegung. Berlin, Heidelberg: Springer Vieweg, 2021. – ISBN 978-3-662-62832-4
  15. Y. Swolfs; P. De Cuyper; M.G. Callens; I. Verpoest; L. Gorbatikh: Hybridisation of two ductile materials Steel fibre and self-reinforced polypropylene composites. Composites Part A: Applied Science and Manufacturing 100(2017), Pp. 48-54. https://doi.org/10.1016/j.compositesa.2017.05.001
  16. H.J. Koslowski: Chemiefaser-Lexikon. Deutscher Fachverlag, 2008. – ISBN 3871508764
  17. H. Schürmann: Konstruieren mit Faser-Kunststoff-Verbunden. Springer-Verlag GmbH, 2007. – ISBN 3540721894
  18. N. Montinaro; D. Cerniglia; G. Pitarresi: Evaluation of interlaminar delaminations in titanium-graphite fibre metal laminates by infrared NDT techniques. NDT & E International 98(2018), Pp. 134-146. https://doi.org/10.1016/j.ndteint.2018.05.004

 

 

AutorInnen: Mahmud Hossain Anwar Abdkader Tobias Lang Thomas Gereke Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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31.07.2025

Entwicklung von Hybridgarnstrukturen aus Carbon-, Edelstahl- und Elastomerfasern für Compositeanwendungen

Fasern Garne Composites Recycling Nachhaltigkeit

Zusammenfassung

Im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens 01IF22916N wurde am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden eine durchgängige Prozesskette zur industriellen Herstellung von dreikomponentigen Hybridgarnen aus recycelten Carbonfasern (rCF), Metallfasern (MF) und Elastomerfasern (EF) erfolgreich entwickelt und umgesetzt. Die entwickelte Prozesskette umfasst die Faseraufbereitung und Charakterisierung, Krempel- und Verstreckungsprozess zur Bildung eines Faserbandes und die modifizierte Garnbildung im Flyer zur Herstellung der Hybridgarne. Der Eignungsnachweis der Technologie erfolgte durch die Herstellung dreikomponentiger Hybridgarne mit definierten Faservolumengehalten sowie durch die Fertigung eines Demonstrators. Abb. 3 zeigt die vollständige Prozesskette von der Faseraufbereitung bis zur Demonstratorherstellung aus rCF, MF und EF am ITM. Die realisierten Hybridgarne weisen Feinheiten zwischen 1500 tex und 3500 tex auf und konnten erfolgreich zu textilen Halbzeugen weiterverarbeitet werden. Die daraus hergestellten Composites zeigen hervorragende mechanische Eigenschaften: eine maximale Biegefestigkeit von 806 ± 18 MPa sowie ein maximales Biegemodul von 83 ± 4 GPa. Die maximale Schlagzähigkeit liegt bei 117±17 kJ/m². Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Garndrehung einen signifikanten Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften des Verbundmaterials ausübt. Eine moderate Garndrehung kann positiv auf die Verbundbiegeeigenschaften auswirken, während eine höhere Garndrehung vorteilhaft auf die Verbundschlagfestigkeit auswirken. Insgesamt zeigt sich, dass durch die gezielte Einstellung der Garndrehung das mechanische Verhalten der Hybridverbunde erheblich beeinflusst und optimiert werden kann.

Die neuartigen Hybridgarne eignen sich besonders für die Herstellung kosteneffizienter duroplastischer Hochleistungsverbunde mit komplexer Geometrie. Durch ihre anwendungsbezogene Leistungsfähigkeit und die zugrunde liegende prozessintegrierte Technologie verfügen sie über ein hohes Innovations- und Marktpotenzial – insbesondere in den Bereichen Werkstofftechnik, Leichtbau, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Textilindustrie eröffnet sich damit die Möglichkeit, innovative Produkte und Technologien für den Faserverbundmarkt zu entwickeln und sich als leistungsfähige Zulieferer für Branchen wie Automobilbau, Maschinenbau, Luftfahrt, Medizintechnik und Sportgeräteindustrie zu positionieren.

Bericht

Einleitung

Die Größe des CF-CFK-Marktes wurde im Jahr 2023 auf 21,12 Milliarden US-Dollar geschätzt. Die Branche des CF-CFK-Markets wird voraussichtlich von 22,57 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf 38,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2032 wachsen. Die Markt-CAGR (Wachstumsrate) wird im Prognosezeitraum 2024–2032 voraussichtlich bei etwa 6,86% liegen [1]. Dank ihrer hohen gewichtsspezifischen Steifigkeiten und Festigkeiten finden CFK breite Anwendung in der Automobil-, Sport-, Freizeit- sowie Luft- und Raumfahrtindustrie [2]. Jedoch sind CFK-Bauteile bei Schlagbelastung sehr spröde, was zu katastrophalen Schäden und starker Splitterbildung führen kann [3]. Deshalb ist der Einsatz von duroplastischen CFK-Strukturen in sicherheitsrelevanten Komponenten, wie Rotorblättern von Windkraftanlagen und PKW-B-Säulen, kritisch zu betrachten. Aktuelle Hybridisierungskonzepte zielen darauf ab, Materialien mit hoher Steifigkeit, Festigkeit und Duktilität zu vereinen [4]. Bestehende Ansätze kombinieren Carbonfasern (CF) mit Edelstahlfasern (MF) oder Elastomerfasern (EF) in Schichten aus Metallfolien und CFK als Faserverbund-Metall-Laminate (FML), bspw. CARALL [5-8], oder Elastomerfolien und CFK als Faserverbundlaminate, bspw. KRAIBON [9-14]. Metallfolien bieten aufgrund ihrer plastischen Verformbarkeit mit Bruchdehnungen von bis zu 20 % eine höhere Energieabsorption als CFK und Carbon/Aramid-Hybridcomposites [15-17]. Elastomerfolien reduzieren durch ihre elastische Verformbarkeit die gefährliche Splitterbildung unter dynamischer Belastung [9]. Diese Schichtsysteme verbessern das Impact- und Splitterverhalten zwar, bergen jedoch ein hohes Delaminationsrisiko [18]. Darüber hinaus fehlen kostengünstige und nachhaltige Composites mit geeigneten Impact- und Splittereigenschaften, die die Vorteile der Einzelkomponenten voll ausschöpfen und kostengünstig sowie nachhaltig sind.

Zielsetzung

Das Ziel des Forschungsvorhabens war die simulationsgestützte Entwicklung neuartiger Dreikomponenten-Hybridgarne, die auf Mikroebene hybridisierter sind, auf Basis dreier unterschiedlicher Materialkonzepte sowie deren Umsetzung in funktionale Compositestrukturen für nachhaltige Leichtbauanwendungen. Durch die gezielte Kombination duktiler Metallfasern (MF), hochelastischer Elastomerfasern (EF) sowie hochsteifer und hochfester recycelter Carbonfasern (rCF) sollten Verbundwerkstoffe mit skalierbaren mechanischen Eigenschaften entstehen.

Diese entwickelten Hybridgarne bildeten die Grundlage für die maßgeschneiderte Entwicklung von Composites für anwendungsorientierte Leichtbaulösungen mit hohem Energieabsorptionspotenzial und erhöhter Schadensresistenz.

 

Hybridgarnstrukturen und Composites: Entwicklung und Charakterisierung

Entwicklung und Fertigung von Hybridgarnen mittels Flyerspinntechnologie

Ausgehend von den ausgewählten und charakterisierten Fasermaterialien rCF und EF mit einer mittleren Faserausgangslänge von 80 mm und mit einem definierten Mischungsverhältnis wurden die Fasern mithilfe mechanischer Voröffnungs- und Vormischvorrichtungen aufbereitet. Anschließend wurden die vorgeöffneten und vorgemischten Fasern eine Speziallaborkrempel zugeführt, um Krempelbänder aus rCF und EF zu entwickeln. Die Charakterisierung der Krempelbänder zeigte, dass der Schädigungsgrad der Carbonfasern (CF) zwischen 10 und 25 % lag und die EF keine Fasereinkürzung aufweist.

Zum Schutz der Edelstahlfasern wurde zunächst ein Faserband aus 100 % rCF oder aus rCF und EF mit definierten Mischungsverhältnissen hergestellt. Anschließend wurden aus diesen und 100 % MF-Bändern Sandwichbandstrukturen (rCF/MF-Band oder rCF/EF/MF-Band) hergestellt, die als Ausgangsmaterial für die Strecke dienten. Zur Verbesserung der Gleichmäßigkeit des Faserbandes und zur besseren Durchmischung von rCF, EF und MF in der Faserstruktur wurde das Band mehrfach verstreckt. Die hergestellten Streckenbänder stehen für die weitere Entwicklung von Hybridgarnen zur Verfügung.

Zur Entwicklung von Hybridgarnen wurde der ITM-Spezialflyer hinsichtlich des verzugsstörungsfreien Streckwerks, der Bandzuführelemente und der Maschineneinstellparameter modifiziert. Anschließend wurden experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Aus den ermittelten optimalen Einstellungen des ITM-Spezialflyers wurden Hybridgarne mit einer Feinheit von 1500 tex und verschiedenen Garndrehungen von 40-150 T/m hergestellt. Die entwickelten Hybridgarne wurden in Anlehnung an DIN EN ISO 13934-1 hinsichtlich Ungleichmäßigkeit, Garnstruktur und Kraft-Dehnungsverhalten charakterisiert und stehen für die Herstellung von Verbundplatten zur Verfügung.

Fertigung von recycelten carbonfaserverstärkten Verbundplatten

Auf Basis der entwickelten Hybridgarne wurden unidirektionale (UD) Verbundplatten mittels des RTM-Verfahrens (Resin Transfer Molding) hergestellt und charakterisiert. Hierzu wurden die Hybridgarne zunächst unter konstanter Spannung gleichmäßig auf einen Wickelrahmen gewickelt und anschließend mit optimierten Parametern konsolidiert. Als Harzsystem kam das Injektionsharz Hexion RIMH 135 in Kombination mit dem Härter Hexion RIMH 137 zum Einsatz.

Im Rahmen der Verbundcharakterisierung kamen mehrere genormte Prüfverfahren zur Anwendung. Die Probekörper für den Verbundzugversuch wurden in Anlehnung an DIN EN ISO 527-5/A/2 hergestellt und die Zugprüfung erfolgte gemäß DIN EN ISO 527-4. Zur Bestimmung der Biegeeigenschaften faserverstärkter Kunststoffe wurde die Norm DIN EN ISO 14125 herangezogen und die instrumentierte Schlagprüfung erfolgte nach DIN EN ISO 179-2, welche die Charpy-Schlageigenschaften beschreibt. Zur Bewertung der Restdruckfestigkeit nach Schlagbeanspruchung kam das CAI-Verfahren gemäß DIN ISO 18352 zum Einsatz. Ergänzend wurde ein Prüfstand zur optischen Analyse des Splitterverhaltens entwickelt, wobei die Hochgeschwindigkeitsprüfmaschine HTM 5020 von ZwickRoell zum Einsatz kam. Die Durchstoßversuche orientierten sich an der Norm DIN EN ISO 6603-2.

 

Ergebnisse und Diskussion (Auswahl)

Das in Abb. 1 dargestellte Diagramm zeigt den Zusammenhang zwischen der Verbundbiegefestigkeit und dem Biegemodul bei verschiedenen Garndrehungen eines Faserverbundmaterials mit einem konstanten Faservolumenanteil von 50 Vol.- %. Es wurden sowohl ein Referenzverbund aus CF-Filamentgarnen als auch drei Varianten eines unidirektionalen (UD) Verbunds untersucht, die aus entwickelten rCF/MF-Hybridgarnen bestehen. Diese Hybridgarne setzen sich aus 90 Masse- % recycelten Carbonfasern (rCF) und 10 Masse-% Metallfasern (MF) zusammen. Sie unterscheiden sich ausschließlich in der Garndrehung (40, 80 und 120 T/m). Der Referenzverbund erreicht mit einer Biegefestigkeit von etwa 725 ± 35 MPa und einem Biegemodul von ca. 74 ± 8 GPa bereits ein gutes mechanisches Eigenschaftsprofil. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Variante mit moderater Garndrehung (T40) diese Werte übertrifft: Sie erreicht eine Biegefestigkeit von 806 ± 18 MPa und ein Biegemodul von 83 ± 4 GPa und erzielt damit die höchsten Werte innerhalb der untersuchten Proben. Mit zunehmender Garndrehung (T80 und T120) nehmen hingegen die Verbundbiegefestigkeit und das Biegemodul stetig ab. Die verstärkte Helixstruktur führt zu einer weniger effektiven Ausrichtung der Fasern in Längsrichtung. Dadurch wird die tragende Wirkung in Faserrichtung reduziert und die Verbundwirkung unter Biegebelastung geschwächt.

Die Abb. 2 zeigt die Schlagfestigkeit von Verbundwerkstoffen, die auf Basis neu entwickelter Hybridgarne aus recycelten Carbonfasern (rCF) und gehobelten Metallfasern (MF) hergestellt wurden. Dabei wurde die Schlagzähigkeit in Abhängigkeit von der Garndrehung untersucht. Es wurden drei Verbundplatten mit unterschiedlichen Garndrehungen (T40, T80 und T120) analysiert. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Schlagfestigkeit tendenziell mit steigender Garndrehung (T40 → T120) zunimmt. Bei einer niedrigen Drehung (T40) beträgt die Schlagfestigkeit etwa 90 kJ/m² und bei der höchsten Drehung (T120) eine deutliche Steigerung der Schlagzähigkeit auf etwa 117±17 kJ/m². Dies legt nahe, dass eine höhere Drehung zu einer verbesserten Mikrostruktur und somit zu einer effizienteren Energieaufnahme bei Schlagbelastung führt. Dadurch erhöht sich die Kohäsion zwischen den Fasern, was die Energieaufnahmefähigkeit beim Schlag verbessert. Zudem bewirkt die engere Verspannung der Fasern eine bessere Lastübertragung im Verbund. Eine höhere Garndrehung reduziert auch die Anzahl loser Faserenden, was die strukturelle Integrität steigert. Insgesamt resultiert daraus ein widerstandsfähigeres Material gegenüber schlagartiger Beanspruchung.

Zusammenfassung

Im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens 01IF22916N wurde am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden eine durchgängige Prozesskette zur industriellen Herstellung von dreikomponentigen Hybridgarnen aus recycelten Carbonfasern (rCF), Metallfasern (MF) und Elastomerfasern (EF) erfolgreich entwickelt und umgesetzt. Die entwickelte Prozesskette umfasst die Faseraufbereitung und Charakterisierung, Krempel- und Verstreckungsprozess zur Bildung eines Faserbandes und die modifizierte Garnbildung im Flyer zur Herstellung der Hybridgarne. Der Eignungsnachweis der Technologie erfolgte durch die Herstellung dreikomponentiger Hybridgarne mit definierten Faservolumengehalten sowie durch die Fertigung eines Demonstrators. Abb. 3 zeigt die vollständige Prozesskette von der Faseraufbereitung bis zur Demonstratorherstellung aus rCF, MF und EF am ITM. Die realisierten Hybridgarne weisen Feinheiten zwischen 1500 tex und 3500 tex auf und konnten erfolgreich zu textilen Halbzeugen weiterverarbeitet werden. Die daraus hergestellten Composites zeigen hervorragende mechanische Eigenschaften: eine maximale Biegefestigkeit von 806 ± 18 MPa sowie ein maximales Biegemodul von 83 ± 4 GPa. Die maximale Schlagzähigkeit liegt bei 117±17 kJ/m². Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Garndrehung einen signifikanten Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften des Verbundmaterials ausübt. Eine moderate Garndrehung kann positiv auf die Verbundbiegeeigenschaften auswirken, während eine höhere Garndrehung vorteilhaft auf die Verbundschlagfestigkeit auswirken. Insgesamt zeigt sich, dass durch die gezielte Einstellung der Garndrehung das mechanische Verhalten der Hybridverbunde erheblich beeinflusst und optimiert werden kann.

Die neuartigen Hybridgarne eignen sich besonders für die Herstellung kosteneffizienter duroplastischer Hochleistungsverbunde mit komplexer Geometrie. Durch ihre anwendungsbezogene Leistungsfähigkeit und die zugrunde liegende prozessintegrierte Technologie verfügen sie über ein hohes Innovations- und Marktpotenzial – insbesondere in den Bereichen Werkstofftechnik, Leichtbau, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Textilindustrie eröffnet sich damit die Möglichkeit, innovative Produkte und Technologien für den Faserverbundmarkt zu entwickeln und sich als leistungsfähige Zulieferer für Branchen wie Automobilbau, Maschinenbau, Luftfahrt, Medizintechnik und Sportgeräteindustrie zu positionieren.

 

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 01IF22916N der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über das DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel.

 

Literaturangaben

  1. WiseGuyReports. (n.d.). CF & CFRP Market Report. Abgerufen am [29.07.2025], von https://www.wiseguyreports.com/de/reports/cf-cfrp-market
  2. E. Witten; V. Mathes; M. Sauer; M. Kühnel: Composites-Marktbericht 2023 - Marktentwicklun-gen, Trends, Ausblicke und Herausforderungen. Deutsche Fachverband für Faserverbundkunststoffe/Composites - AVK, 2023
  3. J. Striewe; C. Reuter; K.-H. Sauerland; T. Tröster: Manufacturing and crashworthiness of fabric-reinforced thermoplastic composites. Thin-Walled Structures 123(2018), S. 501-508. https://doi.org/10.1016/j.tws.2017.11.011
  4. D. Nestler: Beitrag zum Thema Verbundwerkstoffe - Werkstoffverbunde: Status quo und For-schungsansätze. Chemnitz: Univ.-Verl., 2014. – ISBN 9783944640129
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  6. GUPTA, R. K.; MAHATO, A.; BHATTACHARYA, A.: Notch Shape Influence on Damage Evolution of Al/CFRP Laminates Under Tensile Loading: Experimental and Numerical Analysis. Appl Compos Mater (2022). https://doi.org/10.1007/s10443-022-10051-2
  7. TRZEPIECIŃSKI, T.; NAJM, S. M.; SBAYTI, M.; BELHADJSALAH, H.; SZPUNAR, M.; LEMU, H. G.: New Advances and Future Possibilities in Forming Technology of Hybrid Metal–Polymer Composites Used in Aerospace Applications. J. Compos. Sci. 5(2021)8, S. 217 f. https://doi.org/10.3390/jcs5080217
  8. PONNARENGAN, H.; KAMARAJ, L.; BALACHANDRAN, S. R.; KATHAR BASHA, S.: Evaluation of me-chanical properties of novel GLARE laminates filled with nanoclay. Polym. Compos. 42(2021)8, S. 4015-4028. https://doi.org/10.1002/pc.26113
  9. KRAIBON®: https://www.kraiburg-rubber-compounds.com/kraibon (31.07.2025)
  10. D. Düring; L. Weiß; D. Stefaniak; N. Jordan; C. Hühne: Low-velocity impact response of composi-te laminates with steel and elastomer protective layer. Composite Structures 134(2015), S. 18-26. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2015.08.001
  11. E. Stelldinger; A. Kühhorn; M. Kober: Experimental evaluation of the low-velocity impact dama-ge resistance of CFRP tubes with integrated rubber layer. Composite Structures 139(2016), S. 30-35. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2015.11.069
  12. E. Sarlin; M. Apostol; M. Lindroos; V.-T. Kuokkala; J. Vuorinen; T. Lepistö; M. Vippola: Impact properties of novel corrosion resistant hybrid structures. Composite Structures 108(2014), S. 886-893. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2013.10.023
  13. LI, Z.; ZHANG, J.; JACKSTADT, A.; KÄRGER, L.: Low-velocity impact behavior of hybrid CFRP-elastomer-metal laminates in comparison with conventional fiber-metal laminates. 02638223 287(2022), S. 115340 f. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2022.115340
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  15. Y. Swolfs; P. De Cuyper; M.G. Callens; I. Verpoest; L. Gorbatikh: Hybridisation of two ductile materials Steel fibre and self-reinforced polypropylene composites. Composites Part A: Applied Science and Manufacturing 100(2017), S. 48-54. https://doi.org/10.1016/j.compositesa.2017.05.001
  16. H.J. Koslowski: Chemiefaser-Lexikon. Deutscher Fachverlag, 2008. – ISBN 3871508764
  17. H. Schürmann: Konstruieren mit Faser-Kunststoff-Verbunden. Springer-Verlag GmbH, 2007. – ISBN 3540721894
  18. N. Montinaro; D. Cerniglia; G. Pitarresi: Evaluation of interlaminar delaminations in titanium-graphite fibre metal laminates by infrared NDT techniques. NDT & E International 98(2018), S. 134-146. https://doi.org/10.1016/j.ndteint.2018.05.004

AutorInnen: Mahmud Hossain Anwar Abdkader Tobias Lang Thomas Gereke Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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21.07.2025

Entwicklung gewirkter Anbindungsimplantate zur Weichteilrekonstruktion

Gestricke & Gewirke Technische Textilien Medizin

Zusammenfassung

Die erfolgreiche Therapie von Knochendefekten stellt eine immense Herausforderung dar und hat eine große gesellschaftliche und medizinische Relevanz, insbesondere bei einer immer älter werdenden Gesellschaft. Jede Implantation einer Endoprothese geht mit einem Verlust von Knochen und dem umliegenden Weichgewebe einher, dessen Anbindung an die Endoprothese für die Funktionalität jedoch unerlässlich ist. Im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojektes IGF-Projektes 21998BR des ITM und OUPC wurde deshalb ein textiles Anbindungsimplantat entwickelt, das eine einfache Anpassung und universelle Anbindung des Weichgewebes an eine Endoprothese erlaubt.

Bericht

Ausgangssituation und Problemstellung

Die erfolgreiche Therapie von Knochendefekten stellt eine große Herausforderung dar und ist von großer sozialer und medizinischer Relevanz, insbesondere in einer alternden Gesellschaft. Die demografische Entwicklung der Gesellschaft wird zwangsläufig zu einer Zunahme von Revisionen (Wechseloperationen) führen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen u. a. in der limitierten Lebensdauer der Endoprothesen sowie in Komplikationen wie Lockerungen, Frakturen oder Infektionen [1]. Jede Revision geht dabei mit einem erhöhten Knochenverlust einher und führt zur Entfernung des umgebenden Weichgewebes (Muskeln, Sehnen, Bänder, Bindegewebe). Das Weichgewebe ist jedoch für die Funktionalität der Gliedmaßen, beispielsweise die aktive Kniestreckung oder die Vermeidung von Hinken [2], unerlässlich. Eine unzureichende Weichteildeckung kann zudem schwerwiegende Komplikationen wie Auskugeln und periprothetische Infektionen verursachen, insbesondere bei großen Defekten.

Die Behandlung von Knochendefekten erfordert daher sowohl die Implantation einer Endoprothese als auch die Rekonstruktion, einschließlich der Verbindung des umgebenden Weichgewebes mit der Endoprothese. Allerdings wird die Rekonstruktion des Weichgewebes heute meist unzureichend durchgeführt [2, 3]. Lediglich bei sog. Megaprothesen wird ein einfacher gestrickter PES-Schlauch als Anbindungsschlauch zur Fixation von Weichgewebe als Zusatzprodukt beschrieben. Allerdings weisen bisherige Lösungen eine unzureichende Stabilität auf und/ oder bedingen einen hohen Konfektionsaufwand während des operativen Eingriffs. Eine vergrößerte Oberfläche durch Falten und Taschenbildung des Anbindungsschlauchs kann das Risiko von Infektionen und Komplikationen erhöhen. Diese können sich auch über den Heilungsprozess der Endoprothesenimplantation hinaus erstrecken. So können periprothetische Infektionen auch Monate bis Jahre nach der Implantation auftreten. Darüber hinaus können nicht resorbierbare (nicht im Körper abbaubare) Materialien zu langanhaltenden Problemen im Körper führen. Dazu zählen Heilungsstörungen sowie akute und chronische Infektionen. [4, 5]. Zudem resultiert ein signifikanter Verlust an Weichgewebe bei einer Revision durch herausschneiden des verwachsenen PES-Schlauchs, der wiederrum die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen erhöht. Die Verwendung eines synthetischen, nicht resorbierbaren Implantats wird daher kritisch gesehen und ist nur bei zwingend notwendigen großen Knochenverlusten indiziert. In der Mehrzahl der Fälle, in denen Endoprothesen implantiert werden, wird auf die Verwendung eines Anbindungsimplantats verzichtet. Die daraus resultierenden Einschränkungen hinsichtlich der Funktionalität werden aus Sorge vor schwerwiegenderen Komplikationen toleriert.

Zur signifikanten Verbesserung der Anbindung von Weichgewebe an die Endoprothese ist die Entwicklung eines resorbierbaren sowie leicht und individuell an die jeweilige Prothesengeometrie anpassbaren Anbindungsimplantats nötig.

Entwicklung des umlaufenden Schusseintragssystems

Die Wirktechnik bietet hervorragende Lösungsansätze zur Entwicklung von Anbindungsimplantaten, die leicht an die Geometrie und die Länge der implantierten Endoprothese angepasst werden können und ausreichend Festigkeit bietet, um ein Ausreißen bei Belastung zu vermeiden. Verfahrens- und strukturbedingt weisen Gewirke bereits eine gute Dimensionsstabilität auf und gestatten eine große Vielfalt der Strukturgestaltung. Die Entwicklung einer schlauchförmigen Struktur mit integrierten, umlaufenden Schussfäden wird als vielversprechende Lösung für intraoperativ individualisierbare Verbindungsimplantate erachtet. Diese Konstruktion ermöglicht es dem Chirurgen, den Durchmesser der schlauchförmigen Struktur durch Anziehen und Verknoten der umlaufenden Schussfäden präzise einzustellen. Dadurch kann der Schlauchdurchmesser schnell, individuell und faltenfrei an die Endoprothese angepasst werden, ohne dass aufwendige Konfektionsarbeiten erforderlich sind (Abbildung 1).

Allerdings erlaubt die Wirktechnik aktuell nicht, konturgerechte Schläuche ohne Jacquard-Technik herzustellen und gleichzeitig einen umlaufenden Schussfaden über den gesamten Umfang einschließlich einer Fadenreserve zu integrieren. Dazu wurde am ITM ein neues umlaufendes Schusseintragssystem entwickelt. Die Innovation der neu entwickelten Technologie liegt in der Realisierung eines nachrüstbaren, umlaufenden Schusseintragssystems mit einer Schussfadenreserve für die doppelbarrige Raschelmaschine (Abb. 2).

Der minimale Bauraum innerhalb der Wirkstelle aber auch ein positionsgenaues Fadenlegen stellen die wichtigsten Anforderungen an ein umlaufendes Schussfadensystem dar. Zur Bewegung des Fadenführers um die Wirkstelle wurde eine umschließende Führungsbahn entwickelt und umgesetzt. Sie ermöglicht das Eintragen eines durchgehenden Schussfadens im vorderen und hinteren Nadelbett. Der auf einer Spule gewickelte Schussfaden wird dazu mit Hilfe eines speziellen Fadenführers auf einer umlaufenden Bahn transportiert. Der Fadenführer bewegt sich sensorgesteuert präzise entlang des vorderen und hinteren Nadelbetts. Mit Hilfe von drehbaren Haken kann eine Fadenreserve variabel integriert werden. Diese innovative Technologie ermöglicht die Integration eines umlaufenden Schussfadens in schlauchförmige Kettengewirke, wobei die Fadenreserve in einem variablen Abstand angeordnet werden kann. Diese zusätzliche Fadenreserveeinrichtung ermöglicht die Einstellung des Schlauchdurchmessers auf die Endkontur, die für die Herstellung von Anbindungsimplantaten unerlässlich ist. Die Entwicklung dieses umlaufenden Schusseintragssystems stellt eine völlig neue Technologie dar, die unabhängig von Maschinenhersteller und Arbeitsbreite modular und effizient in jede doppelbarrige Raschelmaschine integriert oder nachgerüstet werden kann.

Entwicklung des gewirkten Anbindungsimplantats

Zur anforderungsgerechten Entwicklung eines textilen Anbindungsimplantats wurde die Struktur simulationsgestützt auf Basis der Wirktechnologie ausgelegt. Die zentrale Herausforderung bestand in der Entwicklung eines universell einsetzbaren Implantats, dass sich faltenfrei an unterschiedlichste Prothesengeometrien verschiedener Hersteller sowie an die anatomische Gegebenheiten der einzusetzenden Knochensegmente, insbesondere Femur und Tibia, anpassen lässt. Auch die variable Länge modular aufgebauter Endoprothesen musste dabei berücksichtigt werden. Darüber hinaus sollte das Implantat aus einem resorbierbaren Material bestehen, das eine sichere Anbindung des Weichgewebes gewährleistet, bis das neugebildete Narbengewebe im Bereich der Endoprothese die Funktion dauerhaft übernommen hat.

Im Projekt wurde eine systematische CAE-gestützte Struktur- und Bindungsentwicklung für drei Funktionsmustern durchgeführt: 1) Endkonturnahe Schlauchstruktur mit über die Länge variablen Durchmesser; 2) definierte Formbarkeit durch Integration umlaufender Schussfäden; 3) integral gefertigte Verstärkungszonen. Zur Erreichung der geforderten mechanischen Eigenschafen, insbesondere hinsichtlich Strukturdehnung, Zugfestigkeit, lokaler Verstärkung und Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Geometrien, wurden verschiedene Grundbindungen wie Franse, Samt und Teilschuss simulationsgestützt und experimentell analysiert.

Die Grundbindungen Trikot gegenlegig und Franse Teilschuss erzielten die höchsten zugmechanischen Eigenschaften bei gleichzeitig geringster Strukturdehnung. Auf dieser Basis wurden die komplexeren Bindungskonzepte für die Funktionsmuster entwickelt. Als Vorzugslösung konnte ein Franse-Teilschuss-Schlauch mit konstantem Durchmesser und integrierten umlaufenden Schussfäden identifiziert werden. Diese Variante erfüllte die Anforderungen an Universalität und einfache Handhabung besonders gut. Die offene Struktur ermöglicht ein faltenfreies Zusammenziehen und damit eine flexible Anpassung an verschiedene Prothesengeometrien (Abb. 3).

Zur Gewährleistung der langsamen Resorption und hohen Ausreißfestigkeit wurden Seidenfibroingarne verzwirnt (Cordonnet, 70 tex) eingesetzt.

Im Anschluss an die Entwicklung wurde das Anbindungsimplantat in einem eigens entwickelten Prüfstand auf das Ausreißen hin untersucht. Im besonderen Fokus stand die Einspannvorrichtung für die Endoprothesen, die eine biomechanische Prüfung anatomischer Lastszenarien erlaubt. Im Gegensatz zu den in den herkömmlichen Prüfständen verwendeten festen Prüfwinkeln wurde ein Aufbau mit variierbaren Winkeln (0°, 15°, 30°, 45°, 60° und 90°) ausgelegt. Der Prüfaufbau erlaubt dadurch die Nachstellung von wirkenden Kräften beispielsweise beim Stehen, Gehen oder Sitzen. Die neu entwickelten Anbindungsimplantate erreichten an den Anbindungsstellen mit umlaufendem Schussfaden eine Höchstzugkraft von über 300 N. Damit entsprechen sie in etwa der Höchstzugkraft des verwendeten chirurgischen Nahtmaterials und des aktuell verfügbaren Anbindungsschlauch aus PES (ohne gezielte Degradation und ohne Möglichkeit zur Durchmesseranpassbarkeit).

Die Ausreißfestigkeit des neu entwickelten Anbindungsschlauches lässt sich durch die zusätzliche Einbindung des umlaufenden Schussfadens an weiteren Stellen gezielt steigern. Im Vergleich zur herkömmlichen Methode sind für Anpassung und Implantation des Anbindungsimplantats deutlich weniger Arbeitsschritte erforderlich, was zu einer spürbaren Reduktion in der Operationszeit führen kann. Die integrierten umlaufenden Schussfäden ermöglichen zudem eine direkte Anbindung des Weichgewebes, sodass auf zusätzliche Fäden verzichtet werden kann. Das Anbindungsimplantat kann individuell in der Länge zugeschnitten und aufgeschnitten werden, ohne dass dabei Laufmaschen entstehen oder das Gewirk aufgezogen wird. Durch die potenzielle Resorbierbarkeit des Seidenmaterials kann die Fremdkörperlast im Gewebe reduziert werden, was wiederrum das Risiko postoperativer Infektionen senken kann. Im Revisionsfall entfallen zudem aufwendige Resektionsprozesse zur Entfernung eingewachsener Implantate. Ein weiterer Vorteil liegt in der universellen Anwendbarkeit des Anbindungsimplantats: Es kann flexibel an verschiedene Prothesengeometrien angepasst werden, z. B., wie in Abbildung 4 gezeigt, an die Knieprothese.

Zusammenfassung

In Zusammenarbeit mit dem OUPC wurde am ITM ein neuartiges Anbindungsimplantat entwickelt, das sich flexibel und ohne Faltenwurf an unterschiedliche Endoprothesengeometrien anpassen lässt. Die integrierten umlaufenden Schussfäden ermöglichen nicht nur eine formgerechte Anpassung und Fixierung an der Prothese, sondern dienen zugleich als strukturelle Verstärkung an den Anbindungsstellen. Die überstehenden Fadenenden können zusätzlich zur Re-Adaption des Weichgewebes genutzt werden.

Zur Realisierung dieses Konzepts wurde am ITM ein innovatives Schusseintragssystem mit integrierter Fadenreserve entwickelt, das sich modular in jede RR-Raschelmaschine nachrüsten lässt. Durch die gezielte Strukturentwicklung lässt sich das Anbindungsimplantat leicht ab- oder einschneiden und kann so individuell an chirurgische Anforderungen und patientenspezifische Gegebenheiten angepasst werden. Diese Flexibilität erfüllt die hohen Anforderungen an ein universell einsetzbares Anbindungsimplantat.

In Ausreißversuchen konnte eine ausreichende mechanische Stabilität des Anbindungsimplantats aus langzeitresorbierbarem Seidenfibroin nachgewiesen werden.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21998 BR der Forschungsvereinigung Textil e.V. wurde über die AiF und den DLR Projektträger im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Literaturverzeichnis

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[2]    Nottrott, M. ; Streitbürger, A. ; Höll, S. ; Gosheger, G. ; Hardes, J.: 9 Tumorendoprothetik. In: Krukemeyer, M. G.; Möllenhoff, G. (Hrsg.): Endoprothetik : Ein Leitfaden für den Praktiker. 3. Aufl. : De Gruyter, 2012, S. 203–221

[3]    Calori, G.M. ; Mazza, E.L. ; Vaienti, L. ; Mazzola, S. ; Colombo, A. ; Gala, L. ; Colombo, M.: Reconstruction of patellar tendon following implantation of proximal tibia megaprosthesis for the treatment of post-traumatic septic bone defects. In: Injury 47 (2016), S77-S82

[4]    Hardes, J. ; Ahrens, H. ; Gosheger, G. ; Nottrott, M. ; Dieckmann, R. ; Henrichs, M.-P. ; Streitbürger, A.: Komplikationsmanagement bei Megaprothesen. In: Der Unfallchirurg 117 (2014), Nr. 7, S. 607–613

[5]    Hillmann, A. ; Ipach, I.: Tumorendoprothetik : Stellenwert in der modernen Revisionsendoprothetik. In: Der Orthopade 44 (2015), Nr. 5, S. 375–380

AutorInnen: Laura Pietz Anke Golla Paul Penzel Michael Wöltje Stefan Zwingenberger Jens Goronzy Hagen Fritzsche Klaus-Dieter Schaser Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

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18.06.2025

Entwicklung von kettengewirkten Tapes für das kurvenbahngerechte Tapele-gen als Basis für die materialeffiziente Fertigung lastpfadgerechter, bionischer FKV-Bauteile

Gestricke & Gewirke Composites Technische Textilien

Zusammenfassung

Im IGF-Vorhaben 22653 BR wurde ein neuartiges textilbasiertes Halbzeug zur ressourcenschonenden Fertigung lastpfadgerechter, bionischer Faserverbundbauteile entwickelt: das Curvy Tape. Ziel war die Herstellung kettengewirkter Tapes als Endlosfaserband, die sich auch auf komplex gekrümmten Geometrien faltenfrei und lagegenau ablegen lassen. Zentrale Innovation ist das Prinzip der Fadenreserve: Die Curvy Tapes verfügen über segmentierte, gegeneinander verschiebbare Faserbändchen, deren Scherbarkeit gezielt durch Wirkparameter wie Stichlänge, Bindung und Wirkfadenspannung einstellbar ist.

Ein simulationsgestütztes Auslegungstool erlaubt die präzise Vorhersage geeigneter Tapeparameter in Abhängigkeit von Bauteilgeometrie, Faserart und Ablagepfad. Die entwickelten Fertigungs- und Ablagekonzepte wurden prototypisch umgesetzt, u. a. durch nachrüstbare Zusatzmodule für Multiaxial-Kettenwirkmaschinen. Anhand eines Kotflügel-Demonstrators konnte die technische Machbarkeit und wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit validiert werden. Der Materialverschnitt wurde im Vergleich zu herkömmlichen sequenziellen Preformverfahren bei gleicher Leistungsfähigkeit halbiert, die strukturelle Überdimensionierung um bis zu 30 % reduziert. Die Technologie ist insbesondere für KMU attraktiv, da sie eine hohe Produktqualität mit niedrigen Investitionskosten kombiniert. Curvy Tapes eröffnen neue Perspektiven für den FKV-Leichtbau in Mobilität, Energie und Maschinenbau.

Bericht

Ausgangssituation und Problemstellung

Der Trend zum ressourcenschonenden Leichtbau hat sich in nahezu allen Technikbereichen etabliert und wird durch die Notwendigkeit zur CO₂-Reduktion sowie zur Steigerung der Materialeffizienz weiter verstärkt [1–3]. Insbesondere Faserkunstoffverbunde (FKV) gelten dank ihres geringen spezifischen Gewichts und ihrer richtungsabhängigen mechanischen Eigenschaften als Schlüsselelemente für eine nachhaltige Auslegung von Leichtbaustrukturen [4–7]. Der Markt für glas- und carbonfaserverstärkte FKV wächst stetig, mit Anwendungen in der Luftfahrt, Automobilindustrie, Energiebranche und Medizintechnik [8–10]. Dabei gewinnen sogenannte unidirektionale Tapes (UD-Tapes) zunehmend an Bedeutung, da sie eine präzise Faserorientierung ermöglichen und in hochautomatisierten Fertigungsprozessen eingesetzt werden können [11–14].

Trotz dieser Vorteile stoßen die am Markt verfügbaren UD-Tapes an ihre Grenzen, wenn es um die wirtschaftliche und materialsparende Herstellung komplexer, mehrfach gekrümmter Bauteile geht [11, 15]. Eine kurvenbahngerechte Tapeablage ist mit bestehenden Technologien nur stark eingeschränkt möglich. Insbesondere bei kleinen Kurvenradien treten Strukturdefekte wie Falten, Verzerrungen oder Gassen auf. Diese verfahrensbedingten Fehler resultieren aus dem Umstand, dass die Faserlängen an der Innen- und Außenbahn eines Kurvenverlaufs unterschiedlich sind, mit herkömmlichen Tapes jedoch nicht innerhalb eines durchgehenden Faserbandes ausgeglichen werden können. Bisherige Lösungen erfordern daher aufwändige, diskontinuierliche, segmentierte Ablageprozesse mit Überlappungsbereichen und folglich hohem Materialverschnitt und strukturellen Überdimensionierungen (siehe Abbildung 1) [16]. Das ist ein signifikanter Nachteil im Hinblick auf Ressourceneffizienz und Bauteilperformance.

Gerade kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), die einen Großteil der textilen Wertschöpfungskette in Deutschland abbilden, sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, zunehmend komplexere, bionisch ausgelegte FKV-Bauteile wirtschaftlich und prozesssicher fertigen zu müssen. Der steigende Bedarf an maßgeschneiderten, lastpfadgerechten Strukturen erfordert neue textile Halbzeuge und Fertigungsmethoden, die eine bauteilunabhängige, verzugsfreie Ablage auch auf komplexen 3D-Konturen ermöglichen. Das mit etablierten UD-Tapes nicht umsetzbare Intra-Ply-Gleiten, also das gezielte Scheren von Tapesegmenten innerhalb eines Faserbandes, stellt dabei eine zentrale Technologiekomponente dar, die bislang nicht verfügbar ist. Hinzu kommt, dass bestehende Tapelegeanlagen in ihrer Funktionalität begrenzt sind und die für eine kurvenbahngerechte Ablage notwendigen Klemm-, Abzugs- und Fixiermechanismen nicht bereitstellen können. Die Problemstellung lässt sich daher in zwei Hauptbereiche gliedern: Zum einen fehlt ein textiltechnisch realisierbares Halbzeug, das eine mechanisch belastbare, faltenfreie sowie kurvenbahngerechte Tapeablage erlaubt: das sogenannte Curvy Tape. Zum anderen existieren bislang keine wirtschaftlich skalierbaren Ablageverfahren, die die Vorteile der UD-Tape-Technologie mit der Flexibilität einer individuell lenkbaren Faserbandführung vereinen. Die Entwicklung solcher Tapes und der zugehörigen Ablagetechnologien stellt somit einen dringenden, industriegetragenen Forschungsbedarf dar. Ziel muss es sein, durch neue Material- und Prozessansätze lastpfadgerechte Verstärkungsstrukturen effizient, materialsparend und automatisiert fertigen zu können, insbesondere für die hohe Variantenvielfalt und Kleinserienfertigung im KMU-Umfeld.

Ergebnisse

Im Rahmen des IGF-Projekts „Curvy Tapes“ wurden umfassende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Realisierung kurvenbahngerecht ablegbarer Tapes für die Fertigung bionisch ausgelegter FKV-Bauteile durchgeführt. Ausgangspunkt war die Erarbeitung eines technischen Anforderungskatalogs zur Spezifikation geometrischer, mechanischer und verfahrenstechnischer Zielgrößen. In enger Abstimmung mit dem projektbegleitenden Ausschuss wurden Materialien, Tapestrukturen und relevante Maschinenkomponenten definiert. Unter anderem wurde die Verarbeitung von Carbonfasern mit 1600 tex auf vorhandenen Kettenwirkmaschinen der Baureihe Malimo festgelegt. Die zentralen Anforderungen umfassten u. a. eine Tapebreite von bis zu 300 mm sowie eine Gassenfreiheit < 1 mm.

Ein wesentlicher Arbeitsschwerpunkt lag auf der simulationsgestützten Entwicklung eines Auslegungsmodells zur Beschreibung der mechanischen Eigenschaften der Tapestrukturen und ihrer Verformung bei der Ablage. Dabei wurde unter Verwendung von LS-Dyna (LSTC, USA) ein FEM-basiertes Mesoskalenmodell erstellt, das die Interaktion zwischen den strukturbildenden Parametern (z. B. Stichlänge, Wirkfadenspannung, Bindung) und der resultierenden Scherbarkeit der Tapesegmente abbildet. Die Validierung erfolgte durch experimentelle Versuche an textilphysikalisch charakterisierten Funktionsmustern (siehe Abbildung 2). Zur Ermittlung der Fadenlängen entlang kurvenförmiger Ablagepfade wurde ergänzend ein algorithmisches Tool auf Basis von CAD-Modellen entwickelt, das eine automatisierte Berechnung der notwendigen Fadenreserven erlaubt.

Zur Herstellung der Curvy Tapes wurde ein neuartiges Fertigungsverfahren auf Basis der Multiaxial-Kettenwirktechnik konzipiert. Hierzu wurde ein modular nachrüstbarer Teilschussleger entwickelt, der das Einbringen von wirkfadenbasierten Scherstellen innerhalb der Tapeebene ermöglicht. Verschiedene Wirkbindungen, insbesondere Varianten der Franse-Teilschuss- und Trikot-Bindung, sowie gleitoptimierte Monofilfäden (PET 22 dtex, KSO Textil GmbH, Deutschland) wurden auf ihre Eignung hin untersucht. Die Tapes wurden dabei so gestaltet, dass sie entweder während der Ablage (Post-Fadenreserve) oder bereits bei der Herstellung (Pre-Fadenreserve) über segmentweise integrierte Fadenlängenreserven verfügen. Zusätzlich wurde ein kombinierter Ansatz verfolgt, um die geometrischen Freiheitsgrade bei der Tapeablage weiter zu erhöhen.

Die hergestellten Tapestrukturen wurden systematisch charakterisiert. Es kamen modifizierte Fadenauszugs- und Scherrahmenversuche (siehe Abbildung 3) zum Einsatz, um das Intra-Ply-Gleiten und die Scherfähigkeit der neuartigen Tapesegmente zu quantifizieren.

Dabei zeigte sich, dass die Auslegung der Bindung, insbesondere die Stichlänge und die Wirkfadenspannung, maßgeblich die mechanische Kopplung der Segmente beeinflussen. Curvy Tapes mit einer Franse-Teilschuss-Bindung und einer Stichlänge von 3,6 mm erwiesen sich als besonders vorteilhaft. Gegenüber herkömmlichen Biaxialgelegen wurde die erforderliche Scherkraft um bis zu 56 % reduziert, die Drapierbarkeit deutlich verbessert und kritische Faltenbildung signifikant verzögert (Einsetzen kritischer Scherung der Curvy Tapes bei 50 mm gegenüber 25 mm bei Biaxial-Gelegen, siehe Abbildung 4). Zudem wurde die Parallelität der Verstärkungsfasern auch bei hohen Scherwinkeln zuverlässig aufrechterhalten.

Parallel zur Materialentwicklung wurden Ablagekonzepte für die Preformherstellung erarbeitet. Ziel war die prozesssichere Ablegung der Tapes auf 2D- und 3D-Oberflächen mit definierter Fadenorientierung. Hierzu wurde ein roboterkompatibles Bereitstellungsmodul für das Handling, den Abzug und das Nachführen der neuartigen Curvy Tapes entwickelt. Die Fixierung während des Ablegevorgangs erfolgte bevorzugt durch den Auftrag eines aerosolförmigen duromerbasierten Sprühklebers, der eine sichere Positionierung der Tapesegmente ermöglichte, ohne die nachträgliche Ausformung der Fadenreserven zu beeinträchtigen.

Im weiteren Projektverlauf wurde eine vollständige Prozesskette von der Tapeherstellung über die Preformfertigung bis hin zur Konsolidierung in einem Harzsystem aufgebaut. Die auf dieser Grundlage gefertigten Demonstratoren, insbesondere ein PKW-Kotflügel mit komplexer Kontur, dienten der praxisnahen Funktionsvalidierung. Dabei konnte gezeigt werden, dass mit den neuartigen Curvy Tapes eine signifikant höhere Faserorientierungstreue im Vergleich zu herkömmlichen Flächengebilden (bspw. Gewebe oder Biaxial-Gelege) erreicht wird. Die Faserabweichung innerhalb der Preform lag bei unter einem Grad, Gassen traten nur in Einzelfällen auf und blieben unterhalb kritischer Schwellen. Die erzielten mechanischen Eigenschaften wurden durch standardisierte Biegeversuche quantifiziert und die verbesserte Leistungsfähigkeit validiert. Curvy Tapes wiesen im Vergleich zu Biaxialgelegen gleicher Fadendichte eine wesentlich geringere Streuung der Durchbiegung auf und erzielten damit eine homogenere Bauteilperformance.

Die Ergebnisse belegen die hohe Eignung der Curvy Tapes für den industriellen Einsatz. Eine wirtschaftliche Bewertung anhand eines realitätsnahen Szenarios (PKW-Kotflügel, siehe Abbildung 5) zeigte eine Reduktion der Materialkosten um 30 % und eine Gesamtkosteneinsparung von knapp 24 % gegenüber konventionellen UD-Tapes. Unter Berücksichtigung moderater Investitionskosten für die Nachrüstung bestehender Kettenwirkmaschinen (< 30.000 €) amortisiert sich die Technologie bei einer Tape-Fertigungsmenge von 10.000 m²/a bereits innerhalb eines Jahres. Die entwickelten Verfahren und Materialien können damit unmittelbar von KMU adaptiert werden und tragen zur signifikanten Steigerung der Ressourcen- und Energieeffizienz entlang der gesamten Wertschöpfungskette bei.

Zusammenfassung

Mit dem Projekt „Curvy Tapes“ wurde eine technologische Grundlage geschaffen, um Hochleistungsfasern wie Carbon oder Glas deutlich materialeffizienter und gezielter in Faserverbundbauteilen einzusetzen. Die im Vorhaben entwickelten neuartigen Tapestrukturen ermöglichen erstmals eine durchgängig falten- und gassenfreie sowie lastpfadgerechte Ablage entlang beliebiger Kurvenverläufe. Dadurch lassen sich nicht nur mechanisch leistungsfähigere sowie bionisch ausgelegte Bauteile fertigen, sondern auch Materialverluste und Überdimensionierungen signifikant verringern. Das Projekt leistet somit einen direkten Beitrag zur Ressourcenschonung, zur Reduktion industrieller CO₂-Emissionen und zur Nachhaltigkeit in der Produktion.

Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) profitieren von den Ergebnissen: Die modular konzipierten Fertigungs- und Ablagekonzepte sind gezielt auf bestehende Produktionsumgebungen und Maschinenparks in KMU zugeschnitten. Investitionen bleiben gering, der Umsetzungshorizont kurz. Gleichzeitig eröffnen die Curvy Tapes vielfältige neue Geschäftsfelder, etwa in der Herstellung von hochbeanspruchten Leichtbauteilen für Automobil, Luftfahrt oder erneuerbare Energien. Für den Textilmaschinenbau und die FKV-verarbeitende Industrie entsteht ein substantieller Innovationsimpuls mit hohem Marktpotenzial.

Darüber hinaus fördert die Technologie die Verbreitung bionischer, funktional optimierter Konstruktionsprinzipien in der industriellen Praxis. Der gesellschaftliche Nutzen liegt damit nicht nur in einer effizienteren Ressourcennutzung, sondern auch in der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Innovationsstandorts Deutschland und der langfristigen Sicherung qualifizierter industrieller Arbeitsplätze.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 22653 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über das DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Der Schlussbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden erhältlich.

Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis

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[2]    Ehlerding, S.: Leichtbaustrategie für mehr Klimaschutz. In: Tagesspiegel (2021-01-20)

[3]    Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie: „Leichtbau-Perspektiven für Deutschland“ - Ergebnisse aus dem Strategieprozess der Initiative Leichtbau des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) : Erscheinungsdatum: 19.01.2021. URL www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/E/eckpunkte-f%C3%BCr-eine-leichtbau-strategie.pdf?__blob=publicationFile&v=8 – Überprüfungsdatum 2025-05-09

[4]    Kroll, L. (Hrsg.): Technologiefusion für multifunktionale Leichtbaustrukturen : Ressourceneffizienz durch die Schlüsseltechnologie "Leichtbau". Berlin, Germany : Springer Vieweg, 2019

[5]    Cherif, C. (Hrsg.): Leichtbau mit Textilverstärkung für Serienanwendungen : Bindematerialien - Textile Preforms - Verbundbauteile ; Buch zum DFG-AiF-Clustervorhaben - Leichtbau und Textilien. Dresden : Verl. Wissenschaftliche Skripten, 2013

[6]    Cherif, C.: Textile Werkstoffe für den Leichtbau : Techniken - Verfahren - Materialien - Eigenschaften. Berlin, Heidelberg : Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2011

[7]    Flemming, M. ; Ziegmann, G. ; Roth, S.: Faserverbundbauweisen : Halbzeuge und Bauweisen. Berlin, Heidelberg : Springer Berlin Heidelberg, 1996

[8]    Pfeiffer, J.: Leichtbau-Batteriepack verringert Gewicht und erhöht Reichweite von E-Autos. URL www.konstruktionspraxis.vogel.de/leichtbau-batteriepack-verringert-gewicht-und-erhoeht-reichweite-von-e-autos-a-974846/ – Überprüfungsdatum 2022-01-26

[9]    Howell, E. ; Geyer, C.: Interview with Christoph Geyer. In: Reinforced Plastics 63 (2019), Nr. 2, S. 76–78

[10]  Günnel, T.: Leichtbau: Wie der Staat die Technologien fördert. In: Automobil Industrie (2020-09-11)

[11]  Brasington, Alex ; Sacco, Christopher ; Halbritter, Joshua ; Wehbe, Roudy ; Harik, Ramy: Automated fiber placement: A review of history, current technologies, and future paths forward. In: Composites Part C: Open Access 6 (2021), S. 100182

[12]  Hofbauer, Daniel: Herstellung endlosfaserverstärkter, thermoplastischer Halbzeuge für Karosseriestrukturbauteile in Großserie. In: Technologies for Lightweight Structures (TLS) 1 (2017), Nr. 1

[13]  Kuroda, Yoshito: Kunststoffe mit unidirektionaler Verstärkung für die Serie. In: Lightweight Design 11 (2018), Nr. 5, S. 82–85

[14]  Altstädt, Volker ; Spörrer, Andreas ; Mühlbacher, Mathias ; Michel, Peter ; Seidel, Sonja: Großserientauglicher Hochleistungsleichtbau mit UD-Tapes. In: Lightweight Design 5 (2012), Nr. 2, S. 18–25

[15]  Ufer, J. ; Göttinger, M. ; Hersbeck, L.: Preform Technology for High Volume Manufacturing of Long Fiber Reinforced Structures (LCC Symposium). München, 2014

[16]  YouTube: We are COMPOSITES: Fiber Placement Center. URL https://www.youtube.com/watch?v=zZhTDG2GoEU. – Aktualisierungsdatum: 2021-11-30 – Überprüfungsdatum 2025-05-09

AutorInnen: Konrad Zierold Paul Penzel Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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11.06.2025

PE-based, spun-dyed and sustainable clothing made from organic raw materials

Fasern Garne Gestricke & Gewirke Recycling Nachhaltigkeit Fashion

Zusammenfassung

The bioPEtex project in the BIOTEXFUTURE Innovation Space aims to develop sustainable clothing made from bio-based raw materials in the form of spun-dyed T-shirts. In an industry heavily dominated by fossil-based polymers such as polyester, bio-based polyethylene (bioPE), a bio-based polymer made from fermented starches or sugars, offers an environmentally friendly alternative. BioPE has the same properties as fossil-based PE and is fully recyclable. The use of spun-dyed bioPE also reduces energy and water consumption by 50 % and CO2 emissions by 60 %. The project involves the development of sustainably dyed compounds from bioPE for the spun-dyeing process and the development of multifilament yarns through melt spinning and false-twist texturing. The yarns are knitted on seamless machines and a T-shirt demonstrator is manufactured, which is finished with a sustainable elastic finish. The results will not only reduce the ecological footprint of the textile industry, but also promote innovative approaches to the circular economy.

Bericht

Introduction

The global annual man-made fibre production is growing steadily and is expected to exceed 100 million tonnes by 2030. Polyethylene terephthalate (PET) from the polyester (PES) family is the most widely used polymer, with an 80 % market share. Global clothing production alone almost doubled between 2000 and 2015. More than 80 % of all fibres produced are now used for clothing. Between 30 and 60 % of PET produced worldwide is used in clothing, i.e. approx. 18 to 36 million tonnes. This makes PET the most widely used material for clothing (as of 2021). The textile industry therefore faces enormous ecological challenges, particularly due to the high proportion of fossil raw materials used in textile production. Fossil-based polyesters account for around 52 % of the market and have a significant negative impact on the environment and resource consumption. Synthetic fibres in clothing are largely made from these fossil-based polyesters, the main component of which is PET, which is not yet 100 % bio-based. Clothing made from 100 % biopolymers has so far only been shown in studies and flagship projects, as it is too expensive for the mass market and not available in sufficient quantities. The bioPEtex project aims to establish 100 % bio-based polyethylene (bioPE) in the clothing market. The large-volume thermoplastic drop-in polymer is used to produce mono material, thermomechanically recyclable clothing. To achieve this, the challenge that PE is not produced for continuous fibre production and that there are no designated types for this purpose and no textile plant technology designed for the polymer must be solved. Based on preliminary work at the Institute für Textiltechnik (ITA), the current project status and Alberghini et al., it is foreseeable that the project will be successful. The consortium's expertise is ideally suited for rapid implementation. [Tex22; AHL+21; SB20Materials and Methods

In the scope of this project, commercially available bio-based polyethylenes are selected, procured and modified (see Figure 1).

Spinnable compounds made from BioPE are then developed. For subsequent spin dyeing in the melt spinning process, colour masterbatches with bio-based colour pigments are developed by our industry partner TECNARO GmbH, Ilsfeld, Germany, in order to realise a sustainable alternative to conventional dyeing with dyes. In addition, conventional dyeing of PE is challenging [BBO+13]. Various textured multifilament yarns with up to 100 filaments are developed from these bioPE compounds using melt spinning and texturing processes on a semi-industrial scale, so that a bio-based T-shirt can be manufactured. Until now, PE has only been used in the industry for staple fibres, highly drawn fibres for technical applications or for carbon fibres – but not yet as yarn in clothing [Fou99; Pei18; Wor17]. In addition to the elasticity provided by the meshes in the knitted fabric, innovative, pre-competitive, sustainable textile finishes are being tested and further developed.

Results

Initial results show promising progress in the processing of bioPE into spun-dyed yarns with suitable properties for textile applications. BioPE can be processed into multifilament yarns in stable melt spinning processes. Process development with dyed bioPE compounds is currently underway (see Figure 2).

The resulting partially oriented yarns (POY) with currently 96 filaments and a single filament titre of approx. 1 dtex have suitable properties for subsequent false-twist texturing (see Figure 3). Production speeds for melt spinning are currently in the industrial range (2,500 m/min). In a next step, yarns with 30 filaments and a higher single filament titre will be spun in order to give the resulting textile more stability in combination with the fine yarns.

Tensile strengths of approx. 20 cN/tex have been achieved to date, thus already meeting the target values derived from PET-POY. False-twist texturing on a laboratory scale (ITA) and on a semi-industrial scale (BB Engineering GmbH, Remscheid, Germany) has also been successful. The mechanical properties of the textured yarns (draw-textured yarn, DTY) are thus improved and the yarn volume and heat retention capacity are increased (see Figure 4). The close-up image of the DTY below shows that no tangling was introduced on a laboratory scale and that the yarn cohesion is therefore not yet ideal. However, the DTY can already be processed into a knitted fabric without any problems. These shortcomings are also remedied on a semi-industrial scale.

The resulting natural fibre-like, cool feel now makes it possible to use the yarn in textiles. Initial knitting trials with the lab-scale DTY have been successful at our industrial partner FALKE KGaA in Schmallenberg, Germany, once again confirming the cooling sensation when the textile is touched. Further yarns are being developed so that the next step can be to produce a T-shirt for sports applications using semi-industrial yarns and validate it as a demonstrator. The development of the bio-based elastic finish is also currently underway.

Summary

The bioPEtex project represents an innovative approach to producing sustainable clothing from bio-based materials. Targeted research and development aims to achieve both ecological and economic benefits. The results achieved could contribute to significantly reducing the ecological footprint of the textile industry and setting new standards for recyclability in the fashion industry. So far, developments with bio-based PE compounds have been successful, and smooth, partially oriented as well as textured yarns can be produced on a semi-industrial scale and processed into a cooling knit fabric. Validation as a demonstrator in the form of a seamless, bio-based T-shirt with elastic bio-based finishing is still pending in the further course of the project.

Acknowledgement

We thank the Federal Ministry of Research, Technology and Space for funding the Innovation Space BIOTEXFUTURE and the research project bioPEtex (031B1496). Furthermore, we would also like to thank everyone involved in this project for their contributions and commitment.

Bibliography

[AHL+21] Alberghini, M.; Hong, S.; Lozano, L. M.; Korolovych, V.; Huang, Y.; Signorato, F.; Zandavi, S. H.; Fucetola, C.; Uluturk, I.; Tolstorukov, M. Y.; Chen, G.; Asinari, P.; Osgood, R. M.; Fasano, M.; Boriskina, S. V.:
Sustainable polyethylene fabrics with engineered moisture transport for passive cooling
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[BBO+13] Baur, E.; Brinkmann, S.; Osswald, T. A.; Rudolph, N.; Schmachtenberg, E.; Saechtling, H.:
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Burbank, California: 10/2022

[Wor17] Wortberg, G.:
Entwicklung polyethylenbasierter Precursoren für die thermochemische Stabilisierung zur Carbonfaserherstellung. Shaker Verlag, Dissertation
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AutorInnen: M. Ortega J. Langer R. Morgenroth M. van Haren G. Mourgas A. Langer T. Gries

ITA Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Straße 1, 52074 Aachen, Germany

Clothtech SportTec Oekotech

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10.06.2025

PE-basierte, spinngefärbte und nachhaltige Kleidung aus Biorohstoffen

Fasern Garne Gestricke & Gewirke Recycling Nachhaltigkeit Fashion

Zusammenfassung

Das Projekt BioPEtex im Innovationsraum BIOTEXFUTURE zielt darauf ab, nachhaltige Bekleidung aus biobasierten Rohstoffen in Form von spinngefärbten T-Shirts zu entwickeln. In einer Branche, die stark von fossilen Polymeren wie Polyester dominiert wird, bietet biobasiertes Polyethylen (BioPE), ein biobasierter Kunststoff aus fermentierten Stärken oder Zucker, eine umweltfreundliche Alternative. BioPE weist die gleichen Eigenschaften auf wie fossiles PE und ist vollständig recycelbar. Durch die Verwendung von spinngefärbtem BioPE können zudem der Energie- und Wasserverbrauch um 50 % gesenkt werden, während CO2-Emissionen um 60 % reduziert werden. Das Projekt umfasst die Entwicklung von nachhaltig eingefärbten Compounds aus BioPE für das Spinnfärbe-Verfahren sowie die Entwicklung von Multifilamentgarnen durch Schmelzspinnen und Falschdrahttexturierung. Die Garne werden auf Seamless-Maschinen verstrickt und ein T-Shirt-Demonstrator konfektioniert, welcher mit einer nachhaltigen elastischen Ausrüstung versehen wird. Die Ergebnisse werden nicht nur den ökologischen Fußabdruck der Textilindustrie verringern, sondern auch innovative Ansätze zur Kreislaufwirtschaft fördern.

Bericht

Einleitung

Die weltweite jährliche Chemiefaserproduktion wächst stetig und wird 2030 voraussichtlich 100 Mio. t überschreiten. Der Polyester (PES) Polyethylenterephthalat (PET) ist mit 80 % Marktanteil das meistgenutzte Polymer. Alleine die weltweite Kleidungsproduktion wurde zwischen 2000 und 2015 fast verdoppelt. Mittlerweile werden mehr als 80 % aller produzierten Fasern für Kleidung eingesetzt. Von weltweit produziertem PET werden 30 bis 60 % in Kleidung eingesetzt, also ca. 18 bis 36 Mio. t. So ist PET das meistgenutzte Material für Kleidung (Stand 2021). Die Textilindustrie steht somit vor enormen ökologischen Herausforderungen, insbesondere aufgrund des hohen Anteils an fossilen Rohstoffen in der Textilproduktion. Fossile Polyester machen etwa 52 % des Marktes aus und haben erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt und den Ressourcenverbrauch. Kunstfasern in Bekleidung werden zum Großteil aus diesen fossilen Polyestern mit Hauptbestandteil Polyethylenterephthalat (PET) hergestellt, welches jedoch noch nicht zu 100 % biobasiert hergestellt wird. Kleidung aus 100 % Biopolymeren wird bisher nur in Studien und Leuchtturmprojekten gezeigt, da diese zu teuer für den Massenmarkt und nicht in ausreichender Menge vorhanden sind. Das Projekt bioPEtex verfolgt das Ziel, 100 % biobasiertes Polyethylen (BioPE) im Bekleidungsmarkt zu etablieren. Aus dem großvolumig vorhandenen thermoplastischen Drop-In-Polymer wird sortenreine und thermomechanisch recycelbare Kleidung hergestellt. Dazu muss das Defizit gelöst werden, dass PE nicht für die Endlosfaserherstellung produziert wird und es keine dafür ausgewiesenen Typen sowie keine auf das Polymer ausgelegte, textiltechnische Anlagetechnik gibt. Aufgrund von Vorarbeiten am Institut für Textiltechnik, dem aktuellen Projektstand und Alberghini et al. ist abzusehen, dass das Projekt erfolgreich sein wird. Die Expertise des Konsortiums ist für die schnelle Umsetzung bestens geeignet. [Tex22; AHL+21; SB20]

Material und Methoden

Im Rahmen des Projekts werden kommerziell verfügbare biobasierte Polyethylene ausgewählt, beschafft und modifiziert (vgl. Abbildung 1).

Anschließend werden spinnbare Compounds aus BioPE entwickelt. Für die nachfolgende Spinnfärbung im Schmelzspinnprozess werden durch den Industriepartner TECNARO GmbH, Ilsfeld, Farbmasterbatches mit biobasierten Farbpigmenten entwickelt, um eine nachhaltige Alternative zur konventionellen Färbung mit Farbstoffen zu realisieren. Zudem ist die konventionelle Anfärbung von PE herausfordernd [BBO+13]. Aus diesen BioPE-Compounds werden über Schmelzspinn- und Texturierprozesse im semi-industriellen Maßstab verschiedene texturierte Multifilamentgarne mit bis zu 100 Filamenten entwickelt, sodass ein biobasiertes T-Shirt konfektioniert werden kann. Bisher wird PE in der Industrie lediglich für Stapelfasern, hochverstreckte Fasern für technische Anwendungen oder für Carbonfasern eingesetzt – jedoch noch nicht als Garn in der Bekleidung [Fou99; Pei18; Wor17]. Zusätzlich zur Elastizität durch die Maschen im Gestrick werden innovative, vorwettbewerbliche, nachhaltige Textilausrüstungen getestet und weiterentwickelt.

Ergebnisse

Die ersten Ergebnisse zeigen vielversprechende Fortschritte bei der Verarbeitung von BioPE in spinngefärbten Garnen mit geeigneten Eigenschaften für textile Anwendungen. BioPE kann in stabilen Schmelzspinnprozessen zu Multifilamentgarnen verarbeitet werden. Die Prozessentwicklung mit gefärbten BioPE-Compounds wird zurzeit durchgeführt (vgl. Abbildung 2).

Die resultierenden teilverstreckten Garne (engl. Partially-Oriented Yarn, POY) mit aktuell 96 Filamenten und einem Einzelfilamenttiter von ca. 1 dtex weisen geeignete Eigenschaften für die anschließende Falschdrahttexturierung auf (vgl. Abbildung 3). Produktionsgeschwindigkeiten beim Schmelzspinnen befinden sich zurzeit im industriellen Bereich (2.500 m/min). In einem nächsten Schritt werden Garne mit 30 Filamenten mit höher Einzelfilamenttiter ausgesponnen, um dem resultierenden Textil in Kombination mit den feinen Garnen mehr Stabilität zu verleihen.

Zugfestigkeiten von ca. 20 cN/tex werden bisher erreicht und die angestrebten, von PET-POY abgeleiteten Zielwerte somit bereits erfüllt. Die Falschdrahttexturierung im Labor- (ITA) sowie im semi-industriellen Maßstab (BB Engineering GmbH, Remscheid) ist ebenfalls erfolgreich. Die mechanischen Garnkennwerte der texturierten Garne (engl. Draw-Textured Yarn, DTY) werden somit verbessert und das Garnvolumen sowie das Wärmerückhaltevermögen erhöht (vgl. Abbildung 4). In der Abbildung ist bei der Nahaufnahme des DTY zu sehen, dass im Labormaßstab keine Tangelung eingebracht wurde und der Garnzusammenhalt somit noch nicht ideal ist. Das DTY aus dem Labormaßstab lässt sich jedoch bereits ohne Probleme zu einem Gestrick verarbeiten. Im semi-industriellen Maßstab werden diese Defizite zudem behoben.

Mit dem resultierenden naturfaserähnlichen, kühlen Griff ist der Einsatz im Textil nun möglich. Erste Strickversuche mit dem Labor-DTY sind beim Industriepartner FALKE KGaA, Schmallenberg, erfolgreich und bestätigen erneut das kühlende Gefühl bei Berührung des Textils. Weitere Garne werden entwickelt, damit als nächster Schritt das T-Shirt für Sportanwendungen mit aus semi-industriellen Garnen produziert und als Demonstrator validiert werden kann. Die Entwicklung der biobasierten elastischen Ausrüstung erfolgt zurzeit ebenfalls.

Zusammenfassung

Das Projekt bioPEtex stellt einen innovativen Ansatz dar, um nachhaltige Bekleidung aus biobasierten Materialien herzustellen. Durch gezielte Forschung und Entwicklung sollen sowohl ökologische als auch ökonomische Vorteile realisiert werden. Die erzielten Ergebnisse könnten dazu beitragen, den ökologischen Fußabdruck der Textilindustrie erheblich zu verringern und neue Standards für Recyclingfähigkeit in der Modebranche zu setzen. Bisher sind die Entwicklungen mit biobasierten PE-Compounds erfolgreich und glatte teilverstreckte sowie texturierte Garne können im semi-industriellen Maßstab produziert und zu einem kühlenden Gestrick verarbeitet werden. Die Validierung als Demonstrator in Form eines seamless gestrickten, biobasierten T-Shirts mit elastischer biobasierter Ausrüstung steht im weiteren Projektverlauf noch aus.

Danksagung

Wir danken dem Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) für die Förderung des Innovationsraums BIOTEXFUTURE und des Forschungsprojekts bioPEtex (FKZ: 031B1496). Zudem möchten wir allen Beteiligten in diesem Projekt für ihre Beiträge und ihr Engagement danken.

Literaturverzeichnis

  1. [AHL+21] Alberghini, M.; Hong, S.; Lozano, L. M.; Korolovych, V.; Huang, Y.; Signorato, F.; Zandavi, S. H.; Fucetola, C.; Uluturk, I.; Tolstorukov, M. Y.; Chen, G.; Asinari, P.; Osgood, R. M.; Fasano, M.; Boriskina, S. V.:
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    Comprehensive Composite Materials II: Elsevier, 2018, S. 86–126

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    Preferred Fiber and Materials Market Report 2022
    Burbank, California: 10/2022

    [Wor17] Wortberg, G.:
    Entwicklung polyethylenbasierter Precursoren für die thermochemische Stabilisierung zur Carbonfaserherstellung. Shaker Verlag, Dissertation
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AutorInnen: Mathias Ortega J. Langer R. Morgenroth M. van Haren G. Mourgas A. Langer T. Gries

Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

Clothtech Sporttech Oekotech

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06.06.2025

Kationenfunktionalisierte Chitinfasern – Entwicklung eines kontinuierlichen Spinnprozesses für ionenfunktionalisierte Biopolymerfasern auf Basis von Chitin

Rohstoffe Fasern Nachhaltigkeit

Zusammenfassung

Im Rahmen des IGF-Projektes „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ wurde erfolgreich ein kontinuierlicher, KMU-gerechter Spinnprozess zur Herstellung neuartiger, kationenfunktionalisierter Chitinfasern entwickelt. Mit diesem Verfahren war es erstmals möglich, reine Chitinfasern aus kostengünstigen Rohstoffen und unter Verwendung unbedenklicher Lösungsmittel im technisch relevanten Maßstab herzustellen. Damit konnte Chitin, eines der am häufigsten vorkommenden Biopolymere, erstmals für faserbasierte Anwendungen wirtschaftlich nutzbar gemacht werden. Durch die Funktionalisierung der Chitinfasern mit bioaktiven Ionen, insbesondere Calciumionen, wurde eine gezielte Modifikation der Fasereigenschaften erreicht. Diese Innovation ermöglichte eine deutlich verbesserte enzymatische Stabilität und damit eine kontrollierte Degradation der Fasern, wie sie für viele medizinische und textile Anwendungen erforderlich ist. Darüber hinaus eröffnete die entwickelte Technologie die Möglichkeit, maßgeschneiderte Funktionalisierungen der Chitinfasern für spezifische Anwendungen zu realisieren. Auf Basis der Projektergebnisse wurde somit unmittelbar produktvorbereitendes Basiswissen geschaffen, das die Entwicklung innovativer Produkte im Bereich der Medizintextilien, der regenerativen Medizin sowie des Tissue Engineering ermöglicht.

Bericht

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung

Die Textilindustrie steht im Spannungsfeld wachsender Anforderungen: Klimawandel, Ressourcenknappheit und ein zunehmend nachhaltigkeitsbewusstes Konsumverhalten fordern neue Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Bisher wird der Markt von synthetischen Fasern dominiert, die auf fossilen Rohstoffen basieren und damit erheblich zur Umwelt- und Klimabelastung beitragen [1–2]. Naturfasern stellen eine grünere Alternative dar, sind jedoch nicht uneingeschränkt nachhaltig. Ihr Anbau verbraucht oft sehr viel Wasser und es werden Düngemittel und Pflanzenschutzmittel eingesetzt, was ihre Umweltbilanz ebenfalls belastet [3].

In diesem Kontext rückt Chitin, das nach Cellulose zweithäufigste natürlich vorkommende Polymer, zunehmend in den Fokus als vielversprechender, bio-basierter Rohstoff mit hoher Funktionalität [4]. Es fällt in großen Mengen als Nebenprodukt in der Lebensmittelindustrie, beispielsweise bei der Verarbeitung von Krebs- und Schalentieren, an. Damit ist es nicht nur reichlich verfügbar, sondern auch kostengünstig und nachhaltig. Chitin und seine Derivate, wie beispielsweise Chitosan, weisen eine Vielzahl wünschenswerter Eigenschaften auf: Sie sind biologisch abbaubar, bioaktiv, biokompatibel und weisen aufgrund ihrer kristallinen Struktur eine hohe mechanische Festigkeit auf. Dadurch eignet es sich hervorragend für hochwertige, funktionale Textilanwendungen, z. B. im Bereich medizinischer Einwegprodukte, in dem der Bedarf kontinuierlich wächst und gleichzeitig enorme Abfallmengen anfallen. Die Herausforderung besteht jedoch in der technologischen Nutzbarmachung dieses Rohstoffs: Chitin ist aufgrund seiner teilkristallinen molekularen Struktur kaum löslich, was einerseits die positiven Funktionen des Werkstoffs ermöglicht jedoch andererseits die Weiterverarbeitung zu textilen Strukturen erheblich erschwert. Herkömmliche Lösungsansätze setzen auf aggressive und gesundheits- sowie umweltbedenkliche Lösungsmittel wie Trichloressigsäure oder LiCl/DMA. Diese führen zu Polymerabbau, Materialschwächung und aufwendigen Reinigungsschritten [5–7]. Für medizinische Anwendungen sind diese Prozesse ungeeignet und eine Skalierung in den industriellen Maßstab ist kaum umsetzbar.

Ein alternativer, deutlich nachhaltigerer Ansatz ist die Verwendung ionischer Flüssigkeiten (engl. ionic liquids, IL). Diese modernen Lösungsmittel haben das Potenzial, Chitin in Lösung zu bringen, ohne dessen Struktur zu beeinträchtigen. Allerdings sind auch hier die technologischen Barrieren hoch, sodass bisherige Prozesse überwiegend diskontinuierlich und für geringe Produktionsmengen realisiert wurden [8–10]. Somit fehlt bislang ein wirtschaftlich tragfähiger und durchgehend nachhaltiger Prozess, der die Herstellung von Chitinfasern kontinuierlich und in industriell relevanter Menge ermöglicht.

Das Ziel des IGF-Projektes 22568 „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ bestand daher in der Entwicklung eines kontinuierlichen, lösungsmittelbasierten Nassspinnverfahrens für 100 % reine Chitinmultifilamentgarne, das sowohl materialschonend als auch prozesstechnisch skalierbar ist. Durch eine integrierte Funktionalisierung mit bioaktiven Kationen (z. B. Calcium- oder Strontium-Ionen, welche die Knochenregeneration unterstützen) sollte zudem die Grundlage für die Herstellung von Funktionstextilien geschaffen werden, um neue Anwendungsfelder für Unternehmen zu eröffnen – insbesondere im wachstumsstarken Bereich der Smart und Medical Textiles.

Erzielte Ergebnisse

Im IGF-Projekt „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ wurde erfolgreich ein kontinuierlicher, KMU-gerechter Spinnprozess zur Herstellung reiner Chitinmultifilamentgarne im industriell relevanten Maßstab realisiert. Durch die gezielte Funktionalisierung mit bioaktiven Ionen konnten die Fasereigenschaften spezifisch angepasst und eine kontrollierte, enzymatische Abbaubarkeit erreicht werden. Im Folgenden werden die wesentlichen Projektergebnisse und technologischen Entwicklungen im Detail erläutert.

Prozessentwicklung für die kontinuierliche Fertigung von Chitinmultifilamentgarnen

Im Projektverlauf wurden verschiedene IL systematisch auf ihre Eignung als Lösungsmittel für die Filamenterspinnung untersucht. Die besten Ergebnisse lieferte 1-Ethyl-3-methylimidazoliumpropionat (EMIMOPr, proionic GmbH, Raaba-Grambach, AT). Diese IL konnte verschiedene untersuchte Chitinqualitäten und -provenienzen bei moderaten Temperaturen (60 – 90 °C) effizient lösen, ohne das Polymer zu degradieren. Entscheidend war dabei auch, dass EMIMOPr im späteren Prozessschritt vollständig aus den Fasern entfernt werden konnte. In Abbildung 1 sind die ermittelten FT-IR-Spektren am Beispiel des verwendeten Chitinpulvers (grau) sowie der daraus hergestellten Multifilamentgarne (rot) nach dem Spinnprozess graphisch dargestellt. Die Ergebnisse zeigten keine Veränderung der chemischen Struktur des Chitins nach dem Spinnprozess und keine Lösungsmittelspuren.

Mit dieser IL konnten stabile Spinnlösungen mit Chitinkonzentrationen zwischen 3 Gew.-% und 5 Gew.-% hergestellt werden. Um eine gute Prozessführung zu gewährleisten – insbesondere bei der Überführung in den Technikumsmaßstab – wurden die rheologischen Eigenschaften gezielt untersucht und eingestellt. Der im Labormaßstab entwickelte Spinnprozess wurde anschließend erfolgreich auf eine modulare Lösungsmittelnassspinnanlage (Fourné Maschinenbau GmbH, Alfter-Impekoven, DE) mit individuell steuerbaren Zonen für Extrusion, Koagulation, Waschen und Trocknung im semi-industriellen Technikumsmaßstab übertragen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Konfiguration der Spinndüsen, um einen stabilen Spinnprozess und eine homogene Filamentstruktur zu erzeugen.

Im Vergleich zu bisherigen Projektergebnissen und etablierten Spinnprozessen – insbesondere dem konventionellen Chitosanspinnen mit Essigsäure als Lösungsmittel [11] sowie der Verwendung von IL (z. B. 1-Ethyl-3-Methylimidazoliumacetat, EMIMOAc [12]) für Chitosan mit Deacetylierungsgraden über 70 % – zeigen die im Rahmen dieses Projektes hergestellten Chitinfilamentgarne signifikant höhere Festigkeiten von ≥ 20 N (vgl. Abbildung 3, rechts). Die erzielten mechanischen Eigenschaften übertreffen damit sämtliche in bisherigen Vorhaben erzielten Ergebnisse und unterstreichen das große Potenzial des neu entwickelten Spinnverfahrens. Der Forschungsbedarf hinsichtlich der beobachteten Wertestreuungen in Abhängigkeit von der Düsengeometrie sowie anlagenbedingte Limitierungen, die derzeit das Verspinnen von Lösungen mit höheren Viskositäten erschweren, bildet zudem eine solide Grundlage für zukünftige Projekte zur weiteren Prozessoptimierung und -weiterentwicklung.

Funktionalisierung der Chitinfasern mit bioaktiven Ionen

Ein weiteres zentrales Ziel war die Entwicklung eines Verfahrens zur in den Spinnprozess integrierten neuartigen Funktionalisierung von Chitinfasern mit bioaktiven Calcium-, Strontium- und Magnesiumionen, die zusätzliche Eigenschaften mitbringen – insbesondere für den Einsatz in medizinischen Textilien, etwa bei knochenaufbauenden Implantaten oder Wundauflagen. Hierzu wurden drei unterschiedliche methodische Ansätze konzipiert und experimentell untersucht: (1) die direkte Einbringung der Ionen in die Spinnlösung, (2) die Funktionalisierung der Filamente während der Koagulation im Fällbad sowie (3) der Vergleich dieser Inline-Methoden mit einer nachgelagerten Funktionalisierung von Chitinmonofilamenten nach der Erspinnung. Eine schematische Darstellung der untersuchten Funktionalisierungsansätze ist in Abbildung 4 am Beispiel der Funktionalisierung mit Calcium-Ionen dargestellt.

Aussichtsreiche Ergebnisse wurden insbesondere bei der Funktionalisierung direkt im Spinnprozess während der Koagulation erzielt. Durch die Zugabe von Calcium-, Magnesium- oder Strontiumsalzen in das Koagulationsbad (deionisiertes Wasser) konnten die Ionen effektiv in die noch nicht vollständig verfestigten Filamente eingebracht werden. Die Inline-Funktionalisierung ermöglichte eine gleichmäßige Ionenverteilung, ohne die mechanische Struktur der Fasern negativ zu beeinflussen.

Anhand der in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie und Forschung (u.a. Anton Paar GmbH, Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft der TUD) durchgeführten Untersuchungen wie EDX-Analysen (vgl. Abbildung 5), optische Emissionsspektrometrie (ICP-OES) (vgl. Abbildung 6), Zeta-Potential-Messungen und FTIR-Spektroskopie, wurde nachgewiesen, dass die Ionen dauerhaft in der Faserstruktur eingebunden sind, sowohl an der Oberfläche als auch im Inneren des Filaments. Insbesondere Calciumionen weisen eine hohe Affinität zu Chitin auf und bleiben auch nach längeren Wasch- und Trocknungsprozessen in der Faser erhalten. Zur Untersuchung des Ionenabgabeverhaltens bzw. der Ionenfreisetzung unter physiologisch relevanten Bedingungen wurden systematische Elutionsversuche durchgeführt. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass der Großteil der Ionen innerhalb kurzer Zeit (≤ 7 d) aus den Filamenten freigesetzt wird und nur ein geringer Restanteil langfristig in der Faserstruktur verbleibt. Im Hinblick auf potenzielle Anwendungen, beispielsweise in der Entwicklung bioaktiver Medizintextilien oder für Systeme zur gezielten Wirkstofffreisetzung, stellt das beobachtete Freisetzungsverhalten einen Vorteil dar: Die schnelle Ionenabgabe könnte entzündungshemmende, wundheilungsfördernde oder mineralisierende Effekte unmittelbar nach Applikation unterstützen und damit die Funktionalität solcher Materialien deutlich erhöhen.

Trotz der spröden Materialstruktur – eine bekannte Eigenschaft kristalliner Biopolymere, wie Chitin – konnten durch gezielte Prozessanpassung textile Flächenstrukturen realisiert werden. Insbesondere durch die Kombination mit Stützgarnen, wie Baumwolle oder Viskose, konnten Zwirne hergestellt werden, die sich anschließend zu Geweben und Gestricken weiterverarbeiten ließen. Erste Demonstratoren, u. a. Maschen- und Gewebemuster, belegten die grundsätzliche Eignung für technische und medizinische Textilanwendungen (vgl. Abbildung 7). Trotz der derzeit noch hohen Sprödigkeit des Garnmaterials zeigen die Ergebnisse ein großes Potenzial für zukünftige Anwendungen. Durch gezielte Maßnahmen, wie z. B. das Aufbringen von Schlichten oder die Kombination mit anderen bioabbaubaren Polymeren (z. B. Viskose, Cellulose, Baumwolle etc.), könnte die Flexibilität weiter verbessert werden, wodurch ein breites Anwendungsspektrum in medizinischen und technischen Textilien ermöglicht wird. Insgesamt stellt die Entwicklung einen vielversprechenden Ansatz zur Nutzung biobasierter Materialien in anspruchsvollen textilen Anwendungen dar.

 Zusammenfassung

Im Rahmen des IGF-Projektes „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ wurde erfolgreich ein kontinuierlicher, KMU-gerechter Spinnprozess zur Herstellung neuartiger, kationenfunktionalisierter Chitinfasern entwickelt. Mit diesem Verfahren war es erstmals möglich, reine Chitinfasern aus kostengünstigen Rohstoffen und unter Verwendung unbedenklicher Lösungsmittel im technisch relevanten Maßstab herzustellen. Damit konnte Chitin, eines der am häufigsten vorkommenden Biopolymere, erstmals für faserbasierte Anwendungen wirtschaftlich nutzbar gemacht werden. Durch die Funktionalisierung der Chitinfasern mit bioaktiven Ionen, insbesondere Calciumionen, wurde eine gezielte Modifikation der Fasereigenschaften erreicht. Diese Innovation ermöglichte eine deutlich verbesserte enzymatische Stabilität und damit eine kontrollierte Degradation der Fasern, wie sie für viele medizinische und textile Anwendungen erforderlich ist. Darüber hinaus eröffnete die entwickelte Technologie die Möglichkeit, maßgeschneiderte Funktionalisierungen der Chitinfasern für spezifische Anwendungen zu realisieren. Auf Basis der Projektergebnisse wurde somit unmittelbar produktvorbereitendes Basiswissen geschaffen, das die Entwicklung innovativer Produkte im Bereich der Medizintextilien, der regenerativen Medizin sowie des Tissue Engineering ermöglicht.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 22568 „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über den Projektträger DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der „Industriellen Gemeinschaftsforschung“ (IGF) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMBK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Darüber hinaus danken wir den Mitgliedern des projektbegleitenden Ausschusses für ihre Unterstützung während der Projektbearbeitung.

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AutorInnen: Kuznik, Irina Scheele, Sabrina Benecke, Lukas Kruppke, Iris Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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03.04.2025

SYSTEMATISCHE ÜBERSICHT UND ANALYSE DES AKUELLEN FORSCHUNGSSTANDS VON INTELLIGENTEN TEXTILIEN ZUR UNTERSTÜTZUNG DES MENSCHEN IM ALLTAG

Sensorik Smart Textiles Medizin

Zusammenfassung

Intelligente Textilien stehen an der Schwelle zu einem breiten Einsatz in verschiedenen Lebensbereichen. Die in dieser Arbeit untersuchten Studien verdeutlichen ihr Potenzial, insbesondere im Gesundheitswesen und der Rehabilitation. Diese Technologien haben das Potenzial, die Art und Weise zu verändern, wie wir Vitalparameter überwachen und auf gesundheitliche Herausforderungen reagieren. Zukünftige Forschungen sollten sich darauf konzentrieren, technologische Hürden wie Energieversorgung und Haltbarkeit zu überwinden.

Ein vielversprechender Ansatz ist die Entwicklung multifunktionaler Textilien, die nicht nur isolierte Anwendungen abdecken, sondern umfassende Lösungen für verschiedene Bedürfnisse bieten. Verbesserungen in der Materialwissenschaft könnten dazu beitragen, die Waschbarkeit und Langlebigkeit dieser Textilien weiter zu erhöhen. Zudem eröffnet die Standardisierung von Systemen neue Möglichkeiten für eine verbesserte Interoperabilität und breitere Akzeptanz.

Die Integration intelligenter Textilien in den Alltag könnte erhebliche Vorteile bringen – von der Entlastung des Gesundheitssystems bis hin zur Verbesserung sportlicher Leistungen. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, sind gezielte Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen erforderlich. Der Weg dorthin wird durch kontinuierliche Innovationen geebnet, die dazu beitragen können, intelligente Textilien als festen Bestandteil unseres täglichen Lebens zu etablieren.

Bericht

Abstract

Intelligente Textilien bieten ein vielversprechendes Potential, mit Anwendungen in Gesundheitswesen, Sportüberwachung und der Rehabilitation [GEE17; Edu17]. Diese Arbeit analysiert systematisch den aktuellen Forschungsstand, identifiziert Fortschritte und beleuchtet bestehende Herausforderungen. Basierend auf einer strukturierten Literaturrecherche der letzten 15 Jahre werden Entwicklungen in Sensorintegration, Energieversorgung und Benutzerakzeptanz untersucht. Die Ergebnisse zeigen Potential in der Gesundheitsüberwachung und Rehabilitation, während Einschränkungen in Messgenauigkeit, Haltbarkeit und Energieeffizienz bestehen. Zukünftige Forschung sollte sich vor Allem darauf fokussieren die Funktionalität der Produkte zu verbessern, bestehende technologischen Lücken zu schließen, sowie die Benutzerfreundlichkeit, Haltbarkeit und Ästhetik zu verbessern.

 

Einleitung

In intelligenten Textilien werden textile Materialien mit elektronischen Komponenten und Sensorik kombiniert, um physiologische Parameter kontinuierlich zu erfassen und auszuwerten [MH17;Che17]. In der folgenden Abbildung 1 ist eine allgemeine Systemarchitektur für intelligente Textilien dargestellt.

s. Abbildung 1: Allgemeine Systemarchitektur für intelligente Textilien

Diese interdisziplinären Technologien bieten Potenziale zur Verbesserung der Lebensqualität und der Gesundheitsversorgung, indem sie beispielsweise körperliche Aktivitäten oder Vitalparameter erfassen und auswerten [GEE17; Edu17; TCB+19]. Trotz des Fortschritts gibt es Herausforderungen in Bezug auf Messgenauigkeit, Benutzerfreundlichkeit, Waschbarkeit und langfristige Haltbarkeit [NSW16; Rao19].

Es gibt ein wachsendes Interesse an der Forschung zur Unterstützung der täglichen Aktivitäten des Menschen durch smarte tragbare Geräte. Ziel dieser Forschung ist es, die Belastung durch Behinderungen zu minimieren, das Auftreten chronischer Krankheiten zu reduzieren oder zu verhindern und die täglichen Aktivitäten sowie die sportliche Leistung des Menschen zu verbessern oder zu korrigieren [NSW16; Rao19].

Obwohl es Berichte über eine steigende Nachfrage nach smarten Wearables gibt, ist die Annahme und Verbreitung dieser Technologien relativ gering [ANH+18; Sul15]. Fast die Hälfte der Nutzer hört innerhalb der ersten sechs Monate auf, ihre Geräte zu verwenden, da sie möglicherweise nicht die von tragbaren Geräten versprochenen Vorteile erhalten [CA17; MJ17]. Deshalb ist ein tieferes Verständnis der Probleme und Herausforderungen von intelligenten tragbaren Geräten von entscheidender Bedeutung.

Indem der aktuelle Stand der Technik intelligenter Textilien systematisch zu analysiert wird, um und Potenziale sowie Einschränkungen aufzuzeigen, wird die Basis für tiefergehende Forschungsansätze geschaffen. Hierzu wurden 182 Primärstudien untersucht, die sich mit verschiedenen Aspekten intelligenter Textilien befassen, darunter Materialentwicklung, Energieversorgung und Sensorintegration.

 

Material und Methoden

Der methodische Ansatz basiert auf einer systematischen Literaturrecherche (SLR), um eine umfassende Analyse des aktuellen Forschungsstands zu gewährleisten. Dazu werden wissenschaftliche Publikationen aus den Datenbanken Web of Science, Scopus und IEEE ausgewertet. Die SLR-Methode wird in Anlehnung an Hanafizadeh et al. [HKK14] angewendet, um eine transparente und nachvollziehbare Vorgehensweise sicherzustellen. Ein zentraler Bestandteil dieses Ansatzes ist die Erstellung eines Review-Protokolls, das die Formulierung der Forschungsfrage, die Definition relevanter Suchbegriffe sowie die Auswahl- und Ausschlusskriterien der Studien regelt. In der folgenden Abbildung 2 ist ein solches Review-Protokoll dargestellt.

s. Abbildung 2: Review-Protokoll zur Durchführung der systematischen Literaturrecherche

 

Um eine umfassende Abdeckung des Forschungsstandes zu gewährleisten, wurde ein zweistufiger Suchprozess angewendet. Hierfür wurde die Suchstrategie von Busalim und Hussin verwendet [BH16]. Hierzu erfolgt zunächst eine automatische Suche mit gezielten Schlüsselwörtern wie "smart textiles", "wearable technology" und "sensor integration". Anschließend wird eine manuelle Vorwärts- und Rückwärtssuche nach Webster und Watson [Web02] durchgeführt, um relevante Literatur zu identifizieren, die nicht direkt durch die Schlüsselwortsuche erfasst werden.

Die Auswahl der Studien erfolgt nach klar definierten Kriterien. Berücksichtigt werden Arbeiten aus den letzten 15 Jahren, die empirische oder experimentelle Untersuchungen zu intelligenten Textilien enthalten. Ausschlusskriterien sind unter anderem theoretische Abhandlungen ohne praktische Anwendung oder Studien mit weniger als vier Seiten.

Die Analyse erfolgt anhand zentraler Bewertungskategorien, darunter Messgenauigkeit, Umweltfreundlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Haltbarkeit und Sicherheit. Die Daten werden systematisch extrahiert und in einer Excel-Datenbank kategorisiert, um eine vergleichende Analyse der untersuchten Technologien zu ermöglichen.

 

Ergebnisse

Die Analyse der 182 ausgewählten Studien zeigt signifikante Fortschritte intelligenter Textilien in verschiedenen Anwendungsbereichen. Besonders hervorzuheben sind Entwicklungen zur Überwachung des ganzen Körpers mittels eines universellen Ganzkörper-Motion-Capture-Systems [AGC21], einem intelligenten Kleidungsstück zur Unterstützung bei physiotherapeutischen Übungen [EKO+20], sowie ein multifunktionales E-Textil für Bewegungsüberwachung und Temperaturkontrolle [TFL+22].

In der Gesundheitsüberwachung ermöglichen textile Sensoren eine kontinuierliche Erfassung von Vitalparametern wie Atmung während verschiedener Aktivitäten wie Radfahren und Laufen [MDB+20; MCO+10]. Intelligente Textilien mit integrierten Elektroden zeigen vielversprechende Ergebnisse bei der präzisen Messung von EKG-Signalen. Beispielsweise wurde ein intelligentes Kleidungsstück entwickelt, das textile EKG-Trockenelektroden integriert, um genaue Herzsignale zu erfassen [LHS+22].

Eine vollständig textile Ärmelhülle mit integrierten textilen Elektroden wurde entwickelt, um EMG-Signale aufzuzeichnen und die Steuerung von myoelektrischen Prothesen zu verbessern. Diese Technologie zielt darauf ab, die Funktionalität von Hilfsmitteln für Personen mit Mobilitätseinschränkungen zu erhöhen [ASJ+22].

Im Bereich der Rehabilitation unterstützen intelligente Textilien Patienten bei der Wiederherstellung motorischer Fähigkeiten durch biomechanische Rückmeldungen und sensorbasierte Bewegungsanalysen [TTB+22].

Im Sportbereich zeigen intelligente Textilien durch die Integration von Bewegungssensoren und Muskelaktivitätsmessungen Potenzial zur Leistungsüberwachung. Beispielsweise wurde ein kapazitiver Textilsensor in Schuhsohlen integriert, um Kniegelenkswinkel während verschiedener Gehgeschwindigkeiten zu schätzen [CKM21]. Außerdem ermöglichen gestrickte Dehnungssensoren an Strumpfhosen die Erkennung von Kniebewegungsmustern, was zur Analyse sportlicher Aktivitäten beitragen kann [LMR19].

Trotz dieser Fortschritte bestehen weiterhin Herausforderungen in Bezug auf Energieversorgung, Haltbarkeit und Waschbarkeit. Eine stärkere Standardisierung und Kompatibilität der Systeme ist erforderlich, um eine breitere Akzeptanz zu erreichen [WBT+17; JGC+20].

Diskussion

Die Untersuchung der 182 Studien verdeutlicht das Potenzial intelligenter Textilien in verschiedenen Anwendungsbereichen. Besonders im Gesundheitswesen und in der Rehabilitation zeigen diese Technologien vielversprechende Ansätze zur Überwachung von Vitalparametern wie Herzfrequenz, Atmung und Körpertemperatur. Diese kontinuierliche Erfassung bietet nicht nur die Möglichkeit zur Frühdiagnose von Krankheiten, sondern auch zum effektiven Monitoring chronischer Erkrankungen. Die Integration von Sensoren in Textilien ermöglicht eine präzise Messung biophysikalischer Signale, was für die medizinische Überwachung entscheidend ist.

Im Bereich der Rehabilitation bieten intelligente Textilien Unterstützung bei der Wiederherstellung motorischer Fähigkeiten durch biomechanische Rückmeldungen und sensorbasierte Bewegungsanalysen. Tragbare Exoskelette mit textilen Sensoren könnten zukünftig physiotherapeutische Maßnahmen erheblich verbessern.

Trotz dieser Fortschritte bestehen jedoch weiterhin Herausforderungen. Die Energieversorgung bleibt ein kritischer Punkt, da viele Systeme noch nicht autark genug sind und regelmäßig aufgeladen werden müssen. Dies schränkt ihre Einsatzmöglichkeiten im Alltag ein. Ebenso ist die Haltbarkeit ein wesentlicher Faktor, insbesondere hinsichtlich der Waschbarkeit der Textilien. Eine verbesserte Materialauswahl könnte hier Abhilfe schaffen.

Ein weiterer Aspekt ist die Standardisierung innerhalb der Branche. Die Vielzahl an verfügbaren Systemen führt zu Kompatibilitätsproblemen, die eine breitere Akzeptanz behindern könnten. Um dies zu adressieren, sollten zukünftige Forschungsanstrengungen darauf abzielen, gemeinsame Standards zu entwickeln, die Interoperabilität gewährleisten.

Insgesamt zeigt sich, dass trotz bestehender Herausforderungen intelligente Textilien bereits jetzt wertvolle Unterstützung im Sport- und Gesundheitsbereich bieten können. Zukünftige Entwicklungen sollten sich darauf konzentrieren, diese Technologien weiter zu optimieren und ihre Alltagstauglichkeit zu erhöhen.

Danksagung

Der Autor bedankt sich bei der RWTH Aachen University sowie den betreuenden Dozenten für die Unterstützung und Anleitung während dieser Arbeit. Ein besonderer Dank gilt den Forschungseinrichtungen und Autoren, deren Studien zur Erstellung dieser Arbeit beigetragen haben.

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Analyzing the Past to Prepare for the Future: Writing a Literature Review (2002)

 

 

AutorInnen: Tobias Lauwigi, ITA Robin Oberlé, ITA Kai Suchorski Boyang Liu

RWTH Aachen – Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University (Germany), Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

Intelligente Bekleidung

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07.02.2025

STRUKTURIERTE ANALYSE UND KONZEPTBEWERTUNG DER STROMERZEUGUNGN IN TEXTILIEN DURCH PHYSIKALISCHE INTERAKTION MIT DEM MENSCHLICHEN KÖR-PER

Sensorik Smart Textiles Medizin

Zusammenfassung

Die Arbeit zeigt, dass Smart Textiles mit integrierten Technologien zur Stromerzeugung ein hohes Potenzial für tragbare Elektronik bieten. Triboelektrische Nanogeneratoren haben sich als besonders vielversprechend erwiesen und sollten als Ansatz für die weitere Forschung und die Entwicklung neuer Prototypen weiterverfolgt werden.

Bericht

Abstract

Diese Studie analysiert die Möglichkeiten der Energiegewinnung in textilen Materialien durch physikalische Prozesse, die während der Interaktion mit dem menschlichen Körper auftreten. Im Fokus stehen triboelektrische, piezoelektrische und thermoelektrische Nanogeneratoren. Ziel ist es, den Stand der Technik systematisch zu analysieren, die Leistungsfähigkeit und Alltagstauglichkeit der Technologien zu bewerten und ihre textile Integration zu beurteilen. Die Ergebnisse zeigen, dass triboelektrische Nanogeneratoren (TENGs) durch ihre hohe Leistungsdichte von bis zu 2 W/m², Flexibilität und unsichtbare textile Integration besonders geeignet sind. Piezoelektrische und thermoelektrische Ansätze bieten spezifische Vorteile, stoßen jedoch auf Einschränkungen hinsichtlich Materialauswahl und Herstellbarkeit. Hybride Systeme zeigen Innovationspotenzial, sind jedoch zum aktuellen Stand kostenintensiv und komplex. Die Studie unterstreicht das Potenzial energieautarker Smart Textiles in Bereichen wie Wearables für die medizinische Überwachung und Sportanwendungen. Sie betont den Forschungsbedarf an kosteneffizienten, langlebigen und biokompatiblen Materialien sowie optimierten Designs für die textile Integration.

Einleitung

Die voranschreitende Digitalisierung und die zunehmende Verbreitung von tragbarer Elektronik haben die Anforderungen an energieautarke Systeme erheblich gesteigert. Tragbare Elektronik, wie Smart Textiles, bietet die Möglichkeit, vielfältige Daten über den menschlichen Körper zu erfassen und gleichzeitig höchsten Tragekomfort zu gewährleisten. Mit dem Internet der Dinge und der Verknüpfung von Milliarden von Geräten wird eine nachhaltige und dezentrale Energieversorgung unverzichtbar. [All22]

Die vorliegende Studie widmet sich der Frage, inwiefern physikalische Prozesse des menschlichen Körpers, wie Bewegung, Körperwärme oder statische Elektrizität, für die Energiegewinnung genutzt werden können. Ziel ist es, bestehende Technologien zur Stromerzeugung zu analysieren, ihre Eignung für textile Anwendungen zu bewerten und die Potenziale für den Einsatz in Wearables aufzuzeigen. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der Untersuchung von triboelektrischen, piezoelektrischen und thermoelektrischen Nanogeneratoren sowie der Bewertung ihrer Alltagstauglichkeit und Integration in textile Strukturen. Die Studie zielt darauf ab, sowohl den aktuellen Stand der Technik als auch bestehende Defizite zu identifizieren, um künftige Forschungsarbeiten zu unterstützen.

Material und Methoden

Der methodische Ansatz dieser Arbeit stützt sich auf eine systematische Literaturrecherche basierend auf der Methodik „Guidance on Conducting a Systematic Literature Review“ von Yu et al. [Yu17], die eine umfassende Analyse des aktuellen Forschungsstands sicherstellt.

s. Abbildung 1: Prozess der systematischen Literaturrecherche nach [Yu 17]

Zunächst wurde eine Problemstellung formuliert, die sich mit der Nutzung körpernaher physikalischer Prozesse zur Energiegewinnung in Textilien auseinandersetzt. Diese diente als Grundlage für die Entwicklung eines Rechercheprotokolls, das die Auswahl relevanter Quellen sicherstellte. Einschlusskriterien wie unter anderem die textile Integration oder auch Energieautarkie wurden festgelegt. Datenbanken wurden systematisch durchsucht, und gefundene Quellen wurden nach definierten Kriterien überprüft, um qualitativ hochwertige Literatur zu sichern.

Die untersuchten Technologien umfassen triboelektrische Nanogeneratoren (TENGs), piezoelektrische Nanogeneratoren (PENGs) und thermoelektrische Generatoren (ThENGs). Die Bewertung erfolgte anhand der erzeugten Leistungsdichte, der Alltagstauglichkeit und des Integrationsgrads in Textilien. Die Ergebnisse dieser Analyse bilden die Grundlage für die Bewertung der Eignung dieser Technologien in tragbaren Anwendungen.

 

Ergebnisse

Die Analyse zeigt, dass triboelektrische Nanogeneratoren (TENGs) aufgrund ihrer hohen Leistungsdichte und Flexibilität am besten für die textile Integration geeignet sind. Mit bis zu 2 W/m² stellen sie die effizienteste Technologie für die Energiegewinnung in textilen Strukturen dar. [TMW+18] Piezoelektrische Nanogeneratoren (PENGs) bieten ebenfalls vielversprechende Ansätze, insbesondere in Anwendungen, bei denen Druckkräfte eine Rolle spielen. [Rad16] Thermoelektrische Generatoren (ThENGs) nutzen Temperaturdifferenzen, zeigen jedoch durch die notwendige Materialauswahl und die steifen Strukturen technische Einschränkungen. [Pas22]

Für thermische Stromerzeugung am menschlichen Körper wird ein Temperaturgradient benötigt, um einen möglichst hohen Wirkungsgrad zu erzielen. Abbildung 2 verdeutlicht den Aufbau schematisch. Der Thermogenerator wandelt thermische in elektrische Energie um. Kombiniert mit einer Einheit für Strom- und Batteriemanagement sichert der Thermogenerator die Stromversorgung der Applikation. Sensoren, verknüpft mit einem Kommunikationsmodul, ermöglichen die Nutzung der bereitgestellten Energie. 

s. Abbildung 2: Systemüberblick der stromerzeugenden Applikation

 

Diskussion

Die Untersuchung hebt hervor, dass TENGs durch ihre vielseitige Einsetzbarkeit und ihre einfache Integration in Textilien die vielversprechendste Technologie darstellen. Sie eignen sich besonders für Anwendungen, die auf Bewegungsenergie basieren. Dennoch bestehen Herausforderungen in der Effizienzsteigerung und der mechanischen Stabilität textilintegrierter Systeme. PENGs und ThENGs könnten durch die Entwicklung neuer Materialien und innovativer Fertigungsmethoden an Bedeutung gewinnen. Hybride Systeme wie Brennstoffzellen bieten zukunftsweisende Ansätze, deren praktische Umsetzung jedoch noch weitere Forschung erfordert.

 

Danksagung

Wir danken dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und der AIF-Forschungsgemeinschaft für die Förderung des IGF-Projektes Nr. 351EN/1.

AutorInnen: Tobias Lauwigi, ITA Sina Shari von Hagen Robin Oberlé, ITA

ITA – Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

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05.02.2025

Integral flachgestrickte Drucksensoren für smart Textiles

Gestricke & Gewirke Sensorik Smart Textiles Tests

Zusammenfassung

Im IGF-Projekt 21990 BR1 wurde das „Textiles Smart-Skin-3D-System (S3D)“ entwickelt – ein innovatives, flachgestricktes Sensorsystem, das Druck- und Näherungsmessungen nahtlos in textile Produkte integriert. Ziel war es, flexible und robuste Sensorik bereits im Herstellungsprozess einzubetten und so die Komplexität sowie potenzielle Schwachstellen herkömmlicher Mehrkomponentensysteme zu vermeiden. Hierzu wurden komplexe 3D-gestrickte Strukturen realisiert, die leitfähige Sensorgarne und gezielt eingearbeitete dielektrische Materialien wie silikonbasierte Inserts nutzen, um kapazitive Messprinzipien anzuwenden.

Die Optimierung von Garnauswahl und Strickparametern ermöglichte eine präzise Erfassung von Druckkräften und Annäherungen. Als Demonstrator wurde ein vollständig integrierter Sensorhandschuh mit 13 Sensorflächen entwickelt, der Greif- und Haltekräfte misst. Zyklische elektromechanische Prüfungen bestätigten ein stabiles Sensorverhalten. Insbesondere zeigte die Variante mit einem 1 mm starken Dielektrikum optimale Übertragungscharakteristika, geringe Hysterese und eine Sensordrift im akzeptablen Rahmen. Zusätzlich erbrachte ein textilbasierter Näherungssensor zuverlässige Messwerte für Abstände bis zu 120 mm.

Die Ergebnisse belegen das Potenzial flachgestrickter Sensoren als integraler Bestandteil smarter, tragbarer Textilien – mit Anwendungsmöglichkeiten in Telerehabilitation, Medizintechnik, Arbeitsschutz und weiteren Digitalisierungsbereichen.

Summary

In the IGF project 21990 BR1, the “Textiles Smart-Skin-3D-System (S3D)” was developed – an innovative, flat-knit sensor system that seamlessly integrates pressure and proximity measurements into textile products. The aim was to embed flexible and robust sensor technology into the manufacturing process, thereby avoiding the complexity and potential weaknesses of conventional multi-component systems. To achieve this, complex 3D-knit structures were created using conductive sensor yarns and strategically incorporated dielectric materials, such as silicone-based inserts, to implement a capacitive sensing approach.

Optimizing yarn selection and knitting parameters enabled the precise detection of pressure forces and proximity. A demonstrator in the form of a fully integrated sensor glove with 13 sensing areas was developed, capable of measuring gripping and holding forces. Cyclic electromechanical tests confirmed stable sensor performance. In particular, the variant with a 1 mm thick dielectric exhibited optimal transfer characteristics, low hysteresis, and acceptable sensor drift. Additionally, the textile-based proximity sensor reliably measured distances of up to 120 mm.

The results demonstrate the potential of flat-knit sensors as an integral component of smart, wearable textiles with applications in telerehabilitation, medical technology, occupational safety, and other digitalization sectors.

Bericht

Einleitung

Vor dem Hintergrund globaler Megatrends wie der Digitalisierung in der Medizin bestehen für die Textilindustrie große Chancen, vom erwarteten weiteren Wachstum von am Körper tragbaren, flexibel einsetzbaren und computergestützten Systemen zu profitieren. Zu dieser neuen Geräteklasse, den sogenannten Wearables, gehören Textilien, die über die klassischen Funktionen von Bekleidung oder beispielsweise Bandagen hinaus mit elektronischen Zusatzfunktionen ausgestattet sind. Da Textilien häufig die Schnittstelle zwischen dem Menschen und seiner Umwelt darstellen, sind sie prädestiniert, auch bei der Digitalisierung menschlicher Wahrnehmungen und Fähigkeiten (z. B. Bewegungen, Haptik etc.) und umgekehrt der Rückkopplung von der virtuellen in die analoge Welt eine entscheidende Brückenfunktion zu übernehmen und so als künstliche Haut (bzw. Smart Skin) bestehende optische und akustische Schnittstellen zu ergänzen.

Ein Bereich in dem smarte Textilien einen großen Zugewinn nützlicher Informationen bereitstellen, ist die Medizin und Rehabilitationstechnik. Vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung und damit einhergehend einer hohen Belastung medizinischer Versorger, die unter gleichzeitigem Personalmangel leiden, ist nicht immer ein ausreichendes Angebot in erreichbarer Nähe realisierbar. Vor allem im Bereich der medizinischen Folgebehandlungen für Physiotherapie einhergehend mit langen Transportwegen oder fehlender Transportfähigkeit des Patienten kann dies zu Heilungsverlangsam oder sogar -verhinderung führen. Eine Unterstützung von Patienten durch einen medizinischen Laien (Familienangehörige, Bekannte etc.) mit einem geringfügigen Lernaufwand soll durch den in diesem Projekt entwickelten Handschuh ermöglicht werden. Dieser ermöglicht die Überwachung von Greif- und Haltebewegungen sowie Feedback zur Korrektur. In der Telerehabilitation gibt es keine vergleichbaren Systeme, die autonom ohne Experteneinsatz arbeiten [1, 2]. Das Projekt fokussierte auf die Entwicklung multifunktionaler Druck-/ Näherungssensorik durch flachstricktechnische Verfahren. Diese ermöglichen die kostengünstige Integration in Funktionsbekleidung, aber auch in Roboterkomponenten.

Zielsetzung und Lösungsweg

Das Ziel des IGF-Forschungsprojekts war die Entwicklung, Charakterisierung und Erprobung textilbasierter Drucksensoren, die mittels Flachstricktechnik in einen Handschuh integriert werden sollten um die aufgebrachte Kraft auf den Fingergliedern und dem Handballen zu überwachen. Es wurden flächenbasierte, gestrickte Sensorkonzepte mit einem kapazitiven Messprinzip verfolgt. Die entwickelten Sensoren wurden mittels zyklischer elektromechanischer Druckprüfungen untersucht und eine Vorzugsvariante der Sensoren zur Integration in einem Funktionsdemonstrator ermittelt. Weiterhin wurden kapazitive Näherungssensoren entwickelt und evaluiert.

Ergebnisse

Entwicklung der gestrickten Drucksensoren

Für die Entwicklung der Sensoren wurde die Umsetzung eines kapazitiven Drucksensors mithilfe von Flachstricktechnik verfolgt. Die Vorteile kapazitiver Sensoren gegenüber resistiver Sensoren liegen in ihrer Unempfindlichkeit gegenüber Temperatur [3], was in einer körpernahen Anwendung von Vorteil ist. Der einfachste Aufbau eines Kondensators ist der Plattenkondensator. In diesem Aufbau sind zwei parallele Platten durch ein Dielektrikum getrennt. Durch das Aufbringen einer Druckkraft F auf diese Platten und damit ein Zusammendrücken des Dielektrikums mit der Dielektrizitätskonstante  ε ändert sich der Plattenabstand d und somit die Kapazität C wie in Abbildung 1 gezeigt. Hier wird deutlich, dass die Kapazitätsänderung ∆C indirekt proportional zur Änderung des Plattenabstands ∆d, die wiederum abhängig ist von der induzierten Kraft, dem E-Modul E und den geometrischen Maßen des Plattenkondensators mit b = Breite und l = Länge.

Für den Aufbau der gestrickten kapazitiven Sensoren wurden verschiedene Konzepte erstellt, die in Abbildung 2 dargestellt sind. Anhand einer systematischen Variantenbewertung nach ergonomischen, stricktechnischen, sensortechnischen Anforderungen und praktischer Versuchstests wurde eine Sensorvariante mit einem Insert als Dielektrikum und einer vollflächigen Elektrode aus leitfähigem Garn als Vorzugsvariante gewählt und zu einer Handschuhfinger gleichenden Doppelschlauchstruktur erweitert.

Zur Auswahl des Elektrodengarns wurden Vorversuche durchgeführt um die stricktechnische Eignung der teilweise anspruchsvoll zu verarbeitenden Garne auf Stahl- und Silberbasis zu bewerten. Hierbei wurden Garne von Statex (Shieldex® 235 f 36dtex Z130), Amann (Steel-tech® 100 tex 93, Silver-tech+® 150 tex 22) und Bekaert (Bekinox® VN 14.1.9.100Z) genutzt. In diesen Vorversuchen erwies sich Silver-tech+® 150 als Vorzugsvariante, da es sehr gut mit dem umgebenden Basismaterial aus Umwindegarn (Tencel CV Nm40 mit PA6.6 78/78f23/1) fertigungstechnisch kompatibel war.

Herstellung der Sensoren

Ziel des Projekts war die Herstellung eines Sensorhandschuhs mittels Flachstricktechnik, eine Strickmethode, die die Möglichkeit bietet Fully Fashioned Artikel in einem Arbeitsschritt herzustellen, wodurch komplizierte gestrickte Flächen endkonturnah hergestellt werden können. Um ein höchstmöglich automatisiert herstellbares Produkt zu entwickeln wurde der Drucksensor mit einem Fokus auf Vermeidung nachfolgender Konfektionierungsschritte entwickelt. Daher wurde der Drucksensor als eine Doppelschlauchstruktur konzeptioniert. Diese wird durch zwei Elemente geformt: Zum einen durch die Tasche des Sensors, zum anderen durch einen Fingerling, der eine Tragbarkeit des Sensors ermöglicht. In Abbildung 3 ist der Aufbau schematisch dargestellt. Im Sensorbereich ergibt sich daher ein dreilagiges Doppelschlauch-gestrick. Das umfasst die äußere sowie innere Elektrode und die Rückseite des Fingers. Das Dielektrikum wird durch ein Insert, welches während des Strickprozesses eingelegt wird, gebildet. Diese Variante des Konzeptes ermöglicht eine weitestgehend automatisierte Fertigung des Handschuhs an der Flachstrickmaschine ohne nachgelagerte Konfektionsschritte. Für die Einbringung des Dielektrikums ist eine Unterbrechung des Strickprozesses erforderlich.

Validierung der Sensoren

Die gestrickten kapazitiven Sensoren wurden auf ihre Eignung als Drucksensor in zyklischen elektromechanischen Messungen überprüft. Der Versuchsaufbau mit Mess- und Versuchsgeräten sowie der Prüfablauf sind in Abbildung 4 dokumentiert. Um den Einfluss des Dielektrikums zu untersuchen, wurden Sensoren mit einem 2 mm und einem 1 mm starken silikonbasierten Dielektrikum hergestellt. Aus den ermittelten Daten wurden das Übertragungsverhalten (als Zusammenhang zwischen Kompressionskraft und Sensorsignal), die Sensordrift (als Signalwerte bei Entlastung der Sensoren) und die Hysterese (als maximale Differenz zwischen Be- und Entlastungskurve über den Messbereich) berechnet (siehe Abbildung 5).

Es zeigte sich, dass beide Varianten ein stabiles Sensorverhalten aufweisen, wobei die Sensorvariante mit einem 1 mm starken Dielektrikum bessere Ergebnisse im Übertragungsverhalten und in Hysterese zeigte. Die Sensordrift lag hier etwas höher, lag aber bei beiden Varianten unter 5 % und damit in einem, für praktische Anwendungen dieser Technologie, akzeptablen Bereich. Dieser Versuch zeigte, dass das Dielektrikum einen entscheidenden Einfluss auf das Sensorverhalten hat und dieses durch die relativ kleine Anpassung des Insertmaterials für verschiedene Messbereiche und -sensitivitäten angepasst werden kann. Weitere Ausführungen, Ergebnisse und Diskussionen können aus der Publikation in [4] entnommen werden.

Näherungssensor

Das Konzept für die textile Näherungssensorik wurde mit einer einzelnen textilen gestrickten Elektrode und einem Arduino Uno umgesetzt. Für die Versuchsdurchführung wurde eine menschliche Hand als zu erfassendes Objekt an den Sensor geführt und der Abstand zwischen Hand und Sensor gemessen. In Abbildung 6 sind das Sensorsignal und korrelierte Abstände der Hand dazu gezeigt, sowie das Schaltbild dargestellt. Hierbei konnten Abstände von bis zu 120 mm zur Hand noch erfasst werden mit einer guten Signalstabilität, sodass hier eine Quantifizierung des Abstands denkbar ist.

Demonstrator

Die Vorzugsvariante für den Druck- und Näherungssensor wurde übertragen auf einen vollständig gestrickten und integral gefertigten Handschuh mit 13 Sensoren, wobei 2 Sensorflächen für Daumen, 3 Sensorflächen für Zeige- und Mittelfinger und 5 Sensorflächen auf der Handfläche für die Erfassung von Kräften realisiert wurden. Der finale Funktionsdemonstrator ist in Abbildung 7 gezeigt. Die elektrischen Zuleitungen wurden für diesen FD manuell realisiert. Eine sensorische Funktionalisierung des Ringfingers und des kleinen Fingers war durch die begrenzte Anzahl an Fadenführern innerhalb der Strickmaschine nicht möglich (max. 13 Sensorflächen). Die Signale der einzelnen Sensoren wurden mittels eines RaspberryPi 5 und einer dafür entwickelten Software ausgewertet. In verschiedenen Greiftests wurden die Sensoren validiert. Bei allen funktionsfähigen Sensoren konnte ein verlässlicher Anstieg des Signals bei Kompression erfasst werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Verwendung textiltechnischer Lösungen zur Überwachung des menschlichen Körpers und der auf ihn wirkenden Lasten ist ein vielversprechendes Forschungsfeld, das Anwendungen in der Physiotherapie, im Arbeitsschutz und in der Digitalisierung von Arbeitsprozessen ermöglicht. Im Rahmen dieses Projekts lag der Fokus auf der Entwicklung und Integration von Druck- und Näherungssensoren in textile Strukturen. Dabei wurden innovative textilbasierte Ansätze verfolgt, insbesondere die Herstellung vollständig textilintegrierter Sensoren im Fully-Fashioned-Verfahren. Im Gegensatz zu herkömmlichen Systemen, die oft aus vielen Einzelkomponenten bestehen und dadurch Schwachstellen aufweisen, bieten textilbasierte Sensorsysteme eine höhere Kompatibilität mit textilen Basissystemen und eine höhere Flexibilität. Die in dieser Arbeit entwickelten Sensoren sind vielseitig einsetzbar und können in zahlreiche textile Strukturen, und vor allem gestrickter Strukturen, diverser Form und Größe übertragen werden.

Unter Beachtung industrienaher Anforderungen, die zusammen mit den am Projekt beteiligten Industriepartnern festgelegt wurden, wurden verschiedene Konzepte für Druck- und Näherungssensoren für einen Sensorhandschuh unter Nutzung von Flachstricktechnik entwickelt. Die bevorzugte Lösung für gestrickte Druck- und Näherungssensoren basiert auf einem Doppelschlauchgestrick, das einen flexiblen Plattenkondensator darstellt. Diese Sensoren bestehen aus Elektroden aus leitfähigem Garn und einem weichen Material, beispielsweise Silikon, das als Dielektrikum dient. Dadurch, dass das Material für das Dielektrikum flexibel gewählt werden kann, sind Messbereich und -verhalten auch für andere Anwendungen mit diesem Konzept einfach zu variieren. Für die Druckmessung wurde das Ansprechverhalten der entwickelten Sensoren eingehend getestet, und ihre Stabilität analysiert und ein funktionsgerechtes Messverhalten der Sensoren im Messbereich 0 bis 10 N festgestellt.

Die Vorzugsvariante der Sensoren wurde in einem Funktionsdemonstrator mit 13 Sensorflächen umgesetzt. Dies sollte in weiteren Arbeiten um 6 weitere Sensorflächen für die einzelnen Fingergelenke von Ring- und kleinem Finger ergänzt werden. Die Anzahl der Sensorflächen war in diesem Projekt durch die Anzahl der verfügbaren Fadenführer begrenzt. Weiterhin sollte das Einlegen des dielektrischen Inserts stärker automatisiert werden um die Zeit, die benötigt wird um die Drucksensorhandschuhe zu stricken, reduziert wird.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21990 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V., Reinhardtstr. 12-14, 10117 Berlin wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Die Autoren danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Der Forschungsbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden erhältlich.

 

Literatur

 

[1]   K. Ettle et al., "Telepräsenzroboter für die Pflege und Unterstützung von Schlaganfallpatientinnen und -patienten (TePUS) im Regierungsbezirk Oberpfalz: DeinHaus 4.0," Regensburg, Jun. 2020. Accessed: Nov. 30 2020.

[2]   K. Berkenkamp, "Telerehabilitation in der Schlaganfallversorgung – Einflussfaktoren auf Adoption und Akzeptanz von klinisch tätigen Ärzten und Therapeuten," 2020.

[3]   J. Mersch, C. A. G. Cuaran, A. Vasilev, A. Nocke, C. Cherif, and G. Gerlach, "Stretchable and Compliant Textile Strain Sensors," IEEE Sensors J., vol. 21, no. 22, pp. 25632–25640, 2021, doi: 10.1109/JSEN.2021.3115973.

[4]   S. Fischer, C. Böhmer, S. Nasrin, C. Sachse, C. Cherif. Flat-Knitted Double-Tube Structure Capacitive Pressure Sensors Integrated into Fingertips of Fully Fashioned Glove Intended for Therapeutic Use. Sensors 2024, 24, 7500. https://doi.org/10.3390/s24237500

 

 

AutorInnen: Carola Bömer

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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05.02.2025

Reparatur komplex gekrümmter Faser-Kunststoff-Verbund-Bauteile in Duromerbauweise

Gestricke & Gewirke Composites Textilmaschinenbau Technische Textilien

Zusammenfassung

Das Ziel war die Entwicklung von Technologien zur Herstellung zweiachsig-gestufter, end-konturgerechter 3D-Textilpatches mit freien Fadenenden, die für die Reparatur komplex gekrümmter faserverstärkter Kunststoffbauteile (FKV) in Duromerbauweise, wie sie in der Anlagen- und Fahrzeugindustrie eingesetzt werden, geeignet sind. Dafür wurde die Mehrlagenstricktechnik (MLG) weiterentwickelt, unterstützt durch eine simulationsbasierte Prozesskette. Diese ermöglichte es, die 3D-Textilpatches passgenau und lastpfadgerecht in Schadstellen einzubringen und anschließend im Vacuum Assisted Process (VAP) zu rein-filtrieren. Für die Realisierung der 3D-Textilpatches wurden modulare Zusatzeinrichtungen für Flachstrickmaschinen entwickelt. Diese ermöglichten die gezielte Garnzuführung, Unterbrechung, Ablängen und Wiedereinführung von Kett- und Schussfäden mit definierten Längen und freien Fadenenden. Durch Variation der Strickparameter wurden optimal gestufte 3D-Textilpatches erzeugt. Diese Patches entsprachen in Geometrie, Lastpfad und Faservolumengehalt den Eigenschaften des unbeschädigten Bauteils. Zur Verankerung der 3D-Textilpatches an den Bauteilen war eine präzise Entfernung der Matrix notwendig. Dafür wurde ein UV-aktiviertes Halbleiteroxid-Verfahren zur schichtweisen, selektiven Matrixdegradation weiterentwickelt. Ein robotergeführtes System kam zum Einsatz, um das Halbleiteroxid präzise aufzutragen und die UV-Aktivierung gezielt zu steuern, um die Matrix exakt abzutragen, ohne die Randbereiche zu beschädigen. Insgesamt ermöglicht die Kombination aus simulationsgestützter Entwicklung, innovativer Textiltechnologie, chemischen Verfahren und robotergestützter Applikationen die Realisierung einer Repa-raturtechnologie, die die Tragfähigkeit komplexer 3D-FKV-Bauteile nahezu vollständig wiederherstellen und ihre Lebensdauer signifikant verlängern kann.

Bericht

1 Einleitung

Faser-Kunststoff-Verbunde (FKV) können zur konsequenten Ausnutzung des Leichtbau-potenzials beitragen, da den aus der jeweiligen Bauteilanwendung resultierenden struk-turmechanischen Anforderungen durch textile Verstärkungsstrukturen mit maßgeschnei-derten, anisotropen Eigenschaften in hohem Maße entsprochen werden kann. Zudem können FKV im Vergleich zu Metallen deutlich höhere gewichtsbezogene Steifigkeiten und Festigkeiten aufweisen. Mit dem gegenwärtig steigenden Einsatz von FKV erhöht sich auch der Bedarf an leistungsfähigen und bedarfsgerechten Reparaturkonzepten für geschä-digte Komponenten [1]. Schäden an FKV-Bauteilen resultieren vor allem aus deren Ge-brauch, z. B. durch außergewöhnliche Betriebslasten sowie Impakt- bzw. Stoßbeanspru-chungen. Als häufigste Ursachen beispielsweise in der Luftfahrt traten u. a. Impaktereig-nisse durch Vogelschlag sowie Kollisionen mit Vorfeldfahrzeugen und aufgewirbelten Teilen auf den Start- und Landebahnen auf [2]. Ebenso können Produktionsfehler, die bei sicherheitskritischen Anwendungen zu einem Ausschussbauteil führen, eine Reparatur erforderlich machen, z. B. bei lokal unvollständiger Infiltration des Laminats. Für die verfügbaren Reparaturverfahren besteht gegenwärtig noch keine flächendeckende Verbreitung sowie keine uneingeschränkte Anwendbarkeit [3]. Es wurden verschiedene Reparaturmethoden für spezielle Bauteilgruppen und Einzelfälle entwickelt, z. B. das Heraustrennen der Schadstelle und das anschließende Fügen eines neuen FKV-Patches durch Kleben bzw. Nieten, wobei die verstärkenden Endlosfasern durchtrennt und so die mechanische Leistungsfähigkeit herabgesetzt werden. Bei Klebeverbindungen muss die Reparaturfläche deshalb großflächig geschäftet werden, um eine effiziente Kraftübertragung über Schubbelastung zu gewährleisten. Damit sind solche Reparaturkonzepte vor allem für großflächige und nur leicht gekrümmte Bauteile geeignet, z. B. Flugzeugkomponenten. Komplex gekrümmte Bauteile mit hoher Wandstärke, z. B. im Anlagen- und Fahrzeugbau, sind aufgrund der notwendigen großen Schäftverhältnisse bis zu 1:60 [4, 5] und der tech-nisch herausfordernden spanenden Schäftung, z. B. durch Fräsen, vor allem im eingebau-ten Zustand des Bestandsbauteils nicht unmittelbar bzw. nur zu Lasten erheblich redu-zierter mechanischer Eigenschaften reparierbar.

Ein hohes Innovationspotenzial zur Behebung der genannten Defizite von Reparaturen gekrümmter FKV-Bauteile besitzt ein von der TU Dresden patentiertes Verfahren bei dem der Matrixwerkstoff im geschädigten Bereich chemisch durch gezielte Aktivierung von Halbleiteroxiden (HLO) mit einer gesteuerten Ultraviolett (UV)-Strahlungsquelle abgebaut und die Faserstruktur freigelegt werden [6–8]. Dieses Verfahren wurde am ITM bisher an ebenen CFK-Proben (Carbonfaserverstärkter Kunststoff) validiert [8–10] und an lediglich leicht gekrümmten, dünnwandigen Basisbauteilen erfolgreich erprobt.

Mit dem hier verfolgten Lösungsansatz sollen neuartige, biaxial gestufte, endkontur- und lastpfadgerechte 3D-Textilpatches mit freien Fadenenden im Kantenbereich zur Reparatur komplex gekrümmter 3D-FKV-Bauteile entwickelt und getestet werden. Zur Fertigung derartiger 3D-Textilpatches auf Flachstrickmaschinen sind technologisch-konstruktive Weiterentwicklungen zur Realisierung konturgerechter Stufungen mit freien Fadenenden notwendig, um eine bestmögliche Kraftübertragung zwischen Patch und Verbundbauteil sicherstellen zu können. Zur kraftschlüssigen Anbindung des 3D-Textilpatches an die Grundstruktur wird zudem das Matrixabbauverfahren so weiterentwickelt, dass ein sequentieller (d. h. schichtweiser, gestufter) 3D-Matrixabbau erfolgt. Weiterhin wird ein Simulationsmodell entwickelt mit dem der Reparaturbereich und die Patches ausgelegt werden können. Die Umsetzung der Reparatur soll zudem automatisiert mittels Robotertechnik möglich sein.


2 Stand der Forschung und Technik


2.1 Reparaturansätze für FKV

Für die Reparatur von FKV-Bauteilen sind heute vor allem folgende Strategien anwendbar: der Austausch von Bauteil(-sektion)en, die Dopplerreparatur und das Einkleben eines Reparaturpatches nach vorheriger Schäftung. Die Reparatur dünnwandiger Bauteile erfolgt mittels Doppler ohne Wiederherstellung der Oberfläche, da ein oder beidseitig Metallbleche oder FKV-Patches auf die Schadstelle geklebt oder genietet werden [11]. Bei der kontinuierlichen oder gestuften Schäftung wird die Schadstelle mechanisch händisch bzw. mittels CNC-Fräse oder laserbasiert abgetragen [12, 13]. Robotergestützte Verfahren sind vor allem für großflächige und leicht gekrümmte Strukturen in der Luftfahrt bekannt [5, 14–16]. Die Reparatur der Schadstelle erfolgt jedoch weiterhin durch Handlaminieren bzw. das Einkleben eines neuen FKV-Patches. Bei komplex gekrümmten Strukturen ist dagegen das mechanische Fräsen aufgrund der schwierigen Zugänglichkeit und der großen Schäftungsbereiche nur schwer möglich. Der Laserabtrag erfordert eine komplexe Anlagentechnik und führt zu signifikanter Faserschädigung durch thermische Einwirkung. Insgesamt fehlt also ein effizientes Verfahren zur Freilegung der Schadstelle für komplex gekrümmte Geometrien. Bei einem an der RWTH Aachen eintwickeltem Reparaturkonzept für Automobile in CFK-Bauweise wurde die Schadstelle an einem Hutprofilbauteil durch konventionelles mechanisches Schäften abgetragen und ein FKV-Patch eingeklebt [12, 17]. Dessen Herstellung erfolgte als textile Preform im Doppler-Diaphragma-Umformverfahren mit anschließender Harzinfusion und Konsolidierung. Die konsolidierten FKV-Patches wurden in die geschäftete Reparaturstelle durch mechanische Bearbeitung eingepasst und manuell eingeklebt.

Der wesentliche Nachteil der genannten FKV-Reparaturverfahren ist der trotz bestehender Automatisierungsansätze generell hohe manuelle Arbeitsaufwand, der daher bei der Übertragung auf komplex gerümmte Bauteile in der Regel zu zeit- und kostenaufwändig ist und häufig eine mangelnde Reproduzierbarkeit der Verbundqualität im Reparaturbereich erwarten lassen. Die Übertragung der Schubkräfte durch den Reparaturpatch erfordert eine großflächige Entfernung der noch intakten Verbund- und damit der textilen Verstärkungsstruktur beim Schäften weit über die eigentliche Schadstelle hinaus. Damit sind die verfügbaren Reparaturansätze hauptsächlich für großflächige und nur leicht gekrümmte Bauteile geeignet, z. B. Flugzeugrümpfe, Rotorblätter oder Bootsrümpfe. Neben Reparaturverfahren mit spanendem Abtrag gibt es auch reine Matrixentfernungsverfahren. Bei halbleiterbasierten Verfahren wird durch aktivierte Metallhalbleiteroxide eine radikalische Depolymerisation der Matrix initiiert. Mit Hilfe thermischer Aktivierung wird dies zum Recycling von CFK-Strukturen durch TSUKADA et al. eingesetzt [18]. Die Nutzung dieses Verfahrens für einen lokalen Abtrag der Matrix wurde ansatzweise durchgeführt, wobei sich die Untersuchungen ausschließlich auf thermische Betrachtungen beschränkten. Am ITM der TU Dresden wurde ein UV-induziertes Matrixabbauverfahren umgesetzt [8, 10]. Wesentliche Vorteile sind die kurzen Prozesszeiten und der faserschonende Matrixabbauprozess zur Freilegung der Fasern.


2.2 Mehrlagenstrick-Technik zur Fertigung dreidimensionaler textiler Verstärkungsstrukturen


Zur Herstellung endkonturgerechter 3D-Textilpatches ist die Mehrlagenstrick-(MLG)-Technik aufgrund der damit realisierbaren hohen Strukturdiversität in der Flächenbildung anforderungsgerechter Verstärkungsstrukturen prädestiniert, mit einem hohen Potenzial zur direkten Ausbildung endkonturnaher und anforderungsgerechter Geometrien textiler Verstärkungsstrukturen, die als verstärkte MLG-Halbzeuge mit in der Maschenstruktur in-tegrierten, belastungsgerecht angeordneten Verstärkungsfadensystemen gefertigt werden können [19–21]. Um endkonturgerechte und zur Verstärkungsrichtung in der Reparaturstelle des Bestandsbauteils passende, in Negativform gestufte 3D-Textilpatches mit freien Fadenenden zur bestmöglichen Kraftübertragung zwischen Patch und Verbundbauteil herstellen zu können, sind allerdings technologisch-konstruktive Entwicklungen der MLG-Technik erforderlich, wofür im Forschungsprojekt zwei Zusatzeinrichtungen entwickelt werden sollten.


2.3 Modellierung von textilen Verstärkungsstrukturen


Modelle für textile Strukturen auf Basis der Finite-Elemente-Methode (FEM) lassen sich in makroskopische Kontinuumsansätze und diskrete Ansätze unterscheiden, die die Mikro- bzw. Mesostruktur des Textils abbilden. In Makroskalenansätzen wird das Textil als homogenes Material mit verschmierten Eigenschaften modelliert [22–24]. Diskrete Textilmodelle auf der Mikro- oder Mesoskala bilden dagegen das textile Werkstoffverhalten über die Abbildung der Faser- oder Garnarchitektur ab [25–27]. Modellentwicklungen konzentrierten sich dabei primär auf Gewebe, Geflechte und Gelege. Gestricke und damit verstärkte FKV wurden in der Literatur bisher vergleichsweise wenig betrachtet. Modelle für unverstärkte Gestricke [28, 29] und mit starken Vereinfachungen für biaxial verstärkte Gestricke [30–32] wurden u. a. am ITM der TU Dresden vorgestellt. Die Anwendungen bezogen sich auf 2D-Gestricke, die simulativ in textilphysikalischen Charakterisierungen und Drapieruntersuchungen analysiert wurden. Die Auslegung 3D-gestrickter Verstärkungsstrukturen war bisher nicht Gegenstand der Forschung und erfordert die Entwicklung numerischer Modelle für die angestrebte Simulationskette.

3 Material und Methoden


3.1 Material


Beispielhaft soll das Reparaturverfahren für ein Faserverbund-Bauteil in CFK-Duromerbauweise und einem darauf basierenden textilen Patch dargestellt werden. Das FKV-Bauteil entspricht einer Halbkugel mit einem Durchmesser von 200 mm und einer Wandstärke von ca. 2,0 mm. Das Bauteil wurde aus einer mehrlagengestrickten Preform mit dem Lagenaufbau: 0/90/0/90/0/90 hergestellt. Materialseitig wurden die Reparaturpatches aus Kohlenstofffasern (CF) mit einer Feinheit von 800 tex in Kett- und Schussrichtung und aus einem PA6-Garn (25 tex) als Maschenfaden hergestellt.

3.2 Entwicklung eines FEM-Simulationsmodells zur Auslegung gestrickter 3D-Textilpatches


Das zu reparierende Bauteil sowie die Reparaturpatches wurden in einem Mesoskalen-FEM-Modell in der Software LS-DYNA modelliert und simuliert. Kett- und Schussfäden wurden mittels Schalenelementen und die Maschenfäden mittels Balkenelementen ins Modell implementiert. Die Matrix wurde mittels Solid-Elementen abgebildet und anschließend mit der modellierten textilen Struktur zu einem Verbundmodell kinematisch gekoppelt. Das Basistextil des Verbundbauteils bestand aus jeweils drei Kett- und Schusslagen in 0°/90°-Richtung. Zur Simulation eines Defektes wurde ein Loch mit 5 mm Durchmesser integriert. Im Defektbereich des Bauteils, in den später das 3D-Textilpatch eingebracht wird, wurden die Matrix zunächst entfernt und die Textilschichten entsprechend der Topologie des 3D-Textilpatches gestuft entfernt. Für die Untersuchung der notwendigen Überlappungslänge des Textilpatches wurden drei Stufen festgelegt. Die Überlappungslänge des Textilpatches sollte nicht zu klein sein, da dies die manuelle Handhabung erschwert. Andererseits sollte sie auch nicht zu groß sein, da dies einen erhöhten Materialbedarf mit sich bringt. Die gewählten Varianten waren 10 mm, 15 mm und 20 mm. Für die Schichten des Patches wurde eine Verstärkungsfaserorientierung 0°/90° gemäß der Faserorientierung im Ausgangsbauteil modelliert.

 

3.3 Verfahrensentwicklung zum sequentiellen 3D-Matrixabbau an gekrümmten Strukturen


Das Ziel war die Entwicklung einer selbstklebenden Halbleiteroxid-(HLO)-Formulierung für vertikale und über Kopf zu reparierenden Bauteilen. Dazu wurden drei Polymere (Polyurethan, Polyvinylalkohol und Acrylat) hinsichtlich ihrer Haftungseigenschaften untersucht. Die Polymerlösungen wurden in drei Konzentrationen in Wasser hergestellt und mit den HLO (TiO₂, CeO₂) versetzt. Die rheologische Charakterisierung zeigte für die 40 %ige PU-Formulierung stabile Viskositätswerte (160-443 mPa·s), die sich durch die HLO-Zugabe kaum veränderten und im angegebenen Bereich (20-500 mPa·s) lagen. Nur die 40 %ige Polyurethan (PU)-Lösung und die 15 ̶ 17 %ige Polyvinylalkohol(PVA)-Lösung wurden als versprühbar bewertet (max. 1000 mPa·s). Das Trocknungsverhalten der Polymerlösungen wies einen gleichmäßigen Wasserverlust und eine vollständige Trocknung nach etwa 35 Minuten auf, wobei eine Ausnahme bei der 40 %igen PU-Lösung zu verzeichnen war. Die Auswahl eines geeigneten selbsthaftenden HLO-Lösungssprühfilms für einen photokatalytischen Matrixabbau erfolgte mittels des UV-Strahlers HB2 HANDELD LED 385 nm (UVITERNO AG, Berneck/ Schweiz). Für die Verfahrensvalidierung wurde der HLO-Lösungssprühfilm mit dem HLO Ceriumdioxid (CeO2, LIFE TECHNOLOGIES GMBH, Darmstadt/ Deutschland) mit einer Menge von 0,4 mg/cm2 und einer 40% PU-Dispersion (KREMER PIGMENTE GMBH & CO. KG, Aichstetten/ Deutschland) gewählt.

3.4 Technologisch-konstruktive Entwicklung der Mehrlagenstricktechnologie zur Fertigung gestufter 3D-Textilpatches


Für die textiltechnische Herstellung der 3D-Reparaturpatches war die technologische Entwicklung der Mehrlagenstricktechnologie notwendig. Die biaxiale Abstufung, die der Faserorientierung des Bauteils entspricht, wurde durch folgende Schritte umgesetzt: (i) eine schichtweise Integration von Fasern und (ii) Zuschneiden und anschließendes Wiedereinbringen einer variierenden Anzahl von Kett- und Schussfäden mit offenen Enden. Um in den Überlappungsbereichen zwischen den freiliegenden Fadenenden im Reparaturbereich und den Verstärkungsfäden des neu einzusetzenden 3D-Textilpatches eine tragfähige Verbindung herzustellen, sind in diesen Bereichen keine Maschen vorhanden. Die Herausforderung bestand in der Entwicklung und stricktechnischen Umsetzung anforderungsgerechter Gestrickkonstruktionen durch die maschenreihenweise Interaktion mehrerer Schuss- und Maschenfadenführer. Dabei musste jeweils ein Maschenfadenführer aktiv vor der letzten einzubindenden Kettfadenlage versetzt werden, um den einzubindenden Teil des Mehrlagenaufbaus zu fixieren. Um alle vier Lagen zu fixieren, wurde der Maschenfadenführer 2 verwendet. Sollte nur die Kettfadenlage 1 mit Schussfadenlage 1 fixiert werden, wurde Maschenfadenführer 1 verwendet. In den Stufenbereichen musste die Kuliertiefe lokal angepasst werden, abhängig von der Anzahl der Kett- und Schussfäden, die in einer Masche eingebunden waren. Diese Anpassung wurde durch die Steuerung des Schlittenhubs in Kombination mit den Maschinenparametern (wie Abzug und Schlosseinstellung) analysiert. Für das gezielte und schrittweise Einbringen der Schussfäden sowie die Erzeugung der freien Fadenenden der gestuften Patches wurde eine Zusatzeinrichtung für Flachstickmaschinen entwickelt und umgesetzt. Die wesentlichen Funktionen der Zusatzeinrichtung umfassen: (i) Überfahrbarkeit über die Gestrickkante hinaus und (ii) Fixierung, Speicherung und Schneiden des Fadens. Im Rahmen eines konstruktiven Entwicklungsprozesses wurde zunächst die Funktionsstruktur sowohl der bestehenden Flachstrickmaschine als auch der Zusatzeinrichtung gestaltet. Die obere Reihe (Blautöne) zeigt den abstrahierten Funktionsablauf der Flachstrickmaschine, inklusive der Modifikationen vom Strickprozess bis zur Speicherung der Ware. Dunkelblaue Markierungen heben die gegenüber dem Standardstrickprozess abweichenden Funktionen hervor. Die untere Reihe (Lilatöne) überträgt diese abstrahierten Funktionen auf die spezifischen Prozesskomponenten und konkretisiert sie. Gemäß dem regulären Strickprozess wird der Schussfaden zunächst voreilend eingelegt und durch den Maschenfaden während der Maschenbildung fixiert. Am Ende jeder Maschenreihe wird der Schussfaden mithilfe des Schussfadenführers über die Gestrickkante hinausgeführt. Beim Richtungswechsel des Schussfadenführers wird die entstehende Umkehrschlaufe durch die Zusatzeinrichtung fixiert. Nach der Fertigung der folgenden Maschenreihe und dem Abschluss der Abzugsbewegung wird die zuvor fixierte Umkehrschlaufe von der Zusatzeinrichtung geschnitten, wodurch die gewünschten freien Fadenenden entstehen. Um eine endkonturnahe biaxiale Abstufung der 3D-Textilpatches mit freien Fadenenden in Kettrichtung zu ermöglichen, wurde eine zweite Zusatzeinrichtung entwickelt. Diese übernimmt die Funktionen Fixieren, Trennen und Wiedervorlegen der Kettfäden. Mit ihrer Hilfe konnten lagenweise definierte Kettfadenabschnitte bedarfsgerecht in die Reparaturpatches exemplarisch integriert werden. Zur technologisch-konstruktiven Erweiterung der Fadenführsysteme für die Verarbeitung von Multifilamentgarnen (z. B. Carbonrovings) wurden geeignete Konzepte erstellt. Die daraus abgeleiteten Vorzugslösungen für die Zusatzeinrichtungen wurden auf die geforderte Dynamik und erforderlichen Funktion hin entwickelt. Vor den stricktechnischen Untersuchungen wurden beide Zusatzeinrichtungen umgesetzt, mechanisch in die Flachstrickmaschine Stoll ADF-530 integriert und getestet. Weiterhin erfolgte die endkonturgerechte, stricktechnische Umsetzung der entwickelten Gestrickkonstruktionen für die Patches. Für die Herstellung der gestuften Reparatur-patches mit differierender Dicke wurden systematische Versuchsreihen geplant und durchgeführt, um die miteinander in Wechselwirkung stehenden Maschinenparameter (u.a. Kuliertiefe, Fadenspannung, Warenabzug und Strickgeschwindigkeit) und deren Einfluss auf die Struktureigenschaften (Flächenmasse, Verstärkungsfadendichte, freie Überlappungslänge, Geometrie) der 3D-Textilpatches sowie geeignete Parameterkombinationen zu ermitteln.

4 Ergebnisse und Diskusison

Simulation

Zur Patchauslegung mit verschiedenen Überlappungslängen wurde mit dem entwickelten Siumlationsmodell ein Druckversuch am FKV-Bauteil (Halbkugel) mit realitätsnahen Lagerungs- und Belastungsrandbedingungen simuliert. Die Simulation des Druckversuchs zeigt, dass bei einer Patchüberlappungslänge von 20 mm eine Wiederherstellung von 92 % der Tragfähigkeit erreicht werden kann.

Untersuchungen zum 3D-Matrixabbau

Im Rahmen der Untersuchung zum sequentiellen 3D-Matrixabau wurden die Strahlerleistung, die Abbautiefe, die Bestrahlungsdauer sowie der Abstand zwischen Bauteil und Strahler an Reinharz- (RH) und CFK-Platten analysiert. Dazu wurden HLO als Pulver oder als Sprühfilm aufgebracht und anschließend mit dem UV-Strahler bestrahlt. Die Parameter variierten zwischen Strahlerabständen von 10–45 mm, Leistungen von 20–100 % und Bestrahlungszeiten von 30–160 s in mehreren Etappen. Die Resultate der Analyse demonstrierten, dass bei einem Strahlerabstand von 25 mm kein signifikanter Matrixabbau mehr zu beobachten war. Daher wurde für die Validierungsversuche ein Abstand von 10 mm gewählt, um eine hinreichende Bestrahlungsstärke zu gewährleisten.  Eine inhomogene HLO-Verteilung führte zu einer Begrenzung des Abbaus auf einzelne Bereiche und einer Verringerung der Effizienz. Lichtmikroskopische Untersuchungen belegen, dass die Pulverauftragsmethode eine signifikant höhere Effektivität aufweist als die Sprühfilmauftragsmethode. Letztere bedingt längere Bestrahlungszeiten, um eine vergleichbare Freilegung der Einzelfilamente zu erzielen. Die Anwendung beider Methoden führte zu einer erfolgreichen Freilegung der Filamente. Thermogravimetrische Analysen (TGA) sowie lichtmikroskopischen Aufnahmen belegen, dass die Rückstände anorganischer Materialien mit steigender Bestrahlungsstärke zunehmen. Es lässt sich eine signifikante Zunahme der Rückstände nach der Bestrahlung beobachten. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer zusätzlichen Reinigung, um unerwünschte Rückstände, die sich durch die Matrixbehandlung anreichern, zu entfernen und die Effizienz der Verfahren zu sichern. Die validierten Prozessparameter wurden erfolgreich auf den photokatalytischen Matrixabbau des FKV-Bauteils angewandt. Dabei wurde der Bauteil-Strahler-Abstand von 10 mm sowie die zweistufige Behandlungsstrategie in Form von einer Bestrahlung in zwei Zeitetappen beibehalten. Die durchgeführten Untersuchungen legen nahe, dass ein mehrstufiger Abbau erforderlich sein kann, um die gewünschten freigelegten Faserbereiche zu erzielen. Die Ergebnisse der Untersuchungen belegen, dass die behandelten FKV-Proben erfolgreich freigelegte Einzelfilamente aufweisen. Mikroskopische Analysen von Rovings verdeutlichten besonders klare Freilegungen, jedoch wurden im Vergleich zur CF-Referenz leichte Abbaurückstände beobachtet. Diese könnten durch inhomogene HLO-Aufträge oder lokale Schwankungen im Matrixabbau bedingt sein.

Untersuchungen der gestrickten 3D-Textilpatches


Bei der Herstellung wurde der maßgebliche Parameter Kuliertiefe variiert und in Abhängigkeit davon die Kennwerte der textilen Strukturen ermittelt. Die Flächenmasse, die massenmäßige Zusammensetzung (entspricht Anteile Kett-, Schuss- und Maschenfäden) der zwei- und vierlagigen biaxialen Reparaturpatches und die Fadendichten zeigten keine klare Abhängigkeit vom variierten Maschinenparameter Kuliertiefe. Die Dicke der Reparaturpatches wurde gemäß DIN EN ISO 5084 und die Maschenlänge nach DIN EN 14970 bestimmt. Sowohl bei 2- als auch 4-lagigen Strukturen war über die gesteigerte Kuliertiefe ein leichter Anstieg in der Dicke und der Maschenlänge ersichtlich. Durch die gesteigerte Maschenlänge, ergab sich eine höhere Dicke des Reparaturpatches, wodurch aber aufgrund der geringen Feinheit und Dichte des Maschenfadens weder die Flächenmasse noch die weiteren zuvor bestimmten Parameter gesteigert werden konnten. Final wurden die anvisierten Reparaturpatches in verschiedenen Größen gemäß den Anforderungen und iterativen Entwicklungen umgesetzt und für die Reparatur des Bauteils eingesetzt.

5 Entwicklung und Umsetzung einer robotergestützten, automatisierten Reparaturprozesskette


Die Reparaturprozesskette wurde als roboterunterstütztes Verfahren an einem KUKA KR6 R900 6-Achs-Industrieroboter umgesetzt und erprobt. Für das FKV-Bauteil wurde dazu eine TCP (Tool-Center-Point)-Kalibrierung durchgeführt. Die exakte Position der Werkzeugspitze wurde hier erfasst und kann als Referenzpunkt für das Bewegungssteuerungssystem des Roboters verwendet werden. Die Bewegungsbahnen umfassen mehrere realisierte Segmente unter Verwendung unterschiedlicher Werkzeuge mit den folgenden Schritten:

  1. Dimensions- und ortsunabhängige robotergestützte Applikation der HLO-Formulierung auf die Schadstelle des FKV-Bauteils Für Schritt (1) wurde ein Applikationssystem für den präzisen robotergestützten Auftrag der HLO-Formulierung konzipiert und konstruktiv umgesetzt.
  2. Robotergestützte Führung des UV-Strahlers mit definiertem Abstand und orthogonaler Ausrichtung zur Bauteiloberfläche Der schichtweise Matrixabbau erfolgte in Schritt (2) an dem simulativ ermittelten Reparaturbereich mit der Strahlungsquelle und den abgeleiteten Parametern zum Matrixabbau. Die definierte 3D-Bahnführung des UV-Strahlers erfolgte robotergestützt und wurde softwarebasiert mit im Programm MATLAB erzeugten Algorithmen bauteilgerecht geplant.
  3. Nach der lagenweisen Entfernung der Matrix wurden die Fasern im simulationsgestützt ermittelten Reparaturbereich entfernt, sodass an den Rändern freigelegte freie Fadenenden für die Anbindung der Reparaturpatches erhalten blieben. Der Schneidprozess kann im Ult-raschall-Schneidverfahren präzise durchgeführt werden.
  4. Robotergestützte Neubeschlichtung des Reparaturbereichs durch initiale Oberflächenaktivierung mit einer Plasmafackel (plasmabrush PB3) und mit einem Präkursor (z. B. Hydrosize EP 871.
  5. Applikation Reparaturpatch
    Für die Applizierung des Patches wurde ein anforderungsgerechter Effektor für den Roboter entwickelt. Dieser bestand aus einer fünf Millimeter dicken Silikonmembran mit vorgesehenen Kanälen und Anschlüssen. Während der robotergestützen Patchapplikation wird der Patch über die zentrale Ansaugung mittels Unterdruck gehalten. Ist die exakte Position angefahren, wird der Unterdruck abgeschaltet und der Patch verbleibt an der entsprechenden Stelle am Reparaturbauteil. Die freiliegenden Fadenenden des Reparaturpatches lagen jeweils überlappt mit den freigelegten Fadenenden in der Reparaturstelle vor.
  6. Reinfiltration der Reparaturstelle
    Durch die anschließende Reinfiltration der Reparaturstelle mit dem Reparaturharzsystem im VAP-Verfahren wurde die Reparatur finalisiert, womit die gefertigten Reparaturpatches in die Reparaturstellen integriert wurden. In sind die entsprechenden Zustände von der Patcheinlage bis zum reinfiltrierten Zustand dargestellt. Für die Reinfiltration
    wurde der notwendige Vakuumaufbau (Fließhilfe, Lochfolie) hergestellt und durch den Effektor über den umlaufenden Ringkanal, durch das Anlegen eines Vakuums, auf der Bauteiloberfläche der Patchseite angesaugt. Der Effektor aus Schritt (5) dient somit zur einseitigen Abdichtung des Reparaturbereichs sowie zur Fixierung und exakten Ausformung der ursprünglichen 3D-Geometrie während der Konsolidierung des Reparaturbereichs auf der Patchseite. Die gegenseitige Abdichtung des Reparaturbereichs erforderte eine VAP-Membran und eine Vakuumfolie. Die Vakuumfolie kann bei ausreichend glatter Oberfläche auch durch einen weiteren wiederverwendbaren Patchapplikator ersetzt werden.

 

6 Tragfähigkeitsnachweis der Reparaturlösung


Zum Nachweis der Tragfähigkeit der reparierten im Vergleich zu ungeschädigten FKV-Proben erfolgte zunächst die Herstellung und die definierte Schädigung mittels Impact-Fall-turm. Eventuelle Fehlstellen im Reparaturbereich, z. B. Lunker, sowie die Übergangsbereiche zwischen Patch und ursprünglichem Verbund wurden durch die Anfertigung und Auswertung von Schliffbildern analysiert. Die reparierten Verbundproben wurden u. a. im Zugversuch nach DIN EN ISO 527-4 charakterisiert und jeweils gegenüber der Referenz (durchgängige Carbonfasern ohne Unterbrechung) verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass die reparierten Proben über 80 % der ursprünglichen Bruchkraft aufweisen.

7 Schlussfolgerungen


Im Ergebnis des Projektes steht eine flexible, industrietaugliche Technologie zur Umsetzung einer automatisierten Reparatur an mehrfach gekrümmten 3D-FKV-Bauteilen. Erreicht wurde dies durch den Einsatz von Oxidhalbleitern, die durch die thermisch weniger beanspruchende Anregung mit UV-Licht, einen faserschonenden Matrixabtrag als Repa-raturvorbereitung zulassen. Mit der Entwicklung einer selbstklebenden Halbleiteroxid-(HLO)-Formulierung können zukünftig auch dreidimensional, vertikale und über Kopf zu reparierende Bauteile bearbeitet werden. Durch die simulationsgestützte Auslegung und textiltechnologische Fertigung lastpfadgerechter textiler Patches zur Reparatur der Schadstelle im FKV-Bauteil mit Hilfe von insbesondere in den KMU der Textilindustrie bereits verfügbaren Textilmaschinen sind die erarbeiteten Projektergebnisse zeitnah in die industrielle Praxis übertragbar. Die Praxistauglichkeit des entwickelten Reparaturverfahrens wurde erfolgreich demonstriert.

 

Danksagung


Das IGF-Vorhaben 21985 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V., Reinhardtstr. 12-14, 10117 Ber-lin wurde über das DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

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AutorInnen: Sabrina Scheele Ti Anh My Huynh Sven Hellmann Thomas Gereke Philippa Ruth Chris-tine Kopelmann Irina Kuznik, Iris Kruppke Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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30.09.2024

Hybride Strick-Wirk-Technologie zur Umsetzung von Strukturen mit definiert einstellbarem bimodularen Verformungs- und Beanspruchungsverhalten

Gestricke & Gewirke Textilmaschinenbau Technische Textilien

Zusammenfassung

Das abgeschlossene Forschungsprojekt „GeDeKe“ der Industriellen Gemeinschaftsforschung hat eine völlig neue und hochproduktive Technologie zur Integration von Kettmaschenfäden in Flachgestricke hervorgebracht. Die Forschungsergebnisse verdeutlichen, dass das Zugverhalten durch die zusätzliche Bindung der aus dem Kettwirkverfahren bekannten Kettfäden und durch die Wahl der Bindungselemente ab 10 % Dehnung bedarfsgerecht eingestellt werden kann. Die entwickelte Technologie nutzt die nadelgenaue Maschenbildung, um Kettfäden Nadel für Nadel präzise als Masche oder Henkel in ein Standardgestrick einzubinden. Dadurch wird nicht nur eine hohe Produktivität erreicht, sondern auch eine solide Methode zur Herstellung neuer Flachstrickprodukte geschaffen.

Bericht

Einleitung und Problemstellung

Die Flachstricktechnik eignet sich für die Herstellung von individuellen, atmungsaktiven und perfekt sitzenden Produkten. Ständig neue Trends in der Sport- und Freizeitbekleidung werden geschaffen. Die maschinen- und bindungsseitig zugrundeliegenden Technologien müssen jedoch kontinuierlich weiterentwickelt werden, um die Innovationskraft weiterhin zu steigern. Im wachstumsorientierten Markt der technischen Textilien haben sich Flachgestricke in sehr unterschiedlichen Anwendungen etabliert, unter vielen anderen als Kompressionstextilien mit einem sehr hohen Marktanteil. Kompressionsstrümpfe müssen bspw. ein angepasstes Kraft-Dehnungsverhalten in Umfangsrichtung des Beins und damit ein spezifiziertes Kompressionsverhalten dauerhaft gewährleisten. Beispielsweise muss die Kompression aus medizinischen Gründen, klassenabhängig vom Fuß aufwärts zum Oberschenkel hin abnehmen. Mit zunehmender Kompression nimmt jedoch auch die zum Anziehen erforderliche Zugkraft zu, so dass sich das Gestrick während des Anziehens in Längsrichtung lokal und global dehnt. Dies führt zunehmend zur Überdehnung der Garne in den nicht-reversiblen Bereich. Nach der Entlastung verbleibt ein nicht-reversibler Dehnungsanteil in der Gestrickstruktur, was u. a. die Passform, die Dauerhaltbarkeit und damit die therapeutische Wirksamkeit über der Nutzungsdauer beeinträchtigt. Die Überdehnung führt auch dazu, dass die Maschen reißen und folglich Löcher und Laufmaschen entstehen. Mit der bisherigen Flachstricktechnologie und den etablierten Bindungen kann allerdings nur eine minimale Einstellbarkeit der Dehnung in Maschenstäbchenrichtung erreicht werden.

Zielsetzung

Ziel war es, eine fortschrittliche Flachstricktechnologie zu entwickeln, die es ermöglicht, Kettmaschenfäden nach dem Prinzip des Kettwirkens gezielt in konventionelle Gestricke einzubinden. Damit sollen die Dehnungseigenschaften in Maschenstäbchenrichtung präzise steuerbar werden, um z. B. die Dauergebrauchseigenschaften von Kompressionstextilien u.v.m. zu verbessern. Der daraus abgeleitete Forschungsbedarf umfasst die Entwicklung eines stricktechnischen Verfahrens zur Einbindung der Kettfäden, die simulationsgestützte Beanspruchungsanalyse der Gestricke mit und ohne Kettfäden, die exemplarische Umsetzung der Maschinentechnik zur Herstellung der neuen Gestricke sowie deren umfassende textilphysikalische Charakterisierung, insbesondere des damit erzielbaren Kraft-Dehnungsverhaltens.

Projektdurchführung und Ergebnisse

Mit Unterstützung von Experten aus der Industrie wurden systematisch Anforderungen und Lösungsansätze für die Bindungstechnik von Flachgestricken mit zusätzlich eingearbeiteten Kettmaschenfäden und ein daraus abgeleitetes Lastenheft entwickelt. Dieses umfasst u. a. die Definition von drei Funktionsmustern und einem repräsentativen Demonstrator. Den Ausgangspunkt bildete eine Grundstruktur, ein Rechts/Links-Standardgestrick ohne Kettfäden. Die Grundstruktur dient als Referenz für die vergleichende Charakterisierung der Kraft-Dehnungsverhaltens. Das erste Funktionsmuster entsteht durch die Integration der Kettmaschenfäden in die Grundstruktur, wobei zunächst die Integration von fünf Kettmaschenfäden vorgesehen wurde. Die weiteren Funktionsmuster resultieren aus der Integration der Kettmaschenfäden in eine bzw. in beide Deckflächen eines Abstandsflachgestricks. Aus den Funktionsmustern wurde ein repräsentativer Demonstrator abgeleitet. Angestrebt wurde ein endkonturgerechtes, kniehohes Flachgestrick, das bspw. als komplex geformtes Kompressionstextil für medizinische oder sportliche Zwecke fungiert.

Für eine umfassende Bewertung der anvisierten Einstellbarkeit der Dehnungseigenschaften wurden u. a. die Bindungselemente „Fanghenkel“ und „Plattiermasche“ untersucht. Die Abbildung 1 zeigt die daraus konzipierten Bindungen und den Fadenlauf der Grundstruktur sowie der Kettmaschenfäden. Insbesondere kombiniert die Abbildung gleichzeitig die traditionellen Darstellungsweisen von Gestrick- und Kettengewirkebindungen. Die Abbildung 1a) illustriert den Fadenlauf einer Fanghenkel-Bindung, wobei sich die untersuchten Varianten darin unterscheiden, dass der Kettfaden entweder in jeder oder in jeder dritten Maschenreihe eingebunden ist. Die dargestellten Varianten 1b) folgen demselben Konzept, nutzen jedoch das Bindungselement Plattiermasche.

Die Strickvorgänge zur Fertigung solcher Bindungen können je nach eingesetzter Maschinentechnik unterschiedlich sein. Unter Verwendung kommerzieller Flachstrickmaschinen sind immer mehrere Strickoperationen über mehrere Maschenreihen (vgl. lateinische und römische Ziffern) notwendig. Die experimentellen Arbeiten ergaben mindestens den zeitlichen Faktor 2 gegenüber der Bildung der Grundstruktur. Damit verbunden sind erhebliche Produktivitätseinschränkungen je nach Anzahl der einzubindenden Kettfäden. Im Rahmen der Anwendung von VDI-Richtlinien wurden demgegenüber Anforderungen definiert, die sicherstellen, dass die zu entwickelten Konzepte sowohl technisch als auch wirtschaftlich tragfähig sind. Eine wesentliche Forderung ist daher die Bevorzugung von Konzepten, die keine Produktivitätseinbußen mit sich bringen.

Angesichts dieser Herausforderung mussten im Rahmen der geplanten Verfahrensentwicklung Konzepte entwickelt werden, die weit über den derzeitigen Stand der Technik hinausgehen. Nach einer eingehenden Bewertung und der Berücksichtigung zusätzlicher Anforderungsspezifikationen und technischer Kriterien wurde eine technologische Vorzugslösung für die hochproduktive Integration der Kettmaschenfäden erarbeitet. Die Vorzugslösung sieht vor, dass die Kettfäden entsprechend der stricküblichen Maschenbildung Nadel für Nadel parallel zur Bildung der Grundstruktur in die jeweilige Stricknadel eingelegt und abgebunden werden. Die dazu notwendigen Bewegungen müssen somit synchron zur Bewegung jeder einzelnen Stricknadel, definiert vor- und nacheilend entsprechend der Kulierkurve des Strickschlittens und der umzusetzenden Bindungselemente erfolgen.

Die technische Umsetzung der Vorzugslösung bedarf einer komplexen technischen Einrichtung bspw. in Form eines mechanischen oder elektromechanischen Getriebes zur Bewegungsrealisierung jedes Einlegeelementes sowie synchronisierte Bewegungsabläufe zum gewöhnlichen Maschenbildungsprozess und aller damit verbundenen Funktionen u.a. Strickschlittenbewegung, Musterung, Nadelauswahl, Bindung. Die weiteren Arbeiten fokussierten die konstruktive Entwicklung und Umsetzung der Vorzugslösung vgl. Abbildung 2a) sowie deren Komplettierung zu einer modularen Einrichtung bestehend aus einem Hauptfunktionsträger (1) und der funktionalen Einrichtung (2). Eine am ITM vorhandene Handflachstrickmaschine vgl. Abbildung 2b) wurde exemplarisch damit ausgerüstet. Alle Funktionen wurden im Forschungsumfeld durch mechanische Getriebe und bindungsabhängige Steuerkurven umgesetzt.

Auf der exemplarisch realisierten Maschinentechnik erfolgte die funktionelle Erprobung u.a. die Einstellung technologischer und bindungsabhängiger Parameter. Dies betrifft die Anordnung der Bindungselemente Plattiermasche, Fanghenkel, Flottung, Flottlänge und Bindungsrapport.

Die Abbildung 3a) zeigt eine Aufnahme während der Maschenbildung von Grundstruktur und der zu bindenden Kettfäden. Die Innovation besteht darin, dass die Maschenbildung der Grundstruktur und der Kettmaschenfäden mit nur einer Strickschlittenbewegung parallel zur Bildung der Grundstruktur erfolgt. Dadurch entstehen große Produktivitätsvorteile, da Strickoperationen über mehrere Maschenreihen vermieden werden. Final wurden die geplanten Funktionsmuster mit verschiedenen Bindungskombinationen gemäß der in Abbildung 1 dargestellten Bindungen und Flottierungen umgesetzt und für weitere Arbeiten, insbesondere die wichtige Kennwertermittlung bereitgestellt. Die Abbildungen 3b) zeigen gefertigte Gestricke mit eingebundenen, teilweise flottierenden Kettfäden, die als Plattiermaschen und Fangmaschen eingebunden sind.

Die praxistaugliche Übertragbarkeit der Vorzugslösung in vollautomatische Flachstrickmaschinen z. B. unter Verwendung leistungsfähiger mechatronischer Antriebe und deren bindungsabhängige Steuerung für die erforderlichen Bewegungsabläufe wurde während der Entwicklungsarbeiten sichergestellt. Zudem wurde eine hohe Prozesssicherheit nachgewiesen. Schlittengeschwindigkeiten bis zu 3 m/s sind auf Basis der durchgeführten Berechnungen möglich, sodass beste Voraussetzungen für die industrielle Realisierung der neuen Technologie bestehen.

Um die Beanspruchung der Funktionsmuster zu charakterisieren, wurden die realisierten Varianten in Anlehnung an die Norm DIN 53835-13 statischen und dynamischen Streifenzugversuchen unterzogen. Die Abbildung 4 zeigt das statistisch abgesicherte Kraft-Dehnungsverhalten der neuen Flachgestricke mit eingebundenen Kettfäden in jeder Maschenreihe mit den Bindungselementen Fanghenkel a) und Plattiermasche b) im Vergleich zur Grundstruktur. Die Variante Fanghenkel a) zeigt einen stark progressiven Steifigkeitsanstieg mit Beginn der aufgebrachten Kraft ab 5 % Dehnung. Die zunehmende Steifigkeit wirkt der Dehnung in Längsrichtung entgegen. Die notwendige Kraft nimmt bei 25 % Dehnung um etwa den Faktor 3 gegenüber der Grundstruktur zu und wirkt damit stark dehnungsbegrenzend. Die als Plattiermasche gebundenen Kettfäden, zeigen ein anderes signifikantes Verhalten, das bis ca. 25 % Dehnung mit der Grundstruktur übereinstimmt und ab 40 % Dehnung ansteigt. Die als Fanghenkel eingebundenen Fäden ermöglichen eine hohe Versteifung der Grundstruktur, da die Fäden gestreckter liegen als die als Plattiermasche eingebundenen Fäden. Insgesamt ist die gezielte Beeinflussbarkeit der Dehnung in Maschenstäbchenrichtung festzustellen. Die integrierten Kettfäden können die Kräfte z.B. bei lokaler oder globaler Überbeanspruchung so aufnehmen, dass die Grundstruktur intakt bleibt, was die Dauerhaltbarkeit von Flachgestricken gegenüber dem Stand der Technik deutlich verlängern kann.

Der Vergleich aller Ergebnisse zeigt unverkennbar, dass das Dehnungsverhalten mittels der als Fanghenkel oder Plattiermasche eingebundenen Kettfäden durch:

  • die Nutzung steiferer Garne für die Kettfäden z.B. Umwinde- oder Flechtgarne,
  • die Erhöhung der Garnmenge bzw. Feinheit pro Kettfaden und/oder
  • die Einbeziehung von Mehrfachanordnungen der Kettfäden

breit modifizierbar ist.

Insgesamt wird der Forschungsansatz durch die umfangreiche Bereitstellung der Versuchsergebnisse bestätigt.

Lastenheftbasierend wurde im letzten Schritt der Projektdurchführung eine konventionelle Konstruktion eines Kompressionstextils für den Demonstrator zugrunde gelegt u. a. eingearbeitete elastische Umwindegarne zur Kompressionserzeugung sowie die angestrebte Mehrfachanordnung der neuen Kettmaschenfäden. Die Dehnbarkeit wurde unter Anwendung aller im Rahmen der Projektdurchführung eruierten Ergebnisse auf 50 % begrenzt, sodass eine Überbelastung des Gestricks vermieden wird und die Dauerhaltbarkeit deutlich besser gewährleistet werden kann, als durch bisherige Flachgestricke. Die Abbildung 5a) zeigt diesen Demonstrator als maschinenfallendes Flachgestrick mit 14 integrierten Kettmaschenfäden. Die Abbildung 5b) verdeutlicht das Textil nach nähtechnischer Verarbeitung passgenau auf einem zugrunde gelegten Beinmodell.

 

Damit konnte nachgewiesen werden, dass ein neues Verfahren zum gleichzeitigen Stricken und Wirken erfolgreich entwickelt wurde. Neue textile Strukturen mit definieren Eigenschaften für diverse Anwendungen können anforderungsgerecht realisiert werden.

 

Zusammenfassung

Die neu entwickelten Flachgestricke mit integrierten Kettmaschenfäden erlauben eine präzise Anpassung der Dehnungs- und Zugeigenschaften in Maschenstäbchenrichtung. Eine Möglichkeit, die zuvor nicht gegeben war, ohne gleichzeitig die Dehnungseigenschaften in der senkrechten Richtung zu beeinträchtigen. Diese Innovation ist besonders bedeutsam für die Entwicklung und Herstellung von Gestricken, da sie es Herstellern ermöglicht, ihre Produktvielfalt zu erweitern. Die Gesamttechnologie bestehend aus Vorzugskonzept und Bindung hat nicht nur in Kompressionstextilien Anwendungspotenzial, sondern in allen Maschenwaren, bei denen ein einstellbares Dehnungsverhalten in Maschenstäbchenrichtung erwünscht wird. Dies ist besonders vorteilhaft für Flachgestricke, wie z.B. Kniestrümpfe, Strumpfhosen und Leggings, die normalerweise aufgrund ihrer i.d.R. großen Dehnbarkeit in Maschenstäbchenrichtung stufenweise angezogen werden müssen. Weiterhin eröffnet das Verfahren Möglichkeiten für neue, ästhetisch ansprechende Designs in der Modeindustrie. Die Ergebnisse demonstrieren, dass das Zugverhalten so präzise eingestellt werden kann, dass Eigenschaften wie bi-modulares Kraft-Dehnungsverhalten erzeugt werden können. Intelligente Materialien, die durch die Kombination von Bimodul-Flachgestricken bspw. mit elastomeren Matrizes entstehen, könnten ebenfalls zukünftige Märkte erschließen.

 

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21967 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Die Autoren danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Weiterhin danken wir den Firmen des projektbegleitenden Ausschusses für die fachliche Unterstützung sowie allen weiteren Partnern, die in der Forschungsarbeit zu diesem Themenkreis unterstützten. Der Schlussbericht ist über den Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V., Berlin beziehbar. Weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) erhältlich.

Autor: Sven Hellmann

Kontakt: sven.hellmann@tu-dresden.de

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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21.05.2024

Aktiv verformbare Gelenke für Smart Composite Anwendungen

Gestricke & Gewirke Composites Sensorik Technische Textilien Smart Textiles

Zusammenfassung

Funktionsintegrierte aktiv verformbare Faserkunststoffverbunde, auch Smart Composites genannt, gewinnen stetig an Bedeutung und finden zunehmend Anwendung in allen volkswirtschaftlichen und technologischen Leitbranchen, wie dem Fahrzeug‑, Maschinen‑ und Anlagenbau sowie in der Medizin‑, Umwelt‑ und Luftfahrttechnik.

Im IGF-Projekt 21969 BR erfolgte am ITM die simulationsgestützte Entwicklung gestrickter 3D-Preformen zur Realisierung aktiv verformbarer 3D-Faserkunststoffverbunde mit mehrachsigem Festkörpergelenk. Dabei werden als Aktoren Drähte aus Formgedächtnislegierung eingesetzt und textiltechnisch direkt in die textilen Verstärkungsstrukturen integriert, die einmal in der Matrix eingebettet die spätere Beweglichkeit des Bauteils sicherstellen. Dadurch sind erstmalig das Leichtbaupotenzial von Hochleistungsfasern und das Leistungspotenzial textilbasierter Aktoren zur Erzielung komplexer 3D-Bewegungen in hohem Maße ausnutzbar, was langfristig zu einer deutlichen Steigerung der Energieeffizienz von Systemen und Komponenten beiträgt.

Bericht

Einleitung und Problemstellung

Im Zuge der notwendigen Etablierung nachhaltiger Lösungen besteht derzeit ein hoher Bedarf an hochbelastbaren und zugleich extrem leichten Bauteilen aus faserverstärkten Kunststoffverbunden (FKV) mit zusätzlichen Funktionalitäten. Insbesondere aktiv verformbare FKV mit strukturintegrierten Aktoren und Festkörpergelenken haben ein hohes Innovationspotenzial zur Realisierung komplexer 3D-Bewegungsaufgaben, für die herkömmliche Bewegungsmechanismen in Differentialbauweise meist eine lineare Kopplung mehrerer konventioneller Gelenke und dezentraler Antriebe erfordern, die eine hohe Massenträgheit und demzufolge einen hohen Energieverbrauch bedingen.

Zur Ausnutzung des Leichtbaupotenzials von FKV besteht daher ein hoher Bedarf an funktionsintegrierten textilen Verstärkungsstrukturen, die gleichzeitig als bedarfsgerechte Funktions- und Festigkeitsträger fungieren. Daraus herstellbare, aktiv verformbare FKV-Bauteile kommen zunehmend in industriellen Anwendungen zum Einsatz, u. a. im Maschinen‑ und Anlagenbau (z. B. Soft Robotik [1], Leichtbauroboterarme), der Medizintechnik (z. B. aktive Orthesen und Prothesen, Endoskopie-Endeffektoren), im Schiff‑ und Automobilbau (z. B. adaptive Spoiler, aktiv verformbare Hydrofoils) sowie in der Luftfahrt (z. B. morphing wings [2 – 4]). Sie weisen eine aktiv geometrisch-veränderbare äußere Form auf, die i. d. R. über eine steuerbare Modulation der inneren Morphologie des Werkstoffes oder durch strukturintegrierte Aktoren, z. B. nach thermischer Aktivierung kontrahierende Drähte aus Formgedächtnislegierung (FGL) [5], einstellbar ist. Derzeit verfügen diese Lösungen allerdings nur über Festkörpergelenke mit einem Freiheitsgrad und können damit lediglich einfache Verformungen ausführen [6 – 8]. Komplexere 3D-Bewegungen sind deshalb nur durch eine kinematische Kopplung erreichbar, d. h. durch die in Bauteillängsrichtung versetzte Anordnung mehrerer einachsiger Festkörpergelenke. Bisher sind keine geeigneten Auslegungsstrategien zur Umsetzung komplexer, mehrachsiger Bewegungen von duroplastischen 3D-FKV-Bauteilen durch textilintegrierte, mehrachsige Festkörpergelenke vorhanden.

Zielsetzung

Das Ziel des IGF-Forschungsprojektes 21969 BR war die simulationsgestützte Entwicklung, Umsetzung und Erprobung gestrickter schlauchförmiger Verstärkungshalbzeuge mit mehrachsigem Festkörpergelenk sowie strukturintegrierten Aktor- und Energieversorgungsnetzwerken zur Herstellung definiert und aktiv verformbarer 3D-FKV-Integralbauteile mit Duromermatrix, die mindestens zwei Freiheitsgraden aufweisen.

Derartige 3D-FKV-Bauteile mit biegeweichem Festkörpergelenk besitzen, analog zu biologischen Vorbildern, eine segmentierte Struktur mit zwei durch das Gelenk elastisch miteinander gekoppelten starren Segmenten (vgl. Abbildung 1). Die bei Aktivierung der FGL-Aktoren infolge der Kontraktion verrichtete Verformungsarbeit generiert ein Biegemoment um die jeweilige Gelenkachse und induziert somit entsprechende Relativbewegungen der starren FKV-Segmente.

Die wesentlichen Herausforderungen im Projekt sind die bedarfsgerechte Auslegung geeigneter Deformationsbereiche des Festkörpergelenks sowie die integrale Fertigung von funktionalisierten 3D-Verstärkungshalbzeugen als schlauchförmige Mehrlagengestricke. In diese sollen im Strickprozess sowohl FGL-Drähte als auch ein für deren elektrisch induzierte Aktivierung erforderliches Energieversorgungsnetzwerk aus leitfähigem Garnmaterial simultan integriert werden. Die FGL-Aktoren sind dabei so anzuordnen, dass das mehrachsige Festkörpergelenk mindestens zwei im Deformationsbereich konzentrierte Freiheitsgrade aufweist, die Biegeverformungen um zwei Hauptgelenkachsen zulassen. Zudem sind sie direkt während des Strickprozesses so zu verarbeiten, dass sie form‑ und kraftschlüssig in der Struktur eingebunden sind und somit eine maximale, reproduzierbare Auslenkung der aktiv verformbaren FKV-Bauteile ermöglichen.

Ergebnisse

Simulationsgestützte Strukturauslegung

Im Projekt erfolgte zunächst die Präzisierung der zu erfüllenden Anforderungen an relevante aktiv verformbare FKV-Integralbauteile ohne externe Motoren in den anvisierten Anwendungsbereichen. Nach Ableitung der Anforderungen an integral gefertigte, funktionalisierte 3D-Textilhalbzeuge mit strukturintegrierten FGL-Aktoren erfolgte eine simulationsgestützte Analyse der maximal erreichbaren Verformungen von aktiv verformbaren FKV-Bauteilen an festgelegten Funktionsmustern mittels Finiter Element Methode (FEM). Dazu wurde das Woodworth-Kaliske-FGL-Materialmodell verwendet [9], das in der Lage ist, den Formgedächtniseffekt der eingesetzten FGL-Aktoren durch direkte Vordehnung abzubilden. Aufbauend auf den Ergebnissen der FEM-Analyse wurden bindungstechnische Ansätze zur integralen Realisierung der Funktionsmuster und insbesondere zur Lösung folgender Aufgaben entwickelt:

  1. Gestaltung von biegeweichen Gelenk‑ bzw. Deformationsbereichen für eine höchstmögliche Verformung der FKV-Bauteile.
  2. Stricktechnische Einbindung der FGL-Aktoren für eine hinreichende form- und kraftschlüssige Fixierung und somit maximale Auslenkung der FKV-Bauteile.
  3. Stricktechnische Einbindung der elektrisch leitfähigen Garne für eine in-situ Kontaktierung, d. h. zuverlässige, stoffschlüssige elektrische Verbindung der FGL-Aktoren mit dem Energienetzwerk im FKV-Bauteil.

Die Ergebnisse zeigen (vgl. Abbildung 2), dass im Vergleich zu den starren Segmenten (Section#1 mit 8 Verstärkungslagen à jeweils 1.200 tex in Kett- und Schussrichtung) die entwickelten 2D-Gelenkbereiche mit nur 2 Verstärkungslagen à 1.200 tex in Kett- und Schussrichtung (Section#2) bzw. à 1.200 tex in Kettrichtung und 410 tex in Schussrichtung (Section#3) um ca. 50 % geringere Biegemodule aufweisen (Section#1: ca. 12 GPa; Section#2 und Section#3: ca. 6 GPa in Bauteillängsrichtung) und daher als Deformationsbereiche prinzipiell geeignet sind [10].

Nach Konsolidierung von 3D-FKV-Bauteilen mit Epoxidharz (EP) wurde jedoch festgestellt, dass die Biegesteifigkeit der Deformationsbereiche zu hoch ist, um eine Verformung des 3D-Bauteils zu erlauben. Das ist auf die hohe Drucksteifigkeit des EPs in Verbindung mit der gekrümmten Rohrwandung zurückzuführen, die einen hohen Verformungswiderstand bedingen, was auch die durchgeführte FEM-Analyse bestätigt. Daher wurde im Projekt ein Multi-Matrix-Ansatz verfolgt, um die Gelenk‑ bzw. Deformationsbereiche mit einem viel biegeweicheren Matrixmaterial als das EP zu versehen. Hierfür wurden während der Infiltration im VARI-Verfahren zugleich die starren Segmente mit EP konsolidiert, die Deformationsbereiche hingegen mit einem fließfähigen Polyurethan-Matrixsystem (PUR) Biresin®-407 der Firma Sika Deutschland GmbH. Dieses gießfähige Elastomer mit einer Viskosität von ca. 600 mPa·s und einer Shore-Härte A 85 weist insbesondere ein niedriges Biegemodul von ca. 2 GPa auf (vgl. PUR-Section in Abbildung 2), was eine Verformung auch von rohrförmigen 3D-FKV-Bauteilen begünstigt.

Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass durch Maschenbildung über Plattieren direkt während des Strickprozesses FGL-Aktoren und elektrisch leitfähige Garne gezielt lokal vermaschbar sind (vgl. Abbildung 3). Somit sind zugleich eine form‑ und kraftschlüssige Fixierung der FGL-Aktoren in den Textilhalbzeugen mit ca. 100 N Auszugskraft im Verbund als auch eine zuverlässige elektrische in-situ Kontaktierung (stoffschlüssige Verbindung) mit niedrigen Übergangswiderständen von ca. 5 Ω realisierbar. Grund dafür ist die im Vergleich zu gestreckten Fäden ohne Verschlingungen (z. B. Kettfaden oder Teilschuss) über die Maschenbildung deutlich größere Kontaktfläche zwischen den Funktionsgarnen. Die elektrische Leitfähigkeit wird zudem durch lokales Applizieren eines Leitklebers (Silberlack Leitsilber der Firma Kemo-Electronic GmbH) im Kontaktierungsbereich verbessert.

Damit lassen sich anhand des Multi-Matrix-Ansatzes aktiv verformbare 2D-FKV-Integralbauteile mit mehreren Deformationsbereichen sowie strukturintegrierten Aktor- und Energienetzwerken realisieren (vgl. Abbildung 4). Thermographische Untersuchungen zeigen, dass die verschiedenen Deformationsbereiche über einen einzigen FGL-Aktor durch das Energienetzwerk separat ansteuerbar sind. Die Aktivierung des FGL-Aktors über die gesamte Bauteillänge, d. h. über die zwei PUR-Deformationsbereiche, führt zu erreichbaren Verformungen von ca. 50 mm, was mittels Lasertriangulation nachgewiesen wurde.

Aktiv verformbare 3D-FKV-Integralbauteile

Das entwickelte FEM-Modell wurde anhand der Ergebnisse mechanischer Charakterisierung von 2D- und 3D-Verbundproben validiert, insb. Zug-, 4-Punkt- und 3-Punkt-Biegeversuche sowie Aktivierungsversuche, und darauf aufbauend für die Auslegung und Optimierung von aktiv verformbaren 3D-FKV-Bauteilen mit mehrachsigen Festkörpergelenken, die jeweils zwei Freiheitsgrade aufweisen, herangezogen. Dabei wurden verschiedene 3D-Gelenktopologien entworfen und mit der Realisierung aktiv verformbarer 3D-FKV-Bauteile schrittweise optimiert. Somit konnte eine Vorzugslösung für die Umsetzung eines generischen Technologiedemonstrators abgeleitet werden (vgl. Abbildung 5). Diese weist einen faltenbalgartigen PUR-Gelenkbereich auf und ermöglicht Verformungen von max. 44,8 mm, was einer Auslenkung von ca. 11° entspricht. Zur Sicherstellung einer maximalen Auslenkung des Bauteils sind dabei die FGL-Aktoren im Gelenkbereich innerhalb des FKV-Rohres freiliegend zugeführt und erst an den Extremitäten der starren FKV-Segmenten lokal fixiert. Zudem sind sie im Gelenkbereich gezielt umgelenkt, um eine exzentrische Krafteinleitung bei Kontraktion der FGL-Aktoren hervorzurufen und somit hohe Biegeverformungen zu bewirken.

Die Umsetzung und Prüfung des Technologiedemonstrators (vgl. Abbildung 6) in Form eines mehrgliedrigen, aktiv verformbaren 3D-Gelenkarms, z. B. für den Anwendungsbereich Robotik, bestätigt, dass die neuartigen, gestrickten 3D-Verstärkungshalbzeuge mit mehrachsigen Festkörpergelenken sowie strukturintegrierten FGL-Aktor- und Energienetzwerken für die flexible Herstellung aktiv verformbarer 3D-FKV-Integralbauteile sehr gut geeignet sind. Die entwickelten Gelenktopologien ermöglichen erstmalig die Realisierung mehrachsiger Festkörpergelenke mit zwei Freiheitsgraden, die komplexe 3D-Bewegungsaufgaben mit erreichbaren Bauteilverformungen von ca. 50 mm ausführen können. Dabei sind im Vergleich zu herkömmlichen Bewegungsmechanismen, die eine lineare Kopplung mehrerer Gelenke und dezentraler Antriebe mit hoher Massenträgheit und demzufolge hohem Energiebedarf erfordern, wesentliche Vorteile erreichbar, insbesondere hinsichtlich des geringeren Montageaufwandes, der Reibungs- bzw. Verschleißfreiheit und der damit weitestgehend dauerhaften Wartungsfreiheit sowie des niedrigen Energieverbrauchs der FGL-Aktoren.

Damit sind die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche und flexible Fertigung neuartiger, funktionalisierter 3D-Textilhalbzeuge für die Realisierung aktiv verformbarer 3D-FKV-Integralbauteile in reproduzierbarer Qualität geschaffen.

Zusammenfassung

Im abgeschlossenen IGF-Forschungsprojekt 21969 BR wurde erfolgreich eine auf der Flachstricktechnik basierende, flexible und industrietaugliche Fertigungstechnologie zur integralen Herstellung funktionalisierter 3D-Textilverstärkungshalbzeuge mit mehrachsigen Festkörpergelenken, strukturintegrierten Aktoren sowie für deren Aktivierung erforderlichen elektrisch leitfähigen Zuleitungen entwickelt, umgesetzt und erprobt.

Damit sind aktiv verformbare FKV-Bauteile realisierbar, die durch definiert angesteuerte Aktoren aus Formgedächtnislegierung (FGL) komplexe 3D-Bewegungen ausführen können. Dabei ermöglichen speziell gestaltete, topologisch optimierte Gelenkbereiche mit mehreren Freiheitsgraden innerhalb der textilen Verstärkungsstruktur die spätere 3D-Bewegungsaufgaben. Der geringere Montageaufwand, die Reibungs- bzw. Verschleißfreiheit und die damit weitestgehend dauerhafte Wartungsfreiheit sind erhebliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Bewegungsmechanismen, die dazu mehrere konventionelle Drehgelenke erfordern. Dadurch sind zugleich das Leichtbaupotenzial von Hochleistungsfasern und das Leistungspotenzial textilbasierter FGL-Aktoren zur Erzielung komplexer 3D-Bewegungen in hohem Maße ausnutzbar.

Potenzielle industrielle Anwendungen sind aktiv verformbare 3D-FKV-Integralbauteile, die erstmals mit intrinsischen 3D-Gelenkmechanismen ausgestattet werden können, u. a. im Maschinen- und Anlagenbau (z. B. mehrgliedrige Roboterarme), im Schiff- und Fahrzeugbau (z. B. aktiv verformbare Tragfläche oder adaptive Verstellmechanismen für Spoiler) sowie in der Medizintechnik (z. B. aktive Orthesen und Prothesen, Endoskopie-Endeffektoren). Insbesondere die KMU der Textil- und FKV-Industrie beziehen aus den Projektergebnissen den konkreten Nutzen, dass ihnen technologisches Wissen zur simulationsgestützten Konzeptionierung, Auslegung und Fertigung maßgeschneiderter Textilverstärkungshalbzeuge für aktiv verformbare 3D-FKV-Bauteile mit strukturintegrierten Festkörpergelenken bereitgestellt wird, die in den genannten Marktbereichen eine steigende Nachfrage erfahren.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21969 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Die Autoren danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel sowie den involvierten Unternehmen im projektbegleitenden Ausschuss für die fachliche Unterstützung und die Bereitstellung von Versuchsmaterial. Der Forschungsbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden erhältlich.

 

Literaturverzeichnis

[1]           Lee, J.-H.; Chung, Y.S.; Rodrigue, H.: Long Shape Memory Alloy Tendon-based Soft Robotic Actuators and Implementation as a Soft Gripper. In: Scientific Reports 9 (2019) 1, S. 11251.

[2]           Wan A Hamid, W.L.H.: Design of a Composite Morphing Wing. London: Imperial College of Science, Technology and Medicine, Department of Aeronautics. PhD Thesis, 2019.

[3]           Hajarian, A.; Zakerzadeh, M.R.; Baghani, M.: Design, analysis and testing of a smart morphing airfoil actuated by SMA wires. In: Smart Materials and Structures 28 (2019) 115043, S. 1–12.

[4]           Ashir, M.; Hindahl, J.; Nocke, A.; Cherif, C.: Development of an adaptive morphing wing based on fiber-reinforced plastics and shape memory alloys. In: Journal of Industrial Textiles 50 (2020) 1, S. 114–

129.

[5]           Suman, A.; Fabbri, E.; Fortini, A.; Merlin, M.; Pinelli, M.: On the design strategies for SMA-based morphing actuators: state of the art and common practices applied to a fascinating case study. In: Proceedings of the Institution of Mechanical Engineers, Part G: Journal of Aerospace Engineering (2020), S. 1–17.

[6]           Ashir, M.; Nocke, A.; Cherif, C.: Maximum deformation of shape memory alloy based adaptive fiber-reinforced plastics. In: Composites Science and Technology 184 (2019) 107860, S. 1–15.

[7]           Ashir, M.; Nocke, A.; Cherif, C.: Adaptive fiber-reinforced plastics based on open reed weaving and tailored fiber placement technology. In: Textile Research Journal 90 (2020) 9-10, S. 981–990.

[8]           Lohse, F.; Wende, C.; Klass, K.-D.; Hickmann, R.; Häntzsche, E.; Bollengier, Q.; Ashir, M.; Pöschel, R.; Bolk, N.; Trümper, W.; Cherif, C.: Bio-inspired semi-flexible joint based on fibre-reinforced composites with shape memory alloys. In: Journal of Intelligent Material Systems and Structures (2020), S. 1–11.

[9]           Woodworth, L.A.; Lohse, F.; Kopelmann, K.; Cherif, C.; Kaliske, M.: Development of a constitutive model considering functional fatigue and pre-stretch in shape memory alloy wires. In: International Journal of Solids and Structures 234-235 (2022), S. 111242.

[10]        Bollengier, Q.; Rabe, D.; Mersch, J.; Häntzsche, E.; Nocke, A.; Cherif, C.: Development of integrated in-situ actuator networks for the realization of flexure hinges for highly deformable fiber-reinforced plastic composites. In: Passion for Innovation. 21st World Textile Conference AUTEX 2022, Online (Lodz, Poland) (2022) - ISBN 978-83-66741-75-1, S. 440–444.

AutorInnen: Bollengier, Quentin Rabe, David Mersch, Johannes Annadata, Achyuth Ram Gereke, Thomas Häntzsche, Eric Cherif, Chokri

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01062 Dresden

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07.05.2024

Validierung und Entwicklung von Elektrospinnverfahren zur Herstellung dreidimensionaler Nanofaserstrukturen

Vliesstoffe Medizin

Zusammenfassung

Fasst man die Ergebnisse der evaluierten Spinnverfahren zusammen, so zeigt sich, dass sie erfolgreich 3D-Proben mit Dicken weit über der Mindestanforderung von 1 mm hergestellt haben. Diese Erfolge wurden jedoch von bemerkenswerten Mängeln bei verschiedenen anderen Aspekten der Proben begleitet. Das auffälligste Manko war die durchgängige Produktion von Fasern im Mikrometerbereich. Die Lösung dieses Problems ist eine Priorität für die kommenden Studien, bei denen die vorgeschlagenen Verbesserungen mit dem Ziel umgesetzt werden sollen, Faserdurchmesser im Nanometerbereich zu erreichen. Trotz dieser Herausforderungen wiesen die kryogen hergestellten Proben eine sehr gute Gleichmäßigkeit des Gerüsts auf, so dass sie sich potenziell für Anwendungen in der TE eignen. Dennoch stellt das Vorhandensein von Faserschmelzen, das auf eine unzureichende Lösungsmittelverdampfung zurückzuführen ist und mit dem Faserdurchmesser zusammenhängt, ein Hindernis dar, das gelöst werden muss.

Bericht

Abstract

Ziel dieser Studie ist die Herstellung von Nanofaservliesen mit einer stark dreidimensionalen Struktur. Dazu werden im Lösungsmittelelektrospinnen Kollektor Geometrien variiert und Proben Nachbehandlungsmethoden erarbeitet.

Der erste Teil dieser Studie umfasst die Reproduktion und Evaluation von bereits veröffentlichten Strategien zum Herstellen von dreidimensionalen Nanofaservlies Strukturen. [DMC+10] Aus diesen Versuchen werden modifizierte Kollektoren und Spinnvorgänge hergeleitet, welche konsistentere Ergebnisse und vereinfachte Versuchsaufbauten darstellen. Des Weiteren wurden auch Methoden zur Nachbehandlung von frisch gesponnenen Proben evaluiert und entwickelt. Diese Proben wurden in der Analyse auf Fasermorphologie, Gleich-mäßigkeit ihrer Dicke, Porengrößenverteilung und Porosität untersucht. Eine Analyse von REM-Bildern wurde unternommen um strukturelle Defekte zu erkennen.

Es wurden zwei zentrale Methoden zur Herstellung dreidimensionaler Nanofaservliese entwickelt, von denen eine Methode in der Lage ist bereits gesponnene Vliese um das mehrfache ihrer Dicke zu expandieren. Stabile Spinnparameter wurden zu allen Methoden gefunden, jedoch resultierten in allen Fällen Mikrofasern.

1. Einleitung

Weltweit leiden jedes Jahr Millionen von Menschen an schweren Verletzungen, genetischen Defekten und Krankheiten. Diese Ursachen können dazu führen, dass Patienten in ihrer Funktion eingeschränkt sind oder ihre Organe nicht mehr richtig funktionieren. Um die Symptome zu beheben oder die Funktion der geschädigten Organe wiederherzustellen, ist in vielen Fällen eine Implantation erforderlich. Eine solche Implantation wird derzeit mit Spenderorganen von menschlichen Spendern (Allografts), von Tieren (Xenografts) oder mit synthetischen Prothesen durchgeführt. Diese Implantate sind jedoch mit Einschränkungen verbunden. Allografts erfordern menschliches Spendergewebe, das nur in begrenzter Menge zur Verfügung steht und aufgrund der Variabilität des Gewebes selbst nicht universell geeignet ist. Xenotransplantate hingegen können in ihren physikalischen Eigenschaften nicht kontrolliert werden, sind ebenfalls nur begrenzt verfügbar und haben zudem eine kurze Lebensdauer, wenn sie implantiert werden. Und schließlich werden synthetische Prothesen häufig vom Immunsystem der Patienten abgestoßen. [Has17]

Um diesem Mangel abzuhelfen, entstand in den frühen 1980er Jahren das Tissue Engineering (TE), ein neuer Bereich der Biowissenschaften und der Medizintechnik. TE zielt darauf ab, das Problem der Verfügbarkeit von Spendergewebe zu lösen, indem das Ersatzgewebe unter Laborbedingungen künstlich gezüchtet wird. Bei der TE werden zunächst Zellen des geschädigten Gewebetyps auf ein Gerüst ausgesät, das der Morphologie des gewünschten Organs/Gewebes ähnelt. Ein solches Gerüst kann künstlich aus natürlichen oder synthetischen Polymeren (wie z.B. Polycaprolacton) hergestellt werden und bietet Bindungsstellen und Hohlräume, in denen die Zellen wachsen können. Um dann die Zellen zu vermehren und ihr Überleben zu sichern, müssen eine ausreichende Masse und der Nährstofftransport in vitro simuliert werden. Daher werden Bioreaktoren verwendet, die den Transport von Nährstoffen und Gasen durch das Gerüst ermöglichen und auch mechanische Stimuli liefern können. Gerüste spielen eine Schlüsselrolle in der TE, da sie ein Substrat für die Aussaat und das Wachstum von Zellen bieten und dem gezüchteten Gewebe mechanische Integrität verleihen. Gerüste können aus vielen Materialien mit unterschiedlichen Methoden hergestellt werden; ihr gemeinsames Ziel ist es jedoch, die natürliche extrazelluläre Matrix (EZM) genau nachzuahmen. Die EZM ist eine dreidimensionale Struktur aus nanoskaligen faserähnlichen Proteinen, Strukturmolekülen und Klebstoffmolekülen, die ein in-vivo-Gerüst für Zellen bildet. Zur Herstellung solcher Nanofasern kann das Elektrospinnen verwendet werden, da es die einfache Herstellung von nanoskaligen Fasern mit einer sehr anpassungsfähigen Fasermorphologie ermöglicht. Durch Änderung der Spinnparameter können der Faserdurchmesser, die Porengröße und auch die Ausrichtung der Fasern beeinflusst werden, was zur Herstellung von Gerüsten für bestimmte Gewebetypen genutzt werden kann. [BTA+11; BK10]

2. Materialien und Methoden

Das für alle Versuche verwendete Polycaprolacton (PCL) wird als geschreddertes Granulat gewonnen, das unter dem Markennamen Purasorb PC12 von Corbion N.V. (Amsterdam, Niederlande) verkauft wird. Dieses PCL-Granulat ist von medizinischer Qualität und hat ein mittleres Molekulargewicht von 114,14 g/mol. Als Lösungsmittel zur Herstellung der Spinnlösung wurden Chloroform und Methanol verwendet. Chloroform wird von der Carl Roth GmbH & Co. KG (Karlsruhe, Deutschland) mit einer Reinheit von ≥99 % und einer molaren Masse von 119,38 g/mol. Das Methanol wird von der VWR International GmbH (Darmstadt, Deutschland) mit einer Reinheit von ≥98,5 % und einer Molmasse von 32,04 g/mol geliefert.

Für Experimente, bei denen ein Trockeneiskollektor oder ein Flüssigkeitskollektor verwendet wird, werden Trockeneis, Ethanol und Spülmittel verwendet. Für trockeneisgekühlte Experimente wird Trockeneis in Blockform von der TBS GmbH (Aachen, Deutschland) bezogen. Für Experimente, bei denen Flüssigkollektoren verwendet werden, wird Ethanol von Sigma-Aldrich Chemie GmbH (St. Louis, Missouri, USA) mit einer Reinheit von ≥99 % und einer molaren Masse von 46,07 g/mol geliefert. Für Experimente, bei denen Wasser als Flüssigkollektor verwendet wird, wird Spülmittel unter der Bezeichnung Alio "Ultra classic" von der DALLI-WERKE GmbH & Co. KG (Stolberg, Deutschland) verkauft wird, als Tensid verwendet.

Alle Elektrospinnverfahren werden mit einer kommerziellen Elektrospinnmaschine des Typs LE-500 von BIOINICIA SL (Paterna, Spanien) durchgeführt. Die verwendeten Kollektoren werden in Kapitel 5.2, Vorversuche, beschrieben und dargestellt. Abb. 4.1 zeigt einen Überblick über die Maschine. Der Aufbau besteht darin, den Tisch der Maschine mit einem Styropor-Isolator und einer chemikalienbeständigen Kunststoffmatte vorzubereiten. Dadurch wird der Tisch während der Versuche von elektrischen Ladungen isoliert und sichergestellt, dass nur die vorgesehenen Kollektoren auf dem Tisch Hochspannung erhalten.

2.1 Morphologie der Fasern

Zur Bestimmung des Faserdurchmessers wird ein optisches Lichtmikroskop der Serie DM4000 M von Leica Microsystems GmbH (Wetzlar, Deutschland) verwendet. Die Proben werden mit Durchlicht- oder Koaxialbeleuchtung gemessen. Um Daten zum Faserdurchmesser zu erhalten, werden für jede Probe drei verschiedene Fasern gemessen. Für diese Messungen wird die Software "Leica Application Suite Version 3.8" (Leica Microsystems GmbH, Wetzlar, Deutschland) verwendet. Aus diesen Daten werden für jeden Probentyp ein mittlerer Faserdurchmesser und eine Standardabweichung berechnet.

2.2 Gerüstdicke und Gleichmäßigkeit

Für zuverlässige Messungen wurde ein Messgerät entwickelt, siehe Abb. 4.3. Es besteht aus einem Aluminiumrahmen mit befestigten Kunststoffplatten, von denen eine als Hintergrund dient und Millimeterpapier als Referenz verwendet wird. Der Rahmen dient als Kameraauflage und gewährleistet die parallele Ausrichtung mit der Hintergrundplatte. Die Proben werden an einer Krokodilklemme aufgehängt und mit einem Seitenanschlag für eine genaue Messung positioniert. ImageJ wird zur Verarbeitung der Probenbilder verwendet, wobei der Maßstab des Geräts als Größenreferenz dient. Für jede Probe werden zwei Messreihen durchgeführt, die jeweils aus drei Punkten bestehen, wie in Abb. 4.4 dargestellt. Der erste Satz bewertet die gesamte Probe, wobei 10 % von jedem Rand ausgeschlossen werden. Dies dient dazu, große Abweichungen zu vermeiden, da die Probenränder oft unregelmäßig geformt sind. Die verbleibende Länge wird in vier Abschnitte unterteilt, von denen drei gemessen werden. Der zweite Satz konzentriert sich auf einen 20 mm langen Abschnitt des breitesten und gleichmäßigsten Bereichs der Probe, an dem drei Messungen vorgenommen werden. Aus diesen Messungen lassen sich die durchschnittliche Dicke und die Standardabweichung berechnen, die als Indikatoren für die Gleichmäßigkeit der Probe dienen.

2.3 Porosität

Die Quantifizierung der Porosität erfolgt mit Hilfe von Micro-CT-Scans, die in GeoDict (Simulationssoftware für digitale Materialforschung und -entwicklung, Math2Market GmbH, Kaiserslautern, Deutschland) analysiert werden. Abb. 4.5 zeigt solche Scandaten und ein Modell in GeoDict. Aus jedem Satz von sechs Proben werden drei gleichmäßigere Proben auf der Grundlage von Dicken- und Gleichmäßigkeitsmessungen ausgewählt, wie in Kapitel 4.5.1 beschrieben. Die verbleibenden drei Proben jedes Satzes werden einer SEM-Analyse unterzogen.

Während der Mikro-CT-Scans werden die Proben in einer Halterung befestigt, um Bewegungen zu verhindern. Die Probe wird mit Röntgenstrahlen bestrahlt, während der Halter langsam rotiert. Der Scan erzeugt eine REK-Datei und Querschnittsbilder, die zur Visualisierung der 3D-Daten in GeoDict hochgeladen werden. In GeoDict definieren die Benutzer eine Hohlraumreferenz im 3D-Modell, die es dem Programm ermöglicht, das Volumen aller Poren zu identifizieren und zu berechnen. Durch den Vergleich des Gesamtvolumens mit dem Hohlraumvolumen gibt das Programm den prozentualen Anteil des Hohlraums am Fasermaterial aus, der als Porosität bezeichnet wird.

​​​​​​​2.4 Porengrößenverteilung

Für die Analyse der Porengrößenverteilung wird ein Porometer verwendet. Die Tests werden in zwei Schritten durchgeführt, zuerst mit der trockenen Probe und dann mit der gleichen Probe nach Befeuchtung mit Topor von Topas GmbH (Dresden, Deutschland). Bei der Nassprüfung wird der Bubble-Point bestimmt, der zur Berechnung des Porendurchmessers herangezogen wird. Die Porengrößenverteilung, einschließlich der mittleren Porengröße, der Standardabweichung und des Medians, wird in einer Excel-Tabelle erstellt.

​​​​​​​2.5 Rasterelektronenmiskroskop (REM)

Zur qualitativen Analyse größerer Bereiche der Probe sowie zur Erkennung von strukturellen Unregelmäßigkeiten in den Proben wird ein Rasterelektronenmikroskop verwendet. Darüber hinaus ermöglicht die REM-Bildgebung die Erkennung von Veränderungen in der Gesamtstruktur der Proben, die nach dem Schleudern im Vakuum behandelt wurden. Ähnlich wie die Porometerprüfung ist dieser Test zerstörend, daher werden nur drei Proben aus jedem Satz von sechs verwendet.

Um die Proben zu prüfen, werden sie mit Gold beschichtet. Die so vorbereiteten Proben werden in das REM gelegt, und die Bildgebung wird mit der REM-Kavität unter Vakuum gestartet. Die daraus resultierenden Bilder können einen relativ großen Bereich der Proben darstellen, ohne dass die Tiefenschärfe wie bei optischen Mikroskopen eingeschränkt ist. So kann die 3D-Struktur großer Teile der Proben in nur einem Bild dargestellt werden. Dies ermöglicht die Erkennung von Schäden in der Probenstruktur und eine qualitative Bewertung der Probenqualität.

3. Ergebnisse

Lösungs- und Scaffold-Eigenschaften

Zur Herstellung der Elektrospinnlösung wird das hygroskopische PCL-Polymer 24 Stunden lang in einem Vakuumofen bei 40 °C und 50 mbar Druck getrocknet. Die erforderliche Polymermasse (4,257 g) wird anhand der angegebenen Gleichung für eine 20-ml-Lösung mit 14 Gew.-% PCL ermittelt. Das Lösungsmittel, eine 3:1-Mischung aus Chloroform und Methanol, wird mit einem Magnetrührer in den mit dem Polymer gefüllten Kolben gegeben. Nach 24 Stunden auf einer Magnetrührerplatte wird die Lösung visuell auf ungelöstes Polymer untersucht. Ist dies nicht der Fall, kann die Lösung für Elektrospinnversuche verwendet werden. Es wurden mit Hilfe von 2 verschiedenen Elektrospinnmethoden, Vliese aus PCL hergestellt welche eine Dicke von 0,5 mm weit überschreiten.

Bei den zwei Methoden handelt es sich um folgende:

  • Elektrospinning mit einem Flüssigkeitsbadkollektor 
  • Elektrospinning auf einem mit Trockeneis versetztem Kollektor (Kryogenisch)

Für den Bau eines Flüssigkeitsbadkollektors mit einer aufgehängten Elektrode wird Aluminiumfolie verwendet, da sie leicht zugänglich ist und leicht verändert werden kann. Der Durchmesser des Becherglases wird gemessen und ein Kreis aus der Aluminiumfolie geschnitten, wobei 5 mm abgezogen werden, um einen Spalt zwischen der Elektrode und den Becherwänden zu schaffen. Zwei Streifen Alufolie werden mit Heftklammern an dem kreisförmigen Ausschnitt befestigt. Diese Streifen werden für den Anschluss an die Stromversorgung verwendet. Die Elektrode wird in das Becherglas gelegt, 15 mm über dem Boden positioniert und mit Klebeband sicher befestigt. Die Streifen werden über die Ränder des Bechers gefaltet, entlang der Außenseite des Glases geformt und unterhalb des Bechers mit Heftklammern befestigt. An der Verbindungsstelle wird eine Krokodilklemme für den Anschluss an die Hochspannungsversorgung angebracht. Dieser Aufbau wird in folgender Abbildung dargestellt.

s. Abbildung 3.1 Flüssigkeitskollektor mit eingetauchter Elektrode und REM-Aufnahme des damit hergestellten Gerüsts

Für den Bau eines Trockeneiskollektors wird eine Platte aus rostfreiem Stahl gewählt, weil sie korrosionsbeständig ist und sich für die Medizintechnik eignet. Die Platte wird in ein 12 cm langes Quadrat geschnitten und an einer Ecke wird ein Bolzen angeschweißt. An den Bolzen wird dann eine Krokodilklemme für den Anschluss an die Hochspannungsversorgung angebracht. Diese Platte wird während des Spinnvorgangs direkt auf einen Trockeneisblock gelegt. Dieser Aufbau wird ebenfalls in der folgenden Abbildung dargestellt.

s. Abbildung 3.2 Kryogener Flachkollektor und REM-Aufnahme des damit hergestellten Gerüsts

Die Bewertung der Fasermorphologie erfolgt durch drei Messungen pro Probe mit einem optischen Mikroskop. Bei sechs Proben pro Spinnverfahren ergibt dies insgesamt 18 Messungen für jeden Probentyp. Der mittlere Faserdurchmesser und die Standardabweichung für jedes Herstellungsverfahren sind in Abb. 3.3 dargestellt.

s. Abbildung 3.3 Mittlere Faserdurchmesser gruppiert nach Probentyp, einschließlich Standardabweichung

 

Bei der Auswertung der Daten wird deutlich, dass das Ziel, Faserdurchmesser ≤1 μm zu erreichen, nicht erreicht wurde. Bei allen Spinnverfahren wurde dieses Ziel um etwa das 2- bis 3-fache übertroffen, was darauf hindeutet, dass die alleinige Anpassung des Abstands zwischen Düse und Kollektor unzureichend war. Um dieses Problem zu lösen, werden iterativ Anpassungen der Spinn- und Lösungsparameter untersucht, die das Potenzial haben, mit den getesteten Produktionsmethoden Fasern in Nanometergröße herzustellen.

Die Dicke der Vliese und ihre Gleichmäßigkeit werden in Boxplots dargestellt. Jeder Probentyp umfasst 18 Messungen pro Messart. Die Linien in den Diagrammen zeigen den Bereich der Probendicke mit den maximalen und minimalen Werten an. Für die Verwendung von Tissue-Engineering (TE)-Gerüsten liegt der Schwerpunkt jedoch auf den Kästchen, die den Größenbereich von 50 % der Dickenwerte pro Probentyp darstellen. Kleinere Kästchen zeigen eine bessere Gleichmäßigkeit der Probe an, da die Hälfte der Dickenmessungen in einen engen Bereich fällt.

s. Abbildung 3.4 Boxplot der Dickenmessungen nach Messart 1 (gesamte untersuchte Probe)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle Proben die geforderte Dicke von ≥1 mm übertreffen, wobei die geringste beobachtete Dicke dieses Ziel um das Vierfache übertrifft. Kryogen hergestellte Proben weisen eine überragende Gleichmäßigkeit auf, wobei 50 % der Dicken innerhalb eines Bereichs von 0,5 mm liegen. Im Gegensatz dazu weisen andere Produktionsmethoden eine weniger gleichmäßige Verteilung auf, was sie für die Verwendung als TE-Gerüst weniger geeignet macht.

Porosität und Porengrößenverteilung der Testproben sind als Balkendiagramme mit Standardabweichungen dargestellt. Für jede Produktionsmethode wurden drei Proben getestet.

Porosität:

Die Analyse der Porositätsdaten in Abb. 2.5 zeigt, dass die Trockeneis Proben den Porenanteil der im Flüssigkeitsbad hergestellten Proben deutlich erhöht hat, und zwar um das ungefähr Dreifache. Allerdings erreicht keine der Proben die angestrebte Porosität von ≥85 %, wobei der höchste Wert bei einer Trockeneis Probe mit 31,70 % beobachtet wurde. Dies könnte Auswirkungen auf die Verwendung der Proben als TE-Gerüste haben, da die Porosität für die Anhaftung, die Permeation und das Wachstum von Zellen innerhalb des Gerüsts entscheidend ist.

s. Abbildung 3.5 Mittlere Porosität der Proben, gruppiert nach Typ, einschließlich Standardabweichung

Porengrößenverteilung:

Bei der Bewertung der Porengrößenverteilung mit einem Porometer wurde festgestellt, dass die Produktionsmethoden nur minimale Auswirkungen auf die Porengrößen der Proben hatten. Dies wird in Abb. 2.6 deutlich, wo sich die Linien, die die Standardabweichung darstellen, für fast alle Proben überschneiden. Die einzige Ausnahme ist eine Probe, die mit einem Flüssigbadkollektor hergestellt wurde; der zu große Variationskoeffizient dieser Probe (Standardabweichung im Vergleich zum Mittelwert) deutet jedoch auf Unzuverlässigkeit hin und sollte beim Vergleich von Proben und Methoden außer Acht gelassen werden. Keine der Proben mit einem guten Variationskoeffizienten konnte die angestrebte Porengröße von 20 bis 30 μm erreichen, was eine mögliche Einschränkung für die Zellpermeation in TE-Anwendungen darstellt.

s. Abbildung 3.6 Mittlere Porengrößen gruppiert nach Probenart, einschließlich Standardabweichung

Nichtsdestotrotz überschreiten die Porengrößen von ± 5 μm die standardmäßigen Porengröße von eketrogesponnenen PCL Nanofaservliese von ± 3 μm. Darauf aufbauend können iterativ Änderungen im Elektrospinnprozess vorgenommen werden, um die Porengröße der erstellten PCL Vliese zu vergrößern.

Literaturliste

[BK10]           Bhardwaj, Nandana; Kundu, Subhas C.
Electrospinning: a fascinating fiber fabrication technique
Biotechnology advances. Bd. 28 (2010) H. 3, S. 325–347

[BTA+11]      Blakeney, Bryan A.; Tambralli, Ajay; Anderson, Joel M.; Andukuri, Adinarayana; Lim, Dong-Jin; Dean, Derrick R.; Jun, Ho-Wook
Cell infiltration and growth in a low density, uncompressed three-dimensional electrospun nanofibrous scaffold
Biomaterials. Bd. 32 (2011) H. 6, S. 1583–1590

[DMC+10]    Da Alves Silva, M. L.; Martins, A.; Costa-Pinto, A. R.; Costa, P.; Faria, S.; Gomes, M.; Reis, R. L.; Neves, N. M.
Cartilage tissue engineering using electrospun PCL nanofiber meshes and MSCs
Biomacromolecules. Bd. 11 (2010) H. 12, S. 3228–3236

[Has17]         Hasan, A. (Hrsg.)
Tissue engineering for artificial organs. - Weinheim: Wiley-VCH, 201
7

 

 

AutorInnen: Schlinkmann, Robin Zanders, Roman Gries, Thomas

Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Straße 1, 52074 Aachen

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29.04.2024

Thermoplastische Schale/Rippen-Bauteile mit durchgängiger Faserverstärkung

Fasern Garne Gestricke & Gewirke Composites Technische Textilien

Zusammenfassung

Im Bereich des Automobil- und Maschinenbaus wird kontinuierlich nach Innovationen gesucht, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Ein Bereich, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, sind Schale/Rippen-Bauteile aus endlosfaserverstärktem Thermoplast. Bisherige Herstellungsverfahren sind jedoch komplex und führen zu unzureichender Faserverstärkung in den Rippen, was deren potenzielle Einsatz in hochbelastbaren Bauteil verhindert. Der Übergangsbereich zwischen der Schale und den Rippen ist besonders anfällig für strukturelle Defizite, die eine Überdimensionierung der Bauteile erfordern, um das Versagensrisiko, einschließlich Delamination, zu minimieren. Im abgeschlossenen Forschungsprojekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung wurden daher Verstärkungstextilien entwickelt, die diese Problematik lösen, indem Fasern während der Verbundbildung in anspruchsvolle 3D-Bauteilgeometrie bedarfsgerecht fließen können. Das Ergebnis ist eine gleichmäßige Endlosfaserverstärkung der Schale sowie eine durchgängige stapelfaserbasierte Verstärkung von der Schale in die Rippe sowie der Rippe selbst. Diese Technologie ermöglicht anordnungsabhängig eine Steigerung der Steifigkeit und Festigkeit thermoplastischer Bauteile um mindestens 50 % und kann unerwünschte Delaminationen verhindern.

Bericht

Einleitung und Problemstellung

Leichtbaugerechte schalenförmige Bauteile werden aus mechanischen Gründen mit Funktionsstrukturen in Form von Rippen versehen. Die Natur zeigt Vorbildlösungen z.B. die Erdnuss, die durch Schale/Rippen-Anordnungen eine anforderungsgerechte Versteifung bei gleichzeitig extrem geringer Masse ermöglicht. In allen Bereichen des Automobil- und Maschinenbaus besteht ein hoher Bedarf an lasttragenden Bauteilen aus Faser-Kunststoff-Verbunden (FKV). Die Halbschalenbauweise des Flugzeug- und Schiffbaus zeigen rippenverstärkte Strukturen nach bionischem Vorbild mit überaus lasttragenden Eigenschaften, deren Herstellung unter Verwendung arbeitsintensiver Preforming-, Komplettierungs- und Verbundbildungsprozesse unter Verwendung duroplastischer Matrix allerding kostenintensiv ist. Besonders der Einsatz von kurzfaserverstärkten Thermoplasten für mittlere und große Serien ist sehr wirtschaftlich [1 – 3], die mechanische Eigenschaften insbesondere Steifigkeit und Festigkeit sind aber stark begrenzt. Derzeit verbraucht der Bereich Fahrzeuge 7 % der gesamten Kunststoffmenge in Deutschland [4]. Zur Überwindung der werkstoffbedingten Schwachstellen werden im Schalenbereich endlosfaserbasierte Faser-Matrix-Halbzeuge wie Organobleche und UD-Tapes verarbeitet. Die damit erreichbare gerichtete Faserverstärkung in der Schale führt zu deutlich besseren mechanischen Eigenschaften, erfordert allerdings weiterhin das Anspritzen von verstärkenden Rippen [1, 2]. Weiterhin werden langfaserverstärkte Thermoplaste (LFT) industriell eingesetzt, bei denen unidirektional Faserbündel in die thermoplastische Schmelze eingebracht werden, um Schalenbereich und Rippen in Rippenrichtung zu verstärken [5]. Die Bauteilumsetzung erfordert i.d.R. kostenintensive, mehrstufige Anlagen- und Werkzeugtechnik [6]. Um die Prozesskette zu verkürzen bzw. die Komplexität der Technik zu reduzieren, werden auch glasmattenverstärkte Thermoplaste (GMT) in Direktverfahren wie das einstufige Thermoformpressen zu Schale/Rippen-Bauteile verarbeitet, was insbesondere für klein- und mittelständische Unternehmen wichtig ist.

Eine gerichtete Faserverstärkung zwischen Schale und Rippe sowie im Übergangsbereich ist verfahrensbedingt mit keinem der bisherigen Ansätze realisierbar, sodass die resultierenden Bauteile für lasttragende Anwendungen nur eingeschränkt geeignet sind. Bei Biegebeanspruchung können u.a. die Rippen von der Schale delaminieren oder die Rippen weisen einen geringen Faseranteil und eine ungerichtetete Faserorientierung auf und sind damit weniger steif.

Zielsetzung

Ziel war es, anforderungsgerecht ausgelegte Hybridgarne, die sowohl aus Endlosfilamenten für den Schalenbereich als auch aus Stapelfasern für den Rippenbereich bestehen, mit definierten Fließeigenschaften zu entwickeln und zu textilen Flächengebilden mit neuen Eigenschaften zu verarbeiten. Während einem einstufigen Thermopressprozess sollen die Fasern nach dem Aufschmelzen der matrixbildenden Hybridgarnkomponente gezielt in die Kavität der Rippe fließen. Die gewünschte Faserverstärkung soll somit während der Verbundbildung von selbst entstehen.

Ergebnisse

Zu Beginn des Projektes wurden zunächst die industriellen Anwendungsfelder für rippenverstärkte thermoplastische Schalenbauteile recherchiert. Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich u.a. bei der Realisierung von lasttragenden Bauteilen und Modulsystemen in der Automobilindustrie, z.B. Batteriegehäuse bzw. -wannen, Abdeckungen, Interieur- und Exterieurbauteile (z.B. Querträger), Front- und Heckbauteile (z.B. Stoßfänger). Hauptanwendungsgebiete sind alle Bauteile, die im Spritzgieß- oder Pressverfahren hergestellt werden und gegenüber dem Stand der Technik erhöhte Anforderungen an Steifigkeit, Festigkeit oder Zähigkeit bei gleichzeitiger Minimierung der Bauteilmasse erfüllen sollen. Darauf basierend wurden repräsentative Funktionsmuster und ein Demonstrator mit komplexer werdender Rippenstruktur definiert vgl. Abbildung 1.

Die Auswahl der zu verwendenden Ausgangsmaterialien, deren Anteile, Feinheit und Geometrie erfolgte nach physikalischen und verfahrenstechnischen Eigenschaften wie Schmelzverhalten und Viskosität, Transluzenz, Festigkeit und Steifigkeit. Die in Frage kommenden Kohlenstofffasern (CF) finden aufgrund ihrer hervorragenden mechanischen und chemischen Eigenschaften zunehmend Anwendung als Verstärkungsmaterialien im Bereich der FVK. Aufgrund der z.B. nicht realisierbaren energetischen Verwertung und des hohen Energiebedarfs bei der Herstellung von CF besteht derzeit ein großes Engagement für das Recycling dieser Fasern [7]. Letztendlich wurden mehrere Materialsysteme auf Basis von Glasfasern (GF) und recycelten Kohlefasern (rCF) ausgewählt, um die Fließbewegung bzw. die Fließwege anhand der optischen Eigenschaften (rCF-schwarz, GF-weiß transparent) im konsolidierten Bauteil überdurchschnittlich gut charakterisieren zu können. Als Verstärkungsfaserwerkstoff wurde für den Schalenbereich GF 50 Vol.% und für den Rippenbereich rCF 30 bis 50 Vol.% Typ I (Trockenfasern aus Spulenresten, Produktionsresten bzw. Verschnitt) eingesetzt. Als matrixbildende Hybridgarnkomponente wurde beispielhaft und aufgrund der etablierten Verwendung Polypropylen (PP) eingesetzt.

Unter Nutzung vorhandener Friktionsspinn- und Umwindespinntechnologien wurden im Folgenden fließfähige stapelfaserbasierte Hybridgarne aus rCF mit dem Ziel einer weitgehend parallelen Kernfaserstruktur entwickelt, umgesetzt und charakterisiert sowie Vorzugslösungen für weiterführende Arbeiten bereitgestellt. Die Hybridgarne wurden anschließend in UD-Wickelstrukturen vgl. Abbildung 2 (li.) überführt und unter zielführenden Prozessbedingungen experimentell zu ersten Schale/Rippen-Funktionsmustern mit unterschiedlichen Rippenhöhen H verarbeitet bzw. konsolidiert. Hierzu und zur Untersuchung der Fließeigenschaften der Hybridgarne war es im Vorfeld notwendig, ein modular aufgebautes Werkzeug für die Verbundbildung im Thermopressverfahren zu realisieren und alle dafür notwendigen Prozesseinstellungen zu ermitteln.

Die Hybridgarne füllen während des Pressvorgangs bei vergleichsweise geringem Druck von ca. 2 MPa die gesamte Werkzeugkavität der Rippe vollständig bis zu einem Faservolumengehalt rCF/PP von derzeit 70/30 Vol.%. Die Abbildung 2 (re.) zeigt ein Ergebnis anhand Funktionsmuster FM1, bei dem die Rippe durch die anvisierten Fließeigenschaften während des Pressvorgangs mit Fasern gefüllt wurden. Die Fasern liegen überwiegend entlang der Rippe. Bestandteil der Arbeiten war auch die Untersuchung des Fließverhaltens der rCF u.a. mittels bildanalytischer Charakterisierung von Schnitt- und Schliffproben [8].

Generell ist die Belastbarkeit von UD-Faserlagen richtungsabhängig begrenzt, so dass biaxiale Faseranordnungen unter Verwendung der Mehrlagen-Flachstricktechnologie in den Fokus gerückt sind. Gestricke, bei denen Verstärkungsfäden in die Maschen integriert sind, werden als Mehrlagengestricke (MLG) bezeichnet. MLG können monoaxial, biaxial oder multiaxial angeordnete Verstärkungsfäden aufweisen. Zur Steuerung der Fließbewegung wurden partielle Variationen von – in der Matrix nicht thermisch auflösbaren (GF/PP) sowie thermisch auflösbaren (PP) Maschenfadenmaterialien untersucht. Systematisch wurden dazu Bindungen von endlosfilament- und stapelfaserbasierten Hybridgarnen in der 2D-Textilstruktur zur Einstellung einer orientierten, verzugsfreien Verstärkungsfaseranordnung entwickelt. Basierend auf dem Funktionsmuster FM1 und den Voruntersuchungen wurden Varianten abgeleitet, die sich u.a. hinsichtlich der Hybridgarnanordnung, deren lokaler Menge und hinsichtlich des lokal eingesetzten Maschenfadenmaterials unterscheiden. Die Varianten wurden mittels modularer Werkzeugeinsätze zu Schale/Rippe-Funktionsmustern mit unterschiedlichen Rippenhöhen H verarbeitet. Eine Stapelung von bis zu 10 gleichzeitig zu verarbeitenden biaxialen MLG vgl. Abbildung 3 (li.) wurde detailliert untersucht. Abbildung 3 (re.) zeigt ein Ergebnis der Entwicklungen.

Während des Verarbeitungsprozesses im Thermopressverfahren wird die ursprünglich leere Rippengeometrie mit einem hohen rCF-Faseranteil von bis zu 70 % gefüllt und damit die beabsichtigte Faserverstärkung von der Schale in die Rippe sowie in der Rippe realisiert. Die Länge der Stapelfasern im Hybridgarn beträgt derzeit bis zu 80 mm.

Nach der Verbundbildung erfolgten umfassende Versuchsreihen zur Ermittlung der Festigkeits- und Steifigkeitskennwerte mittels 3-Punkt-Biegeversuch. Insgesamt lässt sich aus den Ergebnissen ableiten, dass die Endlosfaserverstärkung in der Schale die ermittelten Werte und Verläufe deutlich dominiert und somit das Verhältnis von Schalendicke zu Rippenhöhe minimiert werden kann, so dass die versteifende Wirkung der Rippe deutlicher hervortritt. Dadurch erhöht sich der Leichtbaugrad, da die i.d.R. großflächigen Schalenbereiche dünner dimensioniert werden können und somit eine annähernd gleiche mechanische Leistungsfähigkeit bei geringerer Bauteilmasse erreicht werden kann.

Die ermittelten Materialkennwerte wurden kontinuierlich zur Verbesserung und Validierung eines im Rahmen der Projektdurchführung entwickelten Simulationsmodells herangezogen, um zukünftig das Verbundmaterialverhalten durch die Kombination von Endlosfilamenten und Stapelfasern im Übergangsbereich zwischen Schale und Rippe realitätsnah vorhersagen zu können. Zur Verifizierung wurden Referenzbauteile hergestellt und mit den entwickelten Varianten verglichen. Die Ergebnisse zeigen eine 4-fach höhere Festigkeit und eine 2-fach höhere Steifigkeit gegenüber der Referenz. Damit konnte der Nachweis der Tragfähigkeitssteigerung von min. 50% erbracht werden. Delamination trat nicht auf.

Das hohe Potenzial der partiell fließfähiger 2D-Textilhalbzeugen wurde abschließend durch die praxisnahe Herstellung eines generischen Demonstrators (vgl. Abbildung 4) unter Anwendung der Vorzugslösungen für Hybridgarne und 2D-Textilstrukturen aufgezeigt.

Die Prozesskette, beginnend mit der Definition der Bauteilanforderungen, simulationsgestützten Dimensionierung, anforderungsgerechten Hybridgarnherstellung, Entwicklung der partiell fließfähigen 2D-Textilstrukturen mit biaxialer Verstärkungsfaseranordnung, Umsetzung der textilen Strukturen und abschließenden Verbundbildung durch das Thermo-Fließpressverfahren wurde mit Projektabschluss validiert. Der damit realisierte Demonstrator wurde anhand von Biegeversuchen geprüft und weist im Ergebnis die vordimensionierte, hohe Biegesteifigkeit auf. Aktuell erfolgen Gespräche zum industriellen Einsatz des neuen Verfahrens.

Zusammenfassung

Im Ergebnis konnten unter Verwendung der entwickelten partiell fließfähigen 2D-Textilstrukturen exemplarisch thermoplastische Schale/Rippen-Bauteile mit hohem Faservolumenanteil im Übergangsbereich zwischen Schale und Rippe und mit einer Festigkeits- und Steifigkeitssteigerung von mindestens 50 % gegenüber dem Stand der Technik hergestellt werden. Während der Verarbeitung fließen die Stapelfasern gezielt aus einer textilen Flächenstruktur in nahezu beliebige dreidimensionale Rippengeometrien. Die endlosfaserbasierte Verstärkung im Rippenbereich bleibt weitgehend unverzerrt und wie gewünscht in gestreckter Anordnung. Die resultierenden Bauteile können kostengünstig in einem einzigen Verbundbildungsschritt hergestellt werden, was zu einer erheblichen Effizienzsteigerung und potenziell zur Erhöhung der einsetzbaren Kunststoff- und Fasermenge u.a. im Bereich Fahrzeuge führen kann.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21372 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Die Autoren danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Weiterhin danken wir den Firmen des projektbegleitenden Ausschusses für die fachliche Unterstützung sowie allen weiteren Partnern, die in der Forschungsarbeit zu diesem Themenkreis unterstützten. Der Schlussbericht ist über den Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V., Berlin beziehbar. Weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) erhältlich.

AutorInnen: Sven Hellman

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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