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4 Ergebnisse
21.07.2025

Entwicklung gewirkter Anbindungsimplantate zur Weichteilrekonstruktion

Gestricke & Gewirke Technische Textilien Medizin

Zusammenfassung

Die erfolgreiche Therapie von Knochendefekten stellt eine immense Herausforderung dar und hat eine große gesellschaftliche und medizinische Relevanz, insbesondere bei einer immer älter werdenden Gesellschaft. Jede Implantation einer Endoprothese geht mit einem Verlust von Knochen und dem umliegenden Weichgewebe einher, dessen Anbindung an die Endoprothese für die Funktionalität jedoch unerlässlich ist. Im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojektes IGF-Projektes 21998BR des ITM und OUPC wurde deshalb ein textiles Anbindungsimplantat entwickelt, das eine einfache Anpassung und universelle Anbindung des Weichgewebes an eine Endoprothese erlaubt.

Bericht

Ausgangssituation und Problemstellung

Die erfolgreiche Therapie von Knochendefekten stellt eine große Herausforderung dar und ist von großer sozialer und medizinischer Relevanz, insbesondere in einer alternden Gesellschaft. Die demografische Entwicklung der Gesellschaft wird zwangsläufig zu einer Zunahme von Revisionen (Wechseloperationen) führen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen u. a. in der limitierten Lebensdauer der Endoprothesen sowie in Komplikationen wie Lockerungen, Frakturen oder Infektionen [1]. Jede Revision geht dabei mit einem erhöhten Knochenverlust einher und führt zur Entfernung des umgebenden Weichgewebes (Muskeln, Sehnen, Bänder, Bindegewebe). Das Weichgewebe ist jedoch für die Funktionalität der Gliedmaßen, beispielsweise die aktive Kniestreckung oder die Vermeidung von Hinken [2], unerlässlich. Eine unzureichende Weichteildeckung kann zudem schwerwiegende Komplikationen wie Auskugeln und periprothetische Infektionen verursachen, insbesondere bei großen Defekten.

Die Behandlung von Knochendefekten erfordert daher sowohl die Implantation einer Endoprothese als auch die Rekonstruktion, einschließlich der Verbindung des umgebenden Weichgewebes mit der Endoprothese. Allerdings wird die Rekonstruktion des Weichgewebes heute meist unzureichend durchgeführt [2, 3]. Lediglich bei sog. Megaprothesen wird ein einfacher gestrickter PES-Schlauch als Anbindungsschlauch zur Fixation von Weichgewebe als Zusatzprodukt beschrieben. Allerdings weisen bisherige Lösungen eine unzureichende Stabilität auf und/ oder bedingen einen hohen Konfektionsaufwand während des operativen Eingriffs. Eine vergrößerte Oberfläche durch Falten und Taschenbildung des Anbindungsschlauchs kann das Risiko von Infektionen und Komplikationen erhöhen. Diese können sich auch über den Heilungsprozess der Endoprothesenimplantation hinaus erstrecken. So können periprothetische Infektionen auch Monate bis Jahre nach der Implantation auftreten. Darüber hinaus können nicht resorbierbare (nicht im Körper abbaubare) Materialien zu langanhaltenden Problemen im Körper führen. Dazu zählen Heilungsstörungen sowie akute und chronische Infektionen. [4, 5]. Zudem resultiert ein signifikanter Verlust an Weichgewebe bei einer Revision durch herausschneiden des verwachsenen PES-Schlauchs, der wiederrum die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen erhöht. Die Verwendung eines synthetischen, nicht resorbierbaren Implantats wird daher kritisch gesehen und ist nur bei zwingend notwendigen großen Knochenverlusten indiziert. In der Mehrzahl der Fälle, in denen Endoprothesen implantiert werden, wird auf die Verwendung eines Anbindungsimplantats verzichtet. Die daraus resultierenden Einschränkungen hinsichtlich der Funktionalität werden aus Sorge vor schwerwiegenderen Komplikationen toleriert.

Zur signifikanten Verbesserung der Anbindung von Weichgewebe an die Endoprothese ist die Entwicklung eines resorbierbaren sowie leicht und individuell an die jeweilige Prothesengeometrie anpassbaren Anbindungsimplantats nötig.

Entwicklung des umlaufenden Schusseintragssystems

Die Wirktechnik bietet hervorragende Lösungsansätze zur Entwicklung von Anbindungsimplantaten, die leicht an die Geometrie und die Länge der implantierten Endoprothese angepasst werden können und ausreichend Festigkeit bietet, um ein Ausreißen bei Belastung zu vermeiden. Verfahrens- und strukturbedingt weisen Gewirke bereits eine gute Dimensionsstabilität auf und gestatten eine große Vielfalt der Strukturgestaltung. Die Entwicklung einer schlauchförmigen Struktur mit integrierten, umlaufenden Schussfäden wird als vielversprechende Lösung für intraoperativ individualisierbare Verbindungsimplantate erachtet. Diese Konstruktion ermöglicht es dem Chirurgen, den Durchmesser der schlauchförmigen Struktur durch Anziehen und Verknoten der umlaufenden Schussfäden präzise einzustellen. Dadurch kann der Schlauchdurchmesser schnell, individuell und faltenfrei an die Endoprothese angepasst werden, ohne dass aufwendige Konfektionsarbeiten erforderlich sind (Abbildung 1).

Allerdings erlaubt die Wirktechnik aktuell nicht, konturgerechte Schläuche ohne Jacquard-Technik herzustellen und gleichzeitig einen umlaufenden Schussfaden über den gesamten Umfang einschließlich einer Fadenreserve zu integrieren. Dazu wurde am ITM ein neues umlaufendes Schusseintragssystem entwickelt. Die Innovation der neu entwickelten Technologie liegt in der Realisierung eines nachrüstbaren, umlaufenden Schusseintragssystems mit einer Schussfadenreserve für die doppelbarrige Raschelmaschine (Abb. 2).

Der minimale Bauraum innerhalb der Wirkstelle aber auch ein positionsgenaues Fadenlegen stellen die wichtigsten Anforderungen an ein umlaufendes Schussfadensystem dar. Zur Bewegung des Fadenführers um die Wirkstelle wurde eine umschließende Führungsbahn entwickelt und umgesetzt. Sie ermöglicht das Eintragen eines durchgehenden Schussfadens im vorderen und hinteren Nadelbett. Der auf einer Spule gewickelte Schussfaden wird dazu mit Hilfe eines speziellen Fadenführers auf einer umlaufenden Bahn transportiert. Der Fadenführer bewegt sich sensorgesteuert präzise entlang des vorderen und hinteren Nadelbetts. Mit Hilfe von drehbaren Haken kann eine Fadenreserve variabel integriert werden. Diese innovative Technologie ermöglicht die Integration eines umlaufenden Schussfadens in schlauchförmige Kettengewirke, wobei die Fadenreserve in einem variablen Abstand angeordnet werden kann. Diese zusätzliche Fadenreserveeinrichtung ermöglicht die Einstellung des Schlauchdurchmessers auf die Endkontur, die für die Herstellung von Anbindungsimplantaten unerlässlich ist. Die Entwicklung dieses umlaufenden Schusseintragssystems stellt eine völlig neue Technologie dar, die unabhängig von Maschinenhersteller und Arbeitsbreite modular und effizient in jede doppelbarrige Raschelmaschine integriert oder nachgerüstet werden kann.

Entwicklung des gewirkten Anbindungsimplantats

Zur anforderungsgerechten Entwicklung eines textilen Anbindungsimplantats wurde die Struktur simulationsgestützt auf Basis der Wirktechnologie ausgelegt. Die zentrale Herausforderung bestand in der Entwicklung eines universell einsetzbaren Implantats, dass sich faltenfrei an unterschiedlichste Prothesengeometrien verschiedener Hersteller sowie an die anatomische Gegebenheiten der einzusetzenden Knochensegmente, insbesondere Femur und Tibia, anpassen lässt. Auch die variable Länge modular aufgebauter Endoprothesen musste dabei berücksichtigt werden. Darüber hinaus sollte das Implantat aus einem resorbierbaren Material bestehen, das eine sichere Anbindung des Weichgewebes gewährleistet, bis das neugebildete Narbengewebe im Bereich der Endoprothese die Funktion dauerhaft übernommen hat.

Im Projekt wurde eine systematische CAE-gestützte Struktur- und Bindungsentwicklung für drei Funktionsmustern durchgeführt: 1) Endkonturnahe Schlauchstruktur mit über die Länge variablen Durchmesser; 2) definierte Formbarkeit durch Integration umlaufender Schussfäden; 3) integral gefertigte Verstärkungszonen. Zur Erreichung der geforderten mechanischen Eigenschafen, insbesondere hinsichtlich Strukturdehnung, Zugfestigkeit, lokaler Verstärkung und Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Geometrien, wurden verschiedene Grundbindungen wie Franse, Samt und Teilschuss simulationsgestützt und experimentell analysiert.

Die Grundbindungen Trikot gegenlegig und Franse Teilschuss erzielten die höchsten zugmechanischen Eigenschaften bei gleichzeitig geringster Strukturdehnung. Auf dieser Basis wurden die komplexeren Bindungskonzepte für die Funktionsmuster entwickelt. Als Vorzugslösung konnte ein Franse-Teilschuss-Schlauch mit konstantem Durchmesser und integrierten umlaufenden Schussfäden identifiziert werden. Diese Variante erfüllte die Anforderungen an Universalität und einfache Handhabung besonders gut. Die offene Struktur ermöglicht ein faltenfreies Zusammenziehen und damit eine flexible Anpassung an verschiedene Prothesengeometrien (Abb. 3).

Zur Gewährleistung der langsamen Resorption und hohen Ausreißfestigkeit wurden Seidenfibroingarne verzwirnt (Cordonnet, 70 tex) eingesetzt.

Im Anschluss an die Entwicklung wurde das Anbindungsimplantat in einem eigens entwickelten Prüfstand auf das Ausreißen hin untersucht. Im besonderen Fokus stand die Einspannvorrichtung für die Endoprothesen, die eine biomechanische Prüfung anatomischer Lastszenarien erlaubt. Im Gegensatz zu den in den herkömmlichen Prüfständen verwendeten festen Prüfwinkeln wurde ein Aufbau mit variierbaren Winkeln (0°, 15°, 30°, 45°, 60° und 90°) ausgelegt. Der Prüfaufbau erlaubt dadurch die Nachstellung von wirkenden Kräften beispielsweise beim Stehen, Gehen oder Sitzen. Die neu entwickelten Anbindungsimplantate erreichten an den Anbindungsstellen mit umlaufendem Schussfaden eine Höchstzugkraft von über 300 N. Damit entsprechen sie in etwa der Höchstzugkraft des verwendeten chirurgischen Nahtmaterials und des aktuell verfügbaren Anbindungsschlauch aus PES (ohne gezielte Degradation und ohne Möglichkeit zur Durchmesseranpassbarkeit).

Die Ausreißfestigkeit des neu entwickelten Anbindungsschlauches lässt sich durch die zusätzliche Einbindung des umlaufenden Schussfadens an weiteren Stellen gezielt steigern. Im Vergleich zur herkömmlichen Methode sind für Anpassung und Implantation des Anbindungsimplantats deutlich weniger Arbeitsschritte erforderlich, was zu einer spürbaren Reduktion in der Operationszeit führen kann. Die integrierten umlaufenden Schussfäden ermöglichen zudem eine direkte Anbindung des Weichgewebes, sodass auf zusätzliche Fäden verzichtet werden kann. Das Anbindungsimplantat kann individuell in der Länge zugeschnitten und aufgeschnitten werden, ohne dass dabei Laufmaschen entstehen oder das Gewirk aufgezogen wird. Durch die potenzielle Resorbierbarkeit des Seidenmaterials kann die Fremdkörperlast im Gewebe reduziert werden, was wiederrum das Risiko postoperativer Infektionen senken kann. Im Revisionsfall entfallen zudem aufwendige Resektionsprozesse zur Entfernung eingewachsener Implantate. Ein weiterer Vorteil liegt in der universellen Anwendbarkeit des Anbindungsimplantats: Es kann flexibel an verschiedene Prothesengeometrien angepasst werden, z. B., wie in Abbildung 4 gezeigt, an die Knieprothese.

Zusammenfassung

In Zusammenarbeit mit dem OUPC wurde am ITM ein neuartiges Anbindungsimplantat entwickelt, das sich flexibel und ohne Faltenwurf an unterschiedliche Endoprothesengeometrien anpassen lässt. Die integrierten umlaufenden Schussfäden ermöglichen nicht nur eine formgerechte Anpassung und Fixierung an der Prothese, sondern dienen zugleich als strukturelle Verstärkung an den Anbindungsstellen. Die überstehenden Fadenenden können zusätzlich zur Re-Adaption des Weichgewebes genutzt werden.

Zur Realisierung dieses Konzepts wurde am ITM ein innovatives Schusseintragssystem mit integrierter Fadenreserve entwickelt, das sich modular in jede RR-Raschelmaschine nachrüsten lässt. Durch die gezielte Strukturentwicklung lässt sich das Anbindungsimplantat leicht ab- oder einschneiden und kann so individuell an chirurgische Anforderungen und patientenspezifische Gegebenheiten angepasst werden. Diese Flexibilität erfüllt die hohen Anforderungen an ein universell einsetzbares Anbindungsimplantat.

In Ausreißversuchen konnte eine ausreichende mechanische Stabilität des Anbindungsimplantats aus langzeitresorbierbarem Seidenfibroin nachgewiesen werden.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21998 BR der Forschungsvereinigung Textil e.V. wurde über die AiF und den DLR Projektträger im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Literaturverzeichnis

[1]    Schmolders, J. ; Koob, S. ; Schepers, P. ; Gravius, S. ; Wirtz, D.C. ; Burger, C. ; Pennekamp, P.H. ; Strauss, A.C.: Tumorprothesen in der endoprothetischen Revisionschirurgie der unteren Extremität – Ergebnisse von 25 Patienten nach Versorgung mit einem modularen Tumor- und Revisionssystem (MUTARS®). In: Zeitschrift fur Orthopadie und Unfallchirurgie 155 (2017), Nr. 1, S. 61–66

[2]    Nottrott, M. ; Streitbürger, A. ; Höll, S. ; Gosheger, G. ; Hardes, J.: 9 Tumorendoprothetik. In: Krukemeyer, M. G.; Möllenhoff, G. (Hrsg.): Endoprothetik : Ein Leitfaden für den Praktiker. 3. Aufl. : De Gruyter, 2012, S. 203–221

[3]    Calori, G.M. ; Mazza, E.L. ; Vaienti, L. ; Mazzola, S. ; Colombo, A. ; Gala, L. ; Colombo, M.: Reconstruction of patellar tendon following implantation of proximal tibia megaprosthesis for the treatment of post-traumatic septic bone defects. In: Injury 47 (2016), S77-S82

[4]    Hardes, J. ; Ahrens, H. ; Gosheger, G. ; Nottrott, M. ; Dieckmann, R. ; Henrichs, M.-P. ; Streitbürger, A.: Komplikationsmanagement bei Megaprothesen. In: Der Unfallchirurg 117 (2014), Nr. 7, S. 607–613

[5]    Hillmann, A. ; Ipach, I.: Tumorendoprothetik : Stellenwert in der modernen Revisionsendoprothetik. In: Der Orthopade 44 (2015), Nr. 5, S. 375–380

AutorInnen: Laura Pietz Anke Golla Paul Penzel Michael Wöltje Stefan Zwingenberger Jens Goronzy Hagen Fritzsche Klaus-Dieter Schaser Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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25.08.2023

Wärmebehandlung von Magnesium-Stents zur Erhöhung der maximalen Radialkraft

Technische Textilien Medizin Tests

Zusammenfassung

Die Chronisch Venöse Insuffizienz (CVI) stellt ein anhaltendes venöses Stauungssyndrom dar, das aufgrund diverser pathologischer Abweichungen im Venensystem mit graduell fortschreitendem Verlauf entsteht. Das Ziel des BioV²alve-Projektes ist die biologische Rekonstruktion der Venenklappenfunktion durch ein biohybrides, textil-bewehrtes, minimal-invasiv implantierbares Device. Die Verwendung einer biodegradierbaren magnesiumbasierten Stentstruktur, welche sich nach erfolgter Einheilung der Venenklappe in das Umgebungsgewebe auflöst, ermöglicht eine schonende Therapie mit geringer dauerhafter Materialeinbringung in den Körper. Im Rahmen der Stententwicklung wurde der Einfluss der Wärmebehandlung nach dem Flechtprozess auf die maximale Radialkraft untersucht. Es wurde gezeigt, dass eine Ausscheidungshärtung des Magnesiums bei einer Temperatur von 225 °C und einer Dauer von 34 h eine Steigerung der Radialkraft ermöglicht.

Bericht

1.  Einleitung

Die Chronisch Venöse Insuffizienz (CVI) stellt ein anhaltendes venöses Stauungssyndrom dar, das aufgrund diverser pathologischer Abweichungen im Venensystem mit graduell fortschreitendem Verlauf entsteht. Im Rahmen der Definition von CVI manifestieren sich Beinödeme, die zunächst über Nacht spontan rückgängig gemacht werden können, jedoch unbehandelt persistieren können [2,4,5].

Die Pathogenese der Erkrankung resultiert aus einer Insuffizienz der Venenklappen. Diese Defizienz der Klappen kann auf angeborene Fehlbildungen, strukturelle Schwäche oder abnormale, expandierbare Venenwände infolge anderer Pathologien wie Adipositas, langanhaltendes Stehen oder Sitzen zurückzuführen sein. Hieraus resultiert venöser Rückfluss, Behinderung des Blutflusses, Stauung und erhöhter Druck in den distalen Venenabschnitten. [1,4,6]

Die Therapie der CVI gliedert sich in konservative und invasive Maßnahmen. Die Wahl der Behandlungsstrategie hängt von der Anatomie und dem Stadium der Krankheit ab, wobei oft eine Kombination beider Ansätze empfohlen wird. Konservative Behandlungsoptionen umfassen allgemeine Maßnahmen, Kompressionstherapie, physikalische Entstauungstechniken sowie medikamentöse Therapien. Jedoch existieren Einschränkungen bezüglich der Effektivität konservativer Ansätze in bestimmten Kontexten, wie bei älteren Patienten mit multiplen Komorbiditäten. Die invasiven Verfahren fokussieren sich auf die Entfernung oder Verödung defizienter Venen oder die Isolierung der Refluxquelle vom restlichen Venensystem, wodurch das Blut ausschließlich durch gesunde Venen zirkuliert. Diese Maßnahmen führen zu signifikanter Symptomreduktion, Steigerung der Lebensqualität und Prävention von Folgeschäden. [3,5]

Das Ziel des BioV²alve-Projektes ist die biologische Rekonstruktion der Venenklappenfunktion durch ein biohybrides, textilbewehrtes, minimal-invasiv implantierbares Device. Die Trägerstruktur für die künstliche Venenklappe bildet ein degradierbarer, geflochtener Magnesiumstent. Dieser dient zur initialen Verankerung der Klappenstruktur in der Vene. Das Design des Stents wird bezüglich der Radialkraft optimiert um eine ausreichende Verbindung zwischen der Klappenstruktur und der Venenwand zu gewährleisten. Darüber hinaus wird das Migrationsrisiko des Implantates vermindert. Weitere Aspekte des Stentdesigns konzentrieren sich auf die ausreichende Flexibilität zur Anpassung an die Anatomie der Venenwand sowie der Sicherstellung von Knickresistenz. Die Klappenstruktur des Implantates wird der Anatomie der nativen Venenklappe nachempfunden. Eine gewirkte Netzstruktur bildet die textile Verstärkung der Klappe. Durch gezielte Nahtpunkte wird die Klappenstruktur am Stent verankert. Das Textil wird im BioV²alve Projekt mit einer Hydrogelbeschichtung kombiniert.

Das Ziel der Studie ist die Untersuchung des Einflusses der Wärmebehandlung der Stents auf die Radialkraft. Hierzu werden zwei verschiedene Wärmebehandlungen aus der Literatur verwendet.

2.  Material und Methoden

Stentherstellung

Die Stents werden mittels Einfadenflechten hergestellt. Hierbei wird Magnesium Draht der Legierung WE43 der Firma Meotec GmbH, Aachen, Deutschland mit einer Drahtstärke von 300 µm verwendet. Die Maße der Stents sind l = 25 mm und d = 12 mm.

Wärmebehandlung der Stents

Drei Temperatur-Dauer-Kombinationen werden auf jeweils drei Stents verwendet. Nach den Wärmebehandlungen wird bei allen Stents die Radialkraft getestet.

s. Tabelle 1: Temperatur und Dauer der Wärmebehandlungen

Radialkrafttestung

Zur Bestimmung der Radialkraft der Stents wird der Radialkrafttester TTR2 der Firma Blockwise Engineering LLC, Tempe, USA verwendet. Die Messungen erfolgen in Anlehnung an Teil 2 der DIN EN ISO 25539 und die ASTM Richtlinie F3067 – 14. Pro Parameterkombination werden drei Proben geprüft.

s. Tabelle 2:   Prüfparameter der Radialkraftprüfung

3. Ergebnisse

Die maximale Radialkraft wird genutzt, um die unterschiedlichen Wärmebehandlungen miteinander zu vergleichen. Pro Kombination der Prozessparameter wird die maximale Radialkraft von drei Proben ermittelt. Die Mittelwerte mit Standardabweichung aus den jeweils drei Proben wurden in Abbildung 1 aufgetragen. Der Referenzstent hat eine Radialkraft von 16,5 N ± 0,7 N und weist somit die niedrigste maximale Radialkraft auf. Die Wärmebehandlung mit 210 °C für 8 h führt zu einer Steigerung der maximalen Radialkraft auf 19,8 N ± 0,7 N.  Die Parameterkombination 225 °C mit 34 h weist mit 23,2 ± 0,8 N den höchsten Wert der maximalen Radialkraft. Dies entspricht einer Steigerung von 40 % gegenüber der Referenz ohne Wärmebehandlung.

s. Abbildung 1:   Maximale Radialkraft der Stents (Mittelwert und Standardabweichung)

s. Abbildung 2: Exemplarische Hysteresschleifen der Radialkraftmessung mit drei Zyklen eines Stents mit der Wärmebehandlung 225 °C und 34 h

4.  Zusammenfassung

Die Chronisch Venöse Insuffizienz (CVI) stellt ein anhaltendes venöses Stauungssyndrom dar, das aufgrund diverser pathologischer Abweichungen im Venensystem mit graduell fortschreitendem Verlauf entsteht. Das Ziel des BioV²alve-Projektes ist die biologische Rekonstruktion der Venenklappenfunktion durch ein biohybrides, textil-bewehrtes, minimal-invasiv implantierbares Device. Die Verwendung einer biodegradierbaren magnesiumbasierten Stentstruktur, welche sich nach erfolgter Einheilung der Venenklappe in das Umgebungsgewebe auflöst, ermöglicht eine schonende Therapie mit geringer dauerhafter Materialeinbringung in den Körper. Im Rahmen der Stententwicklung wurde der Einfluss der Wärmebehandlung nach dem Flechtprozess auf die maximale Radialkraft untersucht. Es wurde gezeigt, dass eine Ausscheidungshärtung des Magnesiums bei einer Temperatur von 225 °C und einer Dauer von 34 h eine Steigerung der Radialkraft ermöglicht.

5.  Danksagung

Das Projekt „BioV²alve“ (EFRE-0801315) wurde durch den Europäischen Fond für Regionale Entwicklung Nordrhein-Westfalen (EFRE.NRW) gefördert.

6.  Quellen

1.              Douketis, J.:  Chronisch Venöse Insuffizienz und Postthrombotisches Syndrom. Kenilworth 2016, URL: https://www.msdmanuals.com/de-de/profi/herz-kreislauf-krankheiten/periphere-venenerkrankungen/chronisch-venöse-insuffizienz-und-postthrombotisches-syndrom, Zugriff am 04.11.2019

2.              Ludwig, M.: Repetitorium für die Facharztprüfung Innere Medizin.
2. Aufl. Elsevier, München, Deutschland 2017

3.              Pannier F., Noppeney, T., Breu, F., et al.: S2k - Leitlinie Diagnostik und Therapie der Varikose, 03/2019

4.              Rabe, E., Gerlach, H.-E.: Praktische Phlebologie.
2. vollst. überarb. Aufl. THIEME, Stuttgart 2006

5.              Santler, B., Goerge, T.: Die chronische venöse Insuffizienz - Eine Zusammenfassung der Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft 2017; 15 (5): 538–557

6.              Weber, B., Robert, J., Ksiazek, A., et al.:  Living-Engineered Valves for Transcatheter Venous Valve Repair. Tissue engineering Part C Methods 2014; 20 (6): 451–463

7.              Li, H.; Lv, F.; Liang, X.; Qi, Y.; Zhu, Z.; Zhang, K.:Effect of heat treatment on microstructures and mechanical properties of a cast Mg-Y-Nd-Zr alloy, Materials Science & Engineering A 667 (2016), S. 409-416

8.              Mengucci, P.; Barucca, G.; Riontino, G.; Lussana, D.; Massazza, M.; Ferragut, R.; Hassan Aly, E.: Structure evolution of a WE43 Mg alloy submitted to different thermal treatments, Materials Science and Engineering A 479 (2008), S. 37-44

AutorInnen: Caroline Emonts Ren Pan Thomas Gries

Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen, Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

Stents Implantat Geflecht

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19.07.2023

Magnesium als Textil: Potenziale textiler Mg-Implantate

Gewebe Gestricke & Gewirke Medizin Tests

Zusammenfassung

Implantate werden eingesetzt, um Körperfunktionen wiederherzustellen oder zu unterstützen. Stentimplantate werden beispielsweise implantiert, um Blutgefäße oder Organe zu öffnen oder zu stabilisieren. Insbesondere bei direktem Blutkontakt, aber auch in nicht-vaskulären Anwendungsbereichen verursachen dauerhaft im Patienten verbleibende Fremdkörper Langzeitkomplikationen und sorgen für eine erhöhte Patientenbelastung. Die zentralen Defizite sind Entzündungsreaktionen, notwendige Revisions- oder Entnahmeoperationen, Stress-Shielding (Gewebeveränderung aufgrund mechanischer Einflüsse), Lockerung und Migration aufgrund des Wachstums des Patienten und erhebliche Einschränkungen diagnostischer Verfahren wie Röntgen und CT-Scans durch die Verursachung von Bildartefakten. Aus den genannten Gründen wird seit einigen Jahren bereits an degradierbaren Implantatmaterialien geforscht. Magnesium hat sich dabei aufgrund seiner mechanischen Eigenschaften als vielversprechend erwiesen. Während Fertigungsverfahren wie Gießen oder Schneiden von Magnesium bereits gut erforscht sind, besteht wenig veröffentlichtes Wissen über die Entwicklung Mg-Draht basierter, textiler Strukturen. In dieser Studie wird die Möglichkeit der Verarbeitbarkeit von Magnesiumdraht in textilen Fertigungsverfahren aufgezeigt und am Beispiel von Stentimplantaten relevante Stell- und Zielgrößen validiert. Es kann gezeigt werden, das Magnesium textil verarbeitbar ist und sich anhand von Mg-Draht für die medizinische Anwendung geeignete textile Strukturen erzeugen lassen.

Bericht

Abstract: Implantate werden eingesetzt, um Körperfunktionen wiederherzustellen oder zu unterstützen. Stentimplantate werden beispielsweise implantiert, um Blutgefäße oder Organe zu öffnen oder zu stabilisieren. Insbesondere bei direktem Blutkontakt, aber auch in nicht-vaskulären Anwendungsbereichen verursachen dauerhaft im Patienten verbleibende Fremdkörper Langzeitkomplikationen und sorgen für eine erhöhte Patientenbelastung. Die zentralen Defizite sind Entzündungsreaktionen, notwendige Revisions- oder Entnahmeoperationen, Stress-Shielding (Gewebeveränderung aufgrund mechanischer Einflüsse), Lockerung und Migration aufgrund des Wachstums des Patienten und erhebliche Einschränkungen diagnostischer Verfahren wie Röntgen und CT-Scans durch die Verursachung von Bildartefakten. Aus den genannten Gründen wird seit einigen Jahren bereits an degradierbaren Implantatmaterialien geforscht. Magnesium hat sich dabei aufgrund seiner mechanischen Eigenschaften als vielversprechend erwiesen. Während Fertigungsverfahren wie Gießen oder Schneiden von Magnesium bereits gut erforscht sind, besteht wenig veröffentlichtes Wissen über die Entwicklung Mg-Draht basierter, textiler Strukturen. In dieser Studie wird die Möglichkeit der Verarbeitbarkeit von Magnesiumdraht in textilen Fertigungsverfahren aufgezeigt und am Beispiel von Stentimplantaten relevante Stell- und Zielgrößen validiert. Es kann gezeigt werden, das Magnesium textil verarbeitbar ist und sich anhand von Mg-Draht für die medizinische Anwendung geeignete textile Strukturen erzeugen lassen.

  1. Einleitung

Die Food and Drug Administration (FDA), die Aufsichtsbehörde für Lebensmittel und Arzneimittel in den USA, einem der größten Medizintechnikmärkte der Welt, definiert Implantate als Produkte, die an oder unter der Körperoberfläche implantiert werden, um Medikamente abzugeben, Körperfunktionen zu überwachen oder Organe und Gewebe zu unterstützen. Beispiele sind Stentimplantate, Knochenschrauben/-platten sowie Herzschrittmacher und Defibrillatoren. [FDA19] Die Fallzahlen der Implantationen in Deutschland verdeutlichen, dass es zwei große Anwendungsbereiche für Implantate gibt. Sieht man von Zahnimplantaten ab, werden die meisten Implantate im Bereich des Skelettsystems eingesetzt. Im Jahr 2017 wurden 238.000 Hüftgelenke, 191.000 Kniegelenke und 26.000 Endoprothesen in Extremitäten implantiert. An zweiter Stelle stehen Stentimplantate mit 138.000 Implantaten in Gefäßen und Organen. [Bra18]

Die aktuell überwiegend verwendeten Implantatmaterialien können in Metalle, Polymere und Keramiken unterteilt werden. Metalle wie rostfreier Stahl werden verwendet, wenn eine hohe Festigkeit erforderlich ist, während Nickel-Titan-Legierungen eingesetzt werden, wenn ein elastisches Strukturverhalten erforderlich ist. Im Bereich der Polymere werden verschiedene Kunststoffe verwendet, von Polyethylen für hohe Abriebfestigkeit bis zu Polytetrafluorethylen (PTFE) für besonders geringe Reibung. Keramische Werkstoffe werden vor allem als Hüftgelenkkugeln, Knochenersatzmaterial und in der Zahnmedizin verwendet, darunter Aluminium und Zirkonoxid. [SSA+15; Psc20]

Diese beständigen Implantatmaterialien bringen allerdings entscheidende Nachteile mit sich. Die fünf am häufigsten genannten Defizite sind im Folgenden zusammengefasst:

  1. Ein zentrales Defizit ist das Risiko von Entzündungsreaktionen, wie z. B. beim Einsatz von Stentimplantaten. Stents werden eingesetzt, um verengte Gefäße wieder zu öffnen oder offen zu halten. Wenn ein Stent über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahren im Körper verbleibt, kann es aufgrund mechanischer und biochemischer Reizungen zu Entzündungsreaktionen (Inflammation) kommen. Diese führt zur Bildung von Narbengewebe, welches den Stent überwuchern kann, wodurch das betroffene Gefäß wieder verschlossen wird (Restenose). [OTO+21]
  2. Ein weiterer Nachteil sind die notwendigen Revisions- oder Entnahmeoperationen für vorübergehend benötigte Implantate. In diesem Zusammenhang sind die häufig erforderlichen Medikamente zur Verringerung von Fremdkörperreaktionen und ihre Nebenwirkungen eine zusätzliche Belastung der Patienten. Dies und der zusätzliche Eingriff führt zu erhöhter Belastungen des Patienten, höheren Kosten und operationsbedingten Risiken wie bspw. Infektionen. [WXH+20]
  3. Stress Shielding ist ein Defizit permanenter Implantate, welches insbesondere in der Orthopädie auftritt. Dieser Effekt hängt mit den mechanischen Eigenschaften der verwendeten Implantatmaterialien zusammen, insbesondere mit der Festigkeit und dem elastischen Verhalten. Die heute verwendeten Materialien haben in der Regel eine höhere Zugfestigkeit und ein höheres Elastizitätsmodul als der umgebende Knochen. Dadurch werden die Kräfte, die nativ gleichmäßig durch den Knochen geleitet werden, je nach Belastung lokal, punktuell in das weichere Füllmaterial (Spongiosa) des Knochens eingebracht. Bereiche des Knochens, die nun weniger belastet werden, werden zurückgebildet und dies kann zu einer Lockerung des Implantats führen. [WXH+20]
  4. Ein Nachteil bei der Behandlung junger, noch wachsender Patienten ist, dass sich Implantate, die lange Zeit im Körper verbleiben, nur bedingt dem Wachstum anpassen können. Dies kann zur Lockerung von Endoprothesen und so zu einem erhöhten Risiko der Migration von Stentimplantaten führen. Darüber hinaus können Implantate das natürliche Wachstum des Patienten negativ beeinflussen. [OTO+21]
  5. Implantate erschweren die Diagnostik anhand bildgebender Verfahren. Insbesondere metallische Implantate verursachen Bildartefakte in Röntgenaufnahmen oder bei CT-Scans, was die Auswertung des Bildmaterials erschwert oder unmöglich macht. [OTO+21]

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es sinnvoll wäre Implantate zu verwenden, die während der Heilungsphase abgebaut werden, damit der Körper nach und nach seine natürliche Funktion wiederherstellen kann und langfristig keine Fremdkörper im Patienten zurückbleiben.

  1. Stand der Technik & Defizit

Bei der Auswahl geeigneter Implantatmaterialien müssen drei zentrale Materialeigenschaften berücksichtigt werden. Die Biokompatibilität, die mechanischen Eigenschaften sowie die Degradationszeit. Biokompatible Materialien verursachen keine nachteiligen Gewebereaktionen, sind metabolisierbar und erzeugen pH-neutrale Abbauprodukte. Was die mechanischen Eigenschaften betrifft, so müssen Zugfestigkeit und Elastizitätsmodul genauso wie die Degradationszeit in vivo der Heilungszeit der jeweiligen Anwendung entsprechen. [PRW+22]

Die Auswahl an in der aktuellen Forschung relevanten, abbaubaren Implantatmaterialien umfasst Polymere wie PLLA (Polymilchsäure) und PDS (Polydioxanon) sowie Metalle wie Eisen und Magnesium (Tabelle 1). Ein optimales Implantatmaterial sollte chemisch neutral abbaubar sein, eine biokompatibel sein und innerhalb des optimalen Korridors der Abbaudauer liegen. Insbesondere bei Anwendungen in Hohlorganen und Gefäßen sollten die mechanischen Eigenschaften des Implantatmaterials besonders hoch sein, um ein optimales Verhältnis zwischen Wandstärke und Stützkraft zu ermöglichen. Da PLLA und Eisen zu langsam degradieren, setzt sich Magnesium aufgrund seiner besseren Zugfestigkeit und Steifigkeit im Vergleich zu PDS als besser geeignetes Material für tragende und stützende Anwendungen durch. [PRW+22]

s. Anlage Tabelle 1: Eigenschaften degradierbarer Materialien [EBK+22; MLM+20; LFW14]

Es ist anzumerken, dass die Eigenschaften von purem Magnesium hinsichtlich der Anwendung für medizinische Implantate nicht ausreichend sind. Wie bei anderen Metallen können diese Eigenschaften anhand der Stellgrößen Legierungskomponenten, Kornstruktur sowie Geomtrie- und Oberflächengestaltung eingestellt werden. Dabei spielen das metallische Gefüge (Legierungszusammensetzung und Kornstruktur), die geometrische Gestaltung des Implantats, die Oberflächenbehandlung und die Beschichtung eine Rolle. Eine in der Medizintechnik häufig verwendete Legierung ist WE43, die Yttrium, verschiedene seltene Erden und Zirkonium enthält und eine hohe Festigkeit und Korrosionsbeständigkeit aufweist. [LFW14] Es befinden sich bereits lasergeschnittene Implantate aus diesem Material wie der Magmaris-Stent von Biotronik SE, Berlin in klinischen Studien, Knochenschrauben wie die Magnezix-Schraube der Firma Syntellix AG, Hannover sind bereits auf dem Markt und auch an großvolumigen, 3D-gedruckten (Lasersintern) Lösungen wird geforscht. [HIK+18; Syn19] Die textile Verarbeitung von Mg-Draht zu textilen Implantaten ist nach aktuellem Stand der Technik noch wenig erforscht. Dabei besteht gerade im Bereich großlumiger Gefäßprothesen ein hoher, stark wachsender Bedarf. [GJG22; Mer23b]

  1. Methodik

Bei der Validierung von Magnesium als Implantatmaterial für die Herstellung abbaubarer, textiler Stützstrukturen sind initial zwei zentrale Fragen zu klären.

  1. Zum einen stellt sich die Frage nach der Verarbeitbarkeit des Ausgangsmaterials. Textile Prozesse erfordern spezifische, mechanische und tribologische Eigenschaften des Halbzeugs. Hierzu gehören eine hohe Zugfestigkeit, ein geeignetes Elastizitätsmodul und passende Biegesteifigkeit sowie ein verarbeitbarer Durchmesser des Ausgangsmaterials.
  2. Zum anderen muss die Eignung der Produkteigenschaften der textilen Strukturen für relevante klinische Indikationen gewährleistet sein. Hierzu gehören die mechanischen Eigenschaften (FRRF, FCOF) (1) sowie die mechanische Integrität bei zyklischer Belastung der Implantate (2).

3.1 Validierung der Verarbeitbarkeit

Am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen wurde die Verarbeitbarkeit von Magnesium und vergleichbaren Werkstoffen zur Herstellung von textilen Schlauchstrukturen durch Stricken, Weben und Flechten bereits untersucht (IGF-Forschungsprojekt 18880 N "MagCage - Textiles Magnesium-Implantat mit spezifischem mechanischem und geometrischem Eigenschaftsprofil für die Behandlung großer Knochendefekte in Röhrenknochen"). Es konnte gezeigt werden, dass aus Magnesiumdraht schlauchförmige Strukturen durch Strickverfahren hergestellt werden können. Im Webprozess führte die Herstellung von Geweben mit geschlossenen Webkanten aufgrund der Biegesteifigkeit des Ausgangsmaterials zu unbrauchbaren, inhomogenen Ergebnissen. Die Verarbeitbarkeit im Flechtprozess wurde sowohl maschinell als auch manuell untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass der Magnesiumdraht mit geringen Modifikationen der Flechtklöppel verarbeitet werden kann. Auch die manuelle Verarbeitbarkeit des Magnesiumdrahtes konnte nachgewiesen werden (Siehe Abbildung 1). [Bol18]

s. Anlage Abbildung 1: Textile Verarbeitung von Magnesium-Draht [Bol18; Mer23a]

3.2 Validierung der Produkteigenschaften

Die Eignung von drahtbasierten Geflechten zur Anwendung als Implantat wurde am Institut für Textiltechnik am Beispiel von Stentimplantaten untersucht und bestätigt [Mer23b]. Eine Validierung der relevanten Produktparameter sowie der Dauerfestigkeit der Produkte steht noch aus und soll hier vorgestellt werden. Zur Prüfung der mechanischen Eigenschaften der Stentstrukturen bestehen genormte Verfahren wie die radiale Druckprüfung (DIN EN ISO 25539-2) (Siehe Abbildung 2). Dabei wird der Widerstand des Implantats gegen Kompression auf einen kleineren Durchmesser gemessen. Eine Bewertung kann z. B. anhand der radialen Stützkraft des Implantats bei einem Mindestdurchmesser von 50 % des Ausgangsdurchmessers vorgenommen werden.

s. Anlage Abbildungs 2:           Prüfvorrichtung zur Validierung der Radialkraft der Stentimplantate [Mer23a]

Im Rahmen der hier veröffentlichten Studien wurden zunächst zentrale Produktparameter (1) und ihr Einfluss auf die Zielgrößen Radialkraft (FRRF), Öffnungskraft (FCOF) sowie die bleibende Verformung (Längung, ΔDS und Stauchung, ΔLS) untersucht. Die berücksichtigen Produktparameter sind die Kronenzahl nK, der Flechtwinkel (Anzahl der Windungen nW) sowie die Länge der Implantate LS (Tabelle 2). Der Stent Durchmesser beträgt DS = 16 mm. Die Stentimplantate wurden manuell aus PEO-beschichtetem Mg-Draht der Firma Meotec GmbH, Aachen (DD = 0,2 mm) geflochten (Abbildung 3), in Anlehnung an die Prüfnorm DIN EN ISO 25539-2 geprüft und anhand eines faktoriellen Versuchsplanes ausgewertet.

s. Anlage Tabelle 2 und Abbildung 3: Tabelle 2:   Strukturmerkmale und Variationen und Abbildung 3:   Exemplarische Darstellung der Mg-Stentimplantate

Zur Validierung der Dauerfestigkeit (2) wurden in Anlehnung an die Prüfnorm DIN EN ISO 25539-2 zyklische Versuche durchgeführt. Das hierzu herangezogene Stentdesign ist ein Rundgeflecht mit einer Länge LS = 30 mm und einem Durchmesser von DS = 6 mm. Zur Validierung der Dauerfestigkeit wurde in Vorversuchen zunächst der Bereich der „elastischen Verformung“ des Implantates ermittelt. Es wurde ein Crimp-Durchmesser von DS = 85% D0 als überwiegend elastischer Prüfbereich definiert. Vollständige elastische Rückstellung ist mit dem vorliegenden Mg-Draht nicht möglich. Mit diesem Prüfdurchmesser wurden Versuchsreihen mit nP = 50 und 200 Zyklen durchgeführt und ausgewertet.

4. Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Parameteruntersuchung (1) sowie der Validierung der Dauerfestigkeit (2) vorgestellt.

Im Rahmen der Parameterstudie (1) konnte gezeigt werden, dass die Anzahl der Kronen nK einen deutlichen Einfluss auf die Radialkraft FRRF und die Öffnungskraft FCOF der Stents hat. Durch eine Erhöhung der Kronenanzahl nK von 6 auf 12 ergibt sich eine durchschnittliche Steigerung der Radialkraft FRRF um ca. 381 % und eine Zunahme der Öffnungskraft FCOF um durchschnittlich ca. 32 %. Des Weiteren führt die Erhöhung der Kronenanzahl nK zu einer signifikanten Veränderung der bleibenden Verformung. Dabei wurde eine Reduzierung der bleibenden Stauchung ΔDS von durchschnittlich ca. 65 % und eine Erhöhung der bleibenden Längung ΔLS von durchschnittlich ca. 33 % festgestellt.

Die Erhöhung der Anzahl der Windungen nW zeigt einen positiven Effekt in Bezug auf die Radialkraft FRRF und die Öffnungskraft FCOF der Stents. Durch eine Erhöhung der Anzahl der Windungen nW von 1 auf 2 wurde eine durchschnittliche Steigerung der Radialkraft FRRF um ca. 253 % und eine Zunahme der Öffnungskraft FCOF um ca. 212 % beobachtet. In Bezug auf die bleibende Verformung ist ein Anstieg um ca.  33 % bei der bleibenden Längung ΔLS erkennbar, während der Effekt auf die bleibende Stauchung ΔDS nicht eindeutig festzustellen ist.

Der Produktparameter Länge LS wirkt sich negativ auf die Radialkraft FRRF und die Öffnungskraft FCOF aus. Eine Erhöhung LS der Länge von 37 mm auf 45 mm führt zu einer durchschnittlichen Reduzierung der Radialkraft FRRF um ca. 11 % und zu einer durchschnittlichen Verringerung der Öffnungskraft FCOF um ca. 16 %. In Bezug auf die bleibenden Längung ΔLS und bleibende Stauchung ΔDS sind keine eindeutigen Effekte festzustellen. Die zahlenmäßigen Ergebnisse sind in Abbildung 4, die durchschnittlichen Effekte der einzelne Parameter auf die Zielgrößen in Tabelle 3 dargestellt. 

s. Anlage Abbildung 4 und Tabelle 3, Abbildung 3:   Exemplarische Darstellung der Mg-Stentimplantate und Tabelle 3:        Mittlerer Effekt auf Zielgrößen (Faktorieller Versuchsplan)

Die Validierung der Dauerfestigkeit (2) wurde bei einem Prüfdurchmesser von DS = 85% D0 validiert (nP = 10) und durchgeführt (Abbildung 5, links). Die zyklischen Versuche wurden zunächst mit nP = 50 Zyklen durchgeführt (Abbildung 5, rechts).

s. Anlage Abbildung 5:           Zentrale Ergebnisse der zyklischen Versuche (1/2)

Die maximale Radialkraft (DS,85) des Implantates schwankt über den Prüfverlauf, während die geometrische Integrität erhalten bleibt. Es kommt zu keiner nennenswerten plastischen Verformung. Eine Veränderung der Stützkraft über den Prüfverlauf ist nicht erkennbar (Abbildung 6, links). Die mittlere Radialkraft stagniert zwischen 11,5 N und 10,7 N, bei einer Standardabweichung von 0,3 – 0,5 N. Die Radialkräfte von Zyklus 1., 25. und 50. unterscheiden sich nicht signifikant. Die Versuchsreihe mit nP = 200 Zyklen (nS = 1) ergibt ein ähnliches Ergebnis (Abbildung 6, rechts). Die Streuung der Ergebnisse nimmt erheblich zu, aber es ist keine Tendenz erkennbar.

s. Anlage Abbildung 6:           Zentrale Ergebnisse der zyklischen Versuche (2/2)

4. Fazit und Ausblick

Die Anwendungsbereiche für drahtbasierte Implantate wie bspw. Stentimplantate sind groß und nehmen zu. Degradierbare Implantate gelten dabei als vielversprechender Lösungsansatz, um die Defizite permanenter Implantate auszuräumen. Drahtbasierte Fertigungsverfahren zur Herstellung von Mg-Implantaten sind allerdings kaum untersucht. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden Ergebnisse zu relevanten mechanischen Eigenschaften von Mg-Implantaten und wie diese im Produktdesign eingestellt werden können präsentiert.

Die Ergebnisse der Studie zeigen signifikante Effekte der zentralen Produktparameter, insbesondere auf die Zielgrößen Radialkraft FRRF und Öffnungskraft FCOF. Im Hinblick auf die Öffnungskraft FCOF ergibt sich die Anzahl der Windungen nW aber auch die Anzahl der Kronen nK als entscheidende Faktoren mit größtem Optimierungspotential. Es stellte sich auch heraus, dass die Länge LS einen schwach negativen Einfluss auf die Öffnungskraft FCOF hat, was bei der Auslegung berücksichtigt werden sollte. Eine Bewertungsübersicht der zentralen Ergebnisse bezüglich der Effektstärken ist in Tabelle 4 dargestellt.

Die zyklischen Versuche zeigen, dass Mg-Draht basierte Stentimplantate eine geringe Ermüdungsneigung aufweisen und eine vollelastische Strukturstabilität der textilen Strukturen nach einmaliger Verformung im 1. Prüfzyklus gegeben ist. Bis zu nP = 200 Zyklen wurden kein Materialversagen oder anderweitige Unregelmäßigkeiten beobachtet. Auch wenn die Forschung noch am Anfang steht, zeigt diese, wie auch vorangegangene Veröffentlichungen [Mer23b; GJG22], das Magnesium als Implantatmaterial für drahtbasierte (Stent-)Implantate ein Werkstoff mit hohem Innovationspotenzial ist.

s. Anlage Abbildung 6:           Zentrale Ergebnisse der zyklischen Versuche (2/2)

 

Literaturverzeichnis

[Bol18]        Bolle, T.: MagCage - Textiles Magnesium-Implantat mit spezifischem mechanischem und geometrischem Eigenschaftsprofil für die Behandlung großer Knochendefekte in Röhrenknochen, 2018

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Polymers Band:14 (2022)            H. 24

[FDA19]      FDA: Implants and Prosthetics, 2019, https://www.fda.gov/medical-devices/products-and-medical-procedures/implants-and-prosthetics, Zugriff am 17.07.2023

[GJG22]      Grimm, Y.; Jaworek, F.; Gries, T.:
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Catheterization and cardiovascular interventions : official journal of the Society for Cardiac Angiography & Interventions Band:92 (2018) H. 7, E502-E511

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Evaluierung automatisierter Verfahren zur Herstellung drahtbasiert geflochtener Stentimplantate.
1. AuflageAufl.- Düren: Shaker, 2023

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Current Status and Outlook of Temporary Implants (Magnesium/Zinc) in Cardiovascular Applications
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[Syn19]       Syntellix AG: Bioresorbierbare Magnesiumschrauben (MgYREZr) in der orthopädischen Chirurgie, 2019, https://wehrmed.de/humanmedizin/bioresorbierbare-magnesiumschrauben-mgyrezr-in-der-orthopaedischen-chirurgie-3832.html, Zugriff am 18.07.2023

[WXH+20]        Wang, J.-L.; Xu, J.-K.; Hopkins, C.; Chow, D. H.-K.; Qin, L.:
Biodegradable Magnesium-Based Implants in Orthopedics-A General Review and Perspectives: Advanced science (Weinheim, Baden-Wurttemberg, Germany) Band:7 (2020) H. 8, S. 1902443

AutorInnen: Merkord, Felix Newroly, Bendewar Gerber, Dennis Gries, Thomas

Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen, Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

Flechten Implantate Stent Magnesium Geflecht

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29.09.2022

Patientenindividuelle Textilimplantate: Gewirkte Maschenwaren in Losgröße 1-Fertigung

Gestricke & Gewirke Technische Textilien

Zusammenfassung

Die patientenorientierte Gesundheitsversorgung macht die Individualisierung der Medizin unabdingbar. Dies erfordert Fortschritte in der Patientenindividualisierung, insbesondere durch die Medizintechnik, um den gewünschten Therapieerfolg zu erzielen. Dem steht aus technischer und wirtschaftlicher Sicht die Forderung nach einer wirtschaftlichen und reproduzierbaren Herstellung von Produkten mit der Losgröße 1 gegenüber, die mit innovativen textilen Herstellungsverfahren erfüllt werden kann. Es fehlt jedoch an einem grundlegenden Verständnis von Produktdesign, Endprodukteigenschaften und zwischengeschalteten Herstellungsprozessen sowie an geeigneten Werkzeugen für die Umsetzung dieser patientenindividuellen Ansätze.

Ziel des Projekts ist es, einen Herstellungsprozess für patientenindividuelle Textilimplantate zu implementieren, um Patienten eine optimal auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Therapie zu ermöglichen. Als Anwendungsbeispiel dienen Implantate zur Behandlung von Aortenaneurysmen, da dies ein sowohl klinisch als auch wirtschaftlich äußerst relevantes Einsatzgebiet für patientenindividuelle Implantatstrukturen ist.

Um das Projektziel zu erreichen, wurden Ansätze zur geometrischen und strukturellen Patientenindividualisierung von textilen Implantatstrukturen untersucht. Über eine durchgängige digitale Prozesskette wurde ein datenbankgestütztes virtuelles Modell zur Produktgestaltung entwickelt. Die Wechselwirkungen zwischen dem virtuellen Produktdesign, den Prozessparametern des Fertigungsprozesses und den resultierenden Implantateigenschaften wurden sowohl inline als auch offline ermittelt. Für die Inline-Erfassung der Prozessparameter wurden geeignete Werkzeuge entwickelt und implementiert. Diese erfassten Daten werden in die virtuelle Modelldatenbank zurückgespielt und verbessern so kontinuierlich die Genauigkeit und Robustheit der patientenindividuellen Konstruktion und Fertigung von Implantatstrukturen. Auf diese Weise kann eine wirtschaftliche und reproduzierbare Produktion von textilen Implantaten mit einer Losgröße von 1 realisiert werden, die eine optimal auf den Patienten zugeschnittene Therapie ermöglicht.

Bericht

Einleitung
Der demografische Wandel und ein zunehmend ungesunder Lebensstil in der westlichen Welt führen zu einer stetig steigenden Zahl von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und stellen die moderne Medizin vor große Herausforderungen. Mit der zunehmenden Zahl von Behandlungen steigt auch die Zahl der Patienten, die aufgrund ihrer individuellen Anatomie oder Physiologie für eine Behandlung mit Standardprodukten nicht geeignet sind. Dies betrifft etwa 40% aller Patienten der jährlich in Deutschland durchgeführten rund 21.000 endovaskulären Behandlungen von Aortenaneurysmen. Eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung macht daher eine Individualisierung der Medizin notwendig [2]. Dies erfordert auch ein Fortschreiten der Patientenindividualisierung durch die Medizintechnik, um den gewünschten Therapieerfolg zu erzielen. Diese individualisierten Implantate sollten exakt auf die spezifische Anatomie des Patienten zugeschnitten sein und auf Basis eines medizinischen Bilddatensatzes in Losgröße 1 hergestellt werden. Auf diese Weise wird eine Versorgung der lebenswichtigen Abgänge der Aorta gewährleistet. Aus technischer und wirtschaftlicher Sicht steht der Individualisierung die Bedingung einer wirtschaftlichen und reproduzierbaren Herstellung von Produkten mit Losgröße 1 gegenüber. Diese Anforderungen können mit innovativen textilen Fertigungsverfahren erfüllt werden. Die Kettenwirktechnik im Allgemeinen und die Jacquard-Wirktechnik im Besonderen erfüllen die notwendigen Anforderungen, sind aber in hohem Maße bedienerabhängig. Das enorme Potenzial der Jacquard-Wirktechnologie für die Herstellung von textilen Implantaten wird derzeit nicht genutzt, da keine Erfahrungen über die Zusammenhänge des Wirkprozesses vorliegen und keine Konstruktionswerkzeuge existieren, die diese Zusammenhänge adäquat beschreiben. Die am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen (ITA) im Projekt "IndiTexPlant" erzielten Ergebnisse bieten erstmals die Möglichkeit, das virtuelle Produktdesign in Kombination mit der Jacquard-Stricktechnologie in eine digitale Produktentwicklung vom medizinischen Bilddatensatz über das Topologiemodell der rekonstruierten Produktgeometrie bis hin zur Ableitung der Musterung für das textile Produkt zu übertragen (siehe Abbildung 1).

AutorInnen: Tobias Lauwigi Author, Kai-Chieh Kuo Co-Author

ITA Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Strasse 1, 52074 Aachen, Deutschland

Medtech Textilimplantat Medizin

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