Forschungspublikationen

27.10.2023

Leichtigkeit durch Hohlkörper-Platten: Entwicklung leichter Carbonbetonfertigteile auf Basis textiler 3D-Netzgitterträger

Gestricke & Gewirke Composites Textilmaschinenbau Nachhaltigkeit Technische Textilien

Zusammenfassung

In branchenübergreifender Kooperation wurde am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) und dem Institut für Massivbau (IMB) der TU Dresden leichte Carbonbetonfertigteile für materialeffiziente Decken- und Wandelemente auf Basis einer neuartigen 3D-Netzgitterträgerstruktur entwickelt.

Im Bauwesen sind Fertigteile eine etablierte Lösung für die Unterstützung eines schnellen Bauforschritts von Decken- und Wandelementen. Jedoch stoßen konventionelle Elemente aus Stahlbeton aufgrund ihres massiven Aufbaus und der Korrosionsanfälligkeit des Bewehrungsstahls immer öfter an ihre Einsatzgrenzen. Daher sollen perspektivisch auch im Filigranfertigteilbau textile Bewehrungen für Gitterträger eingesetzt werden, die zusätzliche Hohlräume, bspw. zur Führung von Medien, etc. ermöglichen.

Bericht

Carbon statt Stahl

Tragendes Element der neuen Fertigteilgeneration sind textile Gitterträger, deren Netzstruktur auf überlagernden, diagonal versetzenden Carbonrovings basiert. Der lastgerechte und korrosionsresistente textile Netzgitterträger ermöglicht eine deutliche Reduzierung der Betondeckung und der damit verbundenen CO2-Emmission und eröffnet innovative Design- und Funktionalisierungsmöglichkeiten durch die Integration von großvolumigen Hohlräumen. (Abbildung 1)

Carbonfaserbasierter 3D-Netzgitterträger

Das ITM der TU Dresden hat die textile Fertigungstechnologie auf Grundlage mehrerer Kettfadenversatzsysteme in Kombination mit einem nachgelagerten Umformprozess für die Herstellung der 3D-Netzgittertäger entwickelt. Hierbei erfolgt die Fertigung der netzartigen 2D-Textilstruktur auf Basis der weiterentwickelten Kettfadenversatztechnologie der Multiaxial-Kettenwirktechnik. Die Umformung und Strukturfixierung erfolgt auf Basis zweier entwickelter technologischer Ansätze als Nass- und Warmumformung durch die modulare Erweiterung konventioneller Beschichtungsanlagen. (Abbildung 2)

Leichtbau-Hohlkörperdecke aus Carbonbeton

Das im Bereich Carbonbeton renommierte IMB der TU Dresden führte eine numerisch gestützte baustatische Auslegung sowie die bautechnische Erprobung der Verstärkungsstruktur mit einer anschließenden simulationsgestützen Topologieoptimierung der 3D-Netzgitterträger aus. Hierzu wurden modifizierte Biegezugversuche nach RILEM RC5 sowie Auszugversuche an umgelenkt einbetonierten Garnen zur Ermittlung der Zug- und Verbundeigenschaften durchgeführt. Die Ergebnisse hierzu sind in Abbildung 3 auszugsweise dargestellt.

Weiterführend wurden neue Designmöglichkeiten, bspw. die Integration von Hohlräumen, Dämmungen und Leitungsschächten in Deckenelementen entwickelt und erprobt. Ergebnis ist eine innovative Produktfamilie für die Anwendung in Sandwichstrukturen, Doppelwänden und im allgemeinen „Filigran“-Fertigteilbau. Hierbei können komplexe geometrische Formen durch neuartige Schalungsmethoden umgesetzt werden.

Um das Potenzial eines leichten, mit 3D-Netzgitterträger bewehrten Hohlkörperplattensystems aufzuzeigen wurde eine umfassende vergleichende Analyse von Plattensystemen mit identischem Querschnitt durchgeführt (siehe Abbildung 5, pdf-Version). Die drei untersuchten Plattensysteme für Decken waren die stahlbewehrte Vollplatte (SVP), die stahlbewehrte Hohlplatte (SHP) und die mit Netzgitterträgern bewehrte Hohlplatte (NHP).

Die vergleichende analytische Untersuchung zeigt, dass aufgrund der höheren Leistungsfähigkeit der mit Netzgitterträgern bewehrten Hohlplatte signifikante Material- und Masseeinsparungen hinsichtlich Beton und Bewehrung in Form von großvolumigen Hohlräumen (36 %) möglich ist. Ein Vergleich der drei unterschiedlichen Plattenarten verdeutlicht eindrucksvoll am Beispiel einer 7,2 m x 1,0 m x 0,155 m großen Deckenplatte (L x B x H), dass bei gleichbleibender Belastung mit einer Nutzlast von 1,5 kN/m² die mit Netzgitterträgern bewehrte Hohlplatte (NHP) 36 % leichter als die stahlbewehrte Vollplatte (SVP) und 27,6 % leichter als die stahlbewehrte Hohlplatte (SHP) ausgeführt werden kann. Dies liegt darin begründet, dass aufgrund der korrosionsresistenten Netzgitterträger-Bewehrung die Betondeckung deutlich reduziert und somit der Hohlraumanteil im Vergleich zur stahlbewehrten Hohlplatte von 11 % auf 36 % gesteigert werden kann. Daraus resultiert eine signifikante Betoneinsparung der mit Netzgitterträgern bewehrten Hohlplatte von 28 % im Vergleich zu Hohlplatten mit korrosionsanfälliger Stahlbewehrung.

Die enorme Material- und Masseeinsparung von Beton und Bewehrung durch Integration von Hohlräumen (ca. 36 %) und Verwendung leichter Carbonbewehrungen der mit Netzgitterträgern bewehrten Hohlplatte im Vergleich zu konventionellen Plattensystemen für Deckenanwendungen bei gleichbleibender Leistungsfähigkeit zeigt das hohe wirtschaftliche und ökologische Potential der textilbewehrten Filigran-Fertigteile für die Bauindustrie auf.

Als Ergebnis des Forschungsprojektes wurde die Carbonbetontechnologie auf das enorm große Marktsegment der Filigranfertigteile übertragen und neue Lösungen für das ressourcenschonende Bauen der Zukunft bereitgestellt.

Das IGF-Vorhaben 21556 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

AutorInnen: Penzel, P.; Ur Rehman, N.; Hahn, L.; Michler, H.; Cherif, C.; Curbach, M.

Technische Universität Dresden, Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) und Institut für Massivbau (IMB)

Dipl.-Ing. Paul Penzel, M. Sc. Nazaib Ur Rehman, Wiss. Mitarbeiter

+49 351 463-422 45 // +49 351 463-404 73

http://tu-dresden.de/mw/itm // https://tu-dresden.de/bu/bauingenieurwesen/imb

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19.07.2023

Magnesium als Textil: Potenziale textiler Mg-Implantate

Gewebe Gestricke & Gewirke Medizin Tests

Zusammenfassung

Implantate werden eingesetzt, um Körperfunktionen wiederherzustellen oder zu unterstützen. Stentimplantate werden beispielsweise implantiert, um Blutgefäße oder Organe zu öffnen oder zu stabilisieren. Insbesondere bei direktem Blutkontakt, aber auch in nicht-vaskulären Anwendungsbereichen verursachen dauerhaft im Patienten verbleibende Fremdkörper Langzeitkomplikationen und sorgen für eine erhöhte Patientenbelastung. Die zentralen Defizite sind Entzündungsreaktionen, notwendige Revisions- oder Entnahmeoperationen, Stress-Shielding (Gewebeveränderung aufgrund mechanischer Einflüsse), Lockerung und Migration aufgrund des Wachstums des Patienten und erhebliche Einschränkungen diagnostischer Verfahren wie Röntgen und CT-Scans durch die Verursachung von Bildartefakten. Aus den genannten Gründen wird seit einigen Jahren bereits an degradierbaren Implantatmaterialien geforscht. Magnesium hat sich dabei aufgrund seiner mechanischen Eigenschaften als vielversprechend erwiesen. Während Fertigungsverfahren wie Gießen oder Schneiden von Magnesium bereits gut erforscht sind, besteht wenig veröffentlichtes Wissen über die Entwicklung Mg-Draht basierter, textiler Strukturen. In dieser Studie wird die Möglichkeit der Verarbeitbarkeit von Magnesiumdraht in textilen Fertigungsverfahren aufgezeigt und am Beispiel von Stentimplantaten relevante Stell- und Zielgrößen validiert. Es kann gezeigt werden, das Magnesium textil verarbeitbar ist und sich anhand von Mg-Draht für die medizinische Anwendung geeignete textile Strukturen erzeugen lassen.

Bericht

Abstract: Implantate werden eingesetzt, um Körperfunktionen wiederherzustellen oder zu unterstützen. Stentimplantate werden beispielsweise implantiert, um Blutgefäße oder Organe zu öffnen oder zu stabilisieren. Insbesondere bei direktem Blutkontakt, aber auch in nicht-vaskulären Anwendungsbereichen verursachen dauerhaft im Patienten verbleibende Fremdkörper Langzeitkomplikationen und sorgen für eine erhöhte Patientenbelastung. Die zentralen Defizite sind Entzündungsreaktionen, notwendige Revisions- oder Entnahmeoperationen, Stress-Shielding (Gewebeveränderung aufgrund mechanischer Einflüsse), Lockerung und Migration aufgrund des Wachstums des Patienten und erhebliche Einschränkungen diagnostischer Verfahren wie Röntgen und CT-Scans durch die Verursachung von Bildartefakten. Aus den genannten Gründen wird seit einigen Jahren bereits an degradierbaren Implantatmaterialien geforscht. Magnesium hat sich dabei aufgrund seiner mechanischen Eigenschaften als vielversprechend erwiesen. Während Fertigungsverfahren wie Gießen oder Schneiden von Magnesium bereits gut erforscht sind, besteht wenig veröffentlichtes Wissen über die Entwicklung Mg-Draht basierter, textiler Strukturen. In dieser Studie wird die Möglichkeit der Verarbeitbarkeit von Magnesiumdraht in textilen Fertigungsverfahren aufgezeigt und am Beispiel von Stentimplantaten relevante Stell- und Zielgrößen validiert. Es kann gezeigt werden, das Magnesium textil verarbeitbar ist und sich anhand von Mg-Draht für die medizinische Anwendung geeignete textile Strukturen erzeugen lassen.

  1. Einleitung

Die Food and Drug Administration (FDA), die Aufsichtsbehörde für Lebensmittel und Arzneimittel in den USA, einem der größten Medizintechnikmärkte der Welt, definiert Implantate als Produkte, die an oder unter der Körperoberfläche implantiert werden, um Medikamente abzugeben, Körperfunktionen zu überwachen oder Organe und Gewebe zu unterstützen. Beispiele sind Stentimplantate, Knochenschrauben/-platten sowie Herzschrittmacher und Defibrillatoren. [FDA19] Die Fallzahlen der Implantationen in Deutschland verdeutlichen, dass es zwei große Anwendungsbereiche für Implantate gibt. Sieht man von Zahnimplantaten ab, werden die meisten Implantate im Bereich des Skelettsystems eingesetzt. Im Jahr 2017 wurden 238.000 Hüftgelenke, 191.000 Kniegelenke und 26.000 Endoprothesen in Extremitäten implantiert. An zweiter Stelle stehen Stentimplantate mit 138.000 Implantaten in Gefäßen und Organen. [Bra18]

Die aktuell überwiegend verwendeten Implantatmaterialien können in Metalle, Polymere und Keramiken unterteilt werden. Metalle wie rostfreier Stahl werden verwendet, wenn eine hohe Festigkeit erforderlich ist, während Nickel-Titan-Legierungen eingesetzt werden, wenn ein elastisches Strukturverhalten erforderlich ist. Im Bereich der Polymere werden verschiedene Kunststoffe verwendet, von Polyethylen für hohe Abriebfestigkeit bis zu Polytetrafluorethylen (PTFE) für besonders geringe Reibung. Keramische Werkstoffe werden vor allem als Hüftgelenkkugeln, Knochenersatzmaterial und in der Zahnmedizin verwendet, darunter Aluminium und Zirkonoxid. [SSA+15; Psc20]

Diese beständigen Implantatmaterialien bringen allerdings entscheidende Nachteile mit sich. Die fünf am häufigsten genannten Defizite sind im Folgenden zusammengefasst:

  1. Ein zentrales Defizit ist das Risiko von Entzündungsreaktionen, wie z. B. beim Einsatz von Stentimplantaten. Stents werden eingesetzt, um verengte Gefäße wieder zu öffnen oder offen zu halten. Wenn ein Stent über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahren im Körper verbleibt, kann es aufgrund mechanischer und biochemischer Reizungen zu Entzündungsreaktionen (Inflammation) kommen. Diese führt zur Bildung von Narbengewebe, welches den Stent überwuchern kann, wodurch das betroffene Gefäß wieder verschlossen wird (Restenose). [OTO+21]
  2. Ein weiterer Nachteil sind die notwendigen Revisions- oder Entnahmeoperationen für vorübergehend benötigte Implantate. In diesem Zusammenhang sind die häufig erforderlichen Medikamente zur Verringerung von Fremdkörperreaktionen und ihre Nebenwirkungen eine zusätzliche Belastung der Patienten. Dies und der zusätzliche Eingriff führt zu erhöhter Belastungen des Patienten, höheren Kosten und operationsbedingten Risiken wie bspw. Infektionen. [WXH+20]
  3. Stress Shielding ist ein Defizit permanenter Implantate, welches insbesondere in der Orthopädie auftritt. Dieser Effekt hängt mit den mechanischen Eigenschaften der verwendeten Implantatmaterialien zusammen, insbesondere mit der Festigkeit und dem elastischen Verhalten. Die heute verwendeten Materialien haben in der Regel eine höhere Zugfestigkeit und ein höheres Elastizitätsmodul als der umgebende Knochen. Dadurch werden die Kräfte, die nativ gleichmäßig durch den Knochen geleitet werden, je nach Belastung lokal, punktuell in das weichere Füllmaterial (Spongiosa) des Knochens eingebracht. Bereiche des Knochens, die nun weniger belastet werden, werden zurückgebildet und dies kann zu einer Lockerung des Implantats führen. [WXH+20]
  4. Ein Nachteil bei der Behandlung junger, noch wachsender Patienten ist, dass sich Implantate, die lange Zeit im Körper verbleiben, nur bedingt dem Wachstum anpassen können. Dies kann zur Lockerung von Endoprothesen und so zu einem erhöhten Risiko der Migration von Stentimplantaten führen. Darüber hinaus können Implantate das natürliche Wachstum des Patienten negativ beeinflussen. [OTO+21]
  5. Implantate erschweren die Diagnostik anhand bildgebender Verfahren. Insbesondere metallische Implantate verursachen Bildartefakte in Röntgenaufnahmen oder bei CT-Scans, was die Auswertung des Bildmaterials erschwert oder unmöglich macht. [OTO+21]

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es sinnvoll wäre Implantate zu verwenden, die während der Heilungsphase abgebaut werden, damit der Körper nach und nach seine natürliche Funktion wiederherstellen kann und langfristig keine Fremdkörper im Patienten zurückbleiben.

  1. Stand der Technik & Defizit

Bei der Auswahl geeigneter Implantatmaterialien müssen drei zentrale Materialeigenschaften berücksichtigt werden. Die Biokompatibilität, die mechanischen Eigenschaften sowie die Degradationszeit. Biokompatible Materialien verursachen keine nachteiligen Gewebereaktionen, sind metabolisierbar und erzeugen pH-neutrale Abbauprodukte. Was die mechanischen Eigenschaften betrifft, so müssen Zugfestigkeit und Elastizitätsmodul genauso wie die Degradationszeit in vivo der Heilungszeit der jeweiligen Anwendung entsprechen. [PRW+22]

Die Auswahl an in der aktuellen Forschung relevanten, abbaubaren Implantatmaterialien umfasst Polymere wie PLLA (Polymilchsäure) und PDS (Polydioxanon) sowie Metalle wie Eisen und Magnesium (Tabelle 1). Ein optimales Implantatmaterial sollte chemisch neutral abbaubar sein, eine biokompatibel sein und innerhalb des optimalen Korridors der Abbaudauer liegen. Insbesondere bei Anwendungen in Hohlorganen und Gefäßen sollten die mechanischen Eigenschaften des Implantatmaterials besonders hoch sein, um ein optimales Verhältnis zwischen Wandstärke und Stützkraft zu ermöglichen. Da PLLA und Eisen zu langsam degradieren, setzt sich Magnesium aufgrund seiner besseren Zugfestigkeit und Steifigkeit im Vergleich zu PDS als besser geeignetes Material für tragende und stützende Anwendungen durch. [PRW+22]

s. Anlage Tabelle 1: Eigenschaften degradierbarer Materialien [EBK+22; MLM+20; LFW14]

Es ist anzumerken, dass die Eigenschaften von purem Magnesium hinsichtlich der Anwendung für medizinische Implantate nicht ausreichend sind. Wie bei anderen Metallen können diese Eigenschaften anhand der Stellgrößen Legierungskomponenten, Kornstruktur sowie Geomtrie- und Oberflächengestaltung eingestellt werden. Dabei spielen das metallische Gefüge (Legierungszusammensetzung und Kornstruktur), die geometrische Gestaltung des Implantats, die Oberflächenbehandlung und die Beschichtung eine Rolle. Eine in der Medizintechnik häufig verwendete Legierung ist WE43, die Yttrium, verschiedene seltene Erden und Zirkonium enthält und eine hohe Festigkeit und Korrosionsbeständigkeit aufweist. [LFW14] Es befinden sich bereits lasergeschnittene Implantate aus diesem Material wie der Magmaris-Stent von Biotronik SE, Berlin in klinischen Studien, Knochenschrauben wie die Magnezix-Schraube der Firma Syntellix AG, Hannover sind bereits auf dem Markt und auch an großvolumigen, 3D-gedruckten (Lasersintern) Lösungen wird geforscht. [HIK+18; Syn19] Die textile Verarbeitung von Mg-Draht zu textilen Implantaten ist nach aktuellem Stand der Technik noch wenig erforscht. Dabei besteht gerade im Bereich großlumiger Gefäßprothesen ein hoher, stark wachsender Bedarf. [GJG22; Mer23b]

  1. Methodik

Bei der Validierung von Magnesium als Implantatmaterial für die Herstellung abbaubarer, textiler Stützstrukturen sind initial zwei zentrale Fragen zu klären.

  1. Zum einen stellt sich die Frage nach der Verarbeitbarkeit des Ausgangsmaterials. Textile Prozesse erfordern spezifische, mechanische und tribologische Eigenschaften des Halbzeugs. Hierzu gehören eine hohe Zugfestigkeit, ein geeignetes Elastizitätsmodul und passende Biegesteifigkeit sowie ein verarbeitbarer Durchmesser des Ausgangsmaterials.
  2. Zum anderen muss die Eignung der Produkteigenschaften der textilen Strukturen für relevante klinische Indikationen gewährleistet sein. Hierzu gehören die mechanischen Eigenschaften (FRRF, FCOF) (1) sowie die mechanische Integrität bei zyklischer Belastung der Implantate (2).

3.1 Validierung der Verarbeitbarkeit

Am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen wurde die Verarbeitbarkeit von Magnesium und vergleichbaren Werkstoffen zur Herstellung von textilen Schlauchstrukturen durch Stricken, Weben und Flechten bereits untersucht (IGF-Forschungsprojekt 18880 N "MagCage - Textiles Magnesium-Implantat mit spezifischem mechanischem und geometrischem Eigenschaftsprofil für die Behandlung großer Knochendefekte in Röhrenknochen"). Es konnte gezeigt werden, dass aus Magnesiumdraht schlauchförmige Strukturen durch Strickverfahren hergestellt werden können. Im Webprozess führte die Herstellung von Geweben mit geschlossenen Webkanten aufgrund der Biegesteifigkeit des Ausgangsmaterials zu unbrauchbaren, inhomogenen Ergebnissen. Die Verarbeitbarkeit im Flechtprozess wurde sowohl maschinell als auch manuell untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass der Magnesiumdraht mit geringen Modifikationen der Flechtklöppel verarbeitet werden kann. Auch die manuelle Verarbeitbarkeit des Magnesiumdrahtes konnte nachgewiesen werden (Siehe Abbildung 1). [Bol18]

s. Anlage Abbildung 1: Textile Verarbeitung von Magnesium-Draht [Bol18; Mer23a]

3.2 Validierung der Produkteigenschaften

Die Eignung von drahtbasierten Geflechten zur Anwendung als Implantat wurde am Institut für Textiltechnik am Beispiel von Stentimplantaten untersucht und bestätigt [Mer23b]. Eine Validierung der relevanten Produktparameter sowie der Dauerfestigkeit der Produkte steht noch aus und soll hier vorgestellt werden. Zur Prüfung der mechanischen Eigenschaften der Stentstrukturen bestehen genormte Verfahren wie die radiale Druckprüfung (DIN EN ISO 25539-2) (Siehe Abbildung 2). Dabei wird der Widerstand des Implantats gegen Kompression auf einen kleineren Durchmesser gemessen. Eine Bewertung kann z. B. anhand der radialen Stützkraft des Implantats bei einem Mindestdurchmesser von 50 % des Ausgangsdurchmessers vorgenommen werden.

s. Anlage Abbildungs 2:           Prüfvorrichtung zur Validierung der Radialkraft der Stentimplantate [Mer23a]

Im Rahmen der hier veröffentlichten Studien wurden zunächst zentrale Produktparameter (1) und ihr Einfluss auf die Zielgrößen Radialkraft (FRRF), Öffnungskraft (FCOF) sowie die bleibende Verformung (Längung, ΔDS und Stauchung, ΔLS) untersucht. Die berücksichtigen Produktparameter sind die Kronenzahl nK, der Flechtwinkel (Anzahl der Windungen nW) sowie die Länge der Implantate LS (Tabelle 2). Der Stent Durchmesser beträgt DS = 16 mm. Die Stentimplantate wurden manuell aus PEO-beschichtetem Mg-Draht der Firma Meotec GmbH, Aachen (DD = 0,2 mm) geflochten (Abbildung 3), in Anlehnung an die Prüfnorm DIN EN ISO 25539-2 geprüft und anhand eines faktoriellen Versuchsplanes ausgewertet.

s. Anlage Tabelle 2 und Abbildung 3: Tabelle 2:   Strukturmerkmale und Variationen und Abbildung 3:   Exemplarische Darstellung der Mg-Stentimplantate

Zur Validierung der Dauerfestigkeit (2) wurden in Anlehnung an die Prüfnorm DIN EN ISO 25539-2 zyklische Versuche durchgeführt. Das hierzu herangezogene Stentdesign ist ein Rundgeflecht mit einer Länge LS = 30 mm und einem Durchmesser von DS = 6 mm. Zur Validierung der Dauerfestigkeit wurde in Vorversuchen zunächst der Bereich der „elastischen Verformung“ des Implantates ermittelt. Es wurde ein Crimp-Durchmesser von DS = 85% D0 als überwiegend elastischer Prüfbereich definiert. Vollständige elastische Rückstellung ist mit dem vorliegenden Mg-Draht nicht möglich. Mit diesem Prüfdurchmesser wurden Versuchsreihen mit nP = 50 und 200 Zyklen durchgeführt und ausgewertet.

4. Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Parameteruntersuchung (1) sowie der Validierung der Dauerfestigkeit (2) vorgestellt.

Im Rahmen der Parameterstudie (1) konnte gezeigt werden, dass die Anzahl der Kronen nK einen deutlichen Einfluss auf die Radialkraft FRRF und die Öffnungskraft FCOF der Stents hat. Durch eine Erhöhung der Kronenanzahl nK von 6 auf 12 ergibt sich eine durchschnittliche Steigerung der Radialkraft FRRF um ca. 381 % und eine Zunahme der Öffnungskraft FCOF um durchschnittlich ca. 32 %. Des Weiteren führt die Erhöhung der Kronenanzahl nK zu einer signifikanten Veränderung der bleibenden Verformung. Dabei wurde eine Reduzierung der bleibenden Stauchung ΔDS von durchschnittlich ca. 65 % und eine Erhöhung der bleibenden Längung ΔLS von durchschnittlich ca. 33 % festgestellt.

Die Erhöhung der Anzahl der Windungen nW zeigt einen positiven Effekt in Bezug auf die Radialkraft FRRF und die Öffnungskraft FCOF der Stents. Durch eine Erhöhung der Anzahl der Windungen nW von 1 auf 2 wurde eine durchschnittliche Steigerung der Radialkraft FRRF um ca. 253 % und eine Zunahme der Öffnungskraft FCOF um ca. 212 % beobachtet. In Bezug auf die bleibende Verformung ist ein Anstieg um ca.  33 % bei der bleibenden Längung ΔLS erkennbar, während der Effekt auf die bleibende Stauchung ΔDS nicht eindeutig festzustellen ist.

Der Produktparameter Länge LS wirkt sich negativ auf die Radialkraft FRRF und die Öffnungskraft FCOF aus. Eine Erhöhung LS der Länge von 37 mm auf 45 mm führt zu einer durchschnittlichen Reduzierung der Radialkraft FRRF um ca. 11 % und zu einer durchschnittlichen Verringerung der Öffnungskraft FCOF um ca. 16 %. In Bezug auf die bleibenden Längung ΔLS und bleibende Stauchung ΔDS sind keine eindeutigen Effekte festzustellen. Die zahlenmäßigen Ergebnisse sind in Abbildung 4, die durchschnittlichen Effekte der einzelne Parameter auf die Zielgrößen in Tabelle 3 dargestellt. 

s. Anlage Abbildung 4 und Tabelle 3, Abbildung 3:   Exemplarische Darstellung der Mg-Stentimplantate und Tabelle 3:        Mittlerer Effekt auf Zielgrößen (Faktorieller Versuchsplan)

Die Validierung der Dauerfestigkeit (2) wurde bei einem Prüfdurchmesser von DS = 85% D0 validiert (nP = 10) und durchgeführt (Abbildung 5, links). Die zyklischen Versuche wurden zunächst mit nP = 50 Zyklen durchgeführt (Abbildung 5, rechts).

s. Anlage Abbildung 5:           Zentrale Ergebnisse der zyklischen Versuche (1/2)

Die maximale Radialkraft (DS,85) des Implantates schwankt über den Prüfverlauf, während die geometrische Integrität erhalten bleibt. Es kommt zu keiner nennenswerten plastischen Verformung. Eine Veränderung der Stützkraft über den Prüfverlauf ist nicht erkennbar (Abbildung 6, links). Die mittlere Radialkraft stagniert zwischen 11,5 N und 10,7 N, bei einer Standardabweichung von 0,3 – 0,5 N. Die Radialkräfte von Zyklus 1., 25. und 50. unterscheiden sich nicht signifikant. Die Versuchsreihe mit nP = 200 Zyklen (nS = 1) ergibt ein ähnliches Ergebnis (Abbildung 6, rechts). Die Streuung der Ergebnisse nimmt erheblich zu, aber es ist keine Tendenz erkennbar.

s. Anlage Abbildung 6:           Zentrale Ergebnisse der zyklischen Versuche (2/2)

4. Fazit und Ausblick

Die Anwendungsbereiche für drahtbasierte Implantate wie bspw. Stentimplantate sind groß und nehmen zu. Degradierbare Implantate gelten dabei als vielversprechender Lösungsansatz, um die Defizite permanenter Implantate auszuräumen. Drahtbasierte Fertigungsverfahren zur Herstellung von Mg-Implantaten sind allerdings kaum untersucht. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden Ergebnisse zu relevanten mechanischen Eigenschaften von Mg-Implantaten und wie diese im Produktdesign eingestellt werden können präsentiert.

Die Ergebnisse der Studie zeigen signifikante Effekte der zentralen Produktparameter, insbesondere auf die Zielgrößen Radialkraft FRRF und Öffnungskraft FCOF. Im Hinblick auf die Öffnungskraft FCOF ergibt sich die Anzahl der Windungen nW aber auch die Anzahl der Kronen nK als entscheidende Faktoren mit größtem Optimierungspotential. Es stellte sich auch heraus, dass die Länge LS einen schwach negativen Einfluss auf die Öffnungskraft FCOF hat, was bei der Auslegung berücksichtigt werden sollte. Eine Bewertungsübersicht der zentralen Ergebnisse bezüglich der Effektstärken ist in Tabelle 4 dargestellt.

Die zyklischen Versuche zeigen, dass Mg-Draht basierte Stentimplantate eine geringe Ermüdungsneigung aufweisen und eine vollelastische Strukturstabilität der textilen Strukturen nach einmaliger Verformung im 1. Prüfzyklus gegeben ist. Bis zu nP = 200 Zyklen wurden kein Materialversagen oder anderweitige Unregelmäßigkeiten beobachtet. Auch wenn die Forschung noch am Anfang steht, zeigt diese, wie auch vorangegangene Veröffentlichungen [Mer23b; GJG22], das Magnesium als Implantatmaterial für drahtbasierte (Stent-)Implantate ein Werkstoff mit hohem Innovationspotenzial ist.

s. Anlage Abbildung 6:           Zentrale Ergebnisse der zyklischen Versuche (2/2)

 

Literaturverzeichnis

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Polymers Band:14 (2022)            H. 24

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Evaluierung automatisierter Verfahren zur Herstellung drahtbasiert geflochtener Stentimplantate.
1. AuflageAufl.- Düren: Shaker, 2023

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Journal of biomaterials applications Band:34 (2020)        H. 7, S. 902–916

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The international journal of cardiovascular imaging Band:37 (2021) H. 3, S. 791–801

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[Syn19]       Syntellix AG: Bioresorbierbare Magnesiumschrauben (MgYREZr) in der orthopädischen Chirurgie, 2019, https://wehrmed.de/humanmedizin/bioresorbierbare-magnesiumschrauben-mgyrezr-in-der-orthopaedischen-chirurgie-3832.html, Zugriff am 18.07.2023

[WXH+20]        Wang, J.-L.; Xu, J.-K.; Hopkins, C.; Chow, D. H.-K.; Qin, L.:
Biodegradable Magnesium-Based Implants in Orthopedics-A General Review and Perspectives: Advanced science (Weinheim, Baden-Wurttemberg, Germany) Band:7 (2020) H. 8, S. 1902443

AutorInnen: Merkord, Felix Newroly, Bendewar Gerber, Dennis Gries, Thomas

Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen, Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

Flechten Implantate Stent Magnesium Geflecht

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29.03.2023

Thermogeneratorpaneele basierend auf multifunktionalen Abstandsgewirken

Gestricke & Gewirke Composites Textilmaschinenbau Sensorik Nachhaltigkeit Technische Textilien

Zusammenfassung

Thermoelektrische Generatoren (TEG) bieten das Potenzial Abwärme verschleiß- und wartungsfrei in elektrischen Strom umzuwandeln und damit zur Einsparung von CO2-Emissionen beizutragen. Die Funktionsweise der TEG beruht auf dem materialinhärenten Seebeck-Effekt. Im Rahmen des IGF- Projektes 21144 BR wurden Thermogeneratorpaneele basierend auf abstandsgewirkten glasfaserverstärkten Paneelen entwickelt. Im Wirkprozess wurde die Integration von Glasfasern und thermoelektrischen Drähte umgesetzt. Dadurch wurden Leichtbaupaneele mit guten strukturmechanischen Eigenschaften (Druck-, Biegefestigkeit) und zusätzlicher Thermogenerator- und Wärmeisolationsfunktion realisiert. Diese sogenannten Multithermogeneratorpaneele (MTP) können mit ihrer autarken elektrischen Leistung für den Betrieb von Sensoren oder Kleingeräten genutzt werden.

Bericht

Einleitung

Der globale Energiebedarf steigt mit den laufenden industriellen Fortschritten und dem Bevölkerungswachstum stetig an. Die Energieversorgung nachhaltig zu gestalten, ist mit der aktuellen Dringlichkeit des Klimaschutzes, zwingend notwendig, um die Wirtschaft und auch die Zukunft nachfolgender Generationen zu sichern. Im Zuge der rasanten Entwicklung des Internet of Things (IoT) und der Digitalisierung besteht außerdem große Nachfrage nach autarken mobilen Stromquellen, mit denen selbstständig und zuverlässig elektronische Sensoren und Kommunikationsgeräte betrieben werden können. Die meisten technischen Prozesse nutzen nur 25 % bis 40 % der eingesetzten Energie zur Umwandlung in mechanische Energie. Der Rest wird in thermische Energie umgewandelt, die in der Regel verloren geht. Ein vielversprechender Ansatz zur Nutzung dieser thermischen Energie ist der Einsatz von thermoelektrischen Generatoren (TEG).

Die Stromerzeugung mittels TEG wird durch den Seebeck-Effekt beschrieben. Dabei entsteht zwischen der warmen (Th) und der kalten Kontaktstelle (Tk) der thermoelektrischen Funktionsmaterialpaare A und B, auch Thermoelemente (TE) genannt, eine elektrische Spannung (U). Die erreichbare Leistungsausbeute eines TEG ist neben der Umgebungstemperaturdifferenz (ΔT) von den materialspezifischen Parametern der eingesetzten TE abhängig. Diese Parameter werden durch die Gütezahl (ZT) beschrieben und umfassen die Seebeck-Koeffizienten (α in µV/K), die elektrische (σ, möglichst hoch) und die thermische Leitfähigkeit (λ, möglichst gering). Für eine hohe Leistungsausbeute sind Materialien mit einer hohen Differenz im Seebeck-Koeffizienten notwendig. Außerdem ist die Leistungsausbeute eines TEG-Moduls maßgeblich von der Anzahl in Reihe geschalteter TE in einem Modul abhängig. Werkstoffe für einen hohen thermoelektrischen Nutzeffekt basieren auf seltenen Rohstoffen, wie Bismut, Antimon und Tellur, die eine gute elektrische Leitfähigkeit, kombiniert mit einer geringen Wärmeleitfähigkeit aufweisen. Das Vorkommen und die Lebensdauer der Halbleiterelemente ist jedoch begrenzt und das Recycling aufwändig. Sie sind außerdem kostenintensiv und teilweise toxisch.

Daher werden von der Wirtschaft und der Forschung Entwicklungen neuer Materialien oder die Steigerung der Leistung der TEG sowie kostengünstigere Herstellverfahren vorangetrieben. Allerdings bestehen diese entwickelten Verfahren zumeist aus aufwändigen kombinierten Gieß- und Sinterprozessen sowie einer kostenintensiven notwendigen Nachbearbeitung. Zur Schaffung eines effizienten Herstellverfahrens für TEG mit einer produktiven Integrationsmöglichkeit einer hohen Anzahl an TE bietet die Abstandswirktechnik großes Potenzial. Mit dem Einsatz von Funktionsmaterialien und Hochleistungsgarnen in den Abstandsgewirken, wie Glasfasergarne, und einer späteren Infiltrierung und Konsolidierung mit Harzsystemen lassen sich großflächige Faserverbundstrukturen (z. B. Leichtbaupaneele) mit geschlossenen Deckschichten generieren, die neben der TEG-Funktion sehr gute strukturmechanische Eigenschaften aufweisen und auch als tragende Strukturen im Fahrzeug- oder Anlagenbau mit Wärmeisolation einsetzbar sind [1] .

Im Rahmen des Forschungsprojektes IGF 21144 BR wurden Leichtbaupaneele als tragende Bauteile mit multifunktionalen Eigenschaften, Multifunktionsthermogeneratorpaneele (MTP), realisiert, die durch die Umwandlung industrieller Abwärme in elektrischen Strom mit gleichzeitigem Kühleffekt zur Effizienzsteigerung von Batterien oder Elektromotoren in der Elektromobilität und von Hybridsystemen beitragen.


Entwicklung der Multithermogeneratorpaneele (MTP)

Der Grundaufbau der MTP besteht aus einem glasfaserverstärkten Abstandsgewirke, welches schlussendlich verharzt das Substrat des TEG darstellt. Die Thermoelemente (TE) werden in Form von Funktionsdrähten aus Eisen und Konstantan als Polfadensystem in der RR-Raschelwirkmaschine in den Abstand integriert, wie in Abbildung 2 veranschaulicht. Weiterhin gewährleisten Polfäden aus Monofilamenten, sowie Glasfasern (EC9-68x2) die Stabilität gegenüber mechanischer Beanspruchung. In den Deckflächen stellen je zwei Maschenfadensysteme aus PES (100/40 dtex) die Fixierung der Schuss- und Stehfäden sowie der TE sicher. Die Kontaktierung und Verschaltung der TE erfolgt durch die übereinanderliegende Anordnung und Verbindung der Funktionsdrähte in den Maschen der Gewirkebindung.

Zur Entwicklung und Auslegung der thermoelektrischen Struktur der MTP wurde ein elektrisches Modell entwickelt, in welchem die Anzahl und Geometrie der TE, ihre elektrische Kontaktierung, sowie die Art der Verschaltung der TE (Reihen-, Parallel- oder Mischschaltung) variabel ist. Für das Modell wurden gekoppelte multiphysikalische Ersatzschaltungsmodelle unter Ausnutzung der mathematischen Analogien der elektrischen/thermischen/mechanischen Domäne angewendet, in LT-Spice implementiert und im Hinblick auf die zuvor beschriebenen Parameter untersucht (Abbildung 1). Mittels des Modells kann die Schaltung der TE an den Lastwiderstand des Anwendungsfalls angepasst werden, sodass die maximale Leistung des TEG erreicht wird. Das vorhandene Modell wurde weiterhin durch das thermische Verhalten hinsichtlich Wärmeleitung und Wärmekapazität der Struktur erweitert.

Um die angestrebte thermoelektrische Struktur in eine Gewirkebindung für die RR-Rascheltechnologie zu überführen, wurden mehrere Bindungsvarianten für die Funktionsdrähte im Abstand des Paneels erarbeitet, umgesetzt und analysiert [2]. Weiterhin wurden unterschiedliche elektrische Verschaltungen der Funktionsdrähte entwickelt. Dabei ermöglicht eine kombinierte Reihen- und Parallelschaltung die maximale Einbindung von TE pro Fläche von bis zu 150.000 TE/m² und eine bessere Ausfallsicherheit im Vergleich zur Reihenschaltung. Der Innenwiderstand und die elektrische Leistung kann direkt über die Abmaße des Paneels angepasst werden. Die Struktur des Abstandsgewirkes mit dieser Verschaltung ist im Modell in Abbildung 2 dargestellt.

Zur Herstellung des thermoelektrischen Abstandsgewirkes als Halbzeug für die MTP wurde eine RR-Raschelwirkmaschine MiniTronic 808 von RIUS Comatex S.A. eingesetzt. Mit dem Ziel die Funktions- und Hochleistungsmaterialien schädigungsarm zu verarbeiten, wurde eine Nadelbestückung mit der Feinheit E12 verwendet. Für die Maschineneinstellung und die technologisch-konstruktive Weiterentwicklung der Abstandswirktechnik wurde zunächst der Bauraum der RR-Raschelmaschine und der Einzug der Drähte in den vorhandenen Garnlauf analysiert. Der Fadenlängenausgleich für die Maschenbildung, die Fadenwippe, ist kommerziell als Fadenwippe mit Stahlfedern umgesetzt. Dadurch wird die für die Fadensysteme benötigte Fadenzugkraft erreicht. Bei ebendieser Fadenzugkraft entstehen für die Funktionsdrähte aus Eisen- und Konstantan jedoch irreversible Knicke an den Umkehrpunkten der Lochnadeln. Diese Knicke verhindern das Gleiten der Drähte durch die Lochnadeln, sodass ein Drahtbruch entsteht. Die Drähte benötigen eine sehr niedrige Fadenzugkraft sowie einen Längenausgleich mit niedriger Federkonstante, da materialbedingt nur eine geringe elastische Dehnung (0,1 %) vorhanden ist.

Weiterhin waren technologische Modifikationen zur Verarbeitung von Glasfasergarnen als Schuss-, Steh- und Polfaden auf der RR-Raschelwirkmaschine erforderlich. Die Glasfaserrovings (350 tex) wurden bei der Verarbeitung als Polfadensystem aufgrund der Querkräftanfälligkeit bereits vor der Maschenbildung durch die kleinen Umlenkradien in der Lochnadel abgeschert. Daher wurden verzwirnte Glasfaserrovings als Verstärkungsfaser eingesetzt. Zur Verarbeitung dieser Glasfaserzwirne wurde ein Fadenliefersystem mit einer passiven Fadenzufuhr und einer konstanten Fadenzugkraft von 20 cN entwickelt und umgesetzt. Mittels angetriebener Spulenaufnahme für Glasfasern und Tänzerwalze zur Zugkraftregelung lässt sich dieses Prinzip automatisieren und auf ein System für hohe Produktionsgeschwindigkeiten übertragen.

In einem mehrstufigen Handlaminierverfahren wurden die hergestellten MTP-Halbzeuge mit hochtemperaturbeständigem Harz infiltriert und als MTP Demonstrator verarbeitet (Abbildung 3).


Elektrische Leistung der MTP

Zur Auswertung der thermoelektrischen Leistung der MTP wurde ein gekoppelter elektrisch-thermischer Versuchsstand entwickelt, der durch jeweils ein Peltier-Element an der Ober- und Unterseite eine aktive Erwärmung bzw. Kühlung realisiert. Damit sind Temperaturdifferenzen von bis zu 80 K erreichbar. Zwischen den Peltierelementen und der Probe sind Platten aus Aluminium eingeschraubt. Diese erfüllen zwei Funktionen. Erstens homogenisieren sie die Wärmeverteilung. Zweitens sind in den Platten jeweils Pt100-Temperaturfühler (Präzisionsklasse A) eingebracht. Die Temperaturfühler wurden dabei in Bohrungen platziert und mit Wärmeleitpaste verklebt, sodass eine gute Wärmeleitung zwischen Peltierelement, Probe und Temperatursensoren gewährleistet ist und die Temperaturabweichung zwischen Sensor und TEG-Oberfläche minimal ist. Die Widerstände der Pt100-Fühler wurden mit einem Keithley DAQ 6500 Präzisionsmultimeter aufgenommen. Die Ansteuerung des Multimeters erfolgte durch Matlab-Simulink. Anhand der gemessenen Temperaturen wurde die Spannungsquelle über SCPI-Befehle und einen PID-Regler geregelt, um eine präzise und stabile Kontrolle der Temperaturdifferenz zu erreichen. Gleichzeitig ermöglichte das Präzisionsmultimeter die Messung der vom TEG erzeugten Spannung, des durch den Lastwiderstand fließenden Stroms sowie des Innenwiderstands des TEGs. In Abbildung 4 sind der Prüfstand mit dem das Temperaturprofil während eines Versuchs mit 60 K Temperaturdifferenz und die aufgenommene Strom-Spannungs-Kennlinie abgebildet.

Mittels Präzisionsmultimeter wurden außerdem die Kontaktpunkte der Funktionsgarne in der gewirkten TEG-Struktur auf ihre Übergangswiderstände hin überprüft sowie der Gesamtwiderstand der TEG-Module ermittelt. Die Kontaktwiderstände zwischen den Funktionsdrähten lagen konstant unter 0,1 Ω. Entgegen der Erwartungen war dies auch nach der Faserverbundbildung der Fall, sodass der Innenwiderstand des finalen Demonstrators 0,9 Ω beträgt. Auch der thermoelektrische Effekt des MTP wurde durch das Harz nicht nachteilig beeinträchtigt. Dies wurde durch Vergleichsmessungen der MTP am Leibniz Institut für photonische Technologien (ipht) und bei der itp GmbH ebenfalls bestätigt.

Die Projektergebnisse zur Herstellung und zu den Eigenschaften von abstandsgewirkten MTP aus Eisen und Konstantan bilden eine Basis für die zielgerichtete Weiterentwicklung einer effizienten Fertigung von vertriebsreifen TEG. Die Ausnutzung der Produktivität der RR-Raschelwirkmaschine trägt dazu bei, die sonst kostenintensiven alternativen Energiekonzepte für Bevölkerung und Wirtschaft zugänglich und profitabel zu gestalten, sodass zum Erhalt der Umwelt beigetragen wird.


Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21144 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Das Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden (ITM) dankt den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel.

Der Abschlussbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden vorhanden [3].

Die vollständige Veröffentlichung steht zum Download zur Verfügung.

AutorInnen: Anke Golla, Johannes Mersch, Gerald Hoffmann, Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

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17.03.2023

Bionische 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit komplex angeordneten Versteifungselementen

Gestricke & Gewirke Composites Textilmaschinenbau Technische Textilien

Zusammenfassung

Im abgeschlossenen IGF-Projekt 20793 BR erfolgte am ITM die simulationsgestützte Entwicklung, Umsetzung und Erprobung eines innovativen Verfahrens zur integralen Herstellung endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-Textilstrukturen mit komplex angeordneten Versteifungselementen. Inspiriert von der Amazonas-Riesenseerose, deren gigantische Blätter extrem tragfähig sind, weisen diese bionischen Preformen komplex angeordnete, sich kreuzende Versteifungselemente in 0°-, 90°- sowie in ± 45°-Ausrichtung und insbesondere eine durch alle Preformteile durchgehende Faserverstärkung auf. Das ermöglicht perspektivisch einen Durchbruch topologie‑ und strukturoptimierter, endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-Verbundbauteile in Serienanwendungen.

Bericht

Einleitung und Problemstellung

Faserverstärkte Kunststoffverbunde (FKV) weisen ein sehr hohes Potenzial zur maßgeblichen Reduktion bewegter Bauteilmassen und somit zur Steigerung der Energieeffizienz auf. Für einen Durchbruch von FKV in Serienanwendungen fehlen allerdings flexible Verfahren, die eine schnelle Umsetzung kostengünstiger, endkontur- und kraftflussgerechter 3D-Preformen bei hoher Materialeffizienz und Vermeidung von Nachbearbeitungsschritten erlauben.

Zur Erhöhung der Biege-, Beul- und Torsionssteifigkeit hochbelasteter schalenförmiger FKV-Bauteile kommen heute in vielfältigen Anwendungsfeldern Versteifungselemente wie Rippen, Spanten oder Stringer zum Einsatz. Die Bauteile werden jedoch bisher meist in Differenzialbauweise auf Preform- bzw. Bauteilebene durch nachträgliches Fügen von Schalen- und Versteifungsstruktur hergestellt. Dadurch ist die Fertigung derartiger FKV-Bauteile aktuell sehr kostenintensiv. Zusätzlich fehlt dabei prozessbedingt eine durchgehende Faserverstärkung zwischen Schale und Rippe. Das Leichtbaupotenzial von Hochleistungsfasern wird so nur teilweise ausgenutzt. Additive Verfahren, wie das 3D-Drucken [1] oder das Spritzgießen [2], erlauben zwar die integrale Fertigung von 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit komplexer Versteifungsstruktur, verfahrensbedingt ist jedoch die Möglichkeit der Einbringung einer Endlosfaserverstärkung in der Rippenstruktur stark begrenzt.

Im Rahmen des IGF-Projektes 18806 BR wurden am ITM grundlegende Basislösungen zur integralen Fertigung von 3D-Schale-Rippen-Mehrlagengestricken mit durchgängiger Endlosfaserverstärkung zwischen Schale und Rippenstruktur erfolgreich entwickelt und umgesetzt [3]. Allerdings konzentrierten sich die Arbeiten auf die Schaffung der technologischen Grundlagen für eine flexible Herstellung endkonturgerechter 3D-Schale-Rippen-Preformen mit ausschließlich in 90° angeordneten Rippen.

Natürliche Vorbilder zeigen jedoch, dass für eine optimale Aufnahme der auf das Bauteil wirkenden Belastungen eine komplexere Orientierung der Rippen notwendig ist. Dieses Prinzip findet sich z. B. in der komplex verrippten Struktur der Erdnussschale sowie in den gigantischen und extrem tragfähigen Blättern der Amazonas-Riesenseerose (vgl. Abbildung 1) wieder, die längliche, diagonale bzw. sich kreuzende Rippen sowie ein sehr geringes Eigengewicht aufweisen.

Für eine wirtschaftliche Nutzung dieses bionischen Prinzips in FKV-Anwendungen fehlen jedoch aktuell flexible und serientaugliche Fertigungsverfahren, die eine kosteneffiziente Umsetzung topologieoptimierter Schale-Rippen-Preformen mit derartig komplex angeordneten Versteifungselementen in Integralbauweise ermöglichen [4]. Die besondere Herausforderung für derartige Verfahren ergibt sich aus der notwendigen hohen Flexibilität zur Einstellung der je nach Anwendungs- und Lastfall extrem variierenden geometrischen sowie strukturmechanischen Anforderungen und damit der Strukturparameter, wie Rippendicke, -höhe und -ausrichtung.

Zielsetzung

Das Ziel des IGF-Forschungsprojektes 20793 BR war die simulationsgestützte Entwicklung, Umsetzung und Erprobung eines innovativen Verfahrens auf Basis der hochflexiblen Mehrlagenflachstricktechnik zur vollautomatisierten, integralen Fertigung endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit komplex angeordneten Versteifungselementen sowie kontinuierlicher, durchgängiger Faserverstärkung zwischen Schale und Rippenstruktur.

Ergebnisse

Simulationsgestützte Preform‑ und Technologieentwicklung

Die besondere Herausforderung im Projekt war die Entwicklung geeigneter Bindungstechniken und neuartiger Maschinenelemente zur integralen und verzugsfreien Fertigung lastgerecht ausgelegter 3D-Preformen mit komplex angeordneten Versteifungselementen in 0°-, 90°- und ± 45°-Ausrichtung sowie von Simulationstools für eine optimale, CAD-gestützte Auslegung daraus herstellbarer FKV-Bauteile. Nach Festlegung der Anforderungen an relevante Schale-Rippen-FKV-Bauteile und die Präzisierung typischer Lastfälle (hauptsächlich Biege-, Druck- und Torsionsbelastungen) erfolgte zunächst eine FEM-basierte Struktursimulation (Finite Elemente Methode) mit einem makroskopischen Modell. Dabei wurden die Parameter Rippendicke, -höhe sowie Wandstärke der Schale systematisch variiert, mit dem Ziel, die Zusammenhänge und die Wechselwirkungen zwischen den geometrischen Parametern und die resultierenden mechanischen Verbundeigenschaften zu ermitteln und somit die bestmöglichen Kennwerte für die Auslegung von 3D-Schale-Rippen-Textilhalbzeugen mit komplex angeordneten Versteifungselementen festlegen zu können.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Rippenhöhe eine nur geringe Auswirkung auf die resultierende Biegefestigkeit der daraus hergestellten Verbunde aufweist. Die Rippendicke und die Wandstärke der Schale weisen hingegen einen sehr hohen Einfluss auf. Als Hauptfaktor für ein frühzeitiges Bauteilversagen wurde sowohl bei dem entwickelten FEM-Modell als auch bei der durchgeführten mechanischen Charakterisierung von 3D-Verbundproben ein durch interlaminare Scherspannung ausgelöster Bruch, sog. Delamination, zwischen unterschiedlichen Verstärkungslagen identifiziert (vgl. Abbildung 2). Zur besseren Vorhersage der mechanischen Eigenschaften von FKV wurde daher ein mesoskopisches FEM-Modell entwickelt und eingesetzt [5], das in der Lage ist, 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit einem komplexen Lagenaufbau sehr detailliert abzubilden. Anhand dieses Modelles konnte festgestellt werden, dass die Orientierung der Verstärkungsfäden im Bereich der Rippe eine untergeordnete Rolle spielt. Ausschlaggebend für die Gewährleistung guter strukturmechanischen Verbundeigenschaften ist die Sicherstellung einer durchgängigen Faserverstärkung zwischen unmittelbar benachbarten Strukturbereichen, insbesondere an den Verbindungsstellen zwischen Rippen mit unterschiedlicher Orientierung (z. B. 0°/90°), sowie der Fixierung mehrerer Verstärkungslagen mit einem einzigen Maschenfaden. Somit weist eine 2D-Verbundprobe aus vier integral gefertigten, miteinander verbundenen Verstärkungslagen mit 17,8 GPa ein um 12 % höheres Biegemodul im Vergleich zu einer aus vier Einzellagen zusammengesetzten Verbundprobe auf, die 15,9 GPa erreicht.

Integral gefertigte 3D-Schale-Rippen-Strukturen

Basierend auf der durchgeführten Struktursimulation wurden der dabei ermittelte ideale Verlauf der Verstärkungsfäden iterativ mit den stricktechnisch realisierbaren Verstärkungsfadenanordnungen unter Berücksichtigung der technologischen Umsetzbarkeit verglichen und anschließend aussichtsreiche Bindungsvarianten mit lastgerecht angeordneten Verstärkungsfäden abgeleitet und festgelegt. Darauf aufbauend wurden insbesondere für die direkte Ausbildung diagonal angeordneter Rippen notwendige technologische Anpassungen an der vorhandenen Maschinentechnik abgeleitet, konstruktiv entwickelt und umgesetzt. Nach Implementierung einer neuartigen, modular in konventionelle Flachstrickmaschinen nachrüstbaren Vorrichtung für das Aufspreizen der Kettfadenschar wurden 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit in 0°, 90° und ± 45° angeordneten Rippen auf einer modifizierten Flachstrickmaschine ARIES.3D technology der Firma Steiger (Steiger Participations SA, Vionnaz/Schweiz) stricktechnisch umgesetzt (vgl. Abbildung 3).

Mit der Umsetzung der Strukturen wurde gezeigt, dass die entwickelten Bindungsvarianten als Programmiermodule bereitgestellt werden können und mit geringem Programmieraufwand in kommerzielle Softwarelösungen zur Erstellung der Maschinensteuerprogramme übertragbar sind. Diese Module können miteinander kombiniert werden und ermöglichen somit eine beträchtliche Struktur- bzw. Produktvielfalt. Im Ergebnis des abgeschlossenen Forschungsprojektes steht fortan ein robustes und erprobtes Verfahren zur integralen Fertigung endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit komplex angeordneten Versteifungselementen auf Flachstrickmaschinen zur Verfügung.

Bauteilherstellung und Charakterisierung

Aus den integral gefertigten Preformen wurden FKV-Bauteile im SCRIMP-Verfahren (Seaman Composite Resin Infusion Molding Process) hergestellt. Dafür wurde ein Formwerkzeug mit modular einsetzbaren Metallkernen entwickelt, das die flexible Herstellung von 3D-Schale-Rippen-Bauteilen mit unterschiedlichen Rippenausrichtungen ermöglicht (vgl. Abbildung 4). Zu Vergleichszwecken erfolgte auch die Realisierung eines in Differenzialbauweise gefertigten FKV-Bauteils. Dabei wurden Schalen und Rippenstruktur separat hergestellt und anschließen miteinander gefügt. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass für die Bauteilherstellung in Integralbauweise im Vergleich zur Differenzialbauweise deutlich weniger Arbeitsschritte erforderlich sind.

Zur Validierung der entwickelten FEM-Modelle erfolgte schließlich eine umfangreiche Charakterisierung der mechanischen Eigenschaften von 2D-Verbundproben mittels Zug-, Druck-, CAI- (Compression-After-Impact), 4‑Punkt-Biege-, ILSS‑ (Interlaminare Scherfestigkeit) sowie Charpy-Schlagversuchen. Ergänzend dazu wurden in Anlehnung an DIN EN ISO 14125 auch 3-Punkt-Biegeversuche an 3D-FKV-Bauteilen durchgeführt (vgl. Abbildung 5), um die Biegefestigkeit der neuartigen 3D-Schale-Rippen-Bauteile mit komplex angeordneten Rippen zu ermitteln.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die neuartigen 3D-Schale-Rippen-Preformen mit komplex angeordneten Versteifungselementen für die flexible Herstellung hochbeanspruchbarer FKV-Bauteile mit komplexer Versteifungsstruktur und vor allem mit einer durchgängigen Faserverstärkung zwischen Schale und Rippen sehr gut geeignet sind. Die dabei erreichbare Endlosfaserverstärkung in den Rippen stellt eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Stand der Technik dar. Insbesondere ermöglicht der Einsatz der neuartigen 3D-Textilhalbzeuge eine deutliche Vereinfachung des Preforming-Prozesses. Im Vergleich dazu erfordert eine Premformherstellung in Differenzialbauweise eine hohe Anzahl an 2D-Textilstrukturen, welche in aufwendigen Prozessschritten zugeschnitten, vorgeformt, gestapelt, kompaktiert und fixiert werden müssen. Bei Anwendung der Projektergebnisse ist dazu nur noch eine Positionierung der integral gefertigten 3D-Preform im Werkzeug erforderlich. Außerdem weisen die realisierten 3D-Preformen aufgrund der Fixierung einer hohen Anzahl an Verstärkungsfadenlagen durch nur einen einzigen Maschenfaden eine hervorragende Stabilität auf, was perspektivisch eine vollautomatisierte Preformherstellung mittels Robotertechnik ermöglicht. Somit sind die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche, automatisierbare Fertigung endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-FKV-Bauteile mit komplex angeordneten Versteifungselementen in reproduzierbare Qualität geschaffen.

Zusammenfassung und Ausblick

Im Rahmen des IGF-Projektes 20793 BR wurde ein innovatives Fertigungsverfahren auf Basis der Mehrlagenflachstricktechnik zur integralen Herstellung lastgerecht ausgelegter 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit komplex angeordneten Versteifungselementen entwickelt, umgesetzt und erfolgreich erprobt. Wesentliche Vorteile der Integralbauweise gegenüber der Differenzialbauweise sind ein deutlich schnellerer Preformaufbau sowie eine deutlich höhere mechanische Belastbarkeit daraus herstellbarer FKV-Bauteile durch die durchgehende Faserverstärkung zwischen benachbarten Strukturbereichen, z. B. zwischen Schale und Rippe. Derartige Bauteile sind dadurch wesentlich materialeffizienter auslegbar. Künftig ermöglicht das entwickelte Verfahren einen Durchbruch topologie‑ und strukturoptimierter endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-FKV-Bauteile in Serienanwendungen.

Potenzielle industrielle Anwendungen sind u. a. für hochbelastbare rippenverstärkte Schalen im Schienenfahrzeug‑, Automobil- und Apparatebau (z. B. Türen oder Maschinenabdeckungen), Rumpfstrukturen im Schiffbau oder lasttragende Strukturen der Luft- und Raumfahrt (z. B. Flugzeugrumpf oder Isogrid-Strukturen).

Weiteres Forschungspotenzial besteht u. a. in der Weiterentwicklung der Technologie zur integralen Fertigung endlosfaserverstärkter 3D-Schale-Rippen-Strukturen mit diagonal angeordneten Versteifungselementen abweichend von der ± 45°-Anordnung bzw. mit gekrümmten Rippen [6].

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 20793 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Die Autoren danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel sowie den involvierten Unternehmen im projektbegleitenden Ausschuss für die fachliche Unterstützung und die Bereitstellung von Versuchsmaterial. Der Forschungsbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden erhältlich.

AutorInnen: Quentin Bollengier, David Rabe, Minh Quang Pham, Eric Häntzsche, Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

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16.01.2023

Increased performance and sustainability through the use of profiled textile reinforcements for concrete applications

Fasern Garne Gestricke & Gewirke Textilmaschinenbau Nachhaltigkeit Technische Textilien

Zusammenfassung

At the ITM of the TU Dresden, new, bond optimized reinforcement yarns were developed on the basis of braiding and forming technology, which can transmit up to 500 % higher bond forces in concrete than yarns without profile. The profiled rovings and braided yarns show at a bond length of only 50 mm a full anchoring. With the forming technology developed at the ITM, profiled rovings could be manufactured which, due to the patented tetrahedral geometry, can almost completely exploit the tensile potential of the carbon fibers. In the course of developing the braiding yarns, a new vario braiding structure was developed, with nearly eliminated structural elongation under load. This made it possible to manufacture profiled reinforcement yarns with very high tensile properties, which is a basic requirement for use in concrete. In addition, the multiaxial warp knitting technology has been further developed in such a way that the new bond optimized reinforcement yarns (profiled rovings and braiding yarns) can be processed without damage into profiled, grid-like textile reinforcements. This results in a significantly higher material efficiency of the textile reinforcement, so that previous necessary disproportionate oversizing and large overlapping lengths can be significantly reduced. This is of enormous importance, especially in view of the energy-intensive production of carbon fibers and consequently for the sustainability goal of the future-oriented carbon concrete technology, in order to make concrete constructions of the future resource saving and sustainable.

The project results achieved also represent a significant contribution to the production of extremely resilient textile-reinforced concrete structures with significantly improves bond properties, arising new prospects in the construction industry for component production in the field of renovation and new construction.

Bericht

Abstract
Building in a resource-saving way and still exploiting a high performance potential, is that even possible? At the Institute for Textile Machinery and High Performance Material Technology (ITM) at the TU Dresden, such composite optimized profiled textile reinforcements for concrete applications and the related manufacturing technology were developed as part of the research project IGF 21375 BR. On the basis of braiding and forming technology, a new generation of profiled reinforcement yarns was developed with the help of simulation-based investigations. Like ribbed steel reinforcements, these profiled yarns have a very high bond with the concrete matrix, but despite the profiling they almost fully exploit the performance potential of the carbon fibers in terms of tensile properties. In this way, the bond length required for complete force transmission between the textile reinforcement and the concrete can be reduced to just a few centimeters, and up to 80 % of the component-dependent oversizing of the textile reinforcement can be saved. The further development of the multiaxial warp knitting technology for the requirement-based and fiber-friendly processing of the profiled yarns into grid-like reinforcement structures enables the production of profiled textile reinforcement structures with the highest bond properties for use in carbon-reinforced concrete components with maximum material and resource efficiency.

Initial situation and problem definition
As is generally known, climate change is the greatest challenge of the 21st century, which can only be successfully overcome by consistently saving resources and CO2 emissions. Since the construction industry, with a share of approx. 38 % of global CO2 emissions, has made a significant contribution to global warming to date, in particular due to the enormous cement consumption [1], a change to more energy and resource efficiency as well as a growing awareness of sustainability is absolutely necessary. In the course of this, a resource-efficient carbon concrete, consisting of a corrosion-resistant textile reinforcement in combination with a significantly reduced concrete cover, is established in the construction industry as a convincing alternative to conventional steel reinforced concrete [2,3].

Due to the high load-bearing capacity of the textile reinforcement with the smaller concrete cross-sections required, the bond between the textile and the concrete is extremely important. So far, R&D has focused on the development of impregnations and impregnation systems for improved material bond with the concrete matrix [4]. However, only small forces with a shear flow of about 5 - 40 N/mm can be transferred, an efficient utilization of the textile reinforcement is not possible. Solutions with profiling of the yarn surface promise significant improvements in the transmission of bond forces [5]. Therefore, new technologies for the continuous and reproducible production of profiled textile high-performance fiber yarns and their further processing into reinforcement structures were developed within a research project at the ITM of the TU Dresden. These innovative, profiled reinforcements are characterized by their ability to transmit significantly higher bond forces in concrete [6,7]. In particular, this was realized by a form-fitting effect between the textile and the concrete, that meets the specific requirements of a stiff and symmetrical surface profile of the reinforcement yarns in order to guarantee a constant and high force transmission. To generate the yarn profiling, solutions based on braiding technology and forming processes were developed and implemented with the help of simulation-supported studies. The premises were a permanently stable textile structure and a profile with a symmetrical structure. The realization of grid-like reinforcement structures, consisting of the profiled reinforcement yarns, was carried out using the multiaxial warp knitting technology. This was developed further on a modular basis with regard to the existing processes (yarn feeding, weft yarn insertion, knitting process, impregnation and winding) in accordance with the necessary adaptation measures for the fiber-friendly and requirement-based further processing of the profiled reinforcement yarns into grid-like structures.

Development of the innovative profiled reinforcement yarns
For the development of bond optimized profiled reinforcement yarns for concrete applications, a simulation-supported yarn development was carried out on the basis of braiding and forming technology. In particular, the main challenge was to realize profiled yarns with minimal structural elongation, so that, an initial force transmission of the textile reinforcement is possible and the concrete crack widths are minimized [3] if the concrete matrix fails at approx. 0.2 % elongation. For this purpose, a new type of varying braiding structure was developed. Moreover the braiding technology was further developed to enable a low-undulation and pre-stabilization of the braiding yarn structure during the braiding process, yet still ensuring further textile processing. As a result, it is now possible to implement novel vario braiding yarns as well as conventional packing braided yarns, consisting of carbon fibers with nearly eliminated structural elongation, minimal fiber damage and the required pre-stabilization of the yarn structure (see Table 1).

...

Performance potential of the new profiled reinforcement yarns
The newly developed profiled reinforcement yarns are characterized by nearly unchanged tensile properties, yet up to 500 % higher bond properties compared to carbon rovings without profile or rovings extracted from reference textiles (see Figure 1). In addition, they do not show any noticeable structural elongation, so that an initial force transmission is possible without additional crack opening after the failure of the concrete matrix. However, an increase in bond strength of more than 500 % from approx. 20 N/mm of the carbon rovings without a profile to over 100 N/mm of the profiled reinforcement yarns was achieved, which is accompanied by a significant increase in material efficiency (see Figure 1). The vario braiding yarns in particular are characterized by very high bond stiffness, which is of particular interest for an initial force transmission. The packing braiding yarns and the profiled rovings with tetrahedral geometry have almost the same bond properties. The bond stiffness is marginally lower compared to the vario braiding yarns, whereas their production is more productive than the vario braiding yarns.

Development of the multiaxial-warp knitting process
To process the newly profiled reinforcement yarns into a grid-like reinforcement structure, a biaxial warp knitting machine Malimo 14022 at the ITM and the corresponding sub-processes (yarn feeding, weft yarn insertion, knitting process, impregnation and winding) were adapted and further developed so that on the one hand the pre-stabilized braiding yarns and the consolidated tetrahedral-shaped profiled rovings can be processed further. For this purpose, the weft thread laying process in particular was modified by developing a new type of weft thread guide for the laying of the pre-stabilized braiding yarns. Since the rigid profiled rovings could not be processed with the conventional weft laying process, a new type stick placement system consisting of a stick magazine and a shaft with profile rollers was developed (see Figure 2). The pre-cut sticks were individually inserted via the stick placement system into a transport chain modified with new fixing elements.

In order to guarantee textile processing, the pre-stabilized braiding yarns were impregnated and consolidated after the warp knitting process, contrary to the rigid profiled rovings, which do not require any further impregnation.. On the basis of extensive production tests, a new type of impregnation system was developed based on the kiss coater process with an additional coating roller for applying an impregnation agent to both sides of the pre-stabilized braiding yarns. Various reinforcement structures were manufactured and characterized with the implemented system technology. Figure 3 shows a new type of profiled textile reinforcement consisting of prefabricated profiled rovings with tetrahedral shape.

Acknowledgments
The IGF research project 21375 BR of the Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. is funded through the AiF within the program for supporting the „Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF)“ from funds of the Federal Ministry for Economic Affairs and Climate Action on the basis of a decision by the German Bundestag.

The complete publication is available as download.

AutorInnen: Penzel, Paul; Hahn, Lars; Abdkader, Anwar; Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

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16.01.2023

Leistungsfähigkeit und Nachhaltigkeit steigern durch den Einsatz von verbundgerecht profilierten Textilbetonbewehrungen

Fasern Garne Gestricke & Gewirke Textilmaschinenbau Nachhaltigkeit Technische Textilien

Zusammenfassung

Am ITM der TU Dresden wurden neuartige, verbundoptimierte Bewehrungsgarne auf Basis der Flecht- und Tränkumformtechnik simulationsgestützt entwickelt, die bis zu 500 % höhere Verbundkräfte im Beton als Garne ohne Profilierung übertragen können. Die Profil- und Flechtgarne weisen bereits bei einer Verbundlänge von nur 50 mm eine vollständige Verankerung auf. Mit der am ITM entwickelten Tränkumformtechnik konnten tetraederförmige Profilgarne gefertigt werden, die aufgrund der patentierten Tetraedergeometrie das zugmechanische Leistungpotential der Carbonfasern nahezu vollständig ausnutzen können. Weiterhin wurde im Zuge der Flechtgarnentwicklung eine neue Flechtstruktur entwickelt, welche die nahezu vollständige Eliminierung der Strukturdehnung unter Last ermöglichte. Somit war die Fertigung von profilierten Bewehrungsgarnen mit sehr hohen zugmechanischen Eigenschaften möglich. Darüber hinaus wurde die Multiaxial-Kettenwirktechnik derart weiterentwickelt, dass die neuartigen Bewehrungsgarne (Profil- und Flechtgarne) schädigungsfrei zu gitterförmigen Textilbetonbewehrungen mit verbundoptimierter Profilierung verarbeitet werden können. Daraus ergibt sich eine deutlich höhere Materialeffizienz der Textilbewehrung, sodass bisher notwendige unverhältnismäßige Überdimensionierungen und große Überlappungslängen deutlich reduziert werden können. Dies ist insbesondere in Anbetracht der energieintensiven Herstellung von Carbonfasern und damit für den Nachhaltigkeitsanspruch der zukunftsweisenden Carbonbetontechnologie von enormer Bedeutung, um das Bauen der Zukunft ressourcenschonend und nachhaltig zu gestalten.

Die erzielten Projektergebnisse stellen zudem einen wesentlichen Beitrag zur Herstellung von extrem belastbaren Textilbetonstrukturen mit deutlich besseren Verbundeigenschaften dar, sodass für die Bauindustrie perspektivisch neue Möglichkeiten zur Bauteilfertigung im Bereich der Sanierung und des Neubaus entstehen.

Bericht

Abstract
Ressourcenschonend Bauen und dennoch ein hohes Leistungspotential ausschöpfen, ist das überhaupt möglich? Am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden wurden im Rahmen des Forschungsprojektes IGF 21375 BR verbundgerecht profilierte Textilbetonbewehrungen sowie die dazugehörigen Fertigungstechnologien entwickelt, die genau dies ermöglichen. Auf Basis der Flecht- und Tränkumformtechnik wurden neuartig profilierte Bewehrungsgarne simulationsgestützt entwickelt, die analog zu gerippten Stahlbewehrungen einen sehr hohen Verbund mit der Betonmatrix aufweisen und das hohe Leistungspotential der Carbonfasern hinsichtlich der zugmechanischen Eigenschaften ausnutzen. Damit kann die notwendige Verbundlänge für eine vollständige Kraftübertragung zwischen Textilbewehrung und Beton auf wenige Zentimeter reduziert, und somit bis zu 80 % der bauteilabhängigen Überdimensionierung der Textilbewehrung eingespart werden. Die Weiterentwicklung der Multiaxial-Kettenwirktechnik zur anforderungsgerechten und faserschonenden Verarbeitung der profilierten, konsolidierten Garne zu gitterförmigen Bewehrungsstrukturen ermöglicht die Fertigung von profilierten Textilbetonbewehrungen mit höchsten Verbundeigenschaften für den Einsatz in Carbonbeton-Bauteilen mit maximaler Material- und Ressourceneffizienz.

Ausgangssituation und Problemstellung
Bekannterweise ist der Klimawandel die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts, welcher nur durch eine konsequente Einsparung von Ressourcen und CO2-Emmision erfolgreich bewältigt werden kann. Da die Baubranche mit einem Anteil von ca. 38 % der weltweiten CO2-Emission, insbesondere aufgrund des enormen Zementverbrauchs, einen erheblichen Beitrag zur bisherigen Klimaerwärmung hat [1], ist ein Wandel zu mehr Energie- und Ressourceneffizienz sowie einem wachsenden Nachhaltigkeitsbewusstsein zwingend erforderlich. Im Zuge dessen etabliert sich insbesondere der ressourceneffiziente Carbonbeton, bestehend aus einer korrosionsbeständigen Textilbewehrung in Kombination mit einer deutlich reduzierten Betondeckung, im Bauwesen als überzeugende Alternative zum konventionellen Stahlbeton zunehmend [2,3].  

Aufgrund der hohen Tragfähigkeiten der textilen Bewehrung bei kleineren notwendigen Betonquerschnitten kommt jedoch dem Verbund zwischen Textil und Beton eine außerordentlich große Bedeutung zu. Bisher lag der Fokus der F&E auf der Entwicklung von Tränkungsmitteln und zugehöriger Tränkungssysteme zur Verbesserung des stoffschlüssigen Haftverbundes mit der Betonmatrix [4]. Damit lassen sich jedoch nur geringe Kräfte mit einem Schubfluss von etwa 5-40 N/mm übertragen, eine effiziente Ausnutzung der textilen Bewehrung ist nicht möglich. Signifikante Verbesserungen zur Übertragung der Verbundkräfte versprechen Lösungen mit einer Profilierung der Garnoberfläche [5]. Daher wurden im Rahmen des IGF-Forschungsprojektes 21375 am ITM der TU Dresden neuartige Technologie zur kontinuierlichen und reproduzierbaren Herstellung profilierter textiler Hochleistungsgarne und deren Weiterverarbeitung zu Bewehrungsstrukturen entwickelt. Diese neuartigen, profilierten Bewehrungen zeichnen sich dadurch aus, dass diese im Betonverbund deutlich höhere Kräfte übertragen können [6,7]. Zur Generierung einer Profilierung auf Garnebene wurden Lösungen auf Basis der Flechttechnik und mittels tränkumformtechnischer Verfahren simulationsgestützt entwickelt und umgesetzt. Die Prämissen waren eine unnachgiebige Profilgebung mit garnaxial symmetrischem Aufbau, damit eine gleichmäßige und hohe Lastübertragung gewährleistet ist. Die Herstellung gitterartiger Bewehrungsstrukturen, bestehend aus den profilierten Bewehrungsgarnen, erfolgte durch die Weiterentwicklung der Multiaxial-Kettenwirktechnik. Diese wurde entsprechend der notwendigen Anpassungsmaßnahmen zur schädigungsarmen und anforderungsgerechten Weiterverarbeitung der profilierten Bewehrungsgarne zu Gitterstrukturen hinsichtlich der bestehenden Teilprozesse (Garnzuführung, Schusslegung, Maschenbildung, Tränkung und Aufwicklung) modular weiterentwickelt.

Entwicklung der neuartig profilierten Bewehrungsgarne
Für die anforderungsgerechte Entwicklung von profilierten Bewehrungsgarnen für Betonanwendungen erfolgte eine simulationsgestützte Garnentwicklung auf Basis der Flecht- und Tränkumformtechnik. Die wesentliche Herausforderung bestand insbesondere darin, profilierte Garne mit minimaler Strukturdehnung zu realisieren, sodass beim Versagen der Betonmatrix bei ca. 0,2 % Dehnung eine initiale Kraftübertragung der Textilbewehrung ermöglicht wird und die Rissbreiten minimiert werden [3]. Hierzu wurde eine neuartige Flechtstruktur mit einem Varioflechter entwickelt. Darüber hinaus wurde der Flechtprozess derart weiterentwickelt, dass eine ondulationsarme Vorstabilisierung der Flechtgarnstruktur während des Flechtprozesses ermöglicht wird und dennoch eine textile Weiterverarbeitbarkeit gewährleistet ist. Im Ergebnis wurden neuartige Varioflechtgarne sowie konventionelle Packungsflechtgarne bestehend aus Carbonfasern mit nahezu eliminierter Strukturdehnung, minimaler Faserschädigung und anforderungsgerechter Vorstabilisierung der Garnstruktur realisiert (siehe Tabelle 1).

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Leistungspotential der neuartigen profilierten Bewehrungsgarne
Die neuentwickelten profilierten Bewehrungsgarne zeichnen sich durch nahezu unveränderte zugmechanische Eigenschaften, jedoch bis zu 500 % höhere Verbundeigenschaften im Vergleich zu Carbonrovings ohne Profilierung bzw. aus Referenztextilien extrahierten Rovings aus (siehe Abbildung 1). Zudem weisen sie keine erkenntliche Strukturdehnung auf, sodass eine initiale Kraftübertragung ohne zusätzliche Rissöffnung nach dem Versagen der Betonmatrix möglich ist. Jedoch konnte eine Verbundsteigerung um über 500 % von ca. 20 N/mm der Carbonrovings ohne Profil auf über 100 N/mm der profilierten Bewehrungsgarne erzielt werden, womit eine signifikante Steigerung der Materialeffizienz einhergeht (siehe Abbildung 1). Hierbei zeichnen sich insbesondere die Varioflechtgarne durch sehr hohe Verbundsteifigkeiten aus, die für eine initiale Kraftübertragung von besonderem Interesse sind. Die Packungsflechtgarne sowie die Profilgarne mit Tetraeder-Geometrie haben annähernd gleiche Verbundeigenschaften. Die Verbundsteifigkeit ist im Vergleich zu den Varioflechtgarnen etwas geringer, jedoch ist deren Fertigung produktiver.

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Weiterentwicklung des Flächenbildungsprozesses
Zur Verarbeitung der neuartig profilierten Bewehrungsgarne zu einer gitterförmigen Bewehrungsstruktur wurde eine am ITM vorhandene Biaxial-Kettenwirkmaschine des Typs Malimo 14022 sowie die entsprechenden Teilprozesse (Garnzuführung, Schusslegung, Maschenbildung, Tränkung und Aufwicklung) angepasst und weiterentwickelt, sodass einerseits die vorstabilisierten Flechtgarne sowie die konsolidierten tetraederförmigen Profilgarne weiterverarbeitbar sind. Hierzu wurde insbesondere der Schusslegungsprozess dahingegen modifiziert, dass ein neuartiger Schussfadenführer für die Schusslegung der vorstabilisierten Flechtgarne entwickelt wurde. Die biegesteifen Profilgarne können nicht mit dem konventionellen Schusslegungsverfahren verarbeitet werden, sodass ein neuartiges Stabablagesystem bestehend aus eine Schussstab-Magazin-Speicher und einer Welle mit Profilwalzen entwickelt wurde (siehe Abbildung 2). Die vorkonfektionierten Schussstäbe wurden über das Stabablagesystem vereinzelt in eine mit neuen Halteelemente modifizierte Transportkette eingelegt.

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Danksagung
Das IGF-Vorhaben 21375 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Der Schlussbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden erhältlich.

Die vollständige Veröffentlichung steht zum Download zur Verfügung.

AutorInnen: Penzel, Paul; Hahn, Lars; Abdkader, Anwar; Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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24.11.2022

Oberflächenprofilierte Carbongitter für Carbonbetonanwendungen

Gestricke & Gewirke Composites Textilmaschinenbau Nachhaltigkeit Technische Textilien

Zusammenfassung

Am ITM der TU Dresden wurden Verfahren entwickelt, die es ermöglichen, auf einer Multiaxial-Kettenwirkmaschine mit integrierter Tränkungs- und Aushärtemodul kontinuierlich oberflächenprofilierte Gitter in reproduzierbarer hoher Qualität für Carbonbetonanwendungen herzustellen. Im Lösungsansatz 1, der Profilierung durch Prägen der Verstärkungsfäden, kann der Schubfluss um mehr als 400 % gegenüber einem Glattgarn gesteigert werden. Die Skalierung und Steigerung der Produktivität dieser Technologie auf Industrieniveau wird Gegenstand zukünftiger Forschungsarbeiten sein. Im Lösungsansatz 2 wurde ein Wirkfaden grober Feinheit (> 150 tex) als profilgebende Komponente (Profilwirkfaden) verwendet und zur maschenbasierten Fixierung der Verstärkungsfäden genutzt. Weitere Forschungsperspektiven zur Steigerung der Verbundhaftung ergeben sich für diese Profilierungsvariante insbesondere in einer Erhöhung der Stoff- und Formschlussverbindung zwischen Profilwirk- und Verstärkungsfaden.

Eine Erhöhung des Schubflusses bzgl. des Verbundes zwischen der durch Prägen profilierten Textilbewehrung und dem Beton führt direkt zu einer Verringerung der Auszugslängen unter Last und damit zur Reduzierung der Überlappungslängen um bis zu 75 % bei der Verarbeitung von profilierten Carbonbetonbewehrungen. Damit wird eine Grundlage für eine kosten- und ressourceneffiziente Herstellung von Carbonbetonbauteilen geschaffen, da hierbei eine Vielzahl, von überlappenden Textilbewehrungsbereichen auftreten. Dieser Aspekt verbessert die Wirtschaftlichkeit von Carbonbetonanwendungen und trägt dazu bei, diese innovative und ressourcenschonende Art des Bauens weiter zu etablieren.

Bericht

Abstract

Die volle Substanzfestigkeit des Hochleistungsmaterials Carbon kann im Betonverbund immer noch nicht ausgenutzt werden kann. Das liegt in der geringen Festigkeit der stoffschlüssigen Verbindung zwischen Carbonfaden und Betonmatrix begründet. Hier setzte das erfolgreich abgeschlossene Forschungsprojekt IGF 21153 BR des ITM an. Der Fokus lag auf der Entwicklung und Umsetzung von Verfahren zur Integration von Formschlusselementen im Herstellungsprozess von textilen Bewehrungen zur Steigerung der Verbundfestigkeit zwischen Bewehrung und Beton. Es wurde nachgewiesen, dass der dadurch erreichte zusätzliche Formschluss auf Basis einer Oberflächenprofilierung, ähnlich dem gerippten Bewehrungsstahl, den Schubfluss vervierfacht, die erforderliche Überlappungslänge folglich viertelt und damit den Materialeinsatz erheblich reduziert. Zwei Vorzugsvarianten wurden herausgearbeitet, für deren erfolgreiche Umsetzung die Entwicklung von Inline-Temperatur- und Feuchtigkeitsmesssystem erforderlich war.

Ausgangssituation und Problemstellung

Beton ist weltweit der wichtigste und am häufigsten eingesetzte Baustoff und wird in nahezu allen Anwendungsbereichen in Kombination mit einer Bewehrung zur Aufnahme der Zugkräfte eingesetzt [1]. Durch die Kombination von Beton mit einem Bewehrungsmaterial wie Stahl, können Bauwerke errichtet werden, die höchsten Beanspruchungen standhalten können. Da Stahl jedoch ein korrosionsanfälliges Material ist, muss eine signifikante Deckschicht stark basischen Betons aufgewendet werden, um einen Verlust der Tragleistung durch Korrosion der Bewehrung zu verlangsamen [2]. Zur Abtragung der im Bauwerk wirkenden Drucklasten ist die Dicke der Deckschicht nicht erforderlich. Daher erfolgte in den letzten beiden Dekaden die Entwicklung und sukzessive Praxiseinführung von Textilbewehrungen, die aus hochleistungsfähigen Multifilamentgarnen aus Carbon oder alkaliresistentem Glas bestehen, die mit textilen Verfahren zu mehraxialen Gitterstrukturen verarbeitet und, um den inneren und äußeren Verbund sicherzustellen, getränkt werden [3–5]. Derartige Textilbewehrungen können bei einer Betonersparnis von bis zu 70 % (durch dünnwandige Bauweise) die gleichen Kräfte übertragen wie konventionelle Stahlbewehrungen. Textilbewehrungen sind korrosionsunempfindlich und ermöglichen eine sehr effiziente, betonsparende und dauerhafte Armierung von Betonbauwerken bzw. ‑bauteilen in den vielfältigsten Anwendungsgebieten [6, 7].

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Technische Entwicklung und Umsetzung

Zur Lösung der beschriebenen Problemstellung wurden Verfahren zur prozessintegrierten Profilierung der Textilbewehrung entwickelt. Hierfür wurden zwei Lösungskonzepte entwickelt, erprobt und evaluiert, die durch unterschiedliche Prinzipien (Prägen und Profilwirkfaden) gezielt Profilierungen ausbilden und die zudem in die textile Fertigung integrierbar sind.

Zur Steigerung der Warenqualität und um den Trocknungs- und Aushärteprozess gezielt hinsichtlich der erreichbaren Zugfestigkeit mit geringer Streuung steuern zu können, wurde eine Inline-Temperaturüberwachung auf Basis taktiler, mitlaufender Temperatursensoren entwickelt. Die Überwachung der Gelegefeuchtigkeit erfolgte mit der NIR-Sensorik (Near Infrared). Die Streuung der Zugfestigkeit der Textilbewehrung in der Warenausgangskontrolle konnte aufgrund der Prozessüberwachung halbiert werden. Es konnte zudem gezeigt werden, dass bestimmte Parameter des Multiaxial-Kettenwirkprozesses einen moderaten Einfluss auf die Eigenschaften der Bewehrung und deren Verbund zum Beton haben, z. B. die Stichlänge und die Bindungsart.

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Materialcharakterisierung und Ergebnisse

Im Anschluss an die konstruktive Entwicklung und Umsetzung der Lösungskonzepte zur prozessintegrierten Herstellung eines profilierten Multiaxialgitters erfolgte sowohl die Fertigung von textilen Musterstrukturen als auch von Betonverbundprüfkörpern. Zur Charakterisierung der Musterstrukturen wurde das Auszugverhalten der profilierten Multiaxialgitter untersucht. Die für die Fertigung der Bewehrungsstrukturen gewählten Material- und Prozessparameter sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Während der Musterfertigung wurde zudem die Oberflächentemperatur mittels eines eigens dafür entwickelten mitlaufenden kontaktbasierten Temperaturmesssystems sowie die Feuchtigkeit der Musterstrukturen mittels Nah-Infrarotsensorik überwacht und die Temperatur in der Trocknungs- und Aushärtestrecke entsprechend angepasst.

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Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21153 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Der Schlussbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden erhältlich.

Die vollständige Veröffentlichung steht zum Download zur Verfügung.

AutorInnen: Zierold, Konrad; Hahn, Lars; Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

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29.09.2022

Patientenindividuelle Textilimplantate: Gewirkte Maschenwaren in Losgröße 1-Fertigung

Gestricke & Gewirke Technische Textilien

Zusammenfassung

Die patientenorientierte Gesundheitsversorgung macht die Individualisierung der Medizin unabdingbar. Dies erfordert Fortschritte in der Patientenindividualisierung, insbesondere durch die Medizintechnik, um den gewünschten Therapieerfolg zu erzielen. Dem steht aus technischer und wirtschaftlicher Sicht die Forderung nach einer wirtschaftlichen und reproduzierbaren Herstellung von Produkten mit der Losgröße 1 gegenüber, die mit innovativen textilen Herstellungsverfahren erfüllt werden kann. Es fehlt jedoch an einem grundlegenden Verständnis von Produktdesign, Endprodukteigenschaften und zwischengeschalteten Herstellungsprozessen sowie an geeigneten Werkzeugen für die Umsetzung dieser patientenindividuellen Ansätze.

Ziel des Projekts ist es, einen Herstellungsprozess für patientenindividuelle Textilimplantate zu implementieren, um Patienten eine optimal auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Therapie zu ermöglichen. Als Anwendungsbeispiel dienen Implantate zur Behandlung von Aortenaneurysmen, da dies ein sowohl klinisch als auch wirtschaftlich äußerst relevantes Einsatzgebiet für patientenindividuelle Implantatstrukturen ist.

Um das Projektziel zu erreichen, wurden Ansätze zur geometrischen und strukturellen Patientenindividualisierung von textilen Implantatstrukturen untersucht. Über eine durchgängige digitale Prozesskette wurde ein datenbankgestütztes virtuelles Modell zur Produktgestaltung entwickelt. Die Wechselwirkungen zwischen dem virtuellen Produktdesign, den Prozessparametern des Fertigungsprozesses und den resultierenden Implantateigenschaften wurden sowohl inline als auch offline ermittelt. Für die Inline-Erfassung der Prozessparameter wurden geeignete Werkzeuge entwickelt und implementiert. Diese erfassten Daten werden in die virtuelle Modelldatenbank zurückgespielt und verbessern so kontinuierlich die Genauigkeit und Robustheit der patientenindividuellen Konstruktion und Fertigung von Implantatstrukturen. Auf diese Weise kann eine wirtschaftliche und reproduzierbare Produktion von textilen Implantaten mit einer Losgröße von 1 realisiert werden, die eine optimal auf den Patienten zugeschnittene Therapie ermöglicht.

Bericht

Einleitung
Der demografische Wandel und ein zunehmend ungesunder Lebensstil in der westlichen Welt führen zu einer stetig steigenden Zahl von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und stellen die moderne Medizin vor große Herausforderungen. Mit der zunehmenden Zahl von Behandlungen steigt auch die Zahl der Patienten, die aufgrund ihrer individuellen Anatomie oder Physiologie für eine Behandlung mit Standardprodukten nicht geeignet sind. Dies betrifft etwa 40% aller Patienten der jährlich in Deutschland durchgeführten rund 21.000 endovaskulären Behandlungen von Aortenaneurysmen. Eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung macht daher eine Individualisierung der Medizin notwendig [2]. Dies erfordert auch ein Fortschreiten der Patientenindividualisierung durch die Medizintechnik, um den gewünschten Therapieerfolg zu erzielen. Diese individualisierten Implantate sollten exakt auf die spezifische Anatomie des Patienten zugeschnitten sein und auf Basis eines medizinischen Bilddatensatzes in Losgröße 1 hergestellt werden. Auf diese Weise wird eine Versorgung der lebenswichtigen Abgänge der Aorta gewährleistet. Aus technischer und wirtschaftlicher Sicht steht der Individualisierung die Bedingung einer wirtschaftlichen und reproduzierbaren Herstellung von Produkten mit Losgröße 1 gegenüber. Diese Anforderungen können mit innovativen textilen Fertigungsverfahren erfüllt werden. Die Kettenwirktechnik im Allgemeinen und die Jacquard-Wirktechnik im Besonderen erfüllen die notwendigen Anforderungen, sind aber in hohem Maße bedienerabhängig. Das enorme Potenzial der Jacquard-Wirktechnologie für die Herstellung von textilen Implantaten wird derzeit nicht genutzt, da keine Erfahrungen über die Zusammenhänge des Wirkprozesses vorliegen und keine Konstruktionswerkzeuge existieren, die diese Zusammenhänge adäquat beschreiben. Die am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen (ITA) im Projekt "IndiTexPlant" erzielten Ergebnisse bieten erstmals die Möglichkeit, das virtuelle Produktdesign in Kombination mit der Jacquard-Stricktechnologie in eine digitale Produktentwicklung vom medizinischen Bilddatensatz über das Topologiemodell der rekonstruierten Produktgeometrie bis hin zur Ableitung der Musterung für das textile Produkt zu übertragen (siehe Abbildung 1).

AutorInnen: Tobias Lauwigi Author, Kai-Chieh Kuo Co-Author

ITA Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Strasse 1, 52074 Aachen, Deutschland

Medtech Textilimplantat Medizin

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