Klartext by Textination

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Wir fragen nach ... und Sie reden Klartext

In unserer Rubrik KLARTEXT können Entscheider zu unterschiedlichen Themen in Kurzinterviews Stellung nehmen: pointiert, auf den Punkt gebracht und ohne Ausflüchte.

Die Palette möglicher Themen ist breit gefächert - wichtig ist nur, dass die Gesprächspartner klar und deutlich ihre Position vertreten – also Klartext reden.

Wenn Sie ein Fan von Klartext sind und einen Themenvorschlag haben, sprechen Sie uns gerne an: news@textination.de.

 

20.06.2023

„Die DOMOTEX ist und bleibt das Zuhause der gesamten Branche“

KlarText mit Frau Sonia Wedell-Castellano, Global Director der DOMOTEX Events zur Messelandschaft für Bodenbeläge in Deutschland

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie waren in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens spürbar. Insbesondere die Messebranche war stark betroffen, viele Veranstaltungen wurden abgesagt oder verschoben. Mit der Rückkehr zur Normalität stellt sich die Frage, welche Bedeutung Leitmessen in der Post-Corona-Ära haben werden und wie sich der Wettbewerb zwischen verschiedenen Veranstaltern entwickelt. Textination hat für seine Interviewreihe KLARTEXT bei Frau Sonia Wedell-Castellano, Global Director der DOMOTEX Events nachgefragt.

 

Nachdem die DOMOTEX pandemiebedingt 2021 und 2022 nicht stattfinden konnte, meldete sich die Messe 2023 mit einer erfolgreichen Veranstaltung wieder zurück. Dennoch hat sich die Zahl der Aussteller im Vergleich zu 2020 nahezu halbiert. Wie schätzen Sie die künftige Bedeutung von Leitmessen ein, nachdem sich die Branche über einen langen Zeitraum mit Onlinemeetings und Reisebeschränkungen arrangieren musste?

KlarText mit Frau Sonia Wedell-Castellano, Global Director der DOMOTEX Events zur Messelandschaft für Bodenbeläge in Deutschland

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie waren in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens spürbar. Insbesondere die Messebranche war stark betroffen, viele Veranstaltungen wurden abgesagt oder verschoben. Mit der Rückkehr zur Normalität stellt sich die Frage, welche Bedeutung Leitmessen in der Post-Corona-Ära haben werden und wie sich der Wettbewerb zwischen verschiedenen Veranstaltern entwickelt. Textination hat für seine Interviewreihe KLARTEXT bei Frau Sonia Wedell-Castellano, Global Director der DOMOTEX Events nachgefragt.

 

Nachdem die DOMOTEX pandemiebedingt 2021 und 2022 nicht stattfinden konnte, meldete sich die Messe 2023 mit einer erfolgreichen Veranstaltung wieder zurück. Dennoch hat sich die Zahl der Aussteller im Vergleich zu 2020 nahezu halbiert. Wie schätzen Sie die künftige Bedeutung von Leitmessen ein, nachdem sich die Branche über einen langen Zeitraum mit Onlinemeetings und Reisebeschränkungen arrangieren musste?

Ich denke, man darf nicht vergessen, dass es die erste DOMOTEX seit Ausbruch der Pandemie war, noch dazu während einer Zeit, in der die globale wirtschaftliche Lage eher schwierig ist. Natürlich hat diese Situation bei einigen Unternehmen für Zurückhaltung gesorgt, was eine Teilnahme an der DOMOTEX 2023 betraf, sodass wir noch nicht alle Unternehmen als Aussteller zurück auf der Messe begrüßen konnten. Zusätzlich herrschten zu Jahresbeginn, z.B. in China, noch erhebliche Reisebeschränkungen, die es unseren Ausstellern einfach erschwert haben, an einer Messe im Ausland teilzunehmen. Was unsere Erwartungen für die nächste Veranstaltung betrifft, kann ich sagen, dass viele Unternehmen – auch solche, die dieses Jahr nicht ausgestellt haben – ihr Interesse mitgeteilt haben, auf der DOMOTEX 2024 wieder dabei sein zu wollen.

Wir sind uns sicher, dass Leitmessen und Messen im Allgemeinen auch künftig von großer Bedeutung bleiben werden! Auf digitalen Events kann man vielleicht Bestandskunden pflegen, aber keine Neukunden generieren. Im Mittelpunkt der DOMOTEX stehen Produkte zum Anfassen, steht das haptische Erleben vor Ort. Das kann man nicht in die digitale Welt übertragen. Auch die zufälligen Begegnungen am Stand oder in den Hallen passiert digital nicht. Eine Messe lebt aber von der persönlichen Begegnung, dem persönlichen Austausch. Geschäfte werden zwischen Menschen, nicht zwischen Bildschirmen gemacht. Sowohl Aussteller als auch Besucher*innen haben uns ganz klar gesagt, dass sie die DOMOTEX als Präsenzmesse wollen und brauchen.

 

Der Internationalisierungsgrad der DOMOTEX-Besucher lag in den letzten drei Veranstaltungsjahren vor der Pandemie zwischen 62 und 67 Prozent; 2023 erreichte er sogar 69 Prozent. Würden Sie zustimmen, dass internationale Leitmessen in Deutschland primär nur noch eine Bedeutung für exportorientierte Unternehmen haben? Und was bedeutet das für die Wirtschaftlichkeit von Messen?

Sicherlich sind internationale Leitmessen in Deutschland gerade für exportorientierte Unternehmen besonders interessant, aber eben nicht ausschließlich. An der Wirtschaftlichkeit von Messen ändert das erstmal gar nichts. Wir erwirtschaften unseren Umsatz mit all unseren Ausstellern, unabhängig davon ob diese exportorientiert oder nur am DACH-Raum interessiert sind. Daher liegen uns zufriedene Aussteller sehr am Herzen. Und zufrieden ist ein Austeller dann, wenn er gute Geschäfte bzw. gute Kontakte auf unseren Messen knüpfen kann. Dabei kommt es immer mehr auf die richtige Qualität der Besucher*innen an, weniger auf die Quantität. Alle unsere Aussteller begrüßen internationale Besucher*innen dabei jedenfalls sehr!

 

Für die Messeausgabe 2024 hat die Deutsche Messe mitgeteilt, ihr DOMOTEX-Konzept geändert zu haben und auf jährlich unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen: Carpet & Rugs in den ungeraden und Flooring in den geraden Jahren. Flooring umfasst Holz- und Laminatböden, Parkett, Designböden, elastische Bodenbeläge, Teppichböden, Outdoor-Böden sowie Anwendungs- und Verlegetechnik. Carpet & Rugs steht für handgefertigte Teppiche und Läufer sowie für maschinengewebte Teppiche.

Dennoch sagen Sie, dass insbesondere der Bereich Carpet & Rugs eine jährliche Präsentationsplattform benötigt, während sich der Bereich der Bodenbeläge aufgrund längerer Innovationszyklen alle zwei Jahre eine DOMOTEX als zentrale Plattform der Branche wünsche. Bedeutet das nicht eigentlich, dass die Bodenbeläge nur jedes zweite Jahr in Hannover sind, die Teppiche jedoch weiterhin jährlich in Hannover ausstellen? Könnten Sie das klarstellen?

2024 und in allen geraden Jahren findet die DOMOTEX – Home of Flooring statt: Das ist eine DOMOTEX mit allen Ausstellern, so wie wir sie aus der Vergangenheit kennen. Also von Fischgrätparkett über Outdoorbeläge bis hin zu orientalischen Teppichen und zeitgenössischen Designs – alles, unter einem Dach. In den ungeraden Jahren, also ab 2025, gibt es dann die DOMOTEX – Home of Carpets and Rugs, mit Fokus auf Anbieter abgepasster Teppiche.

Der Hintergrund ist der, dass sich die Industrie mit den Hartbelägen eine DOMOTEX alle zwei Jahre gewünscht hatte. Nach der diesjährigen DOMOTEX haben sich die Anbieter abgepasster Teppiche wiederum klar für eine jährliche Plattform ausgesprochen. Mit unserem neuen Fokusmodell erfüllen wir die Bedürfnisse, die vom Markt an uns herangetragen werden.

 

Die Messe Frankfurt hat für die Heimtextil im kommenden Jahr ein neues Produktsegment ausgerufen – interessanterweise unter dem Namen Carpets & Rugs. Während im geraden Jahr 2024 bei der DOMOTEX die Parole Flooring lautet, bietet die Heimtextil einen alternativen Messeplatz für die Teppiche. Wie beurteilen Sie diese Situation - müssen sich Aussteller nun zwischen Hannover und Frankfurt entscheiden und was bedeutet das für das geteilte Konzept?

Nein, Aussteller aus dem Bereich der Teppiche müssen sich künftig nicht zwischen Hannover und Frankfurt entscheiden – denn die DOMOTEX ist und bleibt das Zuhause der gesamten Branche, auch in den geraden Jahren! Home of Flooring bedeutet bei der DOMOTEX wie vorhin erläutert, dass wir das gesamte Spektrum aus Bodenbelägen und Teppichen darbieten.

Was aber noch wichtiger ist: Wir haben von Ausstellern, aber auch vielen Besucher*innen gespiegelt bekommen, dass sich der Markt keine weitere Aufspaltung wünscht. Durch die vielen (kleinen) Events macht sich die Bodenbelagsbranche nur selbst Konkurrenz. Plakativ ausgedrückt: Wenn auf zehn Veranstaltungen immer nur ein Teil der Aussteller teilnimmt, kann das nicht wirklich funktionieren. Es fehlt die kritische Masse. Eine Messe ist immer nur so gut wie die Teilnehmer*innen und diesen fehlt oftmals die Zeit mehrere Veranstaltungen zu besuchen.     

 

Eine weitere Neuerung für die DOMOTEX ist der Länderfokus. Was versprechen Sie sich davon und warum fiel Ihre Wahl für 2024 auf „Insight Italy“?

Mit unserer neuen Sonderschau möchten wir die Neugier unserer Besucher*innen – vor allem bei Handel, Architekten und Objekteuren – wecken und den internationalen Charakter der DOMOTEX hervorheben. Denn was ist spannender als ein Land intensiv kennenzulernen?  

Das INSIGHT-Konzept stellt daher künftig zu jeder DOMOTEX – Home of Flooring ein anderes Land vor. Auf speziellen Ausstellungsbereichen werden Innovationen und Produkte ausgestellt, Partnerschaften mit Designern und Hochschulen präsentiert und Trends inszeniert. Zusätzlich werden in der Konferenz Einblicke in den jeweiligen Markt und Referenzen aufgezeigt.  
In 2024 starten wir mit Italien, einem sehr designaffinen und kreativen Land, aus dem viele Trends kommen.

 

Die Deutsche Messe will den Standort Hannover für die Leitmesse DOMOTEX stärken und zusätzliche Messen nur noch in Shanghai und in Gaziantep durchführen. Die Carpet Expo wird es in Istanbul nicht geben. Welchen Einfluss hat die sich verändernde Unternehmenslandschaft hinsichtlich Produktionsländern und Märkten für Ihr internationales Konzept?

Zunächst einmal muss man festhalten, dass sich in der Türkei die Unternehmenslandschaft für Teppiche nicht geändert hat. Hier haben sich lediglich die Verbände dazu entschieden, künftig in Istanbul eine Teppichmesse zu veranstalten. Hintergrund ist die anhaltende Visaproblematik für türkische Aussteller in Deutschland sowie die immens hohe Inflation in der Türkei, die eine Auslandsbeteiligung extrem kostspielig für türkische Unternehmen macht. Wir hätten gern gemeinsam mit den türkischen Verbänden eine Teppichmesse in Istanbul organisiert, aber eben nicht um jeden Preis und nicht zu allein ihren Bedingungen. Hannover ist und bleibt die internationale Plattform der DOMOTEX und diesen Standort werden wir weiter stärken.

Wir beobachten darüber hinaus aber natürlich den weltweiten Markt und halten Augen und Ohren stets offen, für alle unsere Marken im Übrigen. Nur so konnte seinerzeit auch eine heute sehr erfolgreiche DOMOTEX asia/Chinafloor in Shanghai entstehen. Das Potenzial war da, wir waren zur rechten Zeit am rechten Ort. Hätten wir die Chance seinerzeit nicht ergriffen, gäbe es nun in Shanghai dennoch eine starke Bodenbelagsmesse – nur eben von einem unserer Wettbewerber und sie hieße heute nicht DOMOTEX.

Vielen Dank an Frau Sonia Wedell-Castellano für den KLARTEXT.

05.04.2023

Unsere Politik artet in eine Verbotspolitik aus – weniger ist mehr

KLARTEXT mit Dr. Wilhelm Rauch, Geschäftsführer der Industrievereinigung Chemiefaser, zur Lage der Chemiefaserproduktion in Deutschland

Im vergangenen Monat veröffentlichte die Industrievereinigung Chemiefaser IVC e.V. auf ihrem LinkedIn-Profil einen Beitrag mit dem Titel „Sterben der Chemiefaserindustrie nimmt Fahrt auf“. Seit dem 31.12.2021 mussten 7 der 13 in Deutschland beheimateten Faserproduzenten Insolvenz anmelden, was für die Mehrheit zur Einstellung des Betriebs führte. Textination hat für seine Interviewreihe KLARTEXT beim Verbandsgeschäftsführer Dr. Wilhelm Rauch nachgefragt, wie es um die Chemiefaserproduktion in Deutschland bestellt ist.

KLARTEXT mit Dr. Wilhelm Rauch, Geschäftsführer der Industrievereinigung Chemiefaser, zur Lage der Chemiefaserproduktion in Deutschland

Im vergangenen Monat veröffentlichte die Industrievereinigung Chemiefaser IVC e.V. auf ihrem LinkedIn-Profil einen Beitrag mit dem Titel „Sterben der Chemiefaserindustrie nimmt Fahrt auf“. Seit dem 31.12.2021 mussten 7 der 13 in Deutschland beheimateten Faserproduzenten Insolvenz anmelden, was für die Mehrheit zur Einstellung des Betriebs führte. Textination hat für seine Interviewreihe KLARTEXT beim Verbandsgeschäftsführer Dr. Wilhelm Rauch nachgefragt, wie es um die Chemiefaserproduktion in Deutschland bestellt ist.

Im Namen Ihres Verbandes Industrievereinigung der Chemiefaserindustrie ist das böse C-Wort weiterhin ein Bestandteil. In Zeiten, in denen alles per se gut ist, was aus der Natur kommt, und alles schlecht, was aus einem Labor stammt, ist das mutig - oder vielleicht sogar geschäftsschädigend?
Waren Sie nie in Versuchung, die "Chemie" aus der Benennung zu streichen?

 
Die Versuchung einer Umbenennung im Sinne des Mainstreams ist in der heutigen Zeit natürlich gegeben. Darüber haben letztendlich die IVC-Mitgliedsunternehmen zu entscheiden. Wenn man mit dem Begriff „man-made fibers“ – also menschengemachte Fasern – einen wirtschaftlich größeren Erfolg hat, ist das für ein Unternehmen sicher ein Argument. Das würde jedoch nichts an den wissenschaftlich-technischen Grundlagen von synthetischen und cellulosischen Fasern ändern – beide sind ein Ergebnis chemischer Verfahrensweisen. Das gilt übrigens auch für Naturfasern – die gesamte Natur basiert ausschließlich auf physikalisch-chemischen Prozessen. Deshalb zählt die Chemie zu den Naturwissenschaften.


 
Nicht erst in der jüngeren Vergangenheit werden viel Engagement und Geld in die Erforschung von Fasern gesteckt, die so bald als möglich jene aus fossilen Rohstoffen ersetzen sollen. Wie stehen Sie dazu?

Jede Erforschung neuer Fasern ist begrüßenswert. Es stehen sowohl Substitutionen vorhandener Fasern als auch neue Anwendungsgebiete im Fokus. Die Abkehr von fossilen Rohstoffen bedeutet aber nicht zwangsläufig die ausschließliche Hinwendung zu nachwachsenden Rohstoffen. Synthetische Chemiefasern können künftig als CO2-Senke dienen. Ich denke hier an Carbon-Capture and Storage (CCS) und darauffolgend an Produkte aus Synthesen ähnlich der Fischer-Tropsch-Synthese, die mit jüngst entwickelten neuen Katalysatoren direkt mit CO2 und grünem Wasserstoff möglich sind. Diese können dann maßgeschneiderte Rohstoffe für künftige Chemiefasern sein. Denn bei aller Begeisterung für nachwachsende Rohstoffe sollte man nicht aus den Augen verlieren, mit welchen Umweltbelastungen diese verknüpft sein können: beispielsweise Verlust von Anbaufläche für Nahrung, Wasserbedarf, Monokulturen etc.

 

Es ist noch gar nicht lange her, da machte der Begriff „systemrelevant“ die Runde. In welchen Bereichen ist die Chemiefaserindustrie absolut systemrelevant sprich unverzichtbar?

Chemiefasern sind essentielle Bestandteile von Computern, Batterien, Smartphones, Windrädern, Schutzkleidung und Medizinprodukten.

 

Wie sehen Sie die mannigfaltigen Reglementierungen der industriellen Faserproduktion durch europäische und bundesdeutsche Behörden? Ist Deutschland noch ein Industrieland?

Die Politik scheint sich zunehmend sehr viel Mühe zu geben, die Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche Produktion in Europa derart zu verschlechtern, dass Investitionen in anderen Teilen der Welt mit einer solchen Geschwindigkeit interessanter werden, dass wir nur noch das Nachsehen haben. Aktuell haben wir das Deutsche Museum nur in München, aber ich sehe zunehmend die Gefahr, dass bald ganz Deutschland ein Museum wird.    

 

Wie beurteilen Sie unter sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Erwägungen die faktisch bereits bestehende Abhängigkeit Europas bezüglich Chemiefasern von primär asiatischen Anbietern? Was macht Ihnen dabei die größten Kopfschmerzen?

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat gezeigt, welche Folgen Abhängigkeiten haben können. Auch der mit militärischen Mitteln ausgetragene Konflikt zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine führte uns vor Augen, wie verwundbar unsere Wirtschaft ist. Beide Fälle haben aber auch gezeigt, dass wir in der Lage sind, politisch eine gewisse Flexibilität zu entfalten, um solchen Veränderungen zu begegnen. Blicken wir auf mögliche militärische Konflikte im südchinesischen Meer und eine daraus resultierende Konfrontation zwischen China und der westlichen Wirtschaftswelt, lässt das Konsequenzen einer anderen Größenordnung erwarten. Europa müsste sich dann wieder vermehrt auf eigene industrielle Kapazitäten konzentrieren.

 

Wenn Sie eine Rede vor dem europäischen Parlament oder dem deutschen Bundestag halten könnten - worauf würden Sie die politisch Verantwortlichen in Sachen Chemiefaserindustrie gerne nachdrücklich hinweisen?

Mehr Demokratie wagen. Diesen Satz hat Willy Brand in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler 1969 formuliert. Das gilt auch weiterhin. Konkret heißt es, dass die Legislative bei Vorhaben ausreichend Zeit für Stellungsnahmen einräumen muss, so dass Experten auch seriös und fundiert antworten können. Ein paar Tage sind schlicht zu wenig und lassen den Eindruck entstehen, solche Vorhaben möglichst ohne Bürgerbeteiligung durchdrücken zu wollen. Stellungnahmen sind ein Akt gelebter Demokratie. Die Politik sollte davor keine Angst haben, sondern eine Stellungnahme konstruktiv betrachten, um solide Gesetze, Verordnungen und Richtlinien zu verabschieden, die die Beteiligten auch mittragen.

Weniger ist mehr. Es müssen weniger Gesetze und Verordnungen erlassen werden, die dafür aber qualitativ besser sind. Gesetzliche Regelungen müssen in den Betrieben auch umgesetzt werden können, womit wir wieder beim Thema Zeit sind. Die Umsetzung in die Praxis muss gelebt werden. Manchmal sind auch Investitionen notwendig, um legislativen Änderungen zu entsprechen. Man erhält heute den Eindruck, dass Gesetze stakkatoartig erlassen werden, ohne zuvor mit Experten über die Folgen diskutiert zu haben. Wirtschaft ist aber kein Computerspiel, in dem man in Bruchteilen einer Sekunde Einfluss auf die Handlung der Spielfiguren und damit den gesamten Spielverlauf nehmen kann. Wir als Industrie, aber auch als Bürger fühlen uns zunehmend als solche Spielfiguren. Diese Situation zu ändern, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe der Politik.

Mehr Marktwirtschaft wagen. Unsere Politik – sei es national oder europäisch - trägt zunehmend Züge einer Planwirtschaft. Besonders deutlich ist das auf dem Energie- und Umweltsektor. Ein Blick in die Welt zeigt aber, dass Umweltschutz dort am besten vorangebracht wird, wo die Marktwirtschaft die treibende Kraft ist. Mit den USA assoziiert man meistens nicht einen Staat mit besonderen Ambitionen für Umwelt- und Klimaschutz. Dennoch haben gerade die USA den Ausstoß von CO2 in den letzten Jahren deutlich reduziert, wohingegen er in China angestiegen ist. Auch das deutsche sehr akribisch konstruierte System zum Aufbau nicht fossiler Energieerzeuger – übrigens das teuerste der Welt – hat hier mit Blick auf die Emissionen kläglich versagt.  

Anreize statt Verbote. Unsere Politik artet in eine Verbotspolitik aus. Wie reagiert man auf Verbote? Man konzentriert seine Energie darauf, Lücken zu finden, um sie zu umgehen. Man möchte der Letzte sein, den ein Verbot trifft. Was wir benötigen, ist eine Anreizpolitik. Anreize schaffen Wettbewerb, und im Wettbewerb möchte jeder der Erste sein. Energien, die in einem Wettbewerb eingesetzt werden, sind immer konstruktiv auf das Ziel fokussiert. Hier kann die europäische Politik eine Menge von den USA lernen.

Vielen Dank an Dr. Wilhelm Rauch für den KLARTEXT.

24.03.2023

… wir lassen erst dann wieder los, wenn sie sicher laufen

KLARTEXT mit Rosario Othen (Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University)
zu Fördermöglichkeiten im Mittelstand-Digital Zentrum Smarte Kreisläufe   

Vor wenigen Tagen gab das Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University bekannt, im Rahmen des Mittelstand-Digital Zentrums Smarte Kreisläufe KMU künftig bei der konkreten Umsetzung von Ideen zur Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu unterstützen.

Textination hat für seine Interviewreihe KLARTEXT nachgefragt, was das konkret für interessierte KMU bedeutet.
Ansprechpartner am ITA für diesen Bereich ist Doktorand Rosario Othen.

KLARTEXT mit Rosario Othen (Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University)
zu Fördermöglichkeiten im Mittelstand-Digital Zentrum Smarte Kreisläufe   

Vor wenigen Tagen gab das Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University bekannt, im Rahmen des Mittelstand-Digital Zentrums Smarte Kreisläufe KMU künftig bei der konkreten Umsetzung von Ideen zur Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu unterstützen.

Textination hat für seine Interviewreihe KLARTEXT nachgefragt, was das konkret für interessierte KMU bedeutet.
Ansprechpartner am ITA für diesen Bereich ist Doktorand Rosario Othen.

Das ITA bietet an, gemeinsam mit Unternehmen nachhaltige Lösungen und Prozesse für die Kreislaufwirtschaft zu finden und neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Das Angebot des ITA umfasst dabei die Bereiche Sensibilisieren, Qualifizieren, Umsetzen und Vernetzen. Welche Lösungen kann man sich in den genannten Bereichen konkret vorstellen?
 
Die Angebote für die vier Bereiche richten sich maßgeblich an den Bedürfnissen des Partners aus. Im Bereich reicht dies von einfachen „Industriedialogen“ auf Messen, Kundenbesuchen und direkten Gesprächen bis hin zu Fachvorträgen und Labtouren. Letzteres ist eine Führung im Digital Capability Center in Aachen, wo Digitalisierung und Nutzen hautnah erlebt werden können!
Qualifizieren geht oft mit der Umsetzung einher. Wir starten für gewöhnlich mit einem Besuch bei dem Unternehmen, um überhaupt erstmal Potenziale zu erkennen. Nicht jeder Prozess(schritt) ist für den Start in die Digitalisierung geeignet. Wir achten darauf, die „low hanging“ fruits zu pflücken und mit wenigen Mitteln möglichst viel Strahlkraft zu erzeugen (sogenannte Leuchtturmprojekte).

In nachgelagerten Workshops befähigen wir die Mitarbeitenden dazu, z. B. Digitalisierungsstrategien auszuarbeiten, Messkonzepte zu entwickeln, mit Big und Smart Data umzugehen und, und, und - maßgeschneidert auf die Bedürfnisse. Bei der Umsetzung wird zwischen Kurz- und Langläuferprojekten unterschieden. Kurzläufer wären zum Beispiel das Ausarbeiten der Strategie, Recherchearbeit zu Messtechnik, Cloudlösungen, Drittanbietern usw. Langläuferprojekte hingehen können sich auch über ein halbes Jahr erstrecken, wo wir gemeinsam z. B. den Prozess analysieren, Qualität/Energie/Materialfluss/Planung/etc. in den Vordergrund stellen und Defizite erkennen, um geeignete Lösungen zu entwickeln und diese schließlich auch umzusetzen.

Beim Vernetzen arbeiten wir Hand in Hand mit einem der anderen zahlreichen Mittelstand-Digital Zentren zusammen, um unser Know-How zusammenzulegen und dem Unternehmen möglichst umfassende Lösungen anzubieten, Austausch zwischen Experten zu stärken und so einen Mehrwert für alle schaffen.
 


Welchen Zeitraum kann ein solches Projekt innerhalb des Projekts Mittelstand-Digital Zentrum Smarte Kreisläufe umfassen und wie detailliert kann es aufgesetzt werden (Manpower, Ressourcen des ITA etc.)?

Für die angesprochenen Kurzläuferprojekte rechnen wir mit max. 5 Personentagen und bei den Langläufern mit mind. 5 Personentagen, die sich über einen größeren Zeitraum erstecken können.
Die Kurzläuferprojekte enden mit einem beschreibenden Dokument für das Unternehmen, die Langläuferprojekte enden mit einem beschreibenden Dokument für das Unternehmen und einem Versuchs- oder Testaufbau (Umsetzung).

 

Die genannten Angebote sind für KMU kostenlos. Welche Anforderungen müssen Unternehmen erfüllen, um im Förderungssinn als KMU zu gelten? Können Sie da etwas zum Standort, aber auch zu Unternehmen sagen, die in eine größere, nicht zwingend deutsche Unternehmensgruppe eingebunden sind?

Als KMU zählen Unternehmen, die weniger als 250 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. EUR oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Mio. EUR haben. Weitere mittelständische Unternehmen sind Unternehmen, die weniger als 1000 Mitarbeiter beschäftigen. Unternehmen, die innerhalb einer Unternehmensgruppe zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses verpflichtet sind, zählen leider nicht mehr als KMU.
Da die Initiative „Mittelstand-Digital“ durch das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit der Absicht, deutsche KMU zu unterstützen, gefördert wird, beschränken wir uns auf ebenjene KMU.

 

Wer trifft die Auswahl unter den verschiedenen KMU, die sich für eine Zusammenarbeit bewerben und nach welchen Kriterien erfolgt das?

Das Mittelstand-Digital Zentrum trifft die Auswahl. Faktoren sind Neuartigkeit der Problemstellung oder Produkt-/Produktions-/Prozessinnovation. Wichtig ist die breite Transferierbarkeit der Ergebnisse auf andere KMU. Unternehmer sollen von Unternehmern lernen.

 

Inwiefern können Sie Unternehmen, mit denen Sie im Rahmen des Mittelstand-Digital Zentrum Smarte Kreisläufe arbeiten, in eine ZIM-Förderung begleiten?

Das können wir sehr gut! Selbst die Langläuferprojekte sind noch nicht lang genug, um von einer Strategie und ersten Schritten hin zu einer vollumfassenden Datenbewirtschaftung zu kommen. Weitere Analysen und Modellierungen - um nur ein Beispiel zu nennen - führen wir in der Regel im Anschluss als ZIM oder in anderen geeigneten Projektformaten gemeinsam durch. Wir nehmen die Unternehmen an die Hand und lassen erst dann wieder los, wenn sie sicher laufen.

Vielen Dank an Rosario Othen für den KLARTEXT.