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21.10.2025

Tubuläre Gewebe mit rigiden und flexiblen Strukturzonen und Stofftrans-port zum biomimetischen Aufbau der Trachea

Fabrics Smart Textiles Medicine

Abstract

Die erfolgreiche Therapie von Verletzung der Trachea (Luftröhre) stellt eine immense Herausforderung dar und hat eine große gesellschaftliche und medizinische Relevanz. Jede Behandlung und anschließende Versorgung der Trachea mit einem Stoma führen zu funktionellen Nachteilen wie der Befeuchtung der Atemluft, schlechterem Geruchs- und Geschmackssinn oder fehlerhafte Stimmbildung. Ein weiterer Nachteil ist, dass bis zu 20 % der Patienten an einer Stenose (Verengung) der Trachea leiden [1]. Im Rahmen des interdisziplinären IGF-Forschungsprojektes 01IF22889N des ITM wurde deshalb ein integral gefertigtes, textiles, druckstabiles biomimetisches Tracheaimplantat entwickelt.

Report

Ausgangssituation und Problemstellung

Die Luftröhre (Trachea) erfüllt zwei Hauptfunktionen: (I) Realisierung des luftdichten und mechanisch stabilen Übergangs vom Kehlkopf zum Bronchialbaum der Lunge für den Lufttransport und (II) Erleichterung des Schleimabtransports. Funktion (I) übernimmt. eine röhrenförmige Konstruktion aus Knorpelspangen und Längsmuskeln, die für die seitliche Stabilität sowie die Längsflexibilität sorgen. Auf diese Weise wird das Lumen für die Atemluft offengehalten. Zusätzlich wird beim Einatmen die Atemluft angefeuchtet und erwärmt. Funktion (II) ist ein Reinigungsmechanismus, der durch eine besondere Schleimhautschicht (mukoziliäre respiratorische Epithelschicht) erfüllt wird. Hierbei übernehmen schleimproduzierende Zellen und Zellen mit Flimmerhärchen (Zilien) auf der Oberfläche den Transport von Schleim und Partikeln [2].

Nach einer Verletzung der Trachea sind diese Funktionen durch das Einsetzen einer Trachealkanüle beeinträchtigt. So werden in Deutschland jährlich 53.000 Trachearesektionen (Ersetzen eines Teils der Trachea) durchgeführt [3]. Ein hoher Anteil, etwa 40.000 Patienten erhalten dabei eine außerklinische Versorgung durch eine operativ geschaffene Öffnung in der Luftröhre, ein sogenanntes Stoma [3]. Diese Versorgung ist mit erheblichen Nachteilen verbunden: 1. einer schlechteren Befeuchtung und Erwärmung der Atemluft, 2. eines schlechteren Geruchs- und Geschmackssinns, 3. einer fehlerhaften Stimmbildung, und 4. einer Verengung der Luftröhre.

Der Gold-Standard für die Rekonstruktion der Trachea ist die End-to-End Anastomose, bei der ein Teil der Luftröhre entfernt und die verbleibenden Enden miteinander vernäht werden [4]. Für die Anwendung muss aber bei Erwachsenen mindestens die Hälfte und bei Kindern ein Drittel der Trachea vorhanden bleiben, da die Operation sonst nicht durchgeführt werden kann [5]. Trotzdem treten in bis zu 20 % der operierten Fälle Komplikationen auf [6]. Da auf die vernähten Tracheaenden große Kräfte wirken, kann dies zum Ausreißen der Naht und zu einer Verschiebung der Luftröhre in den Brustraum führen. Auch besteht die Gefahr, dass die Enden nicht richtig zusammenwachsen und es zu narbigen Verengungen der Luftröhre, Luftröhrenentzündungen, Heiserkeit, Stimmverlust und Lähmung der Stimmlippennerven sowie Schluckstörungen kommt [7]. Bisher untersuchte Ansätze – darunter synthetische Implantate, Konstrukte aus patienteneigenem Gewebe, Spendertracheen und Tissue-Engineering-Verfahren – konnten bislang keine funktionsfähige Zilienschicht für den Schleim- und Partikeltransport nachbilden. Weder diese fehlende Transportfunktion noch die hohe Komplikationsrate und der Mangel an geeignetem Spendergewebe erlauben aktuell einen verlässlichen Einsatz bei größeren Tracheadefekten nach einer klinisch notwendigen Resektion. Deshalb steht derzeit kein Implantat als adäquater Tracheaersatz zur Verfügung.

Somit ist es notwendig, neuartige Implantate zu entwickeln, die sowohl die mechanische Stabilität, als auch die innere Transportfunktion der natürlichen Trachea nachahmen. Ziel des durchgeführten IGF-Projekts war es deshalb ein textiles, funktionelles und biomimetisches Schlauchgewebe zu entwickeln. Dieses Gewebe sollte eine zilienähnliche Struktur für den aktiven Stofftransport aufweisen. Gleichzeitig sollten rigide, 3D-gedruckte Stützstrukturen, die bereits während des Webprozesses integriert werden können, das Schlauchgewebe vor einem Kollaps schützen. Beide Aspekte dienen dazu, fehlendes oder entferntes Tracheagewebe sicher zu überbrücken. Die Zilienbewegung sollte hierbei durch elektroaktive piezoelektrische PVDF-Fasern realisiert werden, die in Form von Polnoppen in das Gewebe integriert wurden. Die Aktivierung der Zilienbewegung soll hierbei durch den piezoelektrischen Effekt erfolgen, der durch das erzeugte elektrische Feld von stromdurchflossenen Leitern aktiviert wurde.

Entwicklung tubulärer Gewebestrukturen

Zur Herstellung eines tubulären Gewebes mit Zilien an der Gewebeoberfläche wurden verschiedene Varianten für ein mehrlagiges Gewebe mit in das Schlauchinnere zeigende Polschlaufen entwickelt. Die Gewebe wurden mittels marktverfügbarer Spulenschützenwebmaschinentechnologie unter Verwendung einer Jacquardeinheit für eine vielseitige Anpassung der Gewebestruktur gefertigt.

Die schlauchförmige Grundstruktur wurde aus Polyesterfäden gewebt. Je nach Variante wurden Zilienfäden bzw. eine Kombination aus Zilienfäden (piezoelektrisches PVDF oder Nitinol-Fäden) und Leiterfäden (besilbertes Polyamid, Madeira HC40) in das Grundgewebe eingebunden. Der Einsatz von Leiterfäden war bei Verwendung von elektroaktiven PVDF-Multifilamentfäden oder Kurzfasern nötig, um die Zilienbewegung anzuregen. Beim Einsatz von Ein- bzw. Zwei-Weg-Formgedächtnis (FG)-Fäden als Zilienmaterial waren keine separaten Leiterfäden in das Gewebe einzubinden, da die FG-Fäden direkt kontaktiert wurde und leitfähig waren, um die Bewegung der Zilien einzuleiten.

Entwicklung biomimetischer Stützstrukturen

Die menschliche Luftröhre besitzt etwa 15 bis 20 Trachealknorpel. Sie sind hufeisenförmig, haben einen Durchmesser von 20 mm, wobei die offene Seite nach dorsal (zum Rücken gewandt) weist, und etwa 4 mm breit und 1 mm stark ist. Ihre Außenfläche ist plan und die nach innen weisende Oberfläche konvex. Webtechnisch integrierbare Trachealknorpel (Knorpelspangen/Stützstrukturen) sollten mittels 3D-Druck gefertigt werden und sollten einer Kompressionskraft von mind. 1,2 N standhalten.

Basierend auf dieser beschriebenen Geometrie wurden insgesamt 10 verschiedene Modelle entwickelt. Die Unterschiede der Geometrien ergaben sich aus der Variation in der Schenkelgeometrie (C- und U-förmig), Wandstärke und Radius. Die Erzeugung der Stützstrukturen wurde mittels Photopolymerdruck nach dem Stereolithographiekonzept mit einem Objet 30 Prime, Fa. Stratasys umgesetzt, um die notwendigen Geometriedetails realisieren zu können. Exemplarische Strukturen sind in Abbildung 1 dargestellt.

Zur Untersuchung der Knorpelstrukturen sind anforderungsgerechte Klemmen für marktverfügbare Messtechnik entwickelt, konstruiert und mittels 3D-Druck umgesetzt worden. Die entwickelten Klemmen ermöglichen eine Druckbelastung in verschiedenen anatomischen Lagen der Knorpelspangen (anterior-posterior & medial-lateral).

Integration der Stützstrukturen in die Gewebestruktur

Auf Basis der zuvor vorgestellten Bindung für das Schlauchgewebe inklusive der im Grundgewebe verankerten Schlaufen an der Gewebeoberfläche, wurde eine Bindung entwickelt, welche die entwickelten Stützstrukturen in definierten Abständen im Grundgewebe aufnehmen und fixieren konnte. Die webtechnische Integration der Stützstrukturen wurde durch das Weben einer Gewebetasche über den gesamten Schlauchumfang des Gewebes realisiert. Die Dimensionen (Breite und Dicke) der Gewebetasche wurden an die der Stützstrukturen angepasst, wodurch diese zwischen zwei Gewebelagen fixiert und gegen ein Verrutschen sowie ein „Herausdrehen“ aus der Struktur gesichert wurden. Die Anzahl der Stützstrukturen pro definierter Gewebelänge war bindungstechnisch einstellbar, ebenso konnten unterschiedliche Spangenbreiten durch Anpassung der Gewebetaschengröße in das Schlauchgewebe integriert werden. Der umgesetzte Demonstrator ist in 3 dargestellt. Deutlich erkennbar sind die nach innen zeigenden Zilien und Gewebetaschen mit den integrierten Stützstrukturen.

Textilphysikalische Analyse der Stütz- und Gewebestrukturen sowie Bewegungsanalyse

Die mittlere Reißkraft der menschlichen Luftröhre liegt bei ca. 230 N [8]. Die tubulären Gewebestrukturen mit integrierten Stützstrukturen wiesen eine Maximalzugkraft von ca. 4300 N auf. Dabei ist eine Streckgrenze von ca. 1400 N ermittelt worden. Somit werden die mechanischen Anforderungen der menschlichen Trachea vollständig erfüllt. Alle entwickelten Sützstrukturen zum Vermeiden des Zusammenfallens der Trachea wiesen eine höhere Kompressionskraft als 1,2 N auf. Teilweise wurde der Zielwert um das zehnfach übertroffen.

Darüber hinaus wurde der Einfluss wiederholter bzw. zyklischer Zugbelastung auf die Position der in das Gewebe integrierten Stützstrukturen untersucht. Dazu wurde ein Lastwechselversuch mit 150 Zyklen durchgeführt, bei dem eine Zugbelastung bis zu einer maximalen Kraft von 230 N (Zielkennwert) und eine anschließende Entlastung bis zur Ausgangsposition wiederholt wurde. Hierfür ist eine Probenaufnahme entwickelt und umgesetzt worden, damit die tubuläre Struktur biomimetisch über den gesamten Querschnitt belastet wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass die in die Gewebetaschen eingewebten Stützstrukturen stabil fixiert blieben und kein „Herausdrehen“ in Umfangsrichtung auftrat. Die gewählte Integrations- und Fixiermethode gewährleistet somit eine dauerhafte Positionsstabilität unter zyklischer Belastung.

Die Bewegungsanalyse der verschiedenen Muster hat ergeben, dass mittels PVDF-Fasern keine Zilienbewegung ermöglicht wurde. Jedoch konnte mittels der FGL-Fäden mit einem Zwei-Wege-Effekt eine wiederholbare Bewegung der Zilien gezeigt werden. Dieser Ansatz kann zukünftig dazu verwendet werden, die Funktionsweise menschlicher Zilien nachzustellen. Als weiteren alternativen Ansatz wurden Gewebe mit parallelen Leiterfäden mit Polyamid Kurzfasern beflockt. Mittels eines elektrischen Wechselfeldes konnte auch hier eine intermittierende Zilienbewegung nachgestellt werden.

Zusammenfassung

Am ITM wurde ein neuartiges Trachealimplantat entwickelt, welches die makroskopische Struktur der menschlichen Luftröhre hervorragend nachbildet. Die entwickelte Struktur war mittels marktverfügbarer Schützenwebtechnologie ohne eine konstruktive Anpassung herstellbar. Zum Erhalt einer druckstabilen tubulären Struktur sind 3D-gedruckte Stützstrukturen in Gewebetaschen integriert worden. Die Fertigung kann integral erfolgen und ist patientenindividuell anpassbar in Gewebelänge, Stützstrukturabstand, -anzahl und Druckstabilität. Darüber hinaus wurden zur Nachbildung der mikroskopischen Struktur verschiedene Konzepte untersucht, um einen Stofftransport zu erzeugen. Grundlage war die Erzeugung von Polnoppengeweben und der Verwendung von piezoelektrischen PVDF-Fasern. Hierbei hat sich herausgestellt, dass mittels PVDF-Noppen keine Bewegung im mikroskopischen Maßstab erzielbar war. Mittels anderer Aktorfasern wie Nitinolfasern konnte eine Zilienbewegung erzeugt werden. Zudem ist auch mittels Flockfasern eine Zilienbewegung erzeugbar.

Danksagung

Das Projekt „Tubuläre Gewebe mit rigiden und flexiblen Strukturzonen und Stofftrans-port zum biomimetischen Aufbau der Trachea (01IF22889N)“ wird im Rahmen des Programms „Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF)“ durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Literaturverzeichnis

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[2] Udelsman, Brooks ; Mathisen, Douglas J. ; Ott, Harald C.: A reassessment of tracheal substitutes-a systematic review. In: Annals of Cardiothoracic Surgery 7 (2018), Nr. 2, S. 175–182. URL https://www.annalscts.com/article/view/16458/16661

[3] BVMed: BVMed informiert über Tracheotomie- und Laryngektomie-Versorgung. URL https://www.bvmed.de/verband/presse/pressemeldungen/bvmed-informiert-ueber-tracheotomie-und-laryngektomie-versorgung. – Aktualisierungsdatum: 2016-05-19 – Überprüfungsdatum 2025-10-15

[4] Canzano, F. ; Aggazzotti Cavazza, E. ; Mattioli, F. ; Ghidini, A. ; Bottero, S. ; Presutti, L.: Step-by-Step Tracheal Resection with End-to-End Anastomosis. In: Ghidini, Angelo; Mattioli, Francesco; Bottero, Sergio; Presutti, Livio (Hrsg.): Atlas of Airway Surgery : A Step-by-Step Guide Using an Animal Model. Cham : Springer International Publishing, 2017, S. 75–82

[5] Wemer, Richard D. ; Detamore, Michael ; Weatherly, Robert A.: Immunohistochemical characterization of the rabbit tracheal cartilages. In: Journal of Biomedical Science and Engineering 03 (2010), Nr. 10, S. 1007–1013

[6] Damiano, Giuseppe ; Palumbo, Vincenzo Davide ; Fazzotta, Salvatore ; Curione, Francesco ; Lo Monte, Giulia ; Brucato, Valerio Maria Bartolo ; Lo Monte, Attilio Ignazio: Current Strategies for Tracheal Replacement: A Review. In: Life 11 (2021), Nr. 7, S. 618. URL https://www.mdpi.com/2075-1729/11/7/618

[7] Rettinger, Gerhard ; Hosemann, Werner ; Hüttenbrink, Karl-Bernd ; Werner, Jochen Alfred: HNO-Operationslehre : Mit allen wichtigen Eingriffen. 5., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart : Thieme, 2018

[8] A. Berghaus: Alloplastischer Trachealersatz. In: Herz-, Thorax- und Gefässchirurgie 1987 (1987), Band 1. URL https://epub.ub.uni-muenchen.de/6218/1/6218.pdf – Überprüfungsdatum 2025-10-15

 

Authors: Pötzsch, H. F. Happel, A. Bruns, M. Wöltje, M. Cherif, Ch.

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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31.07.2025

Entwicklung von Hybridgarnstrukturen aus Carbon-, Edelstahl- und Elastomerfasern für Compositeanwendungen

Fibres Yarns Composites Recycling Sustainability

Abstract

Im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens 01IF22916N wurde am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden eine durchgängige Prozesskette zur industriellen Herstellung von dreikomponentigen Hybridgarnen aus recycelten Carbonfasern (rCF), Metallfasern (MF) und Elastomerfasern (EF) erfolgreich entwickelt und umgesetzt. Die entwickelte Prozesskette umfasst die Faseraufbereitung und Charakterisierung, Krempel- und Verstreckungsprozess zur Bildung eines Faserbandes und die modifizierte Garnbildung im Flyer zur Herstellung der Hybridgarne. Der Eignungsnachweis der Technologie erfolgte durch die Herstellung dreikomponentiger Hybridgarne mit definierten Faservolumengehalten sowie durch die Fertigung eines Demonstrators. Abb. 3 zeigt die vollständige Prozesskette von der Faseraufbereitung bis zur Demonstratorherstellung aus rCF, MF und EF am ITM. Die realisierten Hybridgarne weisen Feinheiten zwischen 1500 tex und 3500 tex auf und konnten erfolgreich zu textilen Halbzeugen weiterverarbeitet werden. Die daraus hergestellten Composites zeigen hervorragende mechanische Eigenschaften: eine maximale Biegefestigkeit von 806 ± 18 MPa sowie ein maximales Biegemodul von 83 ± 4 GPa. Die maximale Schlagzähigkeit liegt bei 117±17 kJ/m². Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Garndrehung einen signifikanten Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften des Verbundmaterials ausübt. Eine moderate Garndrehung kann positiv auf die Verbundbiegeeigenschaften auswirken, während eine höhere Garndrehung vorteilhaft auf die Verbundschlagfestigkeit auswirken. Insgesamt zeigt sich, dass durch die gezielte Einstellung der Garndrehung das mechanische Verhalten der Hybridverbunde erheblich beeinflusst und optimiert werden kann.

Die neuartigen Hybridgarne eignen sich besonders für die Herstellung kosteneffizienter duroplastischer Hochleistungsverbunde mit komplexer Geometrie. Durch ihre anwendungsbezogene Leistungsfähigkeit und die zugrunde liegende prozessintegrierte Technologie verfügen sie über ein hohes Innovations- und Marktpotenzial – insbesondere in den Bereichen Werkstofftechnik, Leichtbau, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Textilindustrie eröffnet sich damit die Möglichkeit, innovative Produkte und Technologien für den Faserverbundmarkt zu entwickeln und sich als leistungsfähige Zulieferer für Branchen wie Automobilbau, Maschinenbau, Luftfahrt, Medizintechnik und Sportgeräteindustrie zu positionieren.

Report

Einleitung

Die Größe des CF-CFK-Marktes wurde im Jahr 2023 auf 21,12 Milliarden US-Dollar geschätzt. Die Branche des CF-CFK-Markets wird voraussichtlich von 22,57 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf 38,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2032 wachsen. Die Markt-CAGR (Wachstumsrate) wird im Prognosezeitraum 2024–2032 voraussichtlich bei etwa 6,86% liegen [1]. Dank ihrer hohen gewichtsspezifischen Steifigkeiten und Festigkeiten finden CFK breite Anwendung in der Automobil-, Sport-, Freizeit- sowie Luft- und Raumfahrtindustrie [2]. Jedoch sind CFK-Bauteile bei Schlagbelastung sehr spröde, was zu katastrophalen Schäden und starker Splitterbildung führen kann [3]. Deshalb ist der Einsatz von duroplastischen CFK-Strukturen in sicherheitsrelevanten Komponenten, wie Rotorblättern von Windkraftanlagen und PKW-B-Säulen, kritisch zu betrachten. Aktuelle Hybridisierungskonzepte zielen darauf ab, Materialien mit hoher Steifigkeit, Festigkeit und Duktilität zu vereinen [4]. Bestehende Ansätze kombinieren Carbonfasern (CF) mit Edelstahlfasern (MF) oder Elastomerfasern (EF) in Schichten aus Metallfolien und CFK als Faserverbund-Metall-Laminate (FML), bspw. CARALL [5-8], oder Elastomerfolien und CFK als Faserverbundlaminate, bspw. KRAIBON [9-14]. Metallfolien bieten aufgrund ihrer plastischen Verformbarkeit mit Bruchdehnungen von bis zu 20 % eine höhere Energieabsorption als CFK und Carbon/Aramid-Hybridcomposites [15-17]. Elastomerfolien reduzieren durch ihre elastische Verformbarkeit die gefährliche Splitterbildung unter dynamischer Belastung [9]. Diese Schichtsysteme verbessern das Impact- und Splitterverhalten zwar, bergen jedoch ein hohes Delaminationsrisiko [18]. Darüber hinaus fehlen kostengünstige und nachhaltige Composites mit geeigneten Impact- und Splittereigenschaften, die die Vorteile der Einzelkomponenten voll ausschöpfen und kostengünstig sowie nachhaltig sind.

Zielsetzung

Das Ziel des Forschungsvorhabens war die simulationsgestützte Entwicklung neuartiger Dreikomponenten-Hybridgarne, die auf Mikroebene hybridisierter sind, auf Basis dreier unterschiedlicher Materialkonzepte sowie deren Umsetzung in funktionale Compositestrukturen für nachhaltige Leichtbauanwendungen. Durch die gezielte Kombination duktiler Metallfasern (MF), hochelastischer Elastomerfasern (EF) sowie hochsteifer und hochfester recycelter Carbonfasern (rCF) sollten Verbundwerkstoffe mit skalierbaren mechanischen Eigenschaften entstehen.

Diese entwickelten Hybridgarne bildeten die Grundlage für die maßgeschneiderte Entwicklung von Composites für anwendungsorientierte Leichtbaulösungen mit hohem Energieabsorptionspotenzial und erhöhter Schadensresistenz.

 

Hybridgarnstrukturen und Composites: Entwicklung und Charakterisierung

Entwicklung und Fertigung von Hybridgarnen mittels Flyerspinntechnologie

Ausgehend von den ausgewählten und charakterisierten Fasermaterialien rCF und EF mit einer mittleren Faserausgangslänge von 80 mm und mit einem definierten Mischungsverhältnis wurden die Fasern mithilfe mechanischer Voröffnungs- und Vormischvorrichtungen aufbereitet. Anschließend wurden die vorgeöffneten und vorgemischten Fasern eine Speziallaborkrempel zugeführt, um Krempelbänder aus rCF und EF zu entwickeln. Die Charakterisierung der Krempelbänder zeigte, dass der Schädigungsgrad der Carbonfasern (CF) zwischen 10 und 25 % lag und die EF keine Fasereinkürzung aufweist.

Zum Schutz der Edelstahlfasern wurde zunächst ein Faserband aus 100 % rCF oder aus rCF und EF mit definierten Mischungsverhältnissen hergestellt. Anschließend wurden aus diesen und 100 % MF-Bändern Sandwichbandstrukturen (rCF/MF-Band oder rCF/EF/MF-Band) hergestellt, die als Ausgangsmaterial für die Strecke dienten. Zur Verbesserung der Gleichmäßigkeit des Faserbandes und zur besseren Durchmischung von rCF, EF und MF in der Faserstruktur wurde das Band mehrfach verstreckt. Die hergestellten Streckenbänder stehen für die weitere Entwicklung von Hybridgarnen zur Verfügung.

Zur Entwicklung von Hybridgarnen wurde der ITM-Spezialflyer hinsichtlich des verzugsstörungsfreien Streckwerks, der Bandzuführelemente und der Maschineneinstellparameter modifiziert. Anschließend wurden experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Aus den ermittelten optimalen Einstellungen des ITM-Spezialflyers wurden Hybridgarne mit einer Feinheit von 1500 tex und verschiedenen Garndrehungen von 40-150 T/m hergestellt. Die entwickelten Hybridgarne wurden in Anlehnung an DIN EN ISO 13934-1 hinsichtlich Ungleichmäßigkeit, Garnstruktur und Kraft-Dehnungsverhalten charakterisiert und stehen für die Herstellung von Verbundplatten zur Verfügung.

Fertigung von recycelten carbonfaserverstärkten Verbundplatten

Auf Basis der entwickelten Hybridgarne wurden unidirektionale (UD) Verbundplatten mittels des RTM-Verfahrens (Resin Transfer Molding) hergestellt und charakterisiert. Hierzu wurden die Hybridgarne zunächst unter konstanter Spannung gleichmäßig auf einen Wickelrahmen gewickelt und anschließend mit optimierten Parametern konsolidiert. Als Harzsystem kam das Injektionsharz Hexion RIMH 135 in Kombination mit dem Härter Hexion RIMH 137 zum Einsatz.

Im Rahmen der Verbundcharakterisierung kamen mehrere genormte Prüfverfahren zur Anwendung. Die Probekörper für den Verbundzugversuch wurden in Anlehnung an DIN EN ISO 527-5/A/2 hergestellt und die Zugprüfung erfolgte gemäß DIN EN ISO 527-4. Zur Bestimmung der Biegeeigenschaften faserverstärkter Kunststoffe wurde die Norm DIN EN ISO 14125 herangezogen und die instrumentierte Schlagprüfung erfolgte nach DIN EN ISO 179-2, welche die Charpy-Schlageigenschaften beschreibt. Zur Bewertung der Restdruckfestigkeit nach Schlagbeanspruchung kam das CAI-Verfahren gemäß DIN ISO 18352 zum Einsatz. Ergänzend wurde ein Prüfstand zur optischen Analyse des Splitterverhaltens entwickelt, wobei die Hochgeschwindigkeitsprüfmaschine HTM 5020 von ZwickRoell zum Einsatz kam. Die Durchstoßversuche orientierten sich an der Norm DIN EN ISO 6603-2.

 

Ergebnisse und Diskussion (Auswahl)

Das in Abb. 1 dargestellte Diagramm zeigt den Zusammenhang zwischen der Verbundbiegefestigkeit und dem Biegemodul bei verschiedenen Garndrehungen eines Faserverbundmaterials mit einem konstanten Faservolumenanteil von 50 Vol.- %. Es wurden sowohl ein Referenzverbund aus CF-Filamentgarnen als auch drei Varianten eines unidirektionalen (UD) Verbunds untersucht, die aus entwickelten rCF/MF-Hybridgarnen bestehen. Diese Hybridgarne setzen sich aus 90 Masse- % recycelten Carbonfasern (rCF) und 10 Masse-% Metallfasern (MF) zusammen. Sie unterscheiden sich ausschließlich in der Garndrehung (40, 80 und 120 T/m). Der Referenzverbund erreicht mit einer Biegefestigkeit von etwa 725 ± 35 MPa und einem Biegemodul von ca. 74 ± 8 GPa bereits ein gutes mechanisches Eigenschaftsprofil. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Variante mit moderater Garndrehung (T40) diese Werte übertrifft: Sie erreicht eine Biegefestigkeit von 806 ± 18 MPa und ein Biegemodul von 83 ± 4 GPa und erzielt damit die höchsten Werte innerhalb der untersuchten Proben. Mit zunehmender Garndrehung (T80 und T120) nehmen hingegen die Verbundbiegefestigkeit und das Biegemodul stetig ab. Die verstärkte Helixstruktur führt zu einer weniger effektiven Ausrichtung der Fasern in Längsrichtung. Dadurch wird die tragende Wirkung in Faserrichtung reduziert und die Verbundwirkung unter Biegebelastung geschwächt.

Die Abb. 2 zeigt die Schlagfestigkeit von Verbundwerkstoffen, die auf Basis neu entwickelter Hybridgarne aus recycelten Carbonfasern (rCF) und gehobelten Metallfasern (MF) hergestellt wurden. Dabei wurde die Schlagzähigkeit in Abhängigkeit von der Garndrehung untersucht. Es wurden drei Verbundplatten mit unterschiedlichen Garndrehungen (T40, T80 und T120) analysiert. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Schlagfestigkeit tendenziell mit steigender Garndrehung (T40 → T120) zunimmt. Bei einer niedrigen Drehung (T40) beträgt die Schlagfestigkeit etwa 90 kJ/m² und bei der höchsten Drehung (T120) eine deutliche Steigerung der Schlagzähigkeit auf etwa 117±17 kJ/m². Dies legt nahe, dass eine höhere Drehung zu einer verbesserten Mikrostruktur und somit zu einer effizienteren Energieaufnahme bei Schlagbelastung führt. Dadurch erhöht sich die Kohäsion zwischen den Fasern, was die Energieaufnahmefähigkeit beim Schlag verbessert. Zudem bewirkt die engere Verspannung der Fasern eine bessere Lastübertragung im Verbund. Eine höhere Garndrehung reduziert auch die Anzahl loser Faserenden, was die strukturelle Integrität steigert. Insgesamt resultiert daraus ein widerstandsfähigeres Material gegenüber schlagartiger Beanspruchung.

Zusammenfassung

Im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens 01IF22916N wurde am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden eine durchgängige Prozesskette zur industriellen Herstellung von dreikomponentigen Hybridgarnen aus recycelten Carbonfasern (rCF), Metallfasern (MF) und Elastomerfasern (EF) erfolgreich entwickelt und umgesetzt. Die entwickelte Prozesskette umfasst die Faseraufbereitung und Charakterisierung, Krempel- und Verstreckungsprozess zur Bildung eines Faserbandes und die modifizierte Garnbildung im Flyer zur Herstellung der Hybridgarne. Der Eignungsnachweis der Technologie erfolgte durch die Herstellung dreikomponentiger Hybridgarne mit definierten Faservolumengehalten sowie durch die Fertigung eines Demonstrators. Abb. 3 zeigt die vollständige Prozesskette von der Faseraufbereitung bis zur Demonstratorherstellung aus rCF, MF und EF am ITM. Die realisierten Hybridgarne weisen Feinheiten zwischen 1500 tex und 3500 tex auf und konnten erfolgreich zu textilen Halbzeugen weiterverarbeitet werden. Die daraus hergestellten Composites zeigen hervorragende mechanische Eigenschaften: eine maximale Biegefestigkeit von 806 ± 18 MPa sowie ein maximales Biegemodul von 83 ± 4 GPa. Die maximale Schlagzähigkeit liegt bei 117±17 kJ/m². Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Garndrehung einen signifikanten Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften des Verbundmaterials ausübt. Eine moderate Garndrehung kann positiv auf die Verbundbiegeeigenschaften auswirken, während eine höhere Garndrehung vorteilhaft auf die Verbundschlagfestigkeit auswirken. Insgesamt zeigt sich, dass durch die gezielte Einstellung der Garndrehung das mechanische Verhalten der Hybridverbunde erheblich beeinflusst und optimiert werden kann.

Die neuartigen Hybridgarne eignen sich besonders für die Herstellung kosteneffizienter duroplastischer Hochleistungsverbunde mit komplexer Geometrie. Durch ihre anwendungsbezogene Leistungsfähigkeit und die zugrunde liegende prozessintegrierte Technologie verfügen sie über ein hohes Innovations- und Marktpotenzial – insbesondere in den Bereichen Werkstofftechnik, Leichtbau, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Textilindustrie eröffnet sich damit die Möglichkeit, innovative Produkte und Technologien für den Faserverbundmarkt zu entwickeln und sich als leistungsfähige Zulieferer für Branchen wie Automobilbau, Maschinenbau, Luftfahrt, Medizintechnik und Sportgeräteindustrie zu positionieren.

 

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 01IF22916N der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über das DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel.

 

Literaturangaben

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  16. H.J. Koslowski: Chemiefaser-Lexikon. Deutscher Fachverlag, 2008. – ISBN 3871508764
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Authors: Mahmud Hossain Anwar Abdkader Tobias Lang Thomas Gereke Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

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21.07.2025

Entwicklung gewirkter Anbindungsimplantate zur Weichteilrekonstruktion

Knittings Technical Textiles Medicine

Abstract

Die erfolgreiche Therapie von Knochendefekten stellt eine immense Herausforderung dar und hat eine große gesellschaftliche und medizinische Relevanz, insbesondere bei einer immer älter werdenden Gesellschaft. Jede Implantation einer Endoprothese geht mit einem Verlust von Knochen und dem umliegenden Weichgewebe einher, dessen Anbindung an die Endoprothese für die Funktionalität jedoch unerlässlich ist. Im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojektes IGF-Projektes 21998BR des ITM und OUPC wurde deshalb ein textiles Anbindungsimplantat entwickelt, das eine einfache Anpassung und universelle Anbindung des Weichgewebes an eine Endoprothese erlaubt.

Report

Ausgangssituation und Problemstellung

Die erfolgreiche Therapie von Knochendefekten stellt eine große Herausforderung dar und ist von großer sozialer und medizinischer Relevanz, insbesondere in einer alternden Gesellschaft. Die demografische Entwicklung der Gesellschaft wird zwangsläufig zu einer Zunahme von Revisionen (Wechseloperationen) führen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen u. a. in der limitierten Lebensdauer der Endoprothesen sowie in Komplikationen wie Lockerungen, Frakturen oder Infektionen [1]. Jede Revision geht dabei mit einem erhöhten Knochenverlust einher und führt zur Entfernung des umgebenden Weichgewebes (Muskeln, Sehnen, Bänder, Bindegewebe). Das Weichgewebe ist jedoch für die Funktionalität der Gliedmaßen, beispielsweise die aktive Kniestreckung oder die Vermeidung von Hinken [2], unerlässlich. Eine unzureichende Weichteildeckung kann zudem schwerwiegende Komplikationen wie Auskugeln und periprothetische Infektionen verursachen, insbesondere bei großen Defekten.

Die Behandlung von Knochendefekten erfordert daher sowohl die Implantation einer Endoprothese als auch die Rekonstruktion, einschließlich der Verbindung des umgebenden Weichgewebes mit der Endoprothese. Allerdings wird die Rekonstruktion des Weichgewebes heute meist unzureichend durchgeführt [2, 3]. Lediglich bei sog. Megaprothesen wird ein einfacher gestrickter PES-Schlauch als Anbindungsschlauch zur Fixation von Weichgewebe als Zusatzprodukt beschrieben. Allerdings weisen bisherige Lösungen eine unzureichende Stabilität auf und/ oder bedingen einen hohen Konfektionsaufwand während des operativen Eingriffs. Eine vergrößerte Oberfläche durch Falten und Taschenbildung des Anbindungsschlauchs kann das Risiko von Infektionen und Komplikationen erhöhen. Diese können sich auch über den Heilungsprozess der Endoprothesenimplantation hinaus erstrecken. So können periprothetische Infektionen auch Monate bis Jahre nach der Implantation auftreten. Darüber hinaus können nicht resorbierbare (nicht im Körper abbaubare) Materialien zu langanhaltenden Problemen im Körper führen. Dazu zählen Heilungsstörungen sowie akute und chronische Infektionen. [4, 5]. Zudem resultiert ein signifikanter Verlust an Weichgewebe bei einer Revision durch herausschneiden des verwachsenen PES-Schlauchs, der wiederrum die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen erhöht. Die Verwendung eines synthetischen, nicht resorbierbaren Implantats wird daher kritisch gesehen und ist nur bei zwingend notwendigen großen Knochenverlusten indiziert. In der Mehrzahl der Fälle, in denen Endoprothesen implantiert werden, wird auf die Verwendung eines Anbindungsimplantats verzichtet. Die daraus resultierenden Einschränkungen hinsichtlich der Funktionalität werden aus Sorge vor schwerwiegenderen Komplikationen toleriert.

Zur signifikanten Verbesserung der Anbindung von Weichgewebe an die Endoprothese ist die Entwicklung eines resorbierbaren sowie leicht und individuell an die jeweilige Prothesengeometrie anpassbaren Anbindungsimplantats nötig.

Entwicklung des umlaufenden Schusseintragssystems

Die Wirktechnik bietet hervorragende Lösungsansätze zur Entwicklung von Anbindungsimplantaten, die leicht an die Geometrie und die Länge der implantierten Endoprothese angepasst werden können und ausreichend Festigkeit bietet, um ein Ausreißen bei Belastung zu vermeiden. Verfahrens- und strukturbedingt weisen Gewirke bereits eine gute Dimensionsstabilität auf und gestatten eine große Vielfalt der Strukturgestaltung. Die Entwicklung einer schlauchförmigen Struktur mit integrierten, umlaufenden Schussfäden wird als vielversprechende Lösung für intraoperativ individualisierbare Verbindungsimplantate erachtet. Diese Konstruktion ermöglicht es dem Chirurgen, den Durchmesser der schlauchförmigen Struktur durch Anziehen und Verknoten der umlaufenden Schussfäden präzise einzustellen. Dadurch kann der Schlauchdurchmesser schnell, individuell und faltenfrei an die Endoprothese angepasst werden, ohne dass aufwendige Konfektionsarbeiten erforderlich sind (Abbildung 1).

Allerdings erlaubt die Wirktechnik aktuell nicht, konturgerechte Schläuche ohne Jacquard-Technik herzustellen und gleichzeitig einen umlaufenden Schussfaden über den gesamten Umfang einschließlich einer Fadenreserve zu integrieren. Dazu wurde am ITM ein neues umlaufendes Schusseintragssystem entwickelt. Die Innovation der neu entwickelten Technologie liegt in der Realisierung eines nachrüstbaren, umlaufenden Schusseintragssystems mit einer Schussfadenreserve für die doppelbarrige Raschelmaschine (Abb. 2).

Der minimale Bauraum innerhalb der Wirkstelle aber auch ein positionsgenaues Fadenlegen stellen die wichtigsten Anforderungen an ein umlaufendes Schussfadensystem dar. Zur Bewegung des Fadenführers um die Wirkstelle wurde eine umschließende Führungsbahn entwickelt und umgesetzt. Sie ermöglicht das Eintragen eines durchgehenden Schussfadens im vorderen und hinteren Nadelbett. Der auf einer Spule gewickelte Schussfaden wird dazu mit Hilfe eines speziellen Fadenführers auf einer umlaufenden Bahn transportiert. Der Fadenführer bewegt sich sensorgesteuert präzise entlang des vorderen und hinteren Nadelbetts. Mit Hilfe von drehbaren Haken kann eine Fadenreserve variabel integriert werden. Diese innovative Technologie ermöglicht die Integration eines umlaufenden Schussfadens in schlauchförmige Kettengewirke, wobei die Fadenreserve in einem variablen Abstand angeordnet werden kann. Diese zusätzliche Fadenreserveeinrichtung ermöglicht die Einstellung des Schlauchdurchmessers auf die Endkontur, die für die Herstellung von Anbindungsimplantaten unerlässlich ist. Die Entwicklung dieses umlaufenden Schusseintragssystems stellt eine völlig neue Technologie dar, die unabhängig von Maschinenhersteller und Arbeitsbreite modular und effizient in jede doppelbarrige Raschelmaschine integriert oder nachgerüstet werden kann.

Entwicklung des gewirkten Anbindungsimplantats

Zur anforderungsgerechten Entwicklung eines textilen Anbindungsimplantats wurde die Struktur simulationsgestützt auf Basis der Wirktechnologie ausgelegt. Die zentrale Herausforderung bestand in der Entwicklung eines universell einsetzbaren Implantats, dass sich faltenfrei an unterschiedlichste Prothesengeometrien verschiedener Hersteller sowie an die anatomische Gegebenheiten der einzusetzenden Knochensegmente, insbesondere Femur und Tibia, anpassen lässt. Auch die variable Länge modular aufgebauter Endoprothesen musste dabei berücksichtigt werden. Darüber hinaus sollte das Implantat aus einem resorbierbaren Material bestehen, das eine sichere Anbindung des Weichgewebes gewährleistet, bis das neugebildete Narbengewebe im Bereich der Endoprothese die Funktion dauerhaft übernommen hat.

Im Projekt wurde eine systematische CAE-gestützte Struktur- und Bindungsentwicklung für drei Funktionsmustern durchgeführt: 1) Endkonturnahe Schlauchstruktur mit über die Länge variablen Durchmesser; 2) definierte Formbarkeit durch Integration umlaufender Schussfäden; 3) integral gefertigte Verstärkungszonen. Zur Erreichung der geforderten mechanischen Eigenschafen, insbesondere hinsichtlich Strukturdehnung, Zugfestigkeit, lokaler Verstärkung und Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Geometrien, wurden verschiedene Grundbindungen wie Franse, Samt und Teilschuss simulationsgestützt und experimentell analysiert.

Die Grundbindungen Trikot gegenlegig und Franse Teilschuss erzielten die höchsten zugmechanischen Eigenschaften bei gleichzeitig geringster Strukturdehnung. Auf dieser Basis wurden die komplexeren Bindungskonzepte für die Funktionsmuster entwickelt. Als Vorzugslösung konnte ein Franse-Teilschuss-Schlauch mit konstantem Durchmesser und integrierten umlaufenden Schussfäden identifiziert werden. Diese Variante erfüllte die Anforderungen an Universalität und einfache Handhabung besonders gut. Die offene Struktur ermöglicht ein faltenfreies Zusammenziehen und damit eine flexible Anpassung an verschiedene Prothesengeometrien (Abb. 3).

Zur Gewährleistung der langsamen Resorption und hohen Ausreißfestigkeit wurden Seidenfibroingarne verzwirnt (Cordonnet, 70 tex) eingesetzt.

Im Anschluss an die Entwicklung wurde das Anbindungsimplantat in einem eigens entwickelten Prüfstand auf das Ausreißen hin untersucht. Im besonderen Fokus stand die Einspannvorrichtung für die Endoprothesen, die eine biomechanische Prüfung anatomischer Lastszenarien erlaubt. Im Gegensatz zu den in den herkömmlichen Prüfständen verwendeten festen Prüfwinkeln wurde ein Aufbau mit variierbaren Winkeln (0°, 15°, 30°, 45°, 60° und 90°) ausgelegt. Der Prüfaufbau erlaubt dadurch die Nachstellung von wirkenden Kräften beispielsweise beim Stehen, Gehen oder Sitzen. Die neu entwickelten Anbindungsimplantate erreichten an den Anbindungsstellen mit umlaufendem Schussfaden eine Höchstzugkraft von über 300 N. Damit entsprechen sie in etwa der Höchstzugkraft des verwendeten chirurgischen Nahtmaterials und des aktuell verfügbaren Anbindungsschlauch aus PES (ohne gezielte Degradation und ohne Möglichkeit zur Durchmesseranpassbarkeit).

Die Ausreißfestigkeit des neu entwickelten Anbindungsschlauches lässt sich durch die zusätzliche Einbindung des umlaufenden Schussfadens an weiteren Stellen gezielt steigern. Im Vergleich zur herkömmlichen Methode sind für Anpassung und Implantation des Anbindungsimplantats deutlich weniger Arbeitsschritte erforderlich, was zu einer spürbaren Reduktion in der Operationszeit führen kann. Die integrierten umlaufenden Schussfäden ermöglichen zudem eine direkte Anbindung des Weichgewebes, sodass auf zusätzliche Fäden verzichtet werden kann. Das Anbindungsimplantat kann individuell in der Länge zugeschnitten und aufgeschnitten werden, ohne dass dabei Laufmaschen entstehen oder das Gewirk aufgezogen wird. Durch die potenzielle Resorbierbarkeit des Seidenmaterials kann die Fremdkörperlast im Gewebe reduziert werden, was wiederrum das Risiko postoperativer Infektionen senken kann. Im Revisionsfall entfallen zudem aufwendige Resektionsprozesse zur Entfernung eingewachsener Implantate. Ein weiterer Vorteil liegt in der universellen Anwendbarkeit des Anbindungsimplantats: Es kann flexibel an verschiedene Prothesengeometrien angepasst werden, z. B., wie in Abbildung 4 gezeigt, an die Knieprothese.

Zusammenfassung

In Zusammenarbeit mit dem OUPC wurde am ITM ein neuartiges Anbindungsimplantat entwickelt, das sich flexibel und ohne Faltenwurf an unterschiedliche Endoprothesengeometrien anpassen lässt. Die integrierten umlaufenden Schussfäden ermöglichen nicht nur eine formgerechte Anpassung und Fixierung an der Prothese, sondern dienen zugleich als strukturelle Verstärkung an den Anbindungsstellen. Die überstehenden Fadenenden können zusätzlich zur Re-Adaption des Weichgewebes genutzt werden.

Zur Realisierung dieses Konzepts wurde am ITM ein innovatives Schusseintragssystem mit integrierter Fadenreserve entwickelt, das sich modular in jede RR-Raschelmaschine nachrüsten lässt. Durch die gezielte Strukturentwicklung lässt sich das Anbindungsimplantat leicht ab- oder einschneiden und kann so individuell an chirurgische Anforderungen und patientenspezifische Gegebenheiten angepasst werden. Diese Flexibilität erfüllt die hohen Anforderungen an ein universell einsetzbares Anbindungsimplantat.

In Ausreißversuchen konnte eine ausreichende mechanische Stabilität des Anbindungsimplantats aus langzeitresorbierbarem Seidenfibroin nachgewiesen werden.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21998 BR der Forschungsvereinigung Textil e.V. wurde über die AiF und den DLR Projektträger im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Literaturverzeichnis

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[2]    Nottrott, M. ; Streitbürger, A. ; Höll, S. ; Gosheger, G. ; Hardes, J.: 9 Tumorendoprothetik. In: Krukemeyer, M. G.; Möllenhoff, G. (Hrsg.): Endoprothetik : Ein Leitfaden für den Praktiker. 3. Aufl. : De Gruyter, 2012, S. 203–221

[3]    Calori, G.M. ; Mazza, E.L. ; Vaienti, L. ; Mazzola, S. ; Colombo, A. ; Gala, L. ; Colombo, M.: Reconstruction of patellar tendon following implantation of proximal tibia megaprosthesis for the treatment of post-traumatic septic bone defects. In: Injury 47 (2016), S77-S82

[4]    Hardes, J. ; Ahrens, H. ; Gosheger, G. ; Nottrott, M. ; Dieckmann, R. ; Henrichs, M.-P. ; Streitbürger, A.: Komplikationsmanagement bei Megaprothesen. In: Der Unfallchirurg 117 (2014), Nr. 7, S. 607–613

[5]    Hillmann, A. ; Ipach, I.: Tumorendoprothetik : Stellenwert in der modernen Revisionsendoprothetik. In: Der Orthopade 44 (2015), Nr. 5, S. 375–380

Authors: Laura Pietz Anke Golla Paul Penzel Michael Wöltje Stefan Zwingenberger Jens Goronzy Hagen Fritzsche Klaus-Dieter Schaser Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
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06.06.2025

Kationenfunktionalisierte Chitinfasern – Entwicklung eines kontinuierlichen Spinnprozesses für ionenfunktionalisierte Biopolymerfasern auf Basis von Chitin

Raw materials Fibres Sustainability

Abstract

Im Rahmen des IGF-Projektes „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ wurde erfolgreich ein kontinuierlicher, KMU-gerechter Spinnprozess zur Herstellung neuartiger, kationenfunktionalisierter Chitinfasern entwickelt. Mit diesem Verfahren war es erstmals möglich, reine Chitinfasern aus kostengünstigen Rohstoffen und unter Verwendung unbedenklicher Lösungsmittel im technisch relevanten Maßstab herzustellen. Damit konnte Chitin, eines der am häufigsten vorkommenden Biopolymere, erstmals für faserbasierte Anwendungen wirtschaftlich nutzbar gemacht werden. Durch die Funktionalisierung der Chitinfasern mit bioaktiven Ionen, insbesondere Calciumionen, wurde eine gezielte Modifikation der Fasereigenschaften erreicht. Diese Innovation ermöglichte eine deutlich verbesserte enzymatische Stabilität und damit eine kontrollierte Degradation der Fasern, wie sie für viele medizinische und textile Anwendungen erforderlich ist. Darüber hinaus eröffnete die entwickelte Technologie die Möglichkeit, maßgeschneiderte Funktionalisierungen der Chitinfasern für spezifische Anwendungen zu realisieren. Auf Basis der Projektergebnisse wurde somit unmittelbar produktvorbereitendes Basiswissen geschaffen, das die Entwicklung innovativer Produkte im Bereich der Medizintextilien, der regenerativen Medizin sowie des Tissue Engineering ermöglicht.

Report

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung

Die Textilindustrie steht im Spannungsfeld wachsender Anforderungen: Klimawandel, Ressourcenknappheit und ein zunehmend nachhaltigkeitsbewusstes Konsumverhalten fordern neue Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Bisher wird der Markt von synthetischen Fasern dominiert, die auf fossilen Rohstoffen basieren und damit erheblich zur Umwelt- und Klimabelastung beitragen [1–2]. Naturfasern stellen eine grünere Alternative dar, sind jedoch nicht uneingeschränkt nachhaltig. Ihr Anbau verbraucht oft sehr viel Wasser und es werden Düngemittel und Pflanzenschutzmittel eingesetzt, was ihre Umweltbilanz ebenfalls belastet [3].

In diesem Kontext rückt Chitin, das nach Cellulose zweithäufigste natürlich vorkommende Polymer, zunehmend in den Fokus als vielversprechender, bio-basierter Rohstoff mit hoher Funktionalität [4]. Es fällt in großen Mengen als Nebenprodukt in der Lebensmittelindustrie, beispielsweise bei der Verarbeitung von Krebs- und Schalentieren, an. Damit ist es nicht nur reichlich verfügbar, sondern auch kostengünstig und nachhaltig. Chitin und seine Derivate, wie beispielsweise Chitosan, weisen eine Vielzahl wünschenswerter Eigenschaften auf: Sie sind biologisch abbaubar, bioaktiv, biokompatibel und weisen aufgrund ihrer kristallinen Struktur eine hohe mechanische Festigkeit auf. Dadurch eignet es sich hervorragend für hochwertige, funktionale Textilanwendungen, z. B. im Bereich medizinischer Einwegprodukte, in dem der Bedarf kontinuierlich wächst und gleichzeitig enorme Abfallmengen anfallen. Die Herausforderung besteht jedoch in der technologischen Nutzbarmachung dieses Rohstoffs: Chitin ist aufgrund seiner teilkristallinen molekularen Struktur kaum löslich, was einerseits die positiven Funktionen des Werkstoffs ermöglicht jedoch andererseits die Weiterverarbeitung zu textilen Strukturen erheblich erschwert. Herkömmliche Lösungsansätze setzen auf aggressive und gesundheits- sowie umweltbedenkliche Lösungsmittel wie Trichloressigsäure oder LiCl/DMA. Diese führen zu Polymerabbau, Materialschwächung und aufwendigen Reinigungsschritten [5–7]. Für medizinische Anwendungen sind diese Prozesse ungeeignet und eine Skalierung in den industriellen Maßstab ist kaum umsetzbar.

Ein alternativer, deutlich nachhaltigerer Ansatz ist die Verwendung ionischer Flüssigkeiten (engl. ionic liquids, IL). Diese modernen Lösungsmittel haben das Potenzial, Chitin in Lösung zu bringen, ohne dessen Struktur zu beeinträchtigen. Allerdings sind auch hier die technologischen Barrieren hoch, sodass bisherige Prozesse überwiegend diskontinuierlich und für geringe Produktionsmengen realisiert wurden [8–10]. Somit fehlt bislang ein wirtschaftlich tragfähiger und durchgehend nachhaltiger Prozess, der die Herstellung von Chitinfasern kontinuierlich und in industriell relevanter Menge ermöglicht.

Das Ziel des IGF-Projektes 22568 „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ bestand daher in der Entwicklung eines kontinuierlichen, lösungsmittelbasierten Nassspinnverfahrens für 100 % reine Chitinmultifilamentgarne, das sowohl materialschonend als auch prozesstechnisch skalierbar ist. Durch eine integrierte Funktionalisierung mit bioaktiven Kationen (z. B. Calcium- oder Strontium-Ionen, welche die Knochenregeneration unterstützen) sollte zudem die Grundlage für die Herstellung von Funktionstextilien geschaffen werden, um neue Anwendungsfelder für Unternehmen zu eröffnen – insbesondere im wachstumsstarken Bereich der Smart und Medical Textiles.

Erzielte Ergebnisse

Im IGF-Projekt „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ wurde erfolgreich ein kontinuierlicher, KMU-gerechter Spinnprozess zur Herstellung reiner Chitinmultifilamentgarne im industriell relevanten Maßstab realisiert. Durch die gezielte Funktionalisierung mit bioaktiven Ionen konnten die Fasereigenschaften spezifisch angepasst und eine kontrollierte, enzymatische Abbaubarkeit erreicht werden. Im Folgenden werden die wesentlichen Projektergebnisse und technologischen Entwicklungen im Detail erläutert.

Prozessentwicklung für die kontinuierliche Fertigung von Chitinmultifilamentgarnen

Im Projektverlauf wurden verschiedene IL systematisch auf ihre Eignung als Lösungsmittel für die Filamenterspinnung untersucht. Die besten Ergebnisse lieferte 1-Ethyl-3-methylimidazoliumpropionat (EMIMOPr, proionic GmbH, Raaba-Grambach, AT). Diese IL konnte verschiedene untersuchte Chitinqualitäten und -provenienzen bei moderaten Temperaturen (60 – 90 °C) effizient lösen, ohne das Polymer zu degradieren. Entscheidend war dabei auch, dass EMIMOPr im späteren Prozessschritt vollständig aus den Fasern entfernt werden konnte. In Abbildung 1 sind die ermittelten FT-IR-Spektren am Beispiel des verwendeten Chitinpulvers (grau) sowie der daraus hergestellten Multifilamentgarne (rot) nach dem Spinnprozess graphisch dargestellt. Die Ergebnisse zeigten keine Veränderung der chemischen Struktur des Chitins nach dem Spinnprozess und keine Lösungsmittelspuren.

Mit dieser IL konnten stabile Spinnlösungen mit Chitinkonzentrationen zwischen 3 Gew.-% und 5 Gew.-% hergestellt werden. Um eine gute Prozessführung zu gewährleisten – insbesondere bei der Überführung in den Technikumsmaßstab – wurden die rheologischen Eigenschaften gezielt untersucht und eingestellt. Der im Labormaßstab entwickelte Spinnprozess wurde anschließend erfolgreich auf eine modulare Lösungsmittelnassspinnanlage (Fourné Maschinenbau GmbH, Alfter-Impekoven, DE) mit individuell steuerbaren Zonen für Extrusion, Koagulation, Waschen und Trocknung im semi-industriellen Technikumsmaßstab übertragen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Konfiguration der Spinndüsen, um einen stabilen Spinnprozess und eine homogene Filamentstruktur zu erzeugen.

Im Vergleich zu bisherigen Projektergebnissen und etablierten Spinnprozessen – insbesondere dem konventionellen Chitosanspinnen mit Essigsäure als Lösungsmittel [11] sowie der Verwendung von IL (z. B. 1-Ethyl-3-Methylimidazoliumacetat, EMIMOAc [12]) für Chitosan mit Deacetylierungsgraden über 70 % – zeigen die im Rahmen dieses Projektes hergestellten Chitinfilamentgarne signifikant höhere Festigkeiten von ≥ 20 N (vgl. Abbildung 3, rechts). Die erzielten mechanischen Eigenschaften übertreffen damit sämtliche in bisherigen Vorhaben erzielten Ergebnisse und unterstreichen das große Potenzial des neu entwickelten Spinnverfahrens. Der Forschungsbedarf hinsichtlich der beobachteten Wertestreuungen in Abhängigkeit von der Düsengeometrie sowie anlagenbedingte Limitierungen, die derzeit das Verspinnen von Lösungen mit höheren Viskositäten erschweren, bildet zudem eine solide Grundlage für zukünftige Projekte zur weiteren Prozessoptimierung und -weiterentwicklung.

Funktionalisierung der Chitinfasern mit bioaktiven Ionen

Ein weiteres zentrales Ziel war die Entwicklung eines Verfahrens zur in den Spinnprozess integrierten neuartigen Funktionalisierung von Chitinfasern mit bioaktiven Calcium-, Strontium- und Magnesiumionen, die zusätzliche Eigenschaften mitbringen – insbesondere für den Einsatz in medizinischen Textilien, etwa bei knochenaufbauenden Implantaten oder Wundauflagen. Hierzu wurden drei unterschiedliche methodische Ansätze konzipiert und experimentell untersucht: (1) die direkte Einbringung der Ionen in die Spinnlösung, (2) die Funktionalisierung der Filamente während der Koagulation im Fällbad sowie (3) der Vergleich dieser Inline-Methoden mit einer nachgelagerten Funktionalisierung von Chitinmonofilamenten nach der Erspinnung. Eine schematische Darstellung der untersuchten Funktionalisierungsansätze ist in Abbildung 4 am Beispiel der Funktionalisierung mit Calcium-Ionen dargestellt.

Aussichtsreiche Ergebnisse wurden insbesondere bei der Funktionalisierung direkt im Spinnprozess während der Koagulation erzielt. Durch die Zugabe von Calcium-, Magnesium- oder Strontiumsalzen in das Koagulationsbad (deionisiertes Wasser) konnten die Ionen effektiv in die noch nicht vollständig verfestigten Filamente eingebracht werden. Die Inline-Funktionalisierung ermöglichte eine gleichmäßige Ionenverteilung, ohne die mechanische Struktur der Fasern negativ zu beeinflussen.

Anhand der in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie und Forschung (u.a. Anton Paar GmbH, Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft der TUD) durchgeführten Untersuchungen wie EDX-Analysen (vgl. Abbildung 5), optische Emissionsspektrometrie (ICP-OES) (vgl. Abbildung 6), Zeta-Potential-Messungen und FTIR-Spektroskopie, wurde nachgewiesen, dass die Ionen dauerhaft in der Faserstruktur eingebunden sind, sowohl an der Oberfläche als auch im Inneren des Filaments. Insbesondere Calciumionen weisen eine hohe Affinität zu Chitin auf und bleiben auch nach längeren Wasch- und Trocknungsprozessen in der Faser erhalten. Zur Untersuchung des Ionenabgabeverhaltens bzw. der Ionenfreisetzung unter physiologisch relevanten Bedingungen wurden systematische Elutionsversuche durchgeführt. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass der Großteil der Ionen innerhalb kurzer Zeit (≤ 7 d) aus den Filamenten freigesetzt wird und nur ein geringer Restanteil langfristig in der Faserstruktur verbleibt. Im Hinblick auf potenzielle Anwendungen, beispielsweise in der Entwicklung bioaktiver Medizintextilien oder für Systeme zur gezielten Wirkstofffreisetzung, stellt das beobachtete Freisetzungsverhalten einen Vorteil dar: Die schnelle Ionenabgabe könnte entzündungshemmende, wundheilungsfördernde oder mineralisierende Effekte unmittelbar nach Applikation unterstützen und damit die Funktionalität solcher Materialien deutlich erhöhen.

Trotz der spröden Materialstruktur – eine bekannte Eigenschaft kristalliner Biopolymere, wie Chitin – konnten durch gezielte Prozessanpassung textile Flächenstrukturen realisiert werden. Insbesondere durch die Kombination mit Stützgarnen, wie Baumwolle oder Viskose, konnten Zwirne hergestellt werden, die sich anschließend zu Geweben und Gestricken weiterverarbeiten ließen. Erste Demonstratoren, u. a. Maschen- und Gewebemuster, belegten die grundsätzliche Eignung für technische und medizinische Textilanwendungen (vgl. Abbildung 7). Trotz der derzeit noch hohen Sprödigkeit des Garnmaterials zeigen die Ergebnisse ein großes Potenzial für zukünftige Anwendungen. Durch gezielte Maßnahmen, wie z. B. das Aufbringen von Schlichten oder die Kombination mit anderen bioabbaubaren Polymeren (z. B. Viskose, Cellulose, Baumwolle etc.), könnte die Flexibilität weiter verbessert werden, wodurch ein breites Anwendungsspektrum in medizinischen und technischen Textilien ermöglicht wird. Insgesamt stellt die Entwicklung einen vielversprechenden Ansatz zur Nutzung biobasierter Materialien in anspruchsvollen textilen Anwendungen dar.

 Zusammenfassung

Im Rahmen des IGF-Projektes „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ wurde erfolgreich ein kontinuierlicher, KMU-gerechter Spinnprozess zur Herstellung neuartiger, kationenfunktionalisierter Chitinfasern entwickelt. Mit diesem Verfahren war es erstmals möglich, reine Chitinfasern aus kostengünstigen Rohstoffen und unter Verwendung unbedenklicher Lösungsmittel im technisch relevanten Maßstab herzustellen. Damit konnte Chitin, eines der am häufigsten vorkommenden Biopolymere, erstmals für faserbasierte Anwendungen wirtschaftlich nutzbar gemacht werden. Durch die Funktionalisierung der Chitinfasern mit bioaktiven Ionen, insbesondere Calciumionen, wurde eine gezielte Modifikation der Fasereigenschaften erreicht. Diese Innovation ermöglichte eine deutlich verbesserte enzymatische Stabilität und damit eine kontrollierte Degradation der Fasern, wie sie für viele medizinische und textile Anwendungen erforderlich ist. Darüber hinaus eröffnete die entwickelte Technologie die Möglichkeit, maßgeschneiderte Funktionalisierungen der Chitinfasern für spezifische Anwendungen zu realisieren. Auf Basis der Projektergebnisse wurde somit unmittelbar produktvorbereitendes Basiswissen geschaffen, das die Entwicklung innovativer Produkte im Bereich der Medizintextilien, der regenerativen Medizin sowie des Tissue Engineering ermöglicht.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 22568 „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über den Projektträger DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der „Industriellen Gemeinschaftsforschung“ (IGF) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMBK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Darüber hinaus danken wir den Mitgliedern des projektbegleitenden Ausschusses für ihre Unterstützung während der Projektbearbeitung.

Literatur

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Authors: Kuznik, Irina Scheele, Sabrina Benecke, Lukas Kruppke, Iris Cherif, Chokri

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01062 Dresden

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05.02.2025

Integral flachgestrickte Drucksensoren für smart Textiles

Knittings Sensor Technology Smart Textiles Tests

Abstract

Im IGF-Projekt 21990 BR1 wurde das „Textiles Smart-Skin-3D-System (S3D)“ entwickelt – ein innovatives, flachgestricktes Sensorsystem, das Druck- und Näherungsmessungen nahtlos in textile Produkte integriert. Ziel war es, flexible und robuste Sensorik bereits im Herstellungsprozess einzubetten und so die Komplexität sowie potenzielle Schwachstellen herkömmlicher Mehrkomponentensysteme zu vermeiden. Hierzu wurden komplexe 3D-gestrickte Strukturen realisiert, die leitfähige Sensorgarne und gezielt eingearbeitete dielektrische Materialien wie silikonbasierte Inserts nutzen, um kapazitive Messprinzipien anzuwenden.

Die Optimierung von Garnauswahl und Strickparametern ermöglichte eine präzise Erfassung von Druckkräften und Annäherungen. Als Demonstrator wurde ein vollständig integrierter Sensorhandschuh mit 13 Sensorflächen entwickelt, der Greif- und Haltekräfte misst. Zyklische elektromechanische Prüfungen bestätigten ein stabiles Sensorverhalten. Insbesondere zeigte die Variante mit einem 1 mm starken Dielektrikum optimale Übertragungscharakteristika, geringe Hysterese und eine Sensordrift im akzeptablen Rahmen. Zusätzlich erbrachte ein textilbasierter Näherungssensor zuverlässige Messwerte für Abstände bis zu 120 mm.

Die Ergebnisse belegen das Potenzial flachgestrickter Sensoren als integraler Bestandteil smarter, tragbarer Textilien – mit Anwendungsmöglichkeiten in Telerehabilitation, Medizintechnik, Arbeitsschutz und weiteren Digitalisierungsbereichen.

Summary

In the IGF project 21990 BR1, the “Textiles Smart-Skin-3D-System (S3D)” was developed – an innovative, flat-knit sensor system that seamlessly integrates pressure and proximity measurements into textile products. The aim was to embed flexible and robust sensor technology into the manufacturing process, thereby avoiding the complexity and potential weaknesses of conventional multi-component systems. To achieve this, complex 3D-knit structures were created using conductive sensor yarns and strategically incorporated dielectric materials, such as silicone-based inserts, to implement a capacitive sensing approach.

Optimizing yarn selection and knitting parameters enabled the precise detection of pressure forces and proximity. A demonstrator in the form of a fully integrated sensor glove with 13 sensing areas was developed, capable of measuring gripping and holding forces. Cyclic electromechanical tests confirmed stable sensor performance. In particular, the variant with a 1 mm thick dielectric exhibited optimal transfer characteristics, low hysteresis, and acceptable sensor drift. Additionally, the textile-based proximity sensor reliably measured distances of up to 120 mm.

The results demonstrate the potential of flat-knit sensors as an integral component of smart, wearable textiles with applications in telerehabilitation, medical technology, occupational safety, and other digitalization sectors.

Report

Einleitung

Vor dem Hintergrund globaler Megatrends wie der Digitalisierung in der Medizin bestehen für die Textilindustrie große Chancen, vom erwarteten weiteren Wachstum von am Körper tragbaren, flexibel einsetzbaren und computergestützten Systemen zu profitieren. Zu dieser neuen Geräteklasse, den sogenannten Wearables, gehören Textilien, die über die klassischen Funktionen von Bekleidung oder beispielsweise Bandagen hinaus mit elektronischen Zusatzfunktionen ausgestattet sind. Da Textilien häufig die Schnittstelle zwischen dem Menschen und seiner Umwelt darstellen, sind sie prädestiniert, auch bei der Digitalisierung menschlicher Wahrnehmungen und Fähigkeiten (z. B. Bewegungen, Haptik etc.) und umgekehrt der Rückkopplung von der virtuellen in die analoge Welt eine entscheidende Brückenfunktion zu übernehmen und so als künstliche Haut (bzw. Smart Skin) bestehende optische und akustische Schnittstellen zu ergänzen.

Ein Bereich in dem smarte Textilien einen großen Zugewinn nützlicher Informationen bereitstellen, ist die Medizin und Rehabilitationstechnik. Vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung und damit einhergehend einer hohen Belastung medizinischer Versorger, die unter gleichzeitigem Personalmangel leiden, ist nicht immer ein ausreichendes Angebot in erreichbarer Nähe realisierbar. Vor allem im Bereich der medizinischen Folgebehandlungen für Physiotherapie einhergehend mit langen Transportwegen oder fehlender Transportfähigkeit des Patienten kann dies zu Heilungsverlangsam oder sogar -verhinderung führen. Eine Unterstützung von Patienten durch einen medizinischen Laien (Familienangehörige, Bekannte etc.) mit einem geringfügigen Lernaufwand soll durch den in diesem Projekt entwickelten Handschuh ermöglicht werden. Dieser ermöglicht die Überwachung von Greif- und Haltebewegungen sowie Feedback zur Korrektur. In der Telerehabilitation gibt es keine vergleichbaren Systeme, die autonom ohne Experteneinsatz arbeiten [1, 2]. Das Projekt fokussierte auf die Entwicklung multifunktionaler Druck-/ Näherungssensorik durch flachstricktechnische Verfahren. Diese ermöglichen die kostengünstige Integration in Funktionsbekleidung, aber auch in Roboterkomponenten.

Zielsetzung und Lösungsweg

Das Ziel des IGF-Forschungsprojekts war die Entwicklung, Charakterisierung und Erprobung textilbasierter Drucksensoren, die mittels Flachstricktechnik in einen Handschuh integriert werden sollten um die aufgebrachte Kraft auf den Fingergliedern und dem Handballen zu überwachen. Es wurden flächenbasierte, gestrickte Sensorkonzepte mit einem kapazitiven Messprinzip verfolgt. Die entwickelten Sensoren wurden mittels zyklischer elektromechanischer Druckprüfungen untersucht und eine Vorzugsvariante der Sensoren zur Integration in einem Funktionsdemonstrator ermittelt. Weiterhin wurden kapazitive Näherungssensoren entwickelt und evaluiert.

Ergebnisse

Entwicklung der gestrickten Drucksensoren

Für die Entwicklung der Sensoren wurde die Umsetzung eines kapazitiven Drucksensors mithilfe von Flachstricktechnik verfolgt. Die Vorteile kapazitiver Sensoren gegenüber resistiver Sensoren liegen in ihrer Unempfindlichkeit gegenüber Temperatur [3], was in einer körpernahen Anwendung von Vorteil ist. Der einfachste Aufbau eines Kondensators ist der Plattenkondensator. In diesem Aufbau sind zwei parallele Platten durch ein Dielektrikum getrennt. Durch das Aufbringen einer Druckkraft F auf diese Platten und damit ein Zusammendrücken des Dielektrikums mit der Dielektrizitätskonstante  ε ändert sich der Plattenabstand d und somit die Kapazität C wie in Abbildung 1 gezeigt. Hier wird deutlich, dass die Kapazitätsänderung ∆C indirekt proportional zur Änderung des Plattenabstands ∆d, die wiederum abhängig ist von der induzierten Kraft, dem E-Modul E und den geometrischen Maßen des Plattenkondensators mit b = Breite und l = Länge.

Für den Aufbau der gestrickten kapazitiven Sensoren wurden verschiedene Konzepte erstellt, die in Abbildung 2 dargestellt sind. Anhand einer systematischen Variantenbewertung nach ergonomischen, stricktechnischen, sensortechnischen Anforderungen und praktischer Versuchstests wurde eine Sensorvariante mit einem Insert als Dielektrikum und einer vollflächigen Elektrode aus leitfähigem Garn als Vorzugsvariante gewählt und zu einer Handschuhfinger gleichenden Doppelschlauchstruktur erweitert.

Zur Auswahl des Elektrodengarns wurden Vorversuche durchgeführt um die stricktechnische Eignung der teilweise anspruchsvoll zu verarbeitenden Garne auf Stahl- und Silberbasis zu bewerten. Hierbei wurden Garne von Statex (Shieldex® 235 f 36dtex Z130), Amann (Steel-tech® 100 tex 93, Silver-tech+® 150 tex 22) und Bekaert (Bekinox® VN 14.1.9.100Z) genutzt. In diesen Vorversuchen erwies sich Silver-tech+® 150 als Vorzugsvariante, da es sehr gut mit dem umgebenden Basismaterial aus Umwindegarn (Tencel CV Nm40 mit PA6.6 78/78f23/1) fertigungstechnisch kompatibel war.

Herstellung der Sensoren

Ziel des Projekts war die Herstellung eines Sensorhandschuhs mittels Flachstricktechnik, eine Strickmethode, die die Möglichkeit bietet Fully Fashioned Artikel in einem Arbeitsschritt herzustellen, wodurch komplizierte gestrickte Flächen endkonturnah hergestellt werden können. Um ein höchstmöglich automatisiert herstellbares Produkt zu entwickeln wurde der Drucksensor mit einem Fokus auf Vermeidung nachfolgender Konfektionierungsschritte entwickelt. Daher wurde der Drucksensor als eine Doppelschlauchstruktur konzeptioniert. Diese wird durch zwei Elemente geformt: Zum einen durch die Tasche des Sensors, zum anderen durch einen Fingerling, der eine Tragbarkeit des Sensors ermöglicht. In Abbildung 3 ist der Aufbau schematisch dargestellt. Im Sensorbereich ergibt sich daher ein dreilagiges Doppelschlauch-gestrick. Das umfasst die äußere sowie innere Elektrode und die Rückseite des Fingers. Das Dielektrikum wird durch ein Insert, welches während des Strickprozesses eingelegt wird, gebildet. Diese Variante des Konzeptes ermöglicht eine weitestgehend automatisierte Fertigung des Handschuhs an der Flachstrickmaschine ohne nachgelagerte Konfektionsschritte. Für die Einbringung des Dielektrikums ist eine Unterbrechung des Strickprozesses erforderlich.

Validierung der Sensoren

Die gestrickten kapazitiven Sensoren wurden auf ihre Eignung als Drucksensor in zyklischen elektromechanischen Messungen überprüft. Der Versuchsaufbau mit Mess- und Versuchsgeräten sowie der Prüfablauf sind in Abbildung 4 dokumentiert. Um den Einfluss des Dielektrikums zu untersuchen, wurden Sensoren mit einem 2 mm und einem 1 mm starken silikonbasierten Dielektrikum hergestellt. Aus den ermittelten Daten wurden das Übertragungsverhalten (als Zusammenhang zwischen Kompressionskraft und Sensorsignal), die Sensordrift (als Signalwerte bei Entlastung der Sensoren) und die Hysterese (als maximale Differenz zwischen Be- und Entlastungskurve über den Messbereich) berechnet (siehe Abbildung 5).

Es zeigte sich, dass beide Varianten ein stabiles Sensorverhalten aufweisen, wobei die Sensorvariante mit einem 1 mm starken Dielektrikum bessere Ergebnisse im Übertragungsverhalten und in Hysterese zeigte. Die Sensordrift lag hier etwas höher, lag aber bei beiden Varianten unter 5 % und damit in einem, für praktische Anwendungen dieser Technologie, akzeptablen Bereich. Dieser Versuch zeigte, dass das Dielektrikum einen entscheidenden Einfluss auf das Sensorverhalten hat und dieses durch die relativ kleine Anpassung des Insertmaterials für verschiedene Messbereiche und -sensitivitäten angepasst werden kann. Weitere Ausführungen, Ergebnisse und Diskussionen können aus der Publikation in [4] entnommen werden.

Näherungssensor

Das Konzept für die textile Näherungssensorik wurde mit einer einzelnen textilen gestrickten Elektrode und einem Arduino Uno umgesetzt. Für die Versuchsdurchführung wurde eine menschliche Hand als zu erfassendes Objekt an den Sensor geführt und der Abstand zwischen Hand und Sensor gemessen. In Abbildung 6 sind das Sensorsignal und korrelierte Abstände der Hand dazu gezeigt, sowie das Schaltbild dargestellt. Hierbei konnten Abstände von bis zu 120 mm zur Hand noch erfasst werden mit einer guten Signalstabilität, sodass hier eine Quantifizierung des Abstands denkbar ist.

Demonstrator

Die Vorzugsvariante für den Druck- und Näherungssensor wurde übertragen auf einen vollständig gestrickten und integral gefertigten Handschuh mit 13 Sensoren, wobei 2 Sensorflächen für Daumen, 3 Sensorflächen für Zeige- und Mittelfinger und 5 Sensorflächen auf der Handfläche für die Erfassung von Kräften realisiert wurden. Der finale Funktionsdemonstrator ist in Abbildung 7 gezeigt. Die elektrischen Zuleitungen wurden für diesen FD manuell realisiert. Eine sensorische Funktionalisierung des Ringfingers und des kleinen Fingers war durch die begrenzte Anzahl an Fadenführern innerhalb der Strickmaschine nicht möglich (max. 13 Sensorflächen). Die Signale der einzelnen Sensoren wurden mittels eines RaspberryPi 5 und einer dafür entwickelten Software ausgewertet. In verschiedenen Greiftests wurden die Sensoren validiert. Bei allen funktionsfähigen Sensoren konnte ein verlässlicher Anstieg des Signals bei Kompression erfasst werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Verwendung textiltechnischer Lösungen zur Überwachung des menschlichen Körpers und der auf ihn wirkenden Lasten ist ein vielversprechendes Forschungsfeld, das Anwendungen in der Physiotherapie, im Arbeitsschutz und in der Digitalisierung von Arbeitsprozessen ermöglicht. Im Rahmen dieses Projekts lag der Fokus auf der Entwicklung und Integration von Druck- und Näherungssensoren in textile Strukturen. Dabei wurden innovative textilbasierte Ansätze verfolgt, insbesondere die Herstellung vollständig textilintegrierter Sensoren im Fully-Fashioned-Verfahren. Im Gegensatz zu herkömmlichen Systemen, die oft aus vielen Einzelkomponenten bestehen und dadurch Schwachstellen aufweisen, bieten textilbasierte Sensorsysteme eine höhere Kompatibilität mit textilen Basissystemen und eine höhere Flexibilität. Die in dieser Arbeit entwickelten Sensoren sind vielseitig einsetzbar und können in zahlreiche textile Strukturen, und vor allem gestrickter Strukturen, diverser Form und Größe übertragen werden.

Unter Beachtung industrienaher Anforderungen, die zusammen mit den am Projekt beteiligten Industriepartnern festgelegt wurden, wurden verschiedene Konzepte für Druck- und Näherungssensoren für einen Sensorhandschuh unter Nutzung von Flachstricktechnik entwickelt. Die bevorzugte Lösung für gestrickte Druck- und Näherungssensoren basiert auf einem Doppelschlauchgestrick, das einen flexiblen Plattenkondensator darstellt. Diese Sensoren bestehen aus Elektroden aus leitfähigem Garn und einem weichen Material, beispielsweise Silikon, das als Dielektrikum dient. Dadurch, dass das Material für das Dielektrikum flexibel gewählt werden kann, sind Messbereich und -verhalten auch für andere Anwendungen mit diesem Konzept einfach zu variieren. Für die Druckmessung wurde das Ansprechverhalten der entwickelten Sensoren eingehend getestet, und ihre Stabilität analysiert und ein funktionsgerechtes Messverhalten der Sensoren im Messbereich 0 bis 10 N festgestellt.

Die Vorzugsvariante der Sensoren wurde in einem Funktionsdemonstrator mit 13 Sensorflächen umgesetzt. Dies sollte in weiteren Arbeiten um 6 weitere Sensorflächen für die einzelnen Fingergelenke von Ring- und kleinem Finger ergänzt werden. Die Anzahl der Sensorflächen war in diesem Projekt durch die Anzahl der verfügbaren Fadenführer begrenzt. Weiterhin sollte das Einlegen des dielektrischen Inserts stärker automatisiert werden um die Zeit, die benötigt wird um die Drucksensorhandschuhe zu stricken, reduziert wird.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21990 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V., Reinhardtstr. 12-14, 10117 Berlin wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Die Autoren danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Der Forschungsbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden erhältlich.

 

Literatur

 

[1]   K. Ettle et al., "Telepräsenzroboter für die Pflege und Unterstützung von Schlaganfallpatientinnen und -patienten (TePUS) im Regierungsbezirk Oberpfalz: DeinHaus 4.0," Regensburg, Jun. 2020. Accessed: Nov. 30 2020.

[2]   K. Berkenkamp, "Telerehabilitation in der Schlaganfallversorgung – Einflussfaktoren auf Adoption und Akzeptanz von klinisch tätigen Ärzten und Therapeuten," 2020.

[3]   J. Mersch, C. A. G. Cuaran, A. Vasilev, A. Nocke, C. Cherif, and G. Gerlach, "Stretchable and Compliant Textile Strain Sensors," IEEE Sensors J., vol. 21, no. 22, pp. 25632–25640, 2021, doi: 10.1109/JSEN.2021.3115973.

[4]   S. Fischer, C. Böhmer, S. Nasrin, C. Sachse, C. Cherif. Flat-Knitted Double-Tube Structure Capacitive Pressure Sensors Integrated into Fingertips of Fully Fashioned Glove Intended for Therapeutic Use. Sensors 2024, 24, 7500. https://doi.org/10.3390/s24237500

 

 

Authors: Carola Bömer

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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21.05.2024

Aktiv verformbare Gelenke für Smart Composite Anwendungen

Knittings Composites Sensor Technology Technical Textiles Smart Textiles

Abstract

Funktionsintegrierte aktiv verformbare Faserkunststoffverbunde, auch Smart Composites genannt, gewinnen stetig an Bedeutung und finden zunehmend Anwendung in allen volkswirtschaftlichen und technologischen Leitbranchen, wie dem Fahrzeug‑, Maschinen‑ und Anlagenbau sowie in der Medizin‑, Umwelt‑ und Luftfahrttechnik.

Im IGF-Projekt 21969 BR erfolgte am ITM die simulationsgestützte Entwicklung gestrickter 3D-Preformen zur Realisierung aktiv verformbarer 3D-Faserkunststoffverbunde mit mehrachsigem Festkörpergelenk. Dabei werden als Aktoren Drähte aus Formgedächtnislegierung eingesetzt und textiltechnisch direkt in die textilen Verstärkungsstrukturen integriert, die einmal in der Matrix eingebettet die spätere Beweglichkeit des Bauteils sicherstellen. Dadurch sind erstmalig das Leichtbaupotenzial von Hochleistungsfasern und das Leistungspotenzial textilbasierter Aktoren zur Erzielung komplexer 3D-Bewegungen in hohem Maße ausnutzbar, was langfristig zu einer deutlichen Steigerung der Energieeffizienz von Systemen und Komponenten beiträgt.

Report

Einleitung und Problemstellung

Im Zuge der notwendigen Etablierung nachhaltiger Lösungen besteht derzeit ein hoher Bedarf an hochbelastbaren und zugleich extrem leichten Bauteilen aus faserverstärkten Kunststoffverbunden (FKV) mit zusätzlichen Funktionalitäten. Insbesondere aktiv verformbare FKV mit strukturintegrierten Aktoren und Festkörpergelenken haben ein hohes Innovationspotenzial zur Realisierung komplexer 3D-Bewegungsaufgaben, für die herkömmliche Bewegungsmechanismen in Differentialbauweise meist eine lineare Kopplung mehrerer konventioneller Gelenke und dezentraler Antriebe erfordern, die eine hohe Massenträgheit und demzufolge einen hohen Energieverbrauch bedingen.

Zur Ausnutzung des Leichtbaupotenzials von FKV besteht daher ein hoher Bedarf an funktionsintegrierten textilen Verstärkungsstrukturen, die gleichzeitig als bedarfsgerechte Funktions- und Festigkeitsträger fungieren. Daraus herstellbare, aktiv verformbare FKV-Bauteile kommen zunehmend in industriellen Anwendungen zum Einsatz, u. a. im Maschinen‑ und Anlagenbau (z. B. Soft Robotik [1], Leichtbauroboterarme), der Medizintechnik (z. B. aktive Orthesen und Prothesen, Endoskopie-Endeffektoren), im Schiff‑ und Automobilbau (z. B. adaptive Spoiler, aktiv verformbare Hydrofoils) sowie in der Luftfahrt (z. B. morphing wings [2 – 4]). Sie weisen eine aktiv geometrisch-veränderbare äußere Form auf, die i. d. R. über eine steuerbare Modulation der inneren Morphologie des Werkstoffes oder durch strukturintegrierte Aktoren, z. B. nach thermischer Aktivierung kontrahierende Drähte aus Formgedächtnislegierung (FGL) [5], einstellbar ist. Derzeit verfügen diese Lösungen allerdings nur über Festkörpergelenke mit einem Freiheitsgrad und können damit lediglich einfache Verformungen ausführen [6 – 8]. Komplexere 3D-Bewegungen sind deshalb nur durch eine kinematische Kopplung erreichbar, d. h. durch die in Bauteillängsrichtung versetzte Anordnung mehrerer einachsiger Festkörpergelenke. Bisher sind keine geeigneten Auslegungsstrategien zur Umsetzung komplexer, mehrachsiger Bewegungen von duroplastischen 3D-FKV-Bauteilen durch textilintegrierte, mehrachsige Festkörpergelenke vorhanden.

Zielsetzung

Das Ziel des IGF-Forschungsprojektes 21969 BR war die simulationsgestützte Entwicklung, Umsetzung und Erprobung gestrickter schlauchförmiger Verstärkungshalbzeuge mit mehrachsigem Festkörpergelenk sowie strukturintegrierten Aktor- und Energieversorgungsnetzwerken zur Herstellung definiert und aktiv verformbarer 3D-FKV-Integralbauteile mit Duromermatrix, die mindestens zwei Freiheitsgraden aufweisen.

Derartige 3D-FKV-Bauteile mit biegeweichem Festkörpergelenk besitzen, analog zu biologischen Vorbildern, eine segmentierte Struktur mit zwei durch das Gelenk elastisch miteinander gekoppelten starren Segmenten (vgl. Abbildung 1). Die bei Aktivierung der FGL-Aktoren infolge der Kontraktion verrichtete Verformungsarbeit generiert ein Biegemoment um die jeweilige Gelenkachse und induziert somit entsprechende Relativbewegungen der starren FKV-Segmente.

Die wesentlichen Herausforderungen im Projekt sind die bedarfsgerechte Auslegung geeigneter Deformationsbereiche des Festkörpergelenks sowie die integrale Fertigung von funktionalisierten 3D-Verstärkungshalbzeugen als schlauchförmige Mehrlagengestricke. In diese sollen im Strickprozess sowohl FGL-Drähte als auch ein für deren elektrisch induzierte Aktivierung erforderliches Energieversorgungsnetzwerk aus leitfähigem Garnmaterial simultan integriert werden. Die FGL-Aktoren sind dabei so anzuordnen, dass das mehrachsige Festkörpergelenk mindestens zwei im Deformationsbereich konzentrierte Freiheitsgrade aufweist, die Biegeverformungen um zwei Hauptgelenkachsen zulassen. Zudem sind sie direkt während des Strickprozesses so zu verarbeiten, dass sie form‑ und kraftschlüssig in der Struktur eingebunden sind und somit eine maximale, reproduzierbare Auslenkung der aktiv verformbaren FKV-Bauteile ermöglichen.

Ergebnisse

Simulationsgestützte Strukturauslegung

Im Projekt erfolgte zunächst die Präzisierung der zu erfüllenden Anforderungen an relevante aktiv verformbare FKV-Integralbauteile ohne externe Motoren in den anvisierten Anwendungsbereichen. Nach Ableitung der Anforderungen an integral gefertigte, funktionalisierte 3D-Textilhalbzeuge mit strukturintegrierten FGL-Aktoren erfolgte eine simulationsgestützte Analyse der maximal erreichbaren Verformungen von aktiv verformbaren FKV-Bauteilen an festgelegten Funktionsmustern mittels Finiter Element Methode (FEM). Dazu wurde das Woodworth-Kaliske-FGL-Materialmodell verwendet [9], das in der Lage ist, den Formgedächtniseffekt der eingesetzten FGL-Aktoren durch direkte Vordehnung abzubilden. Aufbauend auf den Ergebnissen der FEM-Analyse wurden bindungstechnische Ansätze zur integralen Realisierung der Funktionsmuster und insbesondere zur Lösung folgender Aufgaben entwickelt:

  1. Gestaltung von biegeweichen Gelenk‑ bzw. Deformationsbereichen für eine höchstmögliche Verformung der FKV-Bauteile.
  2. Stricktechnische Einbindung der FGL-Aktoren für eine hinreichende form- und kraftschlüssige Fixierung und somit maximale Auslenkung der FKV-Bauteile.
  3. Stricktechnische Einbindung der elektrisch leitfähigen Garne für eine in-situ Kontaktierung, d. h. zuverlässige, stoffschlüssige elektrische Verbindung der FGL-Aktoren mit dem Energienetzwerk im FKV-Bauteil.

Die Ergebnisse zeigen (vgl. Abbildung 2), dass im Vergleich zu den starren Segmenten (Section#1 mit 8 Verstärkungslagen à jeweils 1.200 tex in Kett- und Schussrichtung) die entwickelten 2D-Gelenkbereiche mit nur 2 Verstärkungslagen à 1.200 tex in Kett- und Schussrichtung (Section#2) bzw. à 1.200 tex in Kettrichtung und 410 tex in Schussrichtung (Section#3) um ca. 50 % geringere Biegemodule aufweisen (Section#1: ca. 12 GPa; Section#2 und Section#3: ca. 6 GPa in Bauteillängsrichtung) und daher als Deformationsbereiche prinzipiell geeignet sind [10].

Nach Konsolidierung von 3D-FKV-Bauteilen mit Epoxidharz (EP) wurde jedoch festgestellt, dass die Biegesteifigkeit der Deformationsbereiche zu hoch ist, um eine Verformung des 3D-Bauteils zu erlauben. Das ist auf die hohe Drucksteifigkeit des EPs in Verbindung mit der gekrümmten Rohrwandung zurückzuführen, die einen hohen Verformungswiderstand bedingen, was auch die durchgeführte FEM-Analyse bestätigt. Daher wurde im Projekt ein Multi-Matrix-Ansatz verfolgt, um die Gelenk‑ bzw. Deformationsbereiche mit einem viel biegeweicheren Matrixmaterial als das EP zu versehen. Hierfür wurden während der Infiltration im VARI-Verfahren zugleich die starren Segmente mit EP konsolidiert, die Deformationsbereiche hingegen mit einem fließfähigen Polyurethan-Matrixsystem (PUR) Biresin®-407 der Firma Sika Deutschland GmbH. Dieses gießfähige Elastomer mit einer Viskosität von ca. 600 mPa·s und einer Shore-Härte A 85 weist insbesondere ein niedriges Biegemodul von ca. 2 GPa auf (vgl. PUR-Section in Abbildung 2), was eine Verformung auch von rohrförmigen 3D-FKV-Bauteilen begünstigt.

Die Ergebnisse zeigen weiterhin, dass durch Maschenbildung über Plattieren direkt während des Strickprozesses FGL-Aktoren und elektrisch leitfähige Garne gezielt lokal vermaschbar sind (vgl. Abbildung 3). Somit sind zugleich eine form‑ und kraftschlüssige Fixierung der FGL-Aktoren in den Textilhalbzeugen mit ca. 100 N Auszugskraft im Verbund als auch eine zuverlässige elektrische in-situ Kontaktierung (stoffschlüssige Verbindung) mit niedrigen Übergangswiderständen von ca. 5 Ω realisierbar. Grund dafür ist die im Vergleich zu gestreckten Fäden ohne Verschlingungen (z. B. Kettfaden oder Teilschuss) über die Maschenbildung deutlich größere Kontaktfläche zwischen den Funktionsgarnen. Die elektrische Leitfähigkeit wird zudem durch lokales Applizieren eines Leitklebers (Silberlack Leitsilber der Firma Kemo-Electronic GmbH) im Kontaktierungsbereich verbessert.

Damit lassen sich anhand des Multi-Matrix-Ansatzes aktiv verformbare 2D-FKV-Integralbauteile mit mehreren Deformationsbereichen sowie strukturintegrierten Aktor- und Energienetzwerken realisieren (vgl. Abbildung 4). Thermographische Untersuchungen zeigen, dass die verschiedenen Deformationsbereiche über einen einzigen FGL-Aktor durch das Energienetzwerk separat ansteuerbar sind. Die Aktivierung des FGL-Aktors über die gesamte Bauteillänge, d. h. über die zwei PUR-Deformationsbereiche, führt zu erreichbaren Verformungen von ca. 50 mm, was mittels Lasertriangulation nachgewiesen wurde.

Aktiv verformbare 3D-FKV-Integralbauteile

Das entwickelte FEM-Modell wurde anhand der Ergebnisse mechanischer Charakterisierung von 2D- und 3D-Verbundproben validiert, insb. Zug-, 4-Punkt- und 3-Punkt-Biegeversuche sowie Aktivierungsversuche, und darauf aufbauend für die Auslegung und Optimierung von aktiv verformbaren 3D-FKV-Bauteilen mit mehrachsigen Festkörpergelenken, die jeweils zwei Freiheitsgrade aufweisen, herangezogen. Dabei wurden verschiedene 3D-Gelenktopologien entworfen und mit der Realisierung aktiv verformbarer 3D-FKV-Bauteile schrittweise optimiert. Somit konnte eine Vorzugslösung für die Umsetzung eines generischen Technologiedemonstrators abgeleitet werden (vgl. Abbildung 5). Diese weist einen faltenbalgartigen PUR-Gelenkbereich auf und ermöglicht Verformungen von max. 44,8 mm, was einer Auslenkung von ca. 11° entspricht. Zur Sicherstellung einer maximalen Auslenkung des Bauteils sind dabei die FGL-Aktoren im Gelenkbereich innerhalb des FKV-Rohres freiliegend zugeführt und erst an den Extremitäten der starren FKV-Segmenten lokal fixiert. Zudem sind sie im Gelenkbereich gezielt umgelenkt, um eine exzentrische Krafteinleitung bei Kontraktion der FGL-Aktoren hervorzurufen und somit hohe Biegeverformungen zu bewirken.

Die Umsetzung und Prüfung des Technologiedemonstrators (vgl. Abbildung 6) in Form eines mehrgliedrigen, aktiv verformbaren 3D-Gelenkarms, z. B. für den Anwendungsbereich Robotik, bestätigt, dass die neuartigen, gestrickten 3D-Verstärkungshalbzeuge mit mehrachsigen Festkörpergelenken sowie strukturintegrierten FGL-Aktor- und Energienetzwerken für die flexible Herstellung aktiv verformbarer 3D-FKV-Integralbauteile sehr gut geeignet sind. Die entwickelten Gelenktopologien ermöglichen erstmalig die Realisierung mehrachsiger Festkörpergelenke mit zwei Freiheitsgraden, die komplexe 3D-Bewegungsaufgaben mit erreichbaren Bauteilverformungen von ca. 50 mm ausführen können. Dabei sind im Vergleich zu herkömmlichen Bewegungsmechanismen, die eine lineare Kopplung mehrerer Gelenke und dezentraler Antriebe mit hoher Massenträgheit und demzufolge hohem Energiebedarf erfordern, wesentliche Vorteile erreichbar, insbesondere hinsichtlich des geringeren Montageaufwandes, der Reibungs- bzw. Verschleißfreiheit und der damit weitestgehend dauerhaften Wartungsfreiheit sowie des niedrigen Energieverbrauchs der FGL-Aktoren.

Damit sind die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche und flexible Fertigung neuartiger, funktionalisierter 3D-Textilhalbzeuge für die Realisierung aktiv verformbarer 3D-FKV-Integralbauteile in reproduzierbarer Qualität geschaffen.

Zusammenfassung

Im abgeschlossenen IGF-Forschungsprojekt 21969 BR wurde erfolgreich eine auf der Flachstricktechnik basierende, flexible und industrietaugliche Fertigungstechnologie zur integralen Herstellung funktionalisierter 3D-Textilverstärkungshalbzeuge mit mehrachsigen Festkörpergelenken, strukturintegrierten Aktoren sowie für deren Aktivierung erforderlichen elektrisch leitfähigen Zuleitungen entwickelt, umgesetzt und erprobt.

Damit sind aktiv verformbare FKV-Bauteile realisierbar, die durch definiert angesteuerte Aktoren aus Formgedächtnislegierung (FGL) komplexe 3D-Bewegungen ausführen können. Dabei ermöglichen speziell gestaltete, topologisch optimierte Gelenkbereiche mit mehreren Freiheitsgraden innerhalb der textilen Verstärkungsstruktur die spätere 3D-Bewegungsaufgaben. Der geringere Montageaufwand, die Reibungs- bzw. Verschleißfreiheit und die damit weitestgehend dauerhafte Wartungsfreiheit sind erhebliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Bewegungsmechanismen, die dazu mehrere konventionelle Drehgelenke erfordern. Dadurch sind zugleich das Leichtbaupotenzial von Hochleistungsfasern und das Leistungspotenzial textilbasierter FGL-Aktoren zur Erzielung komplexer 3D-Bewegungen in hohem Maße ausnutzbar.

Potenzielle industrielle Anwendungen sind aktiv verformbare 3D-FKV-Integralbauteile, die erstmals mit intrinsischen 3D-Gelenkmechanismen ausgestattet werden können, u. a. im Maschinen- und Anlagenbau (z. B. mehrgliedrige Roboterarme), im Schiff- und Fahrzeugbau (z. B. aktiv verformbare Tragfläche oder adaptive Verstellmechanismen für Spoiler) sowie in der Medizintechnik (z. B. aktive Orthesen und Prothesen, Endoskopie-Endeffektoren). Insbesondere die KMU der Textil- und FKV-Industrie beziehen aus den Projektergebnissen den konkreten Nutzen, dass ihnen technologisches Wissen zur simulationsgestützten Konzeptionierung, Auslegung und Fertigung maßgeschneiderter Textilverstärkungshalbzeuge für aktiv verformbare 3D-FKV-Bauteile mit strukturintegrierten Festkörpergelenken bereitgestellt wird, die in den genannten Marktbereichen eine steigende Nachfrage erfahren.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21969 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Die Autoren danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel sowie den involvierten Unternehmen im projektbegleitenden Ausschuss für die fachliche Unterstützung und die Bereitstellung von Versuchsmaterial. Der Forschungsbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden erhältlich.

 

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[8]           Lohse, F.; Wende, C.; Klass, K.-D.; Hickmann, R.; Häntzsche, E.; Bollengier, Q.; Ashir, M.; Pöschel, R.; Bolk, N.; Trümper, W.; Cherif, C.: Bio-inspired semi-flexible joint based on fibre-reinforced composites with shape memory alloys. In: Journal of Intelligent Material Systems and Structures (2020), S. 1–11.

[9]           Woodworth, L.A.; Lohse, F.; Kopelmann, K.; Cherif, C.; Kaliske, M.: Development of a constitutive model considering functional fatigue and pre-stretch in shape memory alloy wires. In: International Journal of Solids and Structures 234-235 (2022), S. 111242.

[10]        Bollengier, Q.; Rabe, D.; Mersch, J.; Häntzsche, E.; Nocke, A.; Cherif, C.: Development of integrated in-situ actuator networks for the realization of flexure hinges for highly deformable fiber-reinforced plastic composites. In: Passion for Innovation. 21st World Textile Conference AUTEX 2022, Online (Lodz, Poland) (2022) - ISBN 978-83-66741-75-1, S. 440–444.

Authors: Bollengier, Quentin Rabe, David Mersch, Johannes Annadata, Achyuth Ram Gereke, Thomas Häntzsche, Eric Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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28.11.2023

Entwicklung einer neuartigen Spinntechnologie zur Realisierung skalierbarer nano-, submikro- und mikrostrukturierter Faseroberflächen für technische und medizinische Anwendungen

Fibres Yarns Technical Textiles Medicine

Abstract

Das Hauptziel des IGF Projektes 21411 BR war die gezielte und reproduzierbare Oberflächenstrukturierung von Fasern während der Herstellung von Multifilamentgarnen. Dazu erfolgte die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung von Bikomponentengarnen aus einem Grundpolymer und einer wasserlöslichen, strukturbildenden PVOH-Mantelkomponente. Durch das Herauslösen der Mantelkomponente in einem weiteren Prozessschritt werden dann nano-, submikro- und mikrostrukturierte Oberflächen erzeugt. Durch diese Verfahrensentwicklung sind nun erstmalig oberflächenstrukturierte Fasern herstellbar, die mit konventionellen Verfahren zur Oberflächenfunktionalisierung bisher nicht möglich waren. Der dazu notwendige Spinnprozess inkl. grundlegende Prozessparameter wurden im Projekt im Technikumsmaßstab erarbeitet. Die Nutzbarkeit der Ergebnisse wurde durch die erfolgreiche Erspinnung von Multifilamentgarnen mit strukturierten Faseroberflächen auf einer Pilot-Biko-Schmelzspinnanlage gezeigt. Die textiltechnische Verarbeitbarkeit der erzeugten Biko-Multifilamentgarnen erfolgte mit der erfolgreichen Umsetzung textiltechnischer Demonstratoren in Webversuchen.

Report

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung
Die kontinuierliche Entwicklung innovativer Technologien im Bereich der chemischen Faserproduktion ist entscheidend für die Fortentwicklung der gesamten Textilwirtschaft. Die gegenwärtige Fokussierung auf technische Textilien und medizintechnische Textilprodukte eröffnet vielversprechende Perspektiven für die deutsche Textil- und Faserindustrie. Diese aufstrebenden Märkte umfassen innovative Anwendungen, wie textiles Bauen, einschließlich komplex strukturierter architektonischer Membranen oder die Biomedizin mit Produkten, wie textile Implantate und Gewebsregenerationslösungen.

Ein neuartiger und vielversprechender Lösungsansatz ist die zielgerichtete Oberflächenstrukturierung der Fasern bereits während der Faserherstellung, um zum einen die Faseroberfläche zu erhöhen und zum anderen eine formschlüssige Anbindung der Matrix an die Faser zu erreichen. Diese Strukturierung auf der Einzelfilamentebene zeichnet sich durch regelmäßig oder stochastisch verteilte Nano- und Mikrostrukturen aus, darunter fibrillenartige Formationen. Dies führt zu einer definierten Oberflächenmorphologie und -topografie mit Kavitäten (Vertiefungen) und einer Oberflächenrauheit.

Für eine umfassende Nutzbarkeit dieser bisher unbekannten oberflächenstrukturierte Filamente, wurden im IGF Projektes 21411 BR „Nano, submikro- und mikrostrukturierte Fasern“ verschiedene Materialsysteme untersucht: das am Markt in großen Mengen verfügbare technische Polyester (PET - aromatischer Polyester), das im medizinischen Bereich häufig verwendete Polylactid Acid (PLA - aliphatischer Polyester) und ein High Density-Polyethylen (HDPE – Polyolefin). Basis für die Herstellung der strukturierten Fasern war eine Verfahrensentwicklung des Bikomponenten (Biko)-Schmelzspinnens. Kernpunkt dieser Entwicklung ist der temporäre Einsatz von wasserlöslichem Polyvinylalkohol (PVOH) als strukturformende Mantelkomponente im Fadenbildungsprozess. Eine anschließende Entfernung der strukturformenden Mantelkomponente entweder auf Garnebene oder auf Textilebene erzeugt dann die strukturierten Faseroberflächen im nano- (bis 0,1 μm), submikro- (0,1 ̶ 1 μm) und mikroskaligen (1 ̶ 2 μm) Bereich. Jeder dazu notwendige Entwicklungsschritt wurde von methodischen Material- und Prozesscharakterisierungen sowie gängigen physikalischen und chemischen Analysen begleitet, z.B. Untersuchungen der thermischen Eigenschaften des PVOH, der rheologischen Eigenschaften der Blend/PVOH-Mischungen sowie des Löslichkeitsverhaltens des PVOH aus dem Mantel der Biko-Fasern.

Erzielte Ergebnisse
Untersuchung der Schmelzspinnbarkeit von Polymer-PVOH-blends

Besondere Kernaufgaben der gesamten Verfahrensentwicklung war die Identifizierung prozesstechnisch geeigneter Materialpaarungen zur Herstellung von Blend-Formulierungen für die Vorlage im Schmelzspinnprozess. Die Ableitung von Vorzugsformulierungen für das Schmelzspinnen erfolgte im Projekt anhand der physikalischen und rheologischen Eigenschaften der jeweiligen Polymer-PVOH-Blend-Formulierungen. Zur Darstellung der Schmelzspinnbarkeit wurden weiterhin die thermische Stabilität und das Degradationsverhalten verschiedener wasserlöslicher PVOH sowie der Compoundpolymere (PET, PLA bzw. PE) mittels thermogravimetrischer Analyse (TGA) bestimmt. Die ausgewählten Compoundpolymere zeigen eine Zersetzung unter Schutzgasatmosphäre erst bei Temperaturen von weit über 300 °C, wobei es eine zentrale Abbaustufe gibt (VGL: Abbildung 1, links). Die untersuchten PVOH-Typen weisen dagegen verschiedene Abbaustufen und Zersetzungsbereiche mit ersten auftretenden Abbaureaktionen ab 100 °C auf (vgl. Abbildung 1, links). Die Kristallisations- und Schmelztemperaturen sowie das Fenster der Verarbeitungstemperaturen wurden mittels dynamischer Differenzkalorimetrie (DSC) bestimmt. Besonderes Augenmerk bei der rheologischen Charakterisierung der PVOH-Materialien war die Identifikation zum jeweiligen Compoundpolymer sowie zu prozesstypischen Anforderungen (z.B. Extrusionsverhalten, Spinndüsendynamik) passender Viskositäten.

Abbildung 1

Abbildung 1: Ergebnisse der TGA Untersuchungen - Massenänderung in Abhängigkeit von Temperatur und Zeit unter Schutzgasatmosphäre (N2)

 

Erspinnung der nano-, submikro- und mikrostrukturierter Fasern
Die Erspinnung der grundlegend untersuchten Polymer (PET, PLA und PE-PVOH)-Blends zu Biko-Multifilamentgarnen erfolgte mittels der am ITM vorhandenen Biko-Schmelzspinnanlage. Die dafür notwendigen experimentellen Arbeiten zur Herstellung von Biko-Fasern durch Evaluierung verschiedener Spinnprozessparameter wurde systematisch umgesetzt, um ein tiefgründiges Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen Garneigenschaften und Prozessparametern aufzubauen. Bei der Erspinnung wurden die Anordnungen Kern-Mantel- bzw. orange pie-Geometrie untersucht (Abbildung 2). Die prozessbegleitenden systematischen Untersuchungen umfassten die Charakterisierung der mechanischen und textil-physikalischen Eigenschaften. Aus den analytischen Untersuchungen und der Spinnprozessentwicklung wurde ein Spinnkonzept für die Erspinnung der Biko-Präkursorfasern für neuartige nano-, submikro- und mikroskalige strukturierte Fasermaterialien erstellt.

 

Abbildung 2

Abbildung 2: Ausgewählte Düsengeometrien a) core-shell aus PET und PET/PVOH, b) orange-pie aus PET und PET/PVOH, c) core-shell aus PLA und PLA/PVOH, b) orange-pie aus PLA und PLA/PVOH

 

Verfahrensentwicklung zum Herauslösen der strukturbildenden Stützkomponente (PVOH)
Zur Erzeugung der Oberflächenstrukturierung erfolgte die Entwicklung eines industrienahen Verfahrens zum Herauslösen der strukturbildenden Stützkomponente (PVOH) aus dem Fasermantel. Erforscht wurde das Herauslösen der Stützkomponenten aus den Biko-Fasern nach dem Verstrecken bzw. nach der textilen Flächenbildung. Ein kontinuierliches Lösen des PVOH im Spinnprozess war aufgrund des Unterschieds zwischen Fadenlaufgeschwindigkeit (≥ 100 m/min) notwendiger Lösezeit von PVOH (≥ 180 s, vgl. Abbildung 1) nicht umsetzbar.

Abbildung 3

Abbildung 3: Löseeigenschaften der PVOH-Typen in Wasser unter Raumtemperatur und leichter Strömung

 

Besondere Aufmerksamkeit galt der Ermittlung relevanter Prozessparameter, wie Lösezeit und -temperatur, sowie der Auswahl des Lösungsmittels auf das Löseverhalten von PVOH, was in in zwei Entwicklungsstufen erfolgte: 1. Stufe - diskontinuierliches Herauslösen im Labormaßstab und 2. Stufe diskontinuierliche Löseversuche in einem Rolle-zu-Rolle-Prozess. Die Bewertung der Oberflächenstrukturierung erfolgte anhand von Lichtmikroskopie- und Rasterelektronenmikroskopie-(REM)Aufnahmen (Abbildung 4). Das entwickelte Verfahren zum gezielten Herauslösen von PVOH aus einem Multifilamentgarn ermöglichte die Erzeugung einer strukturierten Oberfläche. Die Optimierung der Prozessparameter sowie die praktische Umsetzbarkeit in einem kontinuierlichen Produktionsprozess sind die entscheidenden nächsten Schritte für die industrielle Anwendbarkeit dieser vielversprechenden Technologie.

Abbildung 4

Abbildung 4: REM-Aufnahmen  Einzelfilamenten der Biko-Filamentgarne: (links) vor dem Herauslösen des PVOH aus der Mantelkomponente, (rechts) nach dem Herauslösen des PVOH aus der Mantelkomponente

 

Textiltechnische Verarbeitung der nano-, submikro- und mikrostrukturierten Fasern
Die Beurteilung des Webverhaltens der ersponnenen Biko-Fasern erfolgte mittels Webversuchen auf einer Spulenschützen-Bandwebmaschine SL 150 (MAGEBA TEXTILMASCHINEN GMBH & CO. KG). Dabei wurde ein Standard-Polyestergarn als Kettfaden (16 Fäden/cm/Lage) eingesetzt. Das Biko-Garn wurde mittels eines Spulenschützen in Schussrichtung (7 Fäden/cm/Lage) eingebracht (vgl. Abbildung 5, links). Erfolgreich umgesetzt wurde in einem störungsfreien Webprozess ein zweilagiges, schlauchförmiges Gewebe mit Köperbindung in der oberen und Atlasbindung in der unteren Lage. Die Flächengebilde wurden mikroskopisch auf Filamentbrüche oder Fadenschädigung untersucht.

Abbildung 5

Abbildung 5: Textiltechnische Verarbeitung der Biko-Garne im Webprozess auf einer Spulenschützen-Bandwebmaschine (links); Zweilagiges, schlauchförmiges Gewebe aus Biko-Garn im Schussfaden und einem Polyestergarn in Kettfadenrichtung (rechts)

 

Zusammenfassung
Das Hauptziel des IGF Projektes 21411 BR war die gezielte und reproduzierbare Oberflächenstrukturierung von Fasern während der Herstellung von Multifilamentgarnen. Dazu erfolgte die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung von Bikomponentengarnen aus einem Grundpolymer und einer wasserlöslichen, strukturbildenden PVOH-Mantelkomponente. Durch das Herauslösen der Mantelkomponente in einem weiteren Prozessschritt werden dann nano-, submikro- und mikrostrukturierte Oberflächen erzeugt. Durch diese Verfahrensentwicklung sind nun erstmalig oberflächenstrukturierte Fasern herstellbar, die mit konventionellen Verfahren zur Oberflächenfunktionalisierung bisher nicht möglich waren. Der dazu notwendige Spinnprozess inkl. grundlegende Prozessparameter wurden im Projekt im Technikumsmaßstab erarbeitet. Die Nutzbarkeit der Ergebnisse wurde durch die erfolgreiche Erspinnung von Multifilamentgarnen mit strukturierten Faseroberflächen auf einer Pilot-Biko-Schmelzspinnanlage gezeigt. Die textiltechnische Verarbeitbarkeit der erzeugten Biko-Multifilamentgarnen erfolgte mit der erfolgreichen Umsetzung textiltechnischer Demonstratoren in Webversuchen.

 

Danksagung
Das IGF-Vorhaben 21411 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Darüber hinaus möchten wir den Mitgliedern des Projektbegleitenden Ausschusses für ihre Unterstützung während der Projektbearbeitung danken.

 

Authors: Frankenbach, Leopold Alexander Lukoschek, Stephanie Kruppke, Iris Cherif, Chokri

Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik, TU Dresden

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31.10.2023

Vernetzung von elektrogesponnenen Chitosan-Nanofasern mit Genipin für medizinische Anwendungen und Tissue Engineering

Fibres Nonwovens

Abstract

In dieser Studie haben wir ein Verfahren zur Herstellung von Chitosan-Nanofaservliesen vorgestellt. Außerdem wurde gezeigt, dass Genipin eine vielversprechende Alternative für das zytotoxische Glutaraldehyd zur Vernetzung von Chitosan ist. Obwohl die Filtration einen großen Einfluss auf die Viskosität der Lösung hat, gibt es keinen signifikanten Einfluss auf den Faserdurchmesser, aber auf die Struktur der Nanofasern in der Ausprägung von Kräuselung im Vergleich zu glatten Fasern. Der Einfluss dieser gekräuselten Fasern (nach der Filtration) auf die Zellproliferation und das Zellverhalten muss in zukünftigen Studien untersucht werden.

Die Waschversuche zeigen die Fähigkeit von Genipin, Chitosan erfolgreich zu vernetzen. Die Auswirkung der Quellung auf die mechanischen Eigenschaften der Membran muss für die weitere Verwendung ebenfalls noch untersucht werden. Schließlich wird die Leistung dieser vernetzten Nanofaservliese in In-vitro-Zelllebensfähigkeitstests und Proliferationstests in weiteren Studien geprüft.

Report

Abstract

In dieser Studie wird Genipin zur Vernetzung von Nanofasern verwendet, die aus einer Lösung von Chitosan und Polyethylenoxid (PEO) (Verhältnis 7:3) in 70 %-iger Essigsäure elektrogesponnen wurden. Genipin ist eine chemische Verbindung, die aus den Früchten der gardenis jasminoides ellis isoliert wird und mit freien Aminogruppen reagiert. Außerdem ist es 5.000 bis 10.000 Mal weniger zytotoxisch als Glutaraldehyd, der bisher am häufigsten verwendete Vernetzer für Chitosan. [SHH+99] Untersucht werden die Fasermorphologie, die mechanische Festigkeit, das Ergebnis der Fourier-Transformations-Infrarotspektroskopie (FTIR) und die Löslichkeit in einer wässrigen Lösung mittels gravimetrischer Messungen.

Es wurden erfolgreich Nanofasern hergestellt und dann teilweise mit Genipin vernetzt und die Vernetzung war erfolgreich. Ohne Vernetzung lösten sich die Fasern in wässriger Lösung auf, während vernetzte Fasern stabil gequollen sind. Nicht vernetzte Fasern haben einen Faserdurchmesser von 573 ± 81 nm, vernetzte 560 ± 96 nm. Nach dem Quellen betragen die Faserdurchmesser 901 ± 105 nm.

1. Einleitung

Mit einer hohen spezifischen Oberfläche, einer hohen Porosität und einer ähnlichen Größe wie die extrazelluläre Matrix (ECM) im menschlichen Körper haben elektrogesponnene Nanofasern vorteilhafte Eigenschaften für medizinische Anwendungen und Tissue Engineering [KC17]. Chitosan ist ein natürliches Biopolymer mit guter Biokompatibilität und biologischer Abbaubarkeit und weist ebenfalls Ähnlichkeiten mit der ECM auf. Nanofasern aus Chitosan wurden in der Vergangenheit bereits elektrogesponnen, welche in wässrigen Lösungen schlechte Eigenschaften (mechanische Festigkeit, Anfälligkeit für enzymatischen Abbau, Auflösen) zeigen. Die Vernetzung führt zur Kopplung von funktionellen Gruppen im Chitosan und damit zu einer Stabilisierung des Polymers, wodurch die oben genannten Einschränkungen in wässrigen Lösungen verringert werden. Der am häufigsten verwendete Vernetzer für Chitosan ist Glutaraldehyd, der eine sehr hohe Zytotoxizität aufweist und brüchige und schwächere Fasern erzeugt. [SHH+99] Ein weniger zytotoxischer Vernetzer ist Genipin, das bereits zur Vernetzung von Kollagen und Gelatine für medizinische Anwendungen verwendet wird. Genipin reagiert mit den freien Aminogruppen des Chitosans und erhöht die Stabilität in flüssigen Medien. [MFS+14]

Chitosan als natürliches Polymer unterliegt Schwankungen in der Materialqualität und im Molekulargewicht. Lösungen von Chitosan enthalten unlösliche Teile und Partikel, die einen Einfluss auf den Spinnprozess oder die gesponnene Nanofaser haben können. Daher wird in der vorliegenden Arbeit die Lösung filtriert und der Einfluss des Filtrationsprozesses auf den Spinnprozess, die Fasermorphologie und die mechanischen Eigenschaften bewertet. Außerdem wird der Einfluss von Genipin auf die Fasermorphologie und den Vernetzungserfolg untersucht.

2. Materialien und Methoden

Die Chitosan/PEO-Nanofasermembranen werden im Elektrospinnverfahren mit einer Anlage vom Typ Fluidnatek LE500 (Bioinicia SL, Valencia, Spanien) hergestellt. Für das Elektrospinnen und die Herstellung der Nanofasermembranen werden Chitosan (Molekulargewicht 100 - 300 kDa, Acros Organics, Geel, Belgien), Polyethylenoxid (900 kDa, Sigma-Aldrich Chemie GmbH, Taufkirchen, Deutschland), Essigsäure (99,9 %), phosphatgepufferte Salzlösung (PBS), Ethanol (≥ 99,8 %, vergällt, alle Carl Roth GmbH + Co. KG, Karlsruhe, Deutschland) und Genipin (Enzo Life Sciences GmbH, Lörrach, Deutschland) verwendet. Alle Chemikalien werden wie geliefert und ohne weitere Aufreinigung verwendet.

Die Fasern werden aus einer Lösung mit einer Massenkonzentration von 1,2 Gew.-% Chitosan und 2,8 Gew.-% PEO in 70 %-iger Essigsäure gesponnen. Chitosan und PEO werden getrennt voneinander unter ständigem Rühren 12 Stunden lang in dem genannten Lösungsmittel gelöst. Die Lösungen werden im genannten Verhältnis gemischt und 2 Stunden lang unter ständigem Rühren homogenisiert. Zur Vernetzung von Chitosan nach dem Spinnprozess wird der Lösung vor dem Spinnen Genipin zugesetzt. Es wird ein Verhältnis von Chitosan zu Genipin von 100:1 verwendet, und das Genipin wird separat in Ethanol unter ständigem Rühren 2 Stunden lang gelöst und dann zur Chitosan/PEO-Lösung hinzugefügt. Zur Filtration der Lösung werden Einwegspritzenfilter (Chromafil Xtra GF/ PTFE-45/25, Macherey-Nagel, Düren, Deutschland) verwendet.

Zur Vorbereitung des Spinnvorgangs wird die Spinnlösung in eine 5 mL Spritze (B. Braun Melsungen AG, Melsungen, Deutschland) gefüllt, die an eine einzelne Spinndüse angeschlossen ist. Die Polymerlösung wird mittels Spritzenpumpe mit einer Flussrate von 1 mL/h durch eine Hohlnadel mit einem Durchmesser von 0,4 mm (B. Braun Melsungen AG, Melsungen, Deutschland) extrudiert. Bei einer Spannung von +20 kV und -1 kV wird die Polymerlösung zu Fasern verstreckt und auf einer rotierenden Welle (Ø = 30 mm, Breite = 300 mm) mit einer Rotationsgeschwindigkeit von 100 U/min gesammelt. Der Spinnprozess wird bei 23 °C und einer Luftfeuchtigkeit von 30 % r.F. durchgeführt.

Das Waschverfahren zur Untersuchung der Löslichkeit in einer wässrigen Lösung besteht aus drei Schritten. Es werden jeweils 4 Proben von mit Genipin vernetzten und nicht vernetzten Vliesstoffen mit einer Größe von 20 mm x 20 mm verwendet. Die Proben werden vor und nach jedem Schritt gewogen. Zunächst werden die Proben 20 Minuten lang in Ethanol gewaschen. Dann werden sie in einem Vakuumtrockenschrank (VT 6025, Thermo Scientific TM, Waltham, Deutschland) 24 Stunden lang bei 40 °C getrocknet. Anschließend werden die Proben separat in 15 ml PBS-Lösung (9,55 g PBS/l dest. Wasser) für 24 h eingelegt und anschließend bei Raumtemperatur für 72 h getrocknet.

2.1 Viskosimetrie

Die Polymerlösungen, die im Elektrospinnverfahren verwendet werden sollen, werden auf ihre Viskosität hin untersucht. Im Allgemeinen verhalten sich Polymerlösungen als nicht-newtonsche Flüssigkeiten, d.h. die Viskosität ist abhängig von der Scherrate, bei der sie gemessen wird. Die Messungen der Viskosität werden mit einem RheolabQC (CC27, Anton Paar, Graz, Österreich) durchgeführt. Die Viskosität (mPa∙s) wird bei Scherraten zwischen 50 und 1500 1/s an 200 Einzelpunkten im Abstand von 1,2 Sekunden gemessen. Anschließend werden die Ergebnisse in einem Diagramm aufgetragen, das den Trend der Viskosität in Abhängigkeit von der Scherrate darstellt.

2.2 Lichtmikroskopie

Die Durchmesser der Nanofasern werden mit dem Lichtmikroskop gemessen (Software: Leica Application Suite, Version 3.8.0, Mikroskop: DM4000 M, Leica, Wetzlar, Deutschland).

​​​​​​​2.3 Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie

Das Vorhandensein von Chitosan nach dem Elektrospinnen und Waschen der Proben wird mit einem Nicolet iS 10 FTIR-Spektrometer und der Software OMNIC Specta (beide Thermo Scientific TM, Waltham, Deutschland) untersucht. Der Transmissionsmodus wurde im Bereich von 600 bis 4000 cm-1 verwendet.

​​​​​​​2.4 Statistische Analyse

Die Daten von mindestens drei Exemplaren werden als Mittelwert und Standardabweichung angegeben. Jeder Versuch wurde zwei- oder dreimal wiederholt. Die statistische Analyse erfolgte durch einen Zwei-Wege-ANOVA-Test mit SPSS für Windows Version 11.5. Ein p < 0,05 wird als statistisch signifikant angesehen.

3. Ergebnisse

Lösungs- und Scaffold-Eigenschaften

Vier verschiedene Vliese wurden durch Elektrospinnen hergestellt. Die Konzentrationen und Verhältnisse der Polymerlösungen und der geeigneten Lösungsmittel sind das Ergebnis vorangegangener Experimente mit faktoriellem Design. Konzentrationen von Essigsäure zwischen 5 und 90 %, Gesamtpolymerkonzentrationen von 2, 3 und 4 Gew.-% und Polymerverhältnisse von Chitosan zu PEO von 7:3, 1:1 und 3:7 wurden hinsichtlich Löslichkeit und Verarbeitbarkeit bewertet. Experimente mit niedrigen Polymerkonzentrationen oder höheren Chitosankonzentrationen führten zu einem nicht stabilen Spinnprozess oder zum Versprühen der Lösung. Im Hinblick auf die Prozessstabilität und die resultierende Fasermorphologie zeigten Polymerlösungen mit 4 Gew.-% und einem Chitosan/PEO-Verhältnis von 3:7 in 70 %-iger Essigsäure die besten Ergebnisse und wurden daher für diese Studie ausgewählt.

 

Abbildung 1:             Viskosität von Chitosan/PEO-Lösungen mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% und einem Verhältnis von 7:3 im filtrierten (grau) und ungefilterten (schwarz) Zustand. Nach der Filtration sinkt die Viskosität aufgrund des Ausschlusses von Teilchen mit höherem Molekulargewicht.

Die Viskosität der endgültigen Lösung unterschied sich deutlich zwischen dem gefilterten und dem ungefilterten Zustand. Bei der ungefilterten Lösung ist die Viskosität im Bereich zwischen einer Scherrate von 50 und 1500 1/s deutlich höher (siehe Abbildung 1). Bei einer Scherrate von 100 1/s hat die ungefilterte Lösung eine Viskosität von 1087 ± 13 mPas und die gefilterte Lösung 635 ± 23 mPas. Bei 1500 1/s sinken die Werte auf 385 ± 34 mPas bzw. 285 ± 5 mPas.

Die Faserdurchmesser der aus ungefilterten Lösungen hergestellten Nanofasern betragen 573 ± 81 nm und die der Nanofasern aus gefilterten Lösungen 441 ± 132 nm. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen ist nicht signifikant, zeigt aber einen Trend. Abbildung 2 zeigt einen Unterschied in der Faserstruktur. Fasern aus ungefilterten Lösungen zeigen gerade Fasern, während Fasern aus ungefilterten Lösungen gekräuselte Merkmale aufweisen.

 

Abbildung 2:         Lichtmikroskopische Aufnahmen von elektrogesponnenen Chitosan/PEO-Nanofasern aus ungefilterter (links) und gefilterter (rechts) Lösung.

FTIR wurde verwendet, um das Vorhandensein von Chitosan in den Nanofaservliesen nach dem Elektrospinnen und Veränderungen in der Struktur nach dem Filtrationsprozess zu zeigen. In Abbildung 3 zeigt die Kurve des Chitosanpulvers (gepunktet) charakteristische Banden von Chitosan in einem Wellenzahlbereich von 3100 bis 3400 cm-1. Diese sind auf N-H- und O-H-Streckschwingungen und intermolekulare Wasserstoffbrückenbindungen der Polysaccharidmoleküle zurückzuführen. Die Peaks bei 1583 und 1649 cm-1 zeigen NH2 (Amid II) bzw. C=O-NHR (Amid I) an. Der Peak im Wellenlängenbereich von 2800 bis 3000 cm-1 wird der CH2-Streckung zugeordnet. [CMH+08; RVM+11]

Die Kurven „ungefiltert“ und „gefiltert“ zeigen die Messungen der elektrogesponnenen Proben. Die Kurvenformen der gefilterten und ungefilterten Proben zeigen keine signifikanten Unterschiede in den Peaks. Demnach hat die Filtration der Chitosanlösung keinen Einfluss auf die chemischen Strukturen. Die charakteristischen Peaks von Chitosan sind in den Kurven der elektrogesponnenen Proben zu finden. Die Intensität der CH2-Streckung bei 2861 cm-1 nimmt mit dem Zusatz von PEO zu. In ähnlicher Weise werden Peakverschiebungen im Vergleich zu Chitosan beobachtet. Die Schwingungsbanden bei 1583, 1649 und 3348 cm-1 sind zu 1562, 1663 und 3353 cm-1 verschoben. Diese Peakverschiebungen sind auf die Abnahme der intermolekularen Wasserstoffbrückenbindungen von Chitosan und die Bildung neuer Wasserstoffbrückenbindungen zwischen Chitosan und PEO-Molekülen zurückzuführen [CMH+08]. Die FTIR-Ergebnisse zeigen, dass Chitosan in den elektrogesponnenen Vliesen vorhanden ist und dass es während der Filtration nicht entfernt oder beschädigt wird.

 

Abbildung 3:         FTIR-Ergebnisse für das reine Chitosan-Pulver und Chitosan/PEO-Nanofaservliese aus gefilterten und ungefilterten Spinnlösungen. Alle Kurven zeigen typische Peaks für Chitosan zwischen 3100 und 3400 cm-1. Leichte Verschiebung der Kurven für Fasern aufgrund des Einflusses von PEO auf Wasserstoffbrückenbindungen.

Löslichkeit in wässriger Lösung

Membranen ohne Genipin wurden während des Waschvorgangs vollständig aufgelöst. Sie konnten daher nicht weiter untersucht werden. Mit Genipin vernetzte Proben weisen nach dem Waschvorgang eine Farbänderung auf. Die Farbe ändert sich von einem hellen Weiß zu einem grün-blauen Farbton, wie in Abbildung 4 zu sehen ist. Dies ist auf die Chitosanderivate zurückzuführen, die durch die Reaktion von Genipin mit den Aminogruppen von Chitosan gebildet werden [MSS00].

 

Abbildung 4:         A) Chitosan/PEO-Nanofaser-Vliesstoff mit eingearbeitetem Genipin vor dem Waschvorgang, hellweiße Farbe. B) Chitosan/PEO-Nanofaservlies mit eingearbeitetem Genipin nach dem Waschvorgang, blau-grüne Verfärbung und leichte Verformung der Membran aufgrund der bei der Reaktion mit Genipin gebildeten Chitosanderivate.

Außerdem zeigen die Proben mit Genipin nach 24 Stunden in PBS und anschließender Trocknung eine Zunahme des Gewichts und des Faserdurchmessers, wie in Abbildung 5 dargestellt. Bei ungefilterten Proben beträgt die Gewichtsveränderung +33,9 ± 5,2 % und bei gefilterten Proben +46,2 ± 7,1 %.

 

Abbildung 5:         Links: Faserdurchmesser vor und nach dem Waschvorgang; Rechts: Massenänderung aufgrund der Quellung der Nanofasern

Der Faserdurchmesser im gequollenen Zustand beträgt bei ungefilterten Proben 901 ± 105 nm, was einer Zunahme von 60,9 ± 4,3 % entspricht. Bei gefilterten Proben beträgt der gequollene Durchmesser 705 ± 102 nm, was einer Zunahme von 52,2 ± 0,6 % entspricht.

 

Literaturliste

[CMH+08]          Chen, Zonggang; Mo, Xiumei; He, Chuanglong; Wang, Hongsheng
                            Intermolecular interactions in electrospun collagen–chitosan complex nanofibers
                            Carbohydrate Polymers. Bd. 72 (2008) H. 3, S. 410–418

[KC17]                 Kishan, Alysha P.; Cosgriff-Hernandez, Elizabeth M.
Recent advancements in electrospinning design for tissue engineering applications: A review Journal of biomedical materials research. Part A. Bd. 105 (2017) H. 10, S. 2892–2905

[MFS+14]           Mirzaei, Esmaeil; Faridi-Majidi, Reza; Shokrgozar, Mohammad Ali; Asghari Paskiabi, Farnoush

Genipin cross-linked electrospun chitosan-based nanofibrous mat as tissue engineering scaffold Nanomedicine Journal. Bd. 1 (2014) H. 3, S. 137–146

[MSS00]             Mi, Fwu-Long; Sung, Hsing-Wen; Shyu, Shin-Shing
Synthesis and characterization of a novel chitosan-based network prepared using naturally occurring crosslinker Journal of Polymer Science Part A: Polymer Chemistry. Bd. 38 (2000) H. 15, S. 2804–2814

[RVM+11]          Rakkapao, Natthida; Vao-soongnern, Visit; Masubuchi, Yuichi; Watanabe, Hiroshi
Miscibility of chitosan/poly(ethylene oxide) blends and effect of doping alkali and alkali earth metal ions on chitosan/PEO interaction
Polymer. Bd. 52 (2011) H. 12, S. 2618–2627

[SHH+99]           Sung, H. W.; Huang, R. N.; Huang, L. L.; Tsai, C. C.
In vitro evaluation of cytotoxicity of a naturally occurring cross-linking reagent for biological tissue fixation
Journal of biomaterials science. Polymer edition. Bd. 10 (1999) H. 1, S. 63–78

Authors: Schneiders, Thomas Vogel, Lisa Marie Gries, Thomas

ITA Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Straße 1, 52074 Aachen

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28.09.2023

ENTWICKLUNG UND VALIDIERUNG EINES SYSTEMS ZUR KABELLOSEN DATEN- UND ENERGIEÜBERTRAGUNG ZWISCHEN SMART TEXTILES UND HAUTSENSOREN

Sensor Technology Smart Textiles Medicine

Abstract

Die Wahl der NFC-Technologie für die kabellose Energie- und Datenübertragung im Rahmen dieser Arbeit ist vielversprechend. Die geringe Reichweite der Technologie stellt für die körper-nahe Benutzung keine Einschränkung dar. Die Integration von NFC-Antennen in Textilien ist viel-versprechend und verbessert die Anwendbarkeit sowie den Tragekomfort. Dieser Ansatz dient als Grundlage für innovative Anwendungen in den Bereichen Sport und Medizin. Im Sport können Hautsensoren dazu beitragen, die Leistung und den Trainingsfortschritt zu überwachen, während in der Medizin nicht-invasive oder minimalinvasive Langzeitmessungen ermöglicht werden kön-nen. Dies weist auf die breite Anwendungsfähigkeit der entwickelten Technologie hin

Report

Abstract
Zum aktuellen Stand der Technik existiert keine Lösung für die Interaktion zwischen Hautsenso-ren zur Überwachung von Vitalparametern und Smart Textiles. Im Rahmen dieser Arbeit wird ein System entwickelt, welches die kabellose Daten- und Energieübertragung zwischen Sensoren und Textilien ermöglicht.
Hautsensoren ermöglichen in Bereichen wie Medizin und Sport eine nicht- oder minimalinvasive Überwachung von Vitalparametern wie Herzschlag, Atemfrequenz, Blutzucker oder Sauer-stoffsättigung des Bluts. Zur Maximierung des Tragekomfort wird eine Lösung mit passiven Haut-sensoren angestrebt, die mithilfe eines Smart Textiles mit Energie versorgt werden und welches die Daten der Sensoren ausliest.
Hiefür bietet sich NFC als Übertragungsstandard an, da NFC einen zeitgleichen Austausch von Energie und Daten ermöglicht. Mittels eines NFC-Tags mit integrierten Sensoren wird der Haut-sensor simuliert. Um die Grenzen der Lösung festlegen zu können wird der Einfluss verschiede-ner Parameter auf die Energieübertragung zwischen NFC-Antennen untersucht. Die untersuch-ten Parameter sind der Abstand zwischen NFC-Antenne und NFC-Tag, die relative Verschiebung zwischen NFC-Antenne und NFC-Tag, die Krümmung der NFC-Antenne, der Einfluss von Texti-lien zwischen NFC-Antenne und NFC-Tag sowie der Einfluss verschiedener Materialien und Ge-ometrien für gestickte NFC-Antennen.


Einleitung
Smart Textiles erlauben es auf verschiedene Arten zusätzliche Funktionen in Bekleidung oder andere Textilien zu integrieren. Soll ein elektrischer Schaltkreis auf oder in ein Textil integriert werden, bestehen verschiedene Möglichkeiten. Neben dem Drucken mit leitfähigen Tinten und dem Einbringen von leitfähigen Garnen mittels Weben und Stricken, bietet das Sticken ein hohes Maß an Designfreiheit und einer gegeben Waschbarkeit bei der Wahl von geeigneten leitfähigen Garnen. [1] Die textile Integration erlaubt außerdem einen nahezu uneingeschränkten Tragekomfort.
Bei der Wahl der Technologie für eine kabellose Datenübertragung ist besonders auf den Ener-gieverbrauch zu achten. NFC weist einen sehr niedrigen Energieverbrauch auf [2] und ermöglicht einen zeitgleichen Energie- und Datenaustausch. Die spiralförmige, flache Geometrie von NFC-Antennen, ermöglichen die Energieübertragung mittels Induktion [3]. Aufgrund der Antennenge-ometrie lassen sich NFC-Antennen mit leitfähigen Garnen auf Textilien aufsticken.


Experimenteller Teil
Um die Grenzen der Energieübertragung zwischen zwei NFC-Antennen zu untersuchen, wird der Einfluss verschiedener Faktoren auf die induzierte Spannung in einem NFC-Tag untersucht. Die untersuchten Faktoren sind der Abstand, die Verschiebung, die Krümmung und zwischen den Antennen befindliche Textilien. Dadurch werden verschiedene Situationen des Tragens von einem Bekleidungsstück mit einer textilen Antenne untersucht. Die verwendeten Versuchsvorrichtungen  werden mittels 3D-Druck hergestellt, siehe Abbildung 1. 


Abbildung 1: Versuchsaufbau für Messungen des Einflusses des Abstands, der Geometrie, der Verschiebung und der Krümmung zwischen NFC-Antenne und NFC-Tag. Quelle: ITA


Neben den Versuchen zu den bereits beschrieben Parametern des Systems werden verschiedene textile NFC-Antennen gefertigt und bewertet. Dabei kommen selektierte Geometrien aus verschiedenen Literaturquellen [4], [5], [6] und Materialkombinationen zum Einsatz. Die Geometrien unterscheiden sich in der Anzahl der Windungen, dem Windungsabstand und dem Durchmesser der Antenne. Die untersuchten Materialkombinationen sind (A) Shieldex und Madeira HC 40, (B) Polyester und Shieldex und (C) Polyester und Kupferlackdraht. Anhand der gestickten Antenne können Aussagen über die Materialien und Geometrien getroffen werden. Zudem werden die Widerstände sowohl von den textilen Antennen als auch gekauften NFC-Antennen gemessen.
Die verschiedenen Geometrien sind in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2: Antennengeometrien. Quelle: ITA


Mit den Erkenntnissen der praktischen Versuche wird ein Demonstrator in Form eines langärmligen Oberteils hergestellt. Zur vereinfachten Herstellung wird die Antenne und zwei Leiterbahnen auf ein Textil gestickt und nachträglich auf den Ärmel des Oberteils aufgeklebt. Zusätzlich wird der Ärmel mit einer Tasche versehen, in die ein NFC-Leser platziert werden kann. Der NFC-Leser erlaubt ein Auslesen der Sensoren des NFC-Tags und die zeitgleiche Energieversorgung. Der Demonstrator ist mit Detailaufnahmen in Abbildung 3 zu sehen.

Abbildung 3: Demonstrator mit Detailaufnahmen. Quelle: ITA


Ergebnisse
In den Versuchen zu den Antennen konnte gezeigt werden, dass der Einfluss der untersuchten Krümmung auf Energieübertragung lediglich gering ist (> 5 %). Steigende Abstände und relative Verschiebungen hingegen führen zu einer Abnahme der induzierten Spannung im NFC-Tag. Insbesondere die Verschiebung schränkt die Anwendung ein. Bereits bei einer Verschiebung von etwa 2,5 cm beträgt die induzierte Spannung nur noch die Hälfte des Werts ohne Verschiebung (siehe Abbildung 4). In einem Endprodukt muss demnach eine möglichst genaue Positionierung über dem Hautsensor gewährleistet werden. 

Abbildung 4: Messergebnis Verschiebung. Quelle: ITA


Bei der Wahl der Materialien hat sich die Materialkombination (A) mit Shieldex und Madeira HC 40 am zuverlässigsten gezeigt. Verglichen mit (B) ist (A) weniger fehleranfällig, da ein Riss eines Garns nicht zwangsläufig zu einem Trennen des Schaltkreises führt. Kupferlackdraht ist neben der Anfälligkeit bei Biegung zu brechen, aufgrund der erschwerten Kontaktierung nachteilig. Au-ßerdem ist bei der Entwicklung von Geometrien auf einen definierten Windungsabstand zu ach-ten, um Kurzschlüsse innerhalb der Antenne zu vermeiden. Es ist jedoch anzumerken, dass die gestickten Antennen im Vergleich zur verwendeten kommerziellen Antenne einen etwa um den Faktor 30 höherer Widerstand aufweisen.


Diskussion
Im Rahmen der durchgeführten Versuche hinsichtlich der untersuchten Parameter Abstand, Krümmung, Verschiebung sowie Geometrie konnte bei allen Parametern ein Einfluss erkannt werden. Dieser ist für die Parameter Abstand sowie Verschiebung besonders ausgeprägt. Dies zeigt sich unter anderem durch eine Halbierung der induzierten Spannung ab einer Verschie-bung von 2,5 cm. Im Rahmen von weiterführenden Versuchen soll in einem nächsten Schritt nun genauere Untersuchung und Weiterentwicklung von textilen NFC-Antennen durchgeführt werden, um eine energiesparende Umsetzung zu ermöglichen. Für die Übertragung der aktuel-len Ergebnisse in ein realistisches Szenario muss für die Entwicklung von Endprodukten eine genaue Positionierung der Antennen realisiert werden. Zusätzlich ist für ein Endprodukt eine textilbezogene Umsetzung des NFC-Lesers und seiner Energieversorgung anzustreben.

Danksagung
Wir danken dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und der AIF-Forschungsge-meinschaft für die Förderung des IGF-Projektes Nr. 351EN/1.


Literaturliste
[1] Tao, X.: Handbook of Smart Textiles, Springer Singapore, 2015
[2] Gupta, D.; Khanna, A.; Hassanien, A. E.; Anand, S.; Jaiswal, A. (Hrsg.): International Conference on Innovative Computing and Communications, Springer Nature Singapore, 2023
[3] Lathiya, P.; Wang, J.: Near-Field Communications (NFC) for Wireless Power Transfer (WPT): An Overview In Zellagui, M.: Wireless Power Transfer – Recent Development, Applications and New Perspectives: IntechOpen, 2021
[4] Jiang, Y. T.; Xu, L. L.; Pan, K. W.; Leng, T.; Li, Y.; Danoon, L.; Hu, Z. R.: e-Textile embroidered wearable near-field communication RFID antennas. IET MICROWAVES ANTENNAS & PROPAGATION. 13, S. 99–104, 2019
[5] Del-Rio-Ruiz, R.; Lopez-Garde, J. M.; Macon, J. L.; Rogier, H.; IEEE: Design and Performance Analysis of a Purely Textile Spiral Antenna for On-Body NFC Applications, 2017
[6] Lin, R.; Kim, H.-J.; Achavananthadith, S.; Kurt, S. A.; Tan, S. C. C.; Yao, H.; Tee, B. C. K.; Lee, J. K. W.; Ho, J. S.: Wireless battery-free body sensor networks using near-field-enabled clothing, NATURE COMMUNICATIONS. 11, S. 444, 2020

Authors: Robin Oberlé1 Autor, David Scheithe1 Autor, Aaron Leiting1 Autor, Tobias Lauwigi1 Co-Autor

1 RWTH Aachen – Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University (Germany)

Arbeitsgruppenleiter: Akram Idrissi– Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University (Germany)

E-Tattoo NFC MedTec SportTec

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19.07.2023

Magnesium als Textil: Potenziale textiler Mg-Implantate

Fabrics Knittings Medicine Tests

Abstract

Implantate werden eingesetzt, um Körperfunktionen wiederherzustellen oder zu unterstützen. Stentimplantate werden beispielsweise implantiert, um Blutgefäße oder Organe zu öffnen oder zu stabilisieren. Insbesondere bei direktem Blutkontakt, aber auch in nicht-vaskulären Anwendungsbereichen verursachen dauerhaft im Patienten verbleibende Fremdkörper Langzeitkomplikationen und sorgen für eine erhöhte Patientenbelastung. Die zentralen Defizite sind Entzündungsreaktionen, notwendige Revisions- oder Entnahmeoperationen, Stress-Shielding (Gewebeveränderung aufgrund mechanischer Einflüsse), Lockerung und Migration aufgrund des Wachstums des Patienten und erhebliche Einschränkungen diagnostischer Verfahren wie Röntgen und CT-Scans durch die Verursachung von Bildartefakten. Aus den genannten Gründen wird seit einigen Jahren bereits an degradierbaren Implantatmaterialien geforscht. Magnesium hat sich dabei aufgrund seiner mechanischen Eigenschaften als vielversprechend erwiesen. Während Fertigungsverfahren wie Gießen oder Schneiden von Magnesium bereits gut erforscht sind, besteht wenig veröffentlichtes Wissen über die Entwicklung Mg-Draht basierter, textiler Strukturen. In dieser Studie wird die Möglichkeit der Verarbeitbarkeit von Magnesiumdraht in textilen Fertigungsverfahren aufgezeigt und am Beispiel von Stentimplantaten relevante Stell- und Zielgrößen validiert. Es kann gezeigt werden, das Magnesium textil verarbeitbar ist und sich anhand von Mg-Draht für die medizinische Anwendung geeignete textile Strukturen erzeugen lassen.

Report

Abstract: Implantate werden eingesetzt, um Körperfunktionen wiederherzustellen oder zu unterstützen. Stentimplantate werden beispielsweise implantiert, um Blutgefäße oder Organe zu öffnen oder zu stabilisieren. Insbesondere bei direktem Blutkontakt, aber auch in nicht-vaskulären Anwendungsbereichen verursachen dauerhaft im Patienten verbleibende Fremdkörper Langzeitkomplikationen und sorgen für eine erhöhte Patientenbelastung. Die zentralen Defizite sind Entzündungsreaktionen, notwendige Revisions- oder Entnahmeoperationen, Stress-Shielding (Gewebeveränderung aufgrund mechanischer Einflüsse), Lockerung und Migration aufgrund des Wachstums des Patienten und erhebliche Einschränkungen diagnostischer Verfahren wie Röntgen und CT-Scans durch die Verursachung von Bildartefakten. Aus den genannten Gründen wird seit einigen Jahren bereits an degradierbaren Implantatmaterialien geforscht. Magnesium hat sich dabei aufgrund seiner mechanischen Eigenschaften als vielversprechend erwiesen. Während Fertigungsverfahren wie Gießen oder Schneiden von Magnesium bereits gut erforscht sind, besteht wenig veröffentlichtes Wissen über die Entwicklung Mg-Draht basierter, textiler Strukturen. In dieser Studie wird die Möglichkeit der Verarbeitbarkeit von Magnesiumdraht in textilen Fertigungsverfahren aufgezeigt und am Beispiel von Stentimplantaten relevante Stell- und Zielgrößen validiert. Es kann gezeigt werden, das Magnesium textil verarbeitbar ist und sich anhand von Mg-Draht für die medizinische Anwendung geeignete textile Strukturen erzeugen lassen.

  1. Einleitung

Die Food and Drug Administration (FDA), die Aufsichtsbehörde für Lebensmittel und Arzneimittel in den USA, einem der größten Medizintechnikmärkte der Welt, definiert Implantate als Produkte, die an oder unter der Körperoberfläche implantiert werden, um Medikamente abzugeben, Körperfunktionen zu überwachen oder Organe und Gewebe zu unterstützen. Beispiele sind Stentimplantate, Knochenschrauben/-platten sowie Herzschrittmacher und Defibrillatoren. [FDA19] Die Fallzahlen der Implantationen in Deutschland verdeutlichen, dass es zwei große Anwendungsbereiche für Implantate gibt. Sieht man von Zahnimplantaten ab, werden die meisten Implantate im Bereich des Skelettsystems eingesetzt. Im Jahr 2017 wurden 238.000 Hüftgelenke, 191.000 Kniegelenke und 26.000 Endoprothesen in Extremitäten implantiert. An zweiter Stelle stehen Stentimplantate mit 138.000 Implantaten in Gefäßen und Organen. [Bra18]

Die aktuell überwiegend verwendeten Implantatmaterialien können in Metalle, Polymere und Keramiken unterteilt werden. Metalle wie rostfreier Stahl werden verwendet, wenn eine hohe Festigkeit erforderlich ist, während Nickel-Titan-Legierungen eingesetzt werden, wenn ein elastisches Strukturverhalten erforderlich ist. Im Bereich der Polymere werden verschiedene Kunststoffe verwendet, von Polyethylen für hohe Abriebfestigkeit bis zu Polytetrafluorethylen (PTFE) für besonders geringe Reibung. Keramische Werkstoffe werden vor allem als Hüftgelenkkugeln, Knochenersatzmaterial und in der Zahnmedizin verwendet, darunter Aluminium und Zirkonoxid. [SSA+15; Psc20]

Diese beständigen Implantatmaterialien bringen allerdings entscheidende Nachteile mit sich. Die fünf am häufigsten genannten Defizite sind im Folgenden zusammengefasst:

  1. Ein zentrales Defizit ist das Risiko von Entzündungsreaktionen, wie z. B. beim Einsatz von Stentimplantaten. Stents werden eingesetzt, um verengte Gefäße wieder zu öffnen oder offen zu halten. Wenn ein Stent über einen längeren Zeitraum von mehreren Jahren im Körper verbleibt, kann es aufgrund mechanischer und biochemischer Reizungen zu Entzündungsreaktionen (Inflammation) kommen. Diese führt zur Bildung von Narbengewebe, welches den Stent überwuchern kann, wodurch das betroffene Gefäß wieder verschlossen wird (Restenose). [OTO+21]
  2. Ein weiterer Nachteil sind die notwendigen Revisions- oder Entnahmeoperationen für vorübergehend benötigte Implantate. In diesem Zusammenhang sind die häufig erforderlichen Medikamente zur Verringerung von Fremdkörperreaktionen und ihre Nebenwirkungen eine zusätzliche Belastung der Patienten. Dies und der zusätzliche Eingriff führt zu erhöhter Belastungen des Patienten, höheren Kosten und operationsbedingten Risiken wie bspw. Infektionen. [WXH+20]
  3. Stress Shielding ist ein Defizit permanenter Implantate, welches insbesondere in der Orthopädie auftritt. Dieser Effekt hängt mit den mechanischen Eigenschaften der verwendeten Implantatmaterialien zusammen, insbesondere mit der Festigkeit und dem elastischen Verhalten. Die heute verwendeten Materialien haben in der Regel eine höhere Zugfestigkeit und ein höheres Elastizitätsmodul als der umgebende Knochen. Dadurch werden die Kräfte, die nativ gleichmäßig durch den Knochen geleitet werden, je nach Belastung lokal, punktuell in das weichere Füllmaterial (Spongiosa) des Knochens eingebracht. Bereiche des Knochens, die nun weniger belastet werden, werden zurückgebildet und dies kann zu einer Lockerung des Implantats führen. [WXH+20]
  4. Ein Nachteil bei der Behandlung junger, noch wachsender Patienten ist, dass sich Implantate, die lange Zeit im Körper verbleiben, nur bedingt dem Wachstum anpassen können. Dies kann zur Lockerung von Endoprothesen und so zu einem erhöhten Risiko der Migration von Stentimplantaten führen. Darüber hinaus können Implantate das natürliche Wachstum des Patienten negativ beeinflussen. [OTO+21]
  5. Implantate erschweren die Diagnostik anhand bildgebender Verfahren. Insbesondere metallische Implantate verursachen Bildartefakte in Röntgenaufnahmen oder bei CT-Scans, was die Auswertung des Bildmaterials erschwert oder unmöglich macht. [OTO+21]

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es sinnvoll wäre Implantate zu verwenden, die während der Heilungsphase abgebaut werden, damit der Körper nach und nach seine natürliche Funktion wiederherstellen kann und langfristig keine Fremdkörper im Patienten zurückbleiben.

  1. Stand der Technik & Defizit

Bei der Auswahl geeigneter Implantatmaterialien müssen drei zentrale Materialeigenschaften berücksichtigt werden. Die Biokompatibilität, die mechanischen Eigenschaften sowie die Degradationszeit. Biokompatible Materialien verursachen keine nachteiligen Gewebereaktionen, sind metabolisierbar und erzeugen pH-neutrale Abbauprodukte. Was die mechanischen Eigenschaften betrifft, so müssen Zugfestigkeit und Elastizitätsmodul genauso wie die Degradationszeit in vivo der Heilungszeit der jeweiligen Anwendung entsprechen. [PRW+22]

Die Auswahl an in der aktuellen Forschung relevanten, abbaubaren Implantatmaterialien umfasst Polymere wie PLLA (Polymilchsäure) und PDS (Polydioxanon) sowie Metalle wie Eisen und Magnesium (Tabelle 1). Ein optimales Implantatmaterial sollte chemisch neutral abbaubar sein, eine biokompatibel sein und innerhalb des optimalen Korridors der Abbaudauer liegen. Insbesondere bei Anwendungen in Hohlorganen und Gefäßen sollten die mechanischen Eigenschaften des Implantatmaterials besonders hoch sein, um ein optimales Verhältnis zwischen Wandstärke und Stützkraft zu ermöglichen. Da PLLA und Eisen zu langsam degradieren, setzt sich Magnesium aufgrund seiner besseren Zugfestigkeit und Steifigkeit im Vergleich zu PDS als besser geeignetes Material für tragende und stützende Anwendungen durch. [PRW+22]

s. Anlage Tabelle 1: Eigenschaften degradierbarer Materialien [EBK+22; MLM+20; LFW14]

Es ist anzumerken, dass die Eigenschaften von purem Magnesium hinsichtlich der Anwendung für medizinische Implantate nicht ausreichend sind. Wie bei anderen Metallen können diese Eigenschaften anhand der Stellgrößen Legierungskomponenten, Kornstruktur sowie Geomtrie- und Oberflächengestaltung eingestellt werden. Dabei spielen das metallische Gefüge (Legierungszusammensetzung und Kornstruktur), die geometrische Gestaltung des Implantats, die Oberflächenbehandlung und die Beschichtung eine Rolle. Eine in der Medizintechnik häufig verwendete Legierung ist WE43, die Yttrium, verschiedene seltene Erden und Zirkonium enthält und eine hohe Festigkeit und Korrosionsbeständigkeit aufweist. [LFW14] Es befinden sich bereits lasergeschnittene Implantate aus diesem Material wie der Magmaris-Stent von Biotronik SE, Berlin in klinischen Studien, Knochenschrauben wie die Magnezix-Schraube der Firma Syntellix AG, Hannover sind bereits auf dem Markt und auch an großvolumigen, 3D-gedruckten (Lasersintern) Lösungen wird geforscht. [HIK+18; Syn19] Die textile Verarbeitung von Mg-Draht zu textilen Implantaten ist nach aktuellem Stand der Technik noch wenig erforscht. Dabei besteht gerade im Bereich großlumiger Gefäßprothesen ein hoher, stark wachsender Bedarf. [GJG22; Mer23b]

  1. Methodik

Bei der Validierung von Magnesium als Implantatmaterial für die Herstellung abbaubarer, textiler Stützstrukturen sind initial zwei zentrale Fragen zu klären.

  1. Zum einen stellt sich die Frage nach der Verarbeitbarkeit des Ausgangsmaterials. Textile Prozesse erfordern spezifische, mechanische und tribologische Eigenschaften des Halbzeugs. Hierzu gehören eine hohe Zugfestigkeit, ein geeignetes Elastizitätsmodul und passende Biegesteifigkeit sowie ein verarbeitbarer Durchmesser des Ausgangsmaterials.
  2. Zum anderen muss die Eignung der Produkteigenschaften der textilen Strukturen für relevante klinische Indikationen gewährleistet sein. Hierzu gehören die mechanischen Eigenschaften (FRRF, FCOF) (1) sowie die mechanische Integrität bei zyklischer Belastung der Implantate (2).

3.1 Validierung der Verarbeitbarkeit

Am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen wurde die Verarbeitbarkeit von Magnesium und vergleichbaren Werkstoffen zur Herstellung von textilen Schlauchstrukturen durch Stricken, Weben und Flechten bereits untersucht (IGF-Forschungsprojekt 18880 N "MagCage - Textiles Magnesium-Implantat mit spezifischem mechanischem und geometrischem Eigenschaftsprofil für die Behandlung großer Knochendefekte in Röhrenknochen"). Es konnte gezeigt werden, dass aus Magnesiumdraht schlauchförmige Strukturen durch Strickverfahren hergestellt werden können. Im Webprozess führte die Herstellung von Geweben mit geschlossenen Webkanten aufgrund der Biegesteifigkeit des Ausgangsmaterials zu unbrauchbaren, inhomogenen Ergebnissen. Die Verarbeitbarkeit im Flechtprozess wurde sowohl maschinell als auch manuell untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass der Magnesiumdraht mit geringen Modifikationen der Flechtklöppel verarbeitet werden kann. Auch die manuelle Verarbeitbarkeit des Magnesiumdrahtes konnte nachgewiesen werden (Siehe Abbildung 1). [Bol18]

s. Anlage Abbildung 1: Textile Verarbeitung von Magnesium-Draht [Bol18; Mer23a]

3.2 Validierung der Produkteigenschaften

Die Eignung von drahtbasierten Geflechten zur Anwendung als Implantat wurde am Institut für Textiltechnik am Beispiel von Stentimplantaten untersucht und bestätigt [Mer23b]. Eine Validierung der relevanten Produktparameter sowie der Dauerfestigkeit der Produkte steht noch aus und soll hier vorgestellt werden. Zur Prüfung der mechanischen Eigenschaften der Stentstrukturen bestehen genormte Verfahren wie die radiale Druckprüfung (DIN EN ISO 25539-2) (Siehe Abbildung 2). Dabei wird der Widerstand des Implantats gegen Kompression auf einen kleineren Durchmesser gemessen. Eine Bewertung kann z. B. anhand der radialen Stützkraft des Implantats bei einem Mindestdurchmesser von 50 % des Ausgangsdurchmessers vorgenommen werden.

s. Anlage Abbildungs 2:           Prüfvorrichtung zur Validierung der Radialkraft der Stentimplantate [Mer23a]

Im Rahmen der hier veröffentlichten Studien wurden zunächst zentrale Produktparameter (1) und ihr Einfluss auf die Zielgrößen Radialkraft (FRRF), Öffnungskraft (FCOF) sowie die bleibende Verformung (Längung, ΔDS und Stauchung, ΔLS) untersucht. Die berücksichtigen Produktparameter sind die Kronenzahl nK, der Flechtwinkel (Anzahl der Windungen nW) sowie die Länge der Implantate LS (Tabelle 2). Der Stent Durchmesser beträgt DS = 16 mm. Die Stentimplantate wurden manuell aus PEO-beschichtetem Mg-Draht der Firma Meotec GmbH, Aachen (DD = 0,2 mm) geflochten (Abbildung 3), in Anlehnung an die Prüfnorm DIN EN ISO 25539-2 geprüft und anhand eines faktoriellen Versuchsplanes ausgewertet.

s. Anlage Tabelle 2 und Abbildung 3: Tabelle 2:   Strukturmerkmale und Variationen und Abbildung 3:   Exemplarische Darstellung der Mg-Stentimplantate

Zur Validierung der Dauerfestigkeit (2) wurden in Anlehnung an die Prüfnorm DIN EN ISO 25539-2 zyklische Versuche durchgeführt. Das hierzu herangezogene Stentdesign ist ein Rundgeflecht mit einer Länge LS = 30 mm und einem Durchmesser von DS = 6 mm. Zur Validierung der Dauerfestigkeit wurde in Vorversuchen zunächst der Bereich der „elastischen Verformung“ des Implantates ermittelt. Es wurde ein Crimp-Durchmesser von DS = 85% D0 als überwiegend elastischer Prüfbereich definiert. Vollständige elastische Rückstellung ist mit dem vorliegenden Mg-Draht nicht möglich. Mit diesem Prüfdurchmesser wurden Versuchsreihen mit nP = 50 und 200 Zyklen durchgeführt und ausgewertet.

4. Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Parameteruntersuchung (1) sowie der Validierung der Dauerfestigkeit (2) vorgestellt.

Im Rahmen der Parameterstudie (1) konnte gezeigt werden, dass die Anzahl der Kronen nK einen deutlichen Einfluss auf die Radialkraft FRRF und die Öffnungskraft FCOF der Stents hat. Durch eine Erhöhung der Kronenanzahl nK von 6 auf 12 ergibt sich eine durchschnittliche Steigerung der Radialkraft FRRF um ca. 381 % und eine Zunahme der Öffnungskraft FCOF um durchschnittlich ca. 32 %. Des Weiteren führt die Erhöhung der Kronenanzahl nK zu einer signifikanten Veränderung der bleibenden Verformung. Dabei wurde eine Reduzierung der bleibenden Stauchung ΔDS von durchschnittlich ca. 65 % und eine Erhöhung der bleibenden Längung ΔLS von durchschnittlich ca. 33 % festgestellt.

Die Erhöhung der Anzahl der Windungen nW zeigt einen positiven Effekt in Bezug auf die Radialkraft FRRF und die Öffnungskraft FCOF der Stents. Durch eine Erhöhung der Anzahl der Windungen nW von 1 auf 2 wurde eine durchschnittliche Steigerung der Radialkraft FRRF um ca. 253 % und eine Zunahme der Öffnungskraft FCOF um ca. 212 % beobachtet. In Bezug auf die bleibende Verformung ist ein Anstieg um ca.  33 % bei der bleibenden Längung ΔLS erkennbar, während der Effekt auf die bleibende Stauchung ΔDS nicht eindeutig festzustellen ist.

Der Produktparameter Länge LS wirkt sich negativ auf die Radialkraft FRRF und die Öffnungskraft FCOF aus. Eine Erhöhung LS der Länge von 37 mm auf 45 mm führt zu einer durchschnittlichen Reduzierung der Radialkraft FRRF um ca. 11 % und zu einer durchschnittlichen Verringerung der Öffnungskraft FCOF um ca. 16 %. In Bezug auf die bleibenden Längung ΔLS und bleibende Stauchung ΔDS sind keine eindeutigen Effekte festzustellen. Die zahlenmäßigen Ergebnisse sind in Abbildung 4, die durchschnittlichen Effekte der einzelne Parameter auf die Zielgrößen in Tabelle 3 dargestellt. 

s. Anlage Abbildung 4 und Tabelle 3, Abbildung 3:   Exemplarische Darstellung der Mg-Stentimplantate und Tabelle 3:        Mittlerer Effekt auf Zielgrößen (Faktorieller Versuchsplan)

Die Validierung der Dauerfestigkeit (2) wurde bei einem Prüfdurchmesser von DS = 85% D0 validiert (nP = 10) und durchgeführt (Abbildung 5, links). Die zyklischen Versuche wurden zunächst mit nP = 50 Zyklen durchgeführt (Abbildung 5, rechts).

s. Anlage Abbildung 5:           Zentrale Ergebnisse der zyklischen Versuche (1/2)

Die maximale Radialkraft (DS,85) des Implantates schwankt über den Prüfverlauf, während die geometrische Integrität erhalten bleibt. Es kommt zu keiner nennenswerten plastischen Verformung. Eine Veränderung der Stützkraft über den Prüfverlauf ist nicht erkennbar (Abbildung 6, links). Die mittlere Radialkraft stagniert zwischen 11,5 N und 10,7 N, bei einer Standardabweichung von 0,3 – 0,5 N. Die Radialkräfte von Zyklus 1., 25. und 50. unterscheiden sich nicht signifikant. Die Versuchsreihe mit nP = 200 Zyklen (nS = 1) ergibt ein ähnliches Ergebnis (Abbildung 6, rechts). Die Streuung der Ergebnisse nimmt erheblich zu, aber es ist keine Tendenz erkennbar.

s. Anlage Abbildung 6:           Zentrale Ergebnisse der zyklischen Versuche (2/2)

4. Fazit und Ausblick

Die Anwendungsbereiche für drahtbasierte Implantate wie bspw. Stentimplantate sind groß und nehmen zu. Degradierbare Implantate gelten dabei als vielversprechender Lösungsansatz, um die Defizite permanenter Implantate auszuräumen. Drahtbasierte Fertigungsverfahren zur Herstellung von Mg-Implantaten sind allerdings kaum untersucht. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden Ergebnisse zu relevanten mechanischen Eigenschaften von Mg-Implantaten und wie diese im Produktdesign eingestellt werden können präsentiert.

Die Ergebnisse der Studie zeigen signifikante Effekte der zentralen Produktparameter, insbesondere auf die Zielgrößen Radialkraft FRRF und Öffnungskraft FCOF. Im Hinblick auf die Öffnungskraft FCOF ergibt sich die Anzahl der Windungen nW aber auch die Anzahl der Kronen nK als entscheidende Faktoren mit größtem Optimierungspotential. Es stellte sich auch heraus, dass die Länge LS einen schwach negativen Einfluss auf die Öffnungskraft FCOF hat, was bei der Auslegung berücksichtigt werden sollte. Eine Bewertungsübersicht der zentralen Ergebnisse bezüglich der Effektstärken ist in Tabelle 4 dargestellt.

Die zyklischen Versuche zeigen, dass Mg-Draht basierte Stentimplantate eine geringe Ermüdungsneigung aufweisen und eine vollelastische Strukturstabilität der textilen Strukturen nach einmaliger Verformung im 1. Prüfzyklus gegeben ist. Bis zu nP = 200 Zyklen wurden kein Materialversagen oder anderweitige Unregelmäßigkeiten beobachtet. Auch wenn die Forschung noch am Anfang steht, zeigt diese, wie auch vorangegangene Veröffentlichungen [Mer23b; GJG22], das Magnesium als Implantatmaterial für drahtbasierte (Stent-)Implantate ein Werkstoff mit hohem Innovationspotenzial ist.

s. Anlage Abbildung 6:           Zentrale Ergebnisse der zyklischen Versuche (2/2)

 

Literaturverzeichnis

[Bol18]        Bolle, T.: MagCage - Textiles Magnesium-Implantat mit spezifischem mechanischem und geometrischem Eigenschaftsprofil für die Behandlung großer Knochendefekte in Röhrenknochen, 2018

[Bra18]       Brandt, Mathias: Was am häufigsten implantiert wird, 2018, https://de.statista.com/infografik/16204/operationen-zum-einsetzen-von-implantaten-in-deutschland/, Zugriff am 17.07.2023

[EBK+22]    Erben, J.; Blatonova, K.; Kalous, T.; Capek, L.; Behalek, L.; Boruvka, M.; Chvojka, J.:
The Injection Molding of Biodegradable Polydioxanone-A Study of the Dependence of the Structural and Mechanical Properties on Thermal Processing Conditions
Polymers Band:14 (2022)            H. 24

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Catheterization and cardiovascular interventions : official journal of the Society for Cardiac Angiography & Interventions Band:92 (2018) H. 7, E502-E511

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Magnesium-based implants: a mini-review
Magnesium research Band:27 (2014)      H. 4, S. 142–154

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Evaluierung automatisierter Verfahren zur Herstellung drahtbasiert geflochtener Stentimplantate.
1. AuflageAufl.- Düren: Shaker, 2023

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Magnesium Wire in Medical Application - A Glimpse Into Future (2023)

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Polydioxanone implants: A systematic review on safety and performance in patients
Journal of biomaterials applications Band:34 (2020)        H. 7, S. 902–916

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Current Status and Outlook of Temporary Implants (Magnesium/Zinc) in Cardiovascular Applications
Metals Band:12 (2022)     H. 6, S. 999

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Implant biomaterials: A comprehensive review
World journal of clinical cases Band:3 (2015)      H. 1, S. 52–57

[Syn19]       Syntellix AG: Bioresorbierbare Magnesiumschrauben (MgYREZr) in der orthopädischen Chirurgie, 2019, https://wehrmed.de/humanmedizin/bioresorbierbare-magnesiumschrauben-mgyrezr-in-der-orthopaedischen-chirurgie-3832.html, Zugriff am 18.07.2023

[WXH+20]        Wang, J.-L.; Xu, J.-K.; Hopkins, C.; Chow, D. H.-K.; Qin, L.:
Biodegradable Magnesium-Based Implants in Orthopedics-A General Review and Perspectives: Advanced science (Weinheim, Baden-Wurttemberg, Germany) Band:7 (2020) H. 8, S. 1902443

Authors: Merkord, Felix Newroly, Bendewar Gerber, Dennis Gries, Thomas

Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen, Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

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20.06.2023

Entwicklung von Heavy Tows aus recycelten Carbonfasern für kostengünstige duroplastische Composites mit hohem Leistungsvermögen (rCF-Heavy Tows)

Raw materials Fibres Yarns Composites Textile machinery Recycling Sustainability Circular economy Technical Textiles

Abstract

Im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens (21612 BR) wurde am ITM die gesamte Prozesskette zur industriellen Herstellung neuartiger drehungsfreier rCF-Heavy Tows entwickelt. Insbesondere wurde eine neuartige Technologie zur Herstellung von rCF-Heavy Tows auf Basis recycelter Carbon- (rCF, ≥ 90 Vol.-%) und Schmelzklebefasern (< 10 Vol.-%) konzipiert, konstruiert und erfolgreich umgesetzt. Diese umfasst die Faseraufbereitung, den Krempelprozess zur Krempelbandbildung, den Streckprozess zur Streckenbandbildung sowie die abschließende Fertigung der rCF-Heavy Tows aus rCF und Schmelzklebefasern in einem neuen entwickelten Versuchsstand. Der Nachweis der Eignung der entwickelten Technologie erfolgt mit der Umsetzung von rCF-Heavy Tows mit unterschiedlichen rCF Typen, Faserlängen und Faservolumengehalten und eines Demonstrators. Die entwickelten rCF-Heavy Tows mit Feinheiten zwischen 3000-7000 tex und deren Weiterverarbeitbarkeit zu textilen Halbzeugen wurden erfolgreich nachgewiesen. Die entwickelten rCF-Heavy Tows und darauf basierende Verbunde weisen eine maximale Verbundzugfestigkeit bzw ein maximales Zug-Modul von 1158±72 MPa bzw. 80±5,7 GPa auf. Die rCF Heavy Tows sind somit für kostengünstige duroplastische Composites mit hohem Leistungsvermögen und komplexer Geometrie einsetzbar. Damit bieten die entwickelten rCF-Heavy Tows ein sehr hohes Innovations- und Marktpotential in den Bereichen Werkstoffe und Materialien, Leichtbau, Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung sowie Ressourceneffizienz. Damit eröffnet sich die Gelegenheit für KMU der Textilindustrie neue Produkte und Technologien für den Faserverbundwerkstoffmarkt und sich als Lieferant für die Automobil-, Maschinenbau- sowie Luftfahrt-, Medizin- und Sportgeräteindustrie zu etablieren.

Report

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung

Carbonfaserverstärkte Verbundwerkstoffe (CFK) werden aufgrund ihrer hohen Steifigkeit und Festigkeit sowie der geringen Dichte zunehmend in Leichtbauanwendungen eingesetzt, insbesondere in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Transport, Windenergie, Sport oder Bau. Der globale CFK Bedarf wird sich Prognosen zufolge bis 2024 auf 197.000 t/a erhöhen und damit im Vergleich zu 2011 fast verdreifachen. Das zeigt den dringenden Bedarf an Lösungen zur Wiederverwertung der hochwertigen CF (rCF) im Sinne der Circular Economy. Das ist nicht nur aufgrund strenger rechtlicher Bestimmungen, sondern auch aus ökologischen sowie ökonomischen Gründen eine Notwendigkeit. Zahlreiche Forschungsinstitute und Unternehmen entwickelten in den letzten Jahren Lösungen zur Wiederverwendung von rCF in den Bereichen Vliesstoffe, Spritzgießen oder als Hybridgarne. Diese Arbeiten umfassen allerdings mehrheitlich den Einsatz von rCF in Kombination mit thermoplastischen Fasern für thermoplastische Composites. Für den Bereich rCF basierter duroplastischer CFK wurden bisher vorwiegend rCF-Vliesstoffe aus 100% rCF entwickelt. Da die Fasern in den Vliesstoffen prinzipbedingt nur eine begrenzte Länge und eine geringe Orientierung aufweisen und zusätzlich prozessbedingt hohen Faserschädigung auftreten, sind damit bisher nur max. 30% der Verbundkennwerte von CFK-Bauteilen aus Carbonfilamentgarnen erreichbar.

Aktuell sind die im Bereich hochbelastbarer CFK verwendeten Matrixsysteme überwiegend duroplastisch. Derartige Bauteile weisen eine hohe Formstabilität und hohe Steifigkeiten sowie Festigkeiten auf und eignen sich aufgrund niedrigviskoser Matrixsysteme zur Umsetzung komplexer Bauteilgeometrien. Jedoch werden aufgrund der bisher für diese Bauteile nur ungenügend in rCF abbildbaren, notwendigen Eigenschaften vorrangig Primärcarbonfilamentgarne eingesetzt. Neben einer geringen Nachhaltigkeit verursacht das auch um mind. 200 % höhere Kosten. Die Herstellung primäres Carbonfilamentgarnes erfordert einen hohen Energiebedarf von ca. 230 MJ/kg mit einem CO2-Emissionsäquivalent von 20 kg CO2/kg CF. Hier ist eine deutliche Verbesserung der CO2-Bilanz notwendig, um einen wesentlichen Beitrag zu den anvisierten Klimaschutzzielen der BRD bzw. der EU leisten zu können. Aus diesem Grund ist der Fokus der Projektarbeit die Entwicklung neuartiger, nachhaltiger rCF-Heavy Tows aus recycelten Carbonfasern (rCF) und dazugehöriger Fertigungstechnologien zur Umsetzung kostengünstiger duroplastischer Composites mit hohem Leistungsvermögen.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21612 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel.

Authors: Mahmud Hossain, Anwar Abdkader und Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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18.10.2022

Entwicklung von Textilstrukturen mit materialintrinsischem Formänderungsvermögen für die regenerative Medizin (TexMedActor)

Yarns Fabrics Sustainability Technical Textiles Medicine

Abstract

Im IGF-Projekt 21022 BR/1 „TexMedActor“ wurden Gewebe auf Basis von Formgedächtnis- bzw. Elektroaktiven-Garnen entwickelt, die in der Lage sind, einerseits Defekte an Hohlorganen zu umschließen und andererseits durch Mikrobewegungen Zellen stimulieren zu können. Dafür wurden Einflüsse von Spinnverfahren und Materialzusammensetzung auf das Formgedächtnisverhalten TPU-basierter Garne charakterisiert und insbesondere die Aktivierungstemperatur auf Werte der Körperkern- und Körperoberflächentemperatur eingestellt. Weiterhin wurde piezoelektrische PVDF-Garne entwickelt, deren Anteil polarer Kristallphasen durch die Spinnparameter und Nachbehandlung deutlich erhöht war, wodurch auch das piezoelektrische Verhalten des Materials gesteigert werden konnte. Damit konnten dynamische Veränderungen der Porengröße in situ nachgewiesen werden, die eine stimulierende Wirkung auf Zellen entfalten können. Die Ergebnisse bieten mit einem neuen Verfahren und einer neuen Produktgruppe (Textilien mit intrinsischem, aktivem Formänderungsvermögen) nicht nur bei Medizinprodukten ein hohes Innovationspotenzial, sondern auch bei einer Vielzahl von lukrativen Anwendungen in einer Vielzahl von Nischen, z. B. Sporttextilien und Filtertextilien. Diese können weiterhin als Basis zur Entwicklung von extrakorporalen Medizinprodukten wie Kompressionstextilien, Bandagen und Orthesen genutzt werden.

Report

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung

In Deutschland führt sowohl der demografische Wandel der Gesellschaft als auch Verletzungen infolge von Traumata zu einem hohen Anteil von Personen mit behandlungsbedürftigen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder Verletzungen an Gefäßen und inneren Organen. Zur Behandlung von Verletzungen an inneren Organen, Gefäßen oder Nerven sind meist komplexe Eingriffe (Anastomosen) erforderlich, bei denen aufwändige Fixierungen und Nahtführungen erforderlich sind. Diese komplizierten und aufwändigen Prozeduren sind häufig mit langen Eingriffszeiten verbunden, die wiederum direkt mit erhöhten Komplikationsraten korrelieren [1‑3]. Zur Überbrückung solcher Defekte werden zunehmend tubuläre Kunststoffimplantate entwickelt, die jedoch kein Einwachsen von Gewebezellen ermöglichen und damit dem Konzept der regenerativen Medizin entgegenstehen, das die Wiederherstellung von Körpergeweben und ‑zellen anstrebt. Darüber hinaus kommt es bei der Auffüllung der Defekte häufig zu Störungen der Regeneration durch die nicht an die Biomechanik angepassten strukturmechanischen Eigenschaften. Ferner verhindern die fehlende Interkonnektivität der Porenräume der Ersatzstrukturen das Einwachsen von Zellen, das Zellwachstum, die Nährstoffversorgung und den Abtransport der Stoffwechselprodukte.

Im Rahmen des in vitro Tissue Engineerings werden neben statischen Zellkultursystemen auch dynami­sche Systeme entwickelt. Diese basieren beispielsweise auf kontinuierlichen oder pulsierenden Flüssigkeitsströmungen oder auf einer zyklischen Dehnung des eingespannten Zellträgersystems bzw. der Unterlage [4]. Eine Nachbildung der natürlichen mechanischen Wachstumsstimuli ist mit solchen Bio­reaktorsystemen jedoch nicht möglich, da sich insbesondere in größeren Strukturen eine lokal erhöhte Strömungsgeschwindigkeit entlang der größten Durchgangsporen bzw. lediglich eine Überströmung des gesamten Zellträgersystems einstellt und in mechanisch stimulierten Systemen unerwünschte Spannungsspitzen und undefinierte Verzerrungen im Bereich der Klemmen und Auflagen auftreten.

Da der native Aufbau der vier wichtigsten Gewebetypen (Binde- und Stützgewebe, Nerven-, Muskel- und Epithelgewebe) aus denen Organe, wie Knochen, Blutgefäße, Muskeln, Sehnen und Bänder, gebildet sind, aus faserartigen Konstrukten besteht, lassen sich diese mit textilen Strukturen besonders gut biomimetisch nachbilden. Mithilfe vorbedachter Faseranordnungen können dreidimensionale, kom­plexe Geometrien mit interkonnektierenden Porenräumen aufgebaut werden, an der sich Zellen in ihrer Wachstumsrichtung orientieren können [5]. Deshalb sind faserbasierte High‑Tech Strukturen zur Überwindung der Limitationen aktuell verfügbarer Implantate besonders prädestiniert.

Daher wurden im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens TexMedActor (21022 BR/1) neuartige Textilstrukturen mit materialintrinsischem Formänderungsvermögen für die regenerative Medizin mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Anwendungsfeldern, insbesondere der Anastomose, entwickelt. Das verfolgte Konzept sieht hierbei die textiltechnologische Realisierung von Strukturen mit einem Formgedächtniseffekt vor. Die Textilien sollen gezielt vorbestimmte Geometrien annehmen können, um sich an Defekte interaktiv anzupassen und um komplexe Eingriffe zum Überbrücken bzw. zum Stützen von Defekten an inneren Organen wie Gefäßen und Nerven zu vereinfachen. Ein weiterer Wirkmechanismus soll darüber hinaus die elektromechanische Stimulation mit dem Ziel der aktiven, gezielten Anregung des Zellwachstums ermöglichen. Somit soll die Regeneration beschleunigt bzw. überhaupt erst ermöglicht werden, da die erforderlichen Stimuli zur gewebe- und zellangepassten Wachstumsanregung insbesondere bei schwach bzw. nicht durchbluteten Körpergeweben, wie Knorpeln, Sehnen, Bändern, oder bei Wundheilungsstörungen oder chronischen Wunden fehlen. Es sollen weiterhin neuartige Bioreaktoren mittels intrinsischen Eigenschaften der textilen Strukturen entwickelt werden, die den Wirkmechanismus zur elektromechanischen Stimulation nutzen, um selbst in hochkomplexen und großskaligen Zellträgerstrukturen die Zellen an jeder Stelle gleichmäßig zu stimulieren. Die mechanischen Reize gehen hierbei vom Material selbst aus. Diese materialintrinsische Stimulation stellt eine neue Methode für die optimale Zellkultivierung dar, sodass die Zellen auf den textilen Zellträgerstrukturen unter Verzicht auf extern angelegte Flüssigkeitsströmungen oder mechanische Verformungen stimuliert werden können. Damit sollen zwei anerkannte medizintechnische Probleme behoben werden: 1) Komplizierte, aufwändige und mit minimalinvasiven Verfahren schwer oder nicht zu realisierende Operationen an innenliegenden Organen, Gefäßen oder Nerven sowie 2) fehlende gewebe- und zellangepassten Stimuli zur Anregung des Wachstums seitens der bisher verwendeten Ersatzstrukturen und ‑materialien sowie derzeit verfügbarer dynamischer Zellkultursysteme.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21022 BR/1 der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Darüber hinaus möchten wir den Mitgliedern des Projektbegleitenden Ausschusses für ihre Unterstützung während der Projektbearbeitung danken.

Authors: Benecke, Lukas; Aibibu, Dilbar; Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

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29.09.2022

Patientenindividuelle Textilimplantate: Gewirkte Maschenwaren in Losgröße 1-Fertigung

Knittings Technical Textiles

Abstract

Die patientenorientierte Gesundheitsversorgung macht die Individualisierung der Medizin unabdingbar. Dies erfordert Fortschritte in der Patientenindividualisierung, insbesondere durch die Medizintechnik, um den gewünschten Therapieerfolg zu erzielen. Dem steht aus technischer und wirtschaftlicher Sicht die Forderung nach einer wirtschaftlichen und reproduzierbaren Herstellung von Produkten mit der Losgröße 1 gegenüber, die mit innovativen textilen Herstellungsverfahren erfüllt werden kann. Es fehlt jedoch an einem grundlegenden Verständnis von Produktdesign, Endprodukteigenschaften und zwischengeschalteten Herstellungsprozessen sowie an geeigneten Werkzeugen für die Umsetzung dieser patientenindividuellen Ansätze.

Ziel des Projekts ist es, einen Herstellungsprozess für patientenindividuelle Textilimplantate zu implementieren, um Patienten eine optimal auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Therapie zu ermöglichen. Als Anwendungsbeispiel dienen Implantate zur Behandlung von Aortenaneurysmen, da dies ein sowohl klinisch als auch wirtschaftlich äußerst relevantes Einsatzgebiet für patientenindividuelle Implantatstrukturen ist.

Um das Projektziel zu erreichen, wurden Ansätze zur geometrischen und strukturellen Patientenindividualisierung von textilen Implantatstrukturen untersucht. Über eine durchgängige digitale Prozesskette wurde ein datenbankgestütztes virtuelles Modell zur Produktgestaltung entwickelt. Die Wechselwirkungen zwischen dem virtuellen Produktdesign, den Prozessparametern des Fertigungsprozesses und den resultierenden Implantateigenschaften wurden sowohl inline als auch offline ermittelt. Für die Inline-Erfassung der Prozessparameter wurden geeignete Werkzeuge entwickelt und implementiert. Diese erfassten Daten werden in die virtuelle Modelldatenbank zurückgespielt und verbessern so kontinuierlich die Genauigkeit und Robustheit der patientenindividuellen Konstruktion und Fertigung von Implantatstrukturen. Auf diese Weise kann eine wirtschaftliche und reproduzierbare Produktion von textilen Implantaten mit einer Losgröße von 1 realisiert werden, die eine optimal auf den Patienten zugeschnittene Therapie ermöglicht.

Report

Einleitung
Der demografische Wandel und ein zunehmend ungesunder Lebensstil in der westlichen Welt führen zu einer stetig steigenden Zahl von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und stellen die moderne Medizin vor große Herausforderungen. Mit der zunehmenden Zahl von Behandlungen steigt auch die Zahl der Patienten, die aufgrund ihrer individuellen Anatomie oder Physiologie für eine Behandlung mit Standardprodukten nicht geeignet sind. Dies betrifft etwa 40% aller Patienten der jährlich in Deutschland durchgeführten rund 21.000 endovaskulären Behandlungen von Aortenaneurysmen. Eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung macht daher eine Individualisierung der Medizin notwendig [2]. Dies erfordert auch ein Fortschreiten der Patientenindividualisierung durch die Medizintechnik, um den gewünschten Therapieerfolg zu erzielen. Diese individualisierten Implantate sollten exakt auf die spezifische Anatomie des Patienten zugeschnitten sein und auf Basis eines medizinischen Bilddatensatzes in Losgröße 1 hergestellt werden. Auf diese Weise wird eine Versorgung der lebenswichtigen Abgänge der Aorta gewährleistet. Aus technischer und wirtschaftlicher Sicht steht der Individualisierung die Bedingung einer wirtschaftlichen und reproduzierbaren Herstellung von Produkten mit Losgröße 1 gegenüber. Diese Anforderungen können mit innovativen textilen Fertigungsverfahren erfüllt werden. Die Kettenwirktechnik im Allgemeinen und die Jacquard-Wirktechnik im Besonderen erfüllen die notwendigen Anforderungen, sind aber in hohem Maße bedienerabhängig. Das enorme Potenzial der Jacquard-Wirktechnologie für die Herstellung von textilen Implantaten wird derzeit nicht genutzt, da keine Erfahrungen über die Zusammenhänge des Wirkprozesses vorliegen und keine Konstruktionswerkzeuge existieren, die diese Zusammenhänge adäquat beschreiben. Die am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen (ITA) im Projekt "IndiTexPlant" erzielten Ergebnisse bieten erstmals die Möglichkeit, das virtuelle Produktdesign in Kombination mit der Jacquard-Stricktechnologie in eine digitale Produktentwicklung vom medizinischen Bilddatensatz über das Topologiemodell der rekonstruierten Produktgeometrie bis hin zur Ableitung der Musterung für das textile Produkt zu übertragen (siehe Abbildung 1).

Authors: Tobias Lauwigi Author, Kai-Chieh Kuo Co-Author

ITA Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Strasse 1, 52074 Aachen, Deutschland

Medtech Textilimplantat Medizin

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