Forschungspublikationen

6 Ergebnisse
25.05.2023

Schutz von Wäldern gegen den Borkenkäfer mittels funktionalisierter Textilien

Fasern Nachhaltigkeit Technische Textilien

Zusammenfassung

Im dem vom BMWK geförderten Projekt „HolzSchutzTex“ haben die Partner „FBW GmbH“ mit Sitz in Niederzier, „Reimann Spinnerei und Weberei GmbH“ mit Sitz in Emsdetten sowie das Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University gemeinsam an der Entwicklung eines funktionalisierten Gewebes zum Schutz von Wäldern und Holz vor Borkenkäfern gearbeitet. Derzeit werden dazu Insektizide eingesetzt, welche auch andere Nutzinsekten töten und schädigend auf Wasserorganismen wirken können. Da Nutzinsekten wichtig für das Ökosystem sind, wird zunehmend an einer kontrollierten Schädlingsbekämpfung gearbeitet. Auch der Holzschutz soll auf aversive als auf tödliche Methoden zurückgehen, um eine umweltfreundlichere Lagerung des Holzes ohne Qualitätsverlust zu gewährleisten.

Ziel des Projekts ist die Entwicklung eines Polymercompounds basierend auf einem für Schadinsekten abstoßenden Geruchsstoff. Als Geruchsstoff wird unter anderem Neemöl verwendet. Anschließend werden aus dem Compound Monofilamente hergestellt und zu einem textilen Netz verarbeitet, dessen Wirksamkeit in Praxisversuchen untersucht wird.

Bericht

Einleitung


Der Wald spielt in vielen Funktionen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Klimakrise. Ein gesunder und resilienter Wald ist somit von höchster Wichtigkeit für die Zukunft. Starke Dürren zwischen 2018 und 2020 haben den Wald unter enormen Stress gestellt. Wassermangel und Hitzehaben die Bäume geschwächt und anfällig für Schädlinge wie den Borkenkäfer gemacht. Vor allem der Kronenzustand von Fichtenwäldern ist dabei stark betroffen. Der Borkenkäfer ist aktuell der größte Schädling in deutschen Wäldern. Er befällt hauptsächlich Fichten, welche mit 25 % die weitverbreitetste Baumart in Deutschland ist [Joh19a]. Borkenkäfer sind in der Lage großflächig geschwächte, aber auch gesunde Bäume absterben zu lassen und stellen somit ein großes Problem für den Wald dar [Nor15].


Bisherige Methoden zum Schutz der Bäume zielen darauf ab, die Borkenkäferdichte in einer Region allgemein zu senken. Übliche passive Vorgehensweisen sind, dem Käfer das Brutmaterial zu entziehen oder befallenes Holz schnellstmöglich zu entfernen. Mit Fallen können Käfer auch gezielt zu eliminiert werden, wobei Insektizide zum Einsatz kommen. Der Einsatz von chemischen Mitteln im Wald ist immer mit Vorsicht zu behandeln und sollte nur als Ultima Ratio eingesetzt werden, da er ungeplant auf andere, nützliche Tierarten Einfluss haben kann [HS12].


Im Rahmen  des  Projekts „HolzSchutzTex“  wird  ein  Gewebe  aus funktionalisierten Monofilamenten untersucht. In der Praxis soll es auf geschlagenes Holz gelegt werden und dieses vor Borkenkäfern schützen. Dies verhindert einerseits einen wirtschaftlichen Schaden. Dieser entsteht, wenn Borkenkäfer Holzpolter angreifen und somit wirtschaftlich nutzbares Holz unbrauchbar machen. Andererseits kann dem Borkenkäfer so Brutmaterial entzogen werden, wodurch es die Käfer insgesamt schwerer haben, sich auszubreiten. Die mechanische Barriere durch das Gewebe und für Käfer abstoßende Geruchsstoffe sollen die gewünschte Wirkung erbringen, ohne andere Käferarten zu gefährden.

Materialien

Die Monofilamente für das Projekt „HolzSchutzTex“ werden aus einem Polymer-Geruchsstoff-Compound hergestellt. Das verwendete Polymer, Lumicene Supertough 40ST05, ist ein metallocen-katalysiertes Ethylencopolymer. Lumicene Supertough ist der Handelsname eines speziellen Kunststoffes aus der Kunststoff Gruppe der Polyethylene der Firma TOTAL RESEARCH & TECHNOLOGY FELUY, in Belgien [TOT19]. Neemöl und „Termite Repellent Film“ (TRF) wurden als Geruchsstoffe verwendet.

TRF erhält seinen termitenabweisenden Effekt durch seine Inhaltsstoffe Lavendelöl, Pfefferminzöl und Citronellal.  Diese sind Biozid-Stoffe und jeweils mit einer Konzentration von weniger als 0,5 m% im Masterbatch gelöst. TRF ist farblos und riecht durch den Zusatzstoff Citronellal leicht nach Zitrone [FBW21].Bei Neemöl handelt es sich um ein Extrakt aus Samen und Rinde des Neem-Baumes. Es ist ein durchsichtiges, bei Raumtemperatur zähflüssiges Öl [COP+16]. In Neemöl sind mindestens 100 biologisch aktive Stoffe vorhanden, von denen Azadirachtin der Wichtigste ist. Seine repellente Wirkung gegen Kupferstecher wurde bereits 1990 erforscht [WS90]. Die Schmelztemperaturen liegen bei 120°C und 160°C, wodurch sich beide Stoffe in herkömmlichen Extrudern mit dem Polymer gemischt und zu einem Film oder Filament ausgearbeitet werden können. Die Geruchsstoffe und das Polymer werden durch die Firma FBW GmbH zu einem Compounds mit jeweils 2 m% und 5 M% verarbeitet.

Herstellungsmethodik

Es werden jeweils Gewebe mit 25 und 30 Schuss/10 cm für die Compounds TRF-5 M%-2022, Neemöl-5 M%-2022 und aus reinem Lumicene Supertough 40ST05 hergestellt. Die mit dem Geruchsstoff versetzten Monofilamente werden in den Geweben nur als Schussfaden eingetragen. Die Kettfäden werden wegen des hohen Umrüstaufwands und den damit verbundenen Kosten als Standardfilament ausgeführt. Die Kettfäden sind im Gewebe schwarz und grün eingefärbt.

Käferversuche

Die Wirksamkeit der Gewebe gegen Borkenkäfer wurde an Versuchen im Wald erprobt. Dafür wurden Fallen mit den verschiedenen Geweben bestückt und die gefangenen Käfer ermittelt. Bei den Fallen handelt es sich um Schlitzfallen der Firma WITASEK aus Feldkirchen in Kärnten und der Firma THEYSON aus Salzgitter. Diese sind circa 50 cm x 60 cm große schwarze Boxen mit Schlitzen an Vorder- und Rückseite und Auffangbehälter im Inneren (Abbildung 1).

Bei Schlitzfallen handelt es sich um Prallfallen: Die Käfer werden durch das Pheromon TYPOSAN P306 angelockt, fliegen gegen die Falle, prallen davon ab und fallen durch die nach oben geöffneten Schlitze durch einen Trichter in den Auffangbehälter. Es wurden 14 Fallen auf einer ca. 45.000 m² abgeholzten Fläche aufgestellt. Um den Einfluss der Geruchsadditive zwischen Fallen zu minimieren haben sie einen Abstand von mindestens 40 m. Der Mindestabstand zu umgebenden Bäumen beträgt 20 m.

Abbildung 1: Bild einer Schlitzfalle (s. PDF)

Die Anordnung der Fallen ist in Abbildung 2 zu sehen. Die Fallen werden so aufgestellt, dass sie die gleiche Orientierung aufweisen und in Hauptwindrichtung ausgerichtet sind.

Abbildung 2: Anordnung der Schlitzfallen auf der Fläche (s. PDF)

Dadurch kann eine möglichst ähnliche Geruchsausbreitung sichergestellt werden. Gewebe mit und ohne die verschiedenen Additive wurden von außen und innen an Fallen angebracht. Zusätzlich wurde eine Referenzfalle ohne Gewebe getestet. So gab es 8 verschiedene Ausstattungen. Alle 3 Tage wurden die Fallen geleert und die Standorte rotiert, um den Einfluss des Standortes zu minimieren. Bei jeder Leerung wird die Anzahl der gefangenen Käfer erfasst. Die Versuche werden über drei Wochen vom 02.08.2022 bis zum 23.08.2022 durchgeführt.

Ergebnisse und Diskussion


Vor Auswertung der Ergebnisse ist es sinnvoll mögliche Ergebnisse zu betrachten. Bei einer nachweisbaren Wirkung des Geruchstoffes ist zu erwarten, dass in der Referenzfalle (Falle 14) am meisten Käfer gefangen werden. Diese besitzt weder eine geruchliche noch eine mechanische Schutzwirkung, sodass Käfer ungehindert in die Falle fliegen können. Die Fallen 1 bis 4 sind mit einem geruchsstofffreien Gewebe ausgestattet. Es ist zu erwarten, dass durch die mechanische Barrierewirkung weniger Käfer als in Falle 14 gefangen werden. Am wenigsten Käfer sollten in den Fallen gefangen werden, die mit den geruchsstoffversetzten Geweben ausgerüstet sind (Fallen 5 bis 12). Hier lässt sich keine Vorhersage treffen, ob der Geruchsstoff TRF oder Neemöl eine stärkere repellente Wirkung aufweist. Die aufsummierten Anzahlen der gefangenen Käfer pro Falle sind in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung 3: Kumulierte Käferanzahl pro Falle über den gesamten Zeitraum (s. PDF)

Insgesamt werden 2014 Käfer gefangen. In den Daten ist kein Zusammenhang zwischen gefangenen Käfern und Art des Gewebes zu erkennen. In Falle 5 werden am meisten Käfer gefangen. Diese Falle ist mit dem Gewebe TRF- 5 M%-2022 bestückt. Die Falle 12 hat 204 Käfer gefangen. Das Gewebe dieser Falle ist mit Neemöl-5 M%-2022 versetzt. Bei den Fallen mit Geruchsstoff ist allerdings ein umgekehrter Zusammenhang zu erwarten. Beiden Geruchsstoffen ist damit keine direkte repellente Wirkung zuzuordnen.

In Abbildung 4 ist die kumulierte Käferanzahl der Gewebearten ohne Additiv, TRF-Geruchsstoff und Neemöl dargestellt. Für diesen Vergleichswert werden die gesamten Fallenfangzahlen der Gewebearten aufsummiert. Es ist zu erkennen, dass alle Gewebearten nahezu gleich viele Käfer gefangen haben. Wird die Anzahl der gefangenen Käfer der jeweiligen Gewebearten auf die Gesamtkäferanzahl bezogen, so ergibt sich für jede Gewebeart ein Anteil von 29 %. Eigentlich zu erwarten ist, dass die Gewebe ohne Additiv deutlich mehr Käfer fangen.

Abbildung 4: Kumulierte Käferanzahl nach Gewebeart (s. PDF)

Dass bei den Versuchen keine Wirksamkeit der Geruchsstoffe festgestellt wird, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Geruchsstoffe keine repellente Wirkung gegen Borkenkäfer aufweisen. Ebenso ist es möglich, dass die Geruchsadditive im Gewebe zu schwach sind. Genauso ist es möglich, dass das verwendete Pheromon in der Falle zu stark war und die Geruchsstoffe aus den Geweben überlagert hat. In diesem Fall wären alle Fallen gleich attraktiv für die Borkenkäfer. Bei Betrachtung der unterschiedlichen Anbringungsarten des Gewebes lässt sich feststellen, dass Fallen mit außen installiertem Gewebe weniger Käfer fangen als Fallen, bei denen das Gewebe innen angebracht wurde. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 5 zu sehen.


Zusammenfassung und Ausblick

Im Rahmen des Projekts „HolzSchutzTex“ wurden Monofilamente mit Geruchsadditiv zur Vergrämung von Borkenkäfern zu Geweben hergestellt. Diese sollen bereits geschlagenes Holz vor einem Borkenkäferbefall schützen. Zur Wirksamkeitsanalyse der fertigen Gewebe werden diese im Rahmen einer Versuchsreihe mit Borkenkäferschlitzfallen untersucht. Diese Versuchsreihe wird auf einer Lichtung neben einem Fichtenwald durchgeführt. Dabei werden die Fallen mit unterschiedlichen Geweben verschiedener Additive und Eigenschaften bestückt.

Um sicherzustellen, dass die Messwerte nicht durch die verschiedenen Standorte der Fallen beeinflusst werden, werden diese in gleichen Intervallen rotiert. In den Versuchen werden insgesamt 2014 Borken-käfern gefangen, wobei sich jeweils 29 % in Fallen mit 5 % TRF, 5 % Neemöl und ohne Additiv befinden. Die Wirksamkeit der Duftstoffe hinsichtlich der vergrämenden Wirkung konnte nicht abschließend bewertet werden, allerdings kann eine Barrierewirkung des Funktionsgewebes nachgewiesen werden.

Abbildung 5: Mittelwerte der Käferfangzahlen nach Anbringungsart des Gewebes (s. PDF)

 

Quellen
[Bun22] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Ergebnisse der Waldzustandserhebung 2021: März 2022
[FBW21] FBW GmbH: Material Safety Data Sheet – Regulation 1907/2006/EC: 2021, Ausgestellt im Juli 2022
[HS12] Hurling, R.; Stetter, J.: Untersuchungen zur Fangleistung von Schlitzfallen und Fangholzhaufen bei der lokalen Dichteabsenkung von Buchdrucker (Ips typographus)-Populationen, Gesunde Pflanzen Band:64 (2012), H. 2, S. 89–99
[Joh19a] Johann Heinrich von Thünen-Institut: Wald in Deutschland - Wald in Zahlen: 2019
[Nor15] Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt: Integrierte Bekämpfung rindenbrütender Borkenkäfer (2015), https://www.nw-fva.de/fileadmin/nwfva/common/veroeffentlichen/waldschutzpraxis/Waldschutz_PraxisInfo_01_Borkenkaefer_2015-04.pdf, Zugriff am 04.05.2023
[TOT19] TOTAL RESEARCH & TECHNOLOGY FELUY: Lumicene® Supertough 40ST05, https://polymers.totalenergies.com/supertough-40st05, Zugriff am 05.05.2023
185190195200205210215220225230InnenAußenKäferanzahlAnbringungMittelwert

AutorInnen: Schüll, Elena Pursche, Franz Gries, Thomas

Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Straße 1, 52074 Aachen, Germany

Agrotech Oekotech Geotech

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15.05.2023

Google Lens in der Altkleidersortierung

Recycling Nachhaltigkeit Kreislaufwirtschaft Haus- und Heimtextilien Fashion

Zusammenfassung

Die Textilindustrie steht vor enormen ökologischen Herausforderungen, die auf ein lineares Wertschöpfungsmodell zurückzuführen sind. Gegenwärtig fallen 7 bis 7,5 Millionen Tonnen textiler Reststoffe in der EU-27 und der Schweiz jährlich an - dies entspricht mehr als 15 Kilogramm pro Person. Die größte Quelle dafür sind entsorgte Kleidungsstücke und Heimtextilien von Verbrauchern - sie machen etwa 85 Prozent der gesamten textilen Reststoffe aus. Diese großen Mengen an textilen Reststoffen müssen sortiert und verarbeitet werden.

Google Lens ist eine Bilderkennungssoftware von Google, die auf maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz basiert. Mit Hilfe der Kamera eines Smartphones kann Google Lens Bilder von Objekten, Texten oder Landschaften erfassen, diese erkennen und interpretieren. Die Technologie ist in der Lage, eine Vielzahl von Objekten und Materialien zu identifizieren und auf entsprechende Webseiten zu verweisen.

In einer Versuchsreihe am Institut für Textiltechnik wurde der Einsatz von Google Lens in der Altkleidersortierung getestet. Dabei stand die Auswertung der Genauigkeit von Google Lens zur Erkennung von verschiedenen Merkmalen im Vordergrund. Insgesamt zeigen die Ausführungen in diesem Artikel, dass Google Lens noch keine adäquate Lösung für die automatisierte Auswertung in der Altkleidersortierung darstellt. Die Ausführungen zeigen allerdings auch Potentiale für die Weiterentwicklung der Technologie auf. Auch eine Kombination mit weiterer Sensorik (z. B. NIR) oder eigens entwickelten Algorithmen zur Bildauswertung ist vielversprechend.

Bericht

Abstract:

Die Textilindustrie steht vor enormen ökologischen Herausforderungen, die auf ein lineares Wertschöpfungsmodell zurückzuführen sind. Dieses kennzeichnet sich durch kurze Nutzungsdauern, eine geringe Wiederverwendungsquote und geringes Faser-zu-Faser Recycling der Textilien. So wird ein großer Teil der nicht wiederverwendbaren textilen Reststoffe deponiert oder energetisch verwertet. Die Alttextilien werden von Sortierbetrieben entweder für das Recycling oder für den Weiterverkauf vorbereitet. Hier benötigt es neue Technologien zur Merkmalserkennung von Textilien, um die manuellen Prozessschritte zu ersetzen und zu verbessern. Herausforderungen der bisher händischen Sortierung sind der Arbeitskräftemangel und die unzureichende Objektivität und Qualität der Sortierung. In diesem Artikel werden neue Lösungen zur Automatisierung der Merkmalserkennung ausgewertet.

Herausforderungen in der Altkleidersortierung

Gegenwärtig fallen 7 bis 7,5 Millionen Tonnen textiler Reststoffe in der EU-27 und der Schweiz jährlich an - dies entspricht mehr als 15 Kilogramm pro Person [HJL+22]. Die größte Quelle dafür sind entsorgte Kleidungsstücke und Heimtextilien von Verbrauchern - sie machen etwa 85 Prozent der gesamten textilen Reststoffe aus. Diese großen Mengen an textilen Reststoffen müssen sortiert und verarbeitet werden. Aktuell wird die von Verbrauchern aussortierte Kleidung in Altkleidercontainern entsorgt. Von dort aus werden sie in Sortierbetriebe transportiert, in denen jedes Kleidungsstück inspiziert und händisch in verschiedene Kategorien sortiert wird. Es wird beispielsweise zwischen Qualität oder Art des Materials unterschieden. Diese Schritte gilt es zu automatisieren, um die Anzahl der Fehlsortierungen zu reduzieren und die Limitationen der manuellen Sortierung zu überwinden. Die manuelle Sortierung von Altkleidern ist durch den Arbeitskräftemangel und die unzureichende Qualität stark limitiert. Es gibt erste Ansätze, um die Herausforderungen zur Merkmalserkennung der Textilien zu lösen. Durch Nahinfrarotspektroskopie kann beispielsweise das Material des Textils erkannt und identifiziert werden. Allerdings können mit der Technologie weitere wichtige Merkmale wie die Art des Kleidungsstücks, die Marke und der Zustand nicht analysiert werden. Für die Auswertung dieser Merkmale können allerdings Bildverarbeitungssysteme verwendet werden. Einen Ansatz für die Auswertung von Bildmerkmalen bietet die Software Google Lens.

Die Funktion von Google Lens

Google Lens ist eine Bilderkennungssoftware von Google, die auf maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz basiert. Mit Hilfe der Kamera eines Smartphones kann Google Lens Bilder von Objekten, Texten oder Landschaften erfassen, diese erkennen und interpretieren. Die Technologie ist in der Lage, eine Vielzahl von Objekten und Materialien zu identifizieren und auf entsprechende Webseiten zu verweisen. Die Suchergebnisse werden nach Relevanz und Ähnlichkeit mit dem Objekt auf dem Foto klassifiziert. [Taf21] Darüber hinaus kann Google Lens auch QR-Codes scannen und automatisch Webseiten öffnen, Adressen suchen und Termine in den Kalender eintragen. Die Software ist auch in der Lage, Texte in anderen Sprachen zu erkennen und zu übersetzen, was besonders nützlich für Reisende ist. Insgesamt bietet Google Lens eine schnelle und effektive Möglichkeit, visuelle Informationen zu interpretieren und zu nutzen, um den Benutzern eine bessere Erfahrung zu bieten. Diese Eigenschaften machen einen Einsatz von Google Lens in der Altkleidersortierung interessant. Die Software ist bereits mit einer großen Menge von Daten trainiert und ermöglicht einen gezielten Zugriff auf sämtliche im Internet vorhandene Informationen zu einem Kleidungsstück.

Google Lens für die Sortierung von Altkleidern

In einer Versuchsreihe am Institut für Textiltechnik wurde der Einsatz von Google Lens in der Altkleidersortierung getestet. Dabei stand die Auswertung der Genauigkeit von Google Lens zur Erkennung von verschiedenen Merkmalen im Vordergrund. In dem Versuch wurde die Informationsgewinnung durch den Einsatz von Google Lens in den folgenden sechs Merkmalen geprüft:

  • Typ des Textils bzw. Art der Bekleidung
  • Farbe
  • Material
  • Marke
  • Preisklasse
  • Geschlecht

Die Versuchsdurchführung ist in die folgenden drei Schritte aufgeteilt: Aufnahme von Bildern, Auswertung der Bilder mit Google Lens und Auswertung der fünf relevantesten Suchergebnisse hinsichtlich der sechs Merkmale. Die Aufnahme der Bilder erfolgt in einem statischen Versuchsaufbau. Die Textilien werden auf einem ebenen Untergrund ausgebreitet und von oben unter Beleuchtung fotografiert (siehe Abbildung 1). Für die Auswertung des Versuches werden die sechs Merkmale in definierte Ausprägungen eingeteilt (z. B. werden sechs Preisklassen definiert). Die Auswertung erfolgt anhand der ersten fünf von Google vorgeschlagenen Ergebnisse. Für die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erfolgt eine Einteilung in ein Punktesystem: pro Textil wird je ein Punkt pro Merkmal und Treffer vergeben, wenn dieses Merkmal richtig erkannt wird, sodass pro Textil und Treffer maximal 6 Punkte zu vergeben sind. Ein Merkmal gilt als richtig erkannt, wenn die Information eindeutig aus dem Text auf der weitergeleiteten Webseite hervorgeht. Insgesamt werden 90 Textilien ausgewertet. Die Trefferquote wird als Quotient aus der erreichten Punktzahl und der maximal erreichbaren Punktzahl angegeben.

Zunächst erfolgt eine Auswertung des Einflusses des Alters eines Textils auf die Treffergenauigkeit: neuere Textilien erreichen eine Treffergenauigkeit von 32,96 %, wohingegen ältere Textilien (älter als 30 Jahre) eine Treffergenauigkeit von lediglich 22,58 % erreichen. Dieser Umstand ist auf die höhere Verfügbarkeit von Daten neuer Textilien zurückzuführen. Auch bei der Art der Textilien zeigen sich Unterschiede in der Auswertung: Heimtextilien weisen lediglich eine Trefferquote von 15,00 % auf, wohingegen Textilien in der Kategorie „Bluse/Hemd“ eine Trefferquote von 45,33 % aufweisen. Am besten wird die Art der Bekleidung erkannt (56,22 % Trefferquote), wohingegen die Marke nur zu 4,67 % erkannt wird. Dieser Umstand ist sowohl auf die große Ähnlichkeit verschiedener Marken als auch auf die teilweise nur geringe direkte Erkennbarkeit von Markennamen oder Logos zurückzuführen. Auch das Material wird nur zu ca. 13,11 % richtig erkannt, da dieses Merkmal nicht direkt visuell zu erkennen ist. Zuletzt bietet auch die Betrachtung der Unterschiede in Abhängigkeit der Relevanz der Treffer kein eindeutiges Ergebnis: beim ersten und relevantesten Treffer liegt die durchschnittliche Trefferquote bei 29,66 % und beim zweiten bis fünften Treffer ebenfalls zwischen 25,19 % und 32,09 %. Anzumerken ist allerdings, dass die Ergebnisse insgesamt nicht ausreichend sind. Für einen sinnvollen Einsatz der Technologie sind Trefferquoten von ca. 90-95 % erforderlich. So lässt sich insgesamt feststellen, dass Google Lens mit dem gewählten Versuchsaufbau und der gewählten Auswertelogik nicht für den Einsatz in der Altkleidersortierung geeignet ist.

 

Weiterentwicklung der Technologie

Eine Lösungsmöglichkeit zur Weiterentwicklung der Technologie liegt in der erweiterten Auswertung von Informationen. Zum Beispiel können zusätzlich auch Bilder auf der Webseite (z. B. Fotos von Etiketten) oder der Seitenquelltext ausgewertet werden. Außerdem ist die Einteilung der Merkmalskategorien kritisch zu prüfen, da diese einen erheblichen Einfluss auf die Auswertung hat. Weiterhin sind Änderungen am Versuchsaufbau denkbar: eine Lösung könnte z. B. in der Aufhängung von Textilien bestehen oder in der Änderung der Beleuchtung. Außerdem kann die Suche in Google Lens mit Texten verknüpft werden, sodass eine Suche näher eingegrenzt und mit zusätzlichen Sensoren verknüpft werden könnte. Diese Lösungsmöglichkeiten werden in weiteren Projekten und Versuchen am ITA weiterentwickelt.

Insgesamt zeigen die Ausführungen in diesem Artikel, dass Google Lens noch keine adäquate Lösung für die automatisierte Auswertung in der Altkleidersortierung darstellt. Die Ausführungen zeigen allerdings auch Potentiale für die Weiterentwicklung der Technologie auf. Auch eine Kombination mit weiterer Sensorik (z. B. NIR) oder eigens entwickelten Algorithmen zur Bildauswertung ist vielversprechend.

Bildunterschriften:

Abbildung 1: Aufbau des Versuches (eigene Darstellung)

Literatur:

[HJL+22]                       Hedrich, Saskia; Janmark, Jonatan; Langguth, Nikolai; Magnus, Karl-Hendrik; Strand, Moa:
Scaling textile recycling in Europe - turning textile waste into value: Juli 2022

[Taf21]                           Taffel, S.:
Google’s lens: computational photography and platform capitalism
Media, Culture & Society Band:43 (2021) H. 2, S. 237–25
5

AutorInnen: Pohlmeyer, Florian* Johannsen, Hanna* Möbitz, Christian* Gries, Thomas* Kleinert, Tobias

*alle: Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

Kleinert, Tobias (Lehrstuhl für Informations- und Automatisierungssysteme für die Prozess- und Werkstofftechnik der RWTH Aachen University, Turmstr. 46, 52064 Aachen)

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06.03.2023

Gewebte Papier-Textil-Strukturen für einen nachhaltigen Leichtbau

Gewebe Composites Textilmaschinenbau Nachhaltigkeit Technische Textilien

Zusammenfassung

Mit dem technologischen Nachweis des neuartigen HyPerWeave-Ansatzes steht somit in der Zukunft eine nachhaltige Material- und Leichtbaulösung für eine Vielzahl an Branchen bereit, deren Eigenschaften (Stabilität, Brandschutz) auf den jeweiligen Anwendungsfall maßgeschneidert angepasst werden kann. Darüber ermöglicht die Kopplung von Papier- und Textiltechnik geschlossene Stoffkreisläufe, in denen das betreffende Bauteil gegen Ende der Produktlebenszeit und abhängig von seiner Zusammensetzung getrennt und zu neuen Leichtbaustrukturen recycelt werden kann.

Bericht

Mit dem konsequenten Einsatz von Leichtbau-Technologien können in vielen industriellen Bereichen sowie in der Mobilitäts- und Baubranche erhebliche Mengen an CO2-Emissionen eingespart werden. Jedoch erfordert die Herstellung entsprechender faserverstärkter Leichtbaustrukturen einen hohen Energie- und Ressourcenaufwand, wodurch eine tatsächliche CO2-Ersparnis erst sehr spät und am Ende der Nutzungsdauer erreicht wird. Zum Beispiel basieren Carbon- oder Aramidfaser in der Regel auf petrochemischen Ausgangsmaterialien und erfordern bei der Herstellung einen immensen Energieeinsatz. Im Gegensatz dazu bieten naturbasierte Verstärkungsfasern ein großes Potenzial zur Senkung von CO2-Emissionen und zur stofflichen Bindung von CO2 bei der Herstellung von Leichtbaustrukturen. Dennoch sind diese Technologien noch nicht weit verbreitet, da die Eigenschaften der Ausgangsmaterialien großen Schwankungen unterliegen und die Kompatibilität mit gebräuchlichen Matrixsystemen nicht immer gegeben ist.

Das branchenübergreifende Projekt "HyPerWeave" erforscht Wege zur Umsetzung eines CO2-armen und damit nachhaltigen Leichtbaus. Wissenschaftler:innen der Papiertechnischen Stiftung Heidenau (PTS) und des Instituts für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden entwickeln im Rahmen der Industriellen Gemeinschaftsforschung gewebte Verstärkungsstrukturen auf Basis von Papier (siehe Abbildung 1) für neuartige, hochstabile Leichtbaupaneele, wie sie in vielen Bereichen der Mobilität, der Gebäudeausrüstung oder dem Anlagenbau benötigt werden. Neben den Anforderungen an eine hohe spezifische Tragfähigkeit solcher Paneele, sind es daher insbesondere die Brandschutzeigenschaften bis DIN 4102 B1, die in der Materialentwicklung von HyPerWeave adressiert werden.

Die papier- und textiltechnologischen Arbeiten der Forschungseinrichtungen sind eng miteinander verzahnt. So konnten in der ersten Projektphase neue Papiere entwickelt werden, die ein vielversprechendes Eigenschaftsprofil hinsichtlich Mechanik, Brandschutz und textiltechnologischer Verarbeitbarkeit aufweisen und nun im Rahmen der zweiten Projektphase schrittweise auf praxisähnliche Versuchsanlagen der PTS hergestellt werden. Für die weitere Verarbeitung der Papiere zu integral verstärkten Leichtbaustrukturen wird am ITM eine neues Webverfahren entwickelt und konstruktiv-technologisch umgesetzt. Dies betrifft insbesondere die Materialführung, bei der das Papier in anforderungsgerechte Streifen geschnitten und in Form von Kettfäden bindungstechnisch in eine Abstandsgewebestruktur eingebracht werden. Die textilbasierte Kopplung zwischen der so aus dem Papier ausgeprägten Kernlage und den gleichzeitig gewebten Decklagen (siehe Abbildung) verspricht dabei gegenüber dem Stand der Technik eine deutlich verbessertes Delaminationsverhalten, gesteigerte Schubstabilität und Schadenstoleranz gegenüber geklebten Waben-Sandwichstrukturen. Die gewebten Papierhalbzeuge können anschließend mit Fixiermitteln und Matrixmaterialien auf Basis nachwachsender Rohstoffe zu hochwertigen Paneelen weiterverarbeitet werden.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21856 BR (Entwicklung von integral gewebten Papier-Textil-Sandwichstrukturen für Leichtbaupaneele (Hybrid High Performance Paper Weaves – HyPerWeave) wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

AutorInnen: Vorhof, Michael (1); Wüstner, Cornell (2); Sennewald, Cornelia (1); Cherif, Chokri (1) (1) Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) (2) Papiertechnische Stiftung Heidenau

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden
cornelia.sennewald@tu-dresden.de

Papiertechnische Stiftung Heidenau
Pirnaer Straße 37
01809 Heidenau
cornell.wüstner@ptspaper.de

https://tu-dresden.de/mw/itm | https://www.ptspaper.de

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18.10.2022

Entwicklung von Textilstrukturen mit materialintrinsischem Formänderungsvermögen für die regenerative Medizin (TexMedActor)

Garne Gewebe Nachhaltigkeit Technische Textilien Medizin

Zusammenfassung

Im IGF-Projekt 21022 BR/1 „TexMedActor“ wurden Gewebe auf Basis von Formgedächtnis- bzw. Elektroaktiven-Garnen entwickelt, die in der Lage sind, einerseits Defekte an Hohlorganen zu umschließen und andererseits durch Mikrobewegungen Zellen stimulieren zu können. Dafür wurden Einflüsse von Spinnverfahren und Materialzusammensetzung auf das Formgedächtnisverhalten TPU-basierter Garne charakterisiert und insbesondere die Aktivierungstemperatur auf Werte der Körperkern- und Körperoberflächentemperatur eingestellt. Weiterhin wurde piezoelektrische PVDF-Garne entwickelt, deren Anteil polarer Kristallphasen durch die Spinnparameter und Nachbehandlung deutlich erhöht war, wodurch auch das piezoelektrische Verhalten des Materials gesteigert werden konnte. Damit konnten dynamische Veränderungen der Porengröße in situ nachgewiesen werden, die eine stimulierende Wirkung auf Zellen entfalten können. Die Ergebnisse bieten mit einem neuen Verfahren und einer neuen Produktgruppe (Textilien mit intrinsischem, aktivem Formänderungsvermögen) nicht nur bei Medizinprodukten ein hohes Innovationspotenzial, sondern auch bei einer Vielzahl von lukrativen Anwendungen in einer Vielzahl von Nischen, z. B. Sporttextilien und Filtertextilien. Diese können weiterhin als Basis zur Entwicklung von extrakorporalen Medizinprodukten wie Kompressionstextilien, Bandagen und Orthesen genutzt werden.

Bericht

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung

In Deutschland führt sowohl der demografische Wandel der Gesellschaft als auch Verletzungen infolge von Traumata zu einem hohen Anteil von Personen mit behandlungsbedürftigen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder Verletzungen an Gefäßen und inneren Organen. Zur Behandlung von Verletzungen an inneren Organen, Gefäßen oder Nerven sind meist komplexe Eingriffe (Anastomosen) erforderlich, bei denen aufwändige Fixierungen und Nahtführungen erforderlich sind. Diese komplizierten und aufwändigen Prozeduren sind häufig mit langen Eingriffszeiten verbunden, die wiederum direkt mit erhöhten Komplikationsraten korrelieren [1‑3]. Zur Überbrückung solcher Defekte werden zunehmend tubuläre Kunststoffimplantate entwickelt, die jedoch kein Einwachsen von Gewebezellen ermöglichen und damit dem Konzept der regenerativen Medizin entgegenstehen, das die Wiederherstellung von Körpergeweben und ‑zellen anstrebt. Darüber hinaus kommt es bei der Auffüllung der Defekte häufig zu Störungen der Regeneration durch die nicht an die Biomechanik angepassten strukturmechanischen Eigenschaften. Ferner verhindern die fehlende Interkonnektivität der Porenräume der Ersatzstrukturen das Einwachsen von Zellen, das Zellwachstum, die Nährstoffversorgung und den Abtransport der Stoffwechselprodukte.

Im Rahmen des in vitro Tissue Engineerings werden neben statischen Zellkultursystemen auch dynami­sche Systeme entwickelt. Diese basieren beispielsweise auf kontinuierlichen oder pulsierenden Flüssigkeitsströmungen oder auf einer zyklischen Dehnung des eingespannten Zellträgersystems bzw. der Unterlage [4]. Eine Nachbildung der natürlichen mechanischen Wachstumsstimuli ist mit solchen Bio­reaktorsystemen jedoch nicht möglich, da sich insbesondere in größeren Strukturen eine lokal erhöhte Strömungsgeschwindigkeit entlang der größten Durchgangsporen bzw. lediglich eine Überströmung des gesamten Zellträgersystems einstellt und in mechanisch stimulierten Systemen unerwünschte Spannungsspitzen und undefinierte Verzerrungen im Bereich der Klemmen und Auflagen auftreten.

Da der native Aufbau der vier wichtigsten Gewebetypen (Binde- und Stützgewebe, Nerven-, Muskel- und Epithelgewebe) aus denen Organe, wie Knochen, Blutgefäße, Muskeln, Sehnen und Bänder, gebildet sind, aus faserartigen Konstrukten besteht, lassen sich diese mit textilen Strukturen besonders gut biomimetisch nachbilden. Mithilfe vorbedachter Faseranordnungen können dreidimensionale, kom­plexe Geometrien mit interkonnektierenden Porenräumen aufgebaut werden, an der sich Zellen in ihrer Wachstumsrichtung orientieren können [5]. Deshalb sind faserbasierte High‑Tech Strukturen zur Überwindung der Limitationen aktuell verfügbarer Implantate besonders prädestiniert.

Daher wurden im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens TexMedActor (21022 BR/1) neuartige Textilstrukturen mit materialintrinsischem Formänderungsvermögen für die regenerative Medizin mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Anwendungsfeldern, insbesondere der Anastomose, entwickelt. Das verfolgte Konzept sieht hierbei die textiltechnologische Realisierung von Strukturen mit einem Formgedächtniseffekt vor. Die Textilien sollen gezielt vorbestimmte Geometrien annehmen können, um sich an Defekte interaktiv anzupassen und um komplexe Eingriffe zum Überbrücken bzw. zum Stützen von Defekten an inneren Organen wie Gefäßen und Nerven zu vereinfachen. Ein weiterer Wirkmechanismus soll darüber hinaus die elektromechanische Stimulation mit dem Ziel der aktiven, gezielten Anregung des Zellwachstums ermöglichen. Somit soll die Regeneration beschleunigt bzw. überhaupt erst ermöglicht werden, da die erforderlichen Stimuli zur gewebe- und zellangepassten Wachstumsanregung insbesondere bei schwach bzw. nicht durchbluteten Körpergeweben, wie Knorpeln, Sehnen, Bändern, oder bei Wundheilungsstörungen oder chronischen Wunden fehlen. Es sollen weiterhin neuartige Bioreaktoren mittels intrinsischen Eigenschaften der textilen Strukturen entwickelt werden, die den Wirkmechanismus zur elektromechanischen Stimulation nutzen, um selbst in hochkomplexen und großskaligen Zellträgerstrukturen die Zellen an jeder Stelle gleichmäßig zu stimulieren. Die mechanischen Reize gehen hierbei vom Material selbst aus. Diese materialintrinsische Stimulation stellt eine neue Methode für die optimale Zellkultivierung dar, sodass die Zellen auf den textilen Zellträgerstrukturen unter Verzicht auf extern angelegte Flüssigkeitsströmungen oder mechanische Verformungen stimuliert werden können. Damit sollen zwei anerkannte medizintechnische Probleme behoben werden: 1) Komplizierte, aufwändige und mit minimalinvasiven Verfahren schwer oder nicht zu realisierende Operationen an innenliegenden Organen, Gefäßen oder Nerven sowie 2) fehlende gewebe- und zellangepassten Stimuli zur Anregung des Wachstums seitens der bisher verwendeten Ersatzstrukturen und ‑materialien sowie derzeit verfügbarer dynamischer Zellkultursysteme.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21022 BR/1 der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Darüber hinaus möchten wir den Mitgliedern des Projektbegleitenden Ausschusses für ihre Unterstützung während der Projektbearbeitung danken.

AutorInnen: Benecke, Lukas; Aibibu, Dilbar; Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

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30.09.2022

CF/AR/Thermoplast Hybridgarne für anforderungsgerechte thermoplastische Composites mit herausragenden, skalierbaren Steifigkeits-, Festigkeits-, Crash- und Impacteigenschaftskombinationen

Fasern Garne Composites Textilmaschinenbau

Zusammenfassung

Im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens (21004 BR/1) wurden am ITM Materialkonzepte auf Basis von zwei, in der Industrie etablierten Garnbildungstechnologien realisiert und damit CF/AR/PA 6- bzw. rCF/rAR/PA 6-Hybridgarne für anforderungsgerechte thermoplastische Composites mit herausragenden, skalierbaren Steifigkeits-, Festigkeits-, Crash- und Impacteigenschaftskombinationen hergestellt. Dabei wurden die Einflüsse der Parameter der Krempel-, Strecken- und Flyerspinnanlage (MK1) sowie der Lufttexturieranlage (MK2) und der Faservolumenanteile auf die mechanischen Eigenschaften analysiert, um anforderungsgerechte und definierte Engineered Garne und darauf basierende Composites zu entwickeln. Die untersuchten Garnbildungstechnologien ergänzen sich bzw. konkurrieren teilweise untereinander, bilden dadurch aber auch ein breites Technologiespektrum ab, das eine große Breitenwirkung für die Anwendung der Ergebnisse zur Produktentwicklung in zahlreichen deutschen und oft auf wenige Technologien spezialisierten KMU der Textiltechnik erzeugt.

Bericht

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung

Aktuelle faserverstärkte Kunststoffverbunde (Composites) werden entweder nach Steifigkeits- und Festigkeits- oder Impact- bzw. Crasheigenschaften ausgelegt. Komplexe, sich überlagernde Lastszenarien werden dabei nur sehr beschränkt berücksichtigt. Zwar gibt es erste realisierte Verbundbauteile, bspw. die B-Säule eines Automobils [1], bei denen Composites (bspw. Carbonfaserprepregs) zur Realisierung hoher gewichtsspezifischer Steifigkeiten und Festigkeiten mit metallischen Komponenten (bspw. Stahlbleche) zur Erreichung der notwendigen Schadenstoleranz kombiniert werden. Bei derartigen Konzepten erfolgt die Hybridisierung auf Makro- (Strukturebene) oder Mesoebene (Garnebene) und erfordert extrem aufwendige und kostenintensive Fertigungsprozesse [2–4]. Konzeptbedingt weisen diese Bauteilen zudem stark ausgeprägte interlaminare Grenzflächen auf, an denen durch komplexe Beanspruchungen hohe Scherspannungen entstehen, die dann zu frühzeitigen Delaminationen mit entsprechenden Strukturversagen führen [5–8]. Im Rahmen des hier vorgestellten Projekts wurden ein Konzept zur Überwindung der Nachteile und für den Einsatz bei zukünftigen Entwicklungen erarbeitet und umgesetzt. Der Ansatz besteht dabei darin, die Kombination der verschiedenen Komponenten durch Hybridisierung auf Mikroebene (innerhalb eines Garnes/Faserebene) zu gestalten und damit deren Eigenschaftspotentiale maximal auszuschöpfen. Durch den Einsatz recycelter Hochleistungsfasern ergeben sich zudem deutliche Vorteile hinsichtlich Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Wirtschaftlichkeit gegenüber konventionellen Composites.

Ziel des Projekts ist die Kreierung einer neuen auf Mikroebene hybridisierten dreikomponentigen Werkstoffklasse für thermoplastische Leichtbauanwendungen. Durch die gezielte Kombination der Verstärkungsfasern Carbon und Aramid sind über Variation der Verstärkungsfaseranteile und Faseraufmachung lastfallgerecht hohe Steifigkeiten und Festigkeiten mit hohen Crash- bzw. Impacteigenschaften kombinierbar. Abb. 1a zeigt schematisch die Eigenschaften von CF/AR Hybridcomposites nach dem Stand der Technik (Abb. 1a unten durch Ellipse hervorgehoben), aus zu entwickelnden Engineered Garnen (oben, Bereich innerhalb der gestrichelten Linien) und die theoretischen Materialpotentiale (oben, farbige Linien) jeweils in Abhängigkeit der Faservolumenanteile. Die systematische Untersuchung des Einflusses der materialspezifischen Faservolumenanteile für eine skalierbare Auslegung der Composites, erfolgte beispielhaft in fünf Stufen (CF/AR bzw. rCF/rAR: 50/0 %; 40/10 %; 25/25 %; 10/40 %; 0/50 %).

Die Entwicklungsarbeiten konzentrierten sich auf drei wesentliche Schwerpunkte. Der erste Schwerpunkt war die Weiterentwicklung der Prozesstechnik, sodass die auf Engineered Garnen basierenden Composites aufgrund geringer Faserschädigungen, einer hohe Gleichmäßigkeit und hohen Faserorientierung hohe Festigkeiten und Steifigkeiten aufweisen. Der zweite Schwerpunkt war die erstmalige Umsetzung der homogenen Durchmischung von drei Fasermaterialien auf Mikroebene, sodass gleichzeitig Steifigkeiten, Festigkeiten und ebenfalls Impact- und Crasheigenschaften signifikant erhöht werden können. Der dritte Schwerpunkt lag in der Auslegung der Engineered Garne, um so herausragende, skalierbare Steifigkeits-, Festigkeits-, Crash- und Impacteigenschaftskombinationen für verschiedenste Anforderungen gezielt einstellen zu können (Abb. 1a).

Die konkrete Umsetzung des angestrebten Ziels, Realisierung von CF/AR/PA6 bzw. rCF/rAR/PA6 Hybridgarnen zur Herstellung anforderungsgerechter thermoplastischer Composites mit herausragenden, skalierbaren Steifigkeits-, Festigkeits-, Crash- und Impacteigenschaftskombinationen, erfolgte unter Verwendung von zwei Materialkonzepten (Abb. 1b) auf Basis von zwei, in der Industrie etablierten Garnbildungstechnologien (Abb. 1a). Dabei wurden die komplexen Zusammenhänge zwischen Prozessparametern und Material-Garn-Verbundeigenschaften analysiert und für die KMU fundiertes Wissen für die Entwicklung, materialabhängige Auslegung der Engineered-Garne, die Ableitung der bestmöglichen Material- und Prozessparameter für konkrete Anwendungen sowie für die Steuerung der Fertigungsprozesse erarbeitet und in Form eines Verfahrensleitfadens aufbereitet. Die detaillierte Beschreibung der Entwicklungsarbeiten kann aus dem Abschlussbericht entnommen werden.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21004 BR/1 der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel.

 

 

 

AutorInnen: Matthias Overberg, Anwar Abdkader, Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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28.09.2022

Filterung von Abgasen von Holzfeueröfen auf Basis neuartiger textiler Filtersysteme

Nachhaltigkeit Technische Textilien Haus- und Heimtextilien

Zusammenfassung

Gasförmige und vor allem partikelförmige Emissionen aus handbeschickten Holzöfen haben einen nicht unerheblichen Anteil an der Luftverschmutzung in Deutschland. Vor allem ultra-feine Rußpartikel und organische Schadstoffe wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe werden häufig in hohen Anteilen emittiert. Die Freisetzung dieser Schadstoffe hat negative toxikologische und klimatische Konsequenzen für Mensch und Umwelt. Andererseits gewinnen erneuerbare biogene Festbrennstoffe aufgrund der Knappheit fossiler Rohstoffe für die regenerative Wärmebereitstellung zunehmend an Bedeutung.

Bericht

In Anbetracht dieser Problemstellung forschen an der RWTH Aachen University das Institut für Textiltechnik (ITA) und das Lehr- und Forschungsgebiet Technologie der Energierohstoffe (TEER) gemeinsam mit der Skantherm GmbH & Co. KG und der Culimeta Textilglas-Technologie GmbH & Co. KG im Rahmen des FNR-Projekts „PartEX4Abholz“ an der Entwicklung eines neuen, hocheffizienten Abscheiders, der die partikelförmigen (festen und flüssigen) Emissionen aus dem Abgas von handbeschickten Holzöfen abscheidet und sequestriert. Der innovative Ansatz besteht in der Nutzung neuartiger Filtersysteme auf Basis textiler Strukturen.

Im Gegensatz zu den auf dem Markt erhältlichen E-Abscheidern erzeugt die zu entwickelnde Filterlösung nicht nur keine Rußflocken, es werden auch die groben Partikel durch das Filtersystem effizient im Filtermedium gespeichert. Außerdem wird eine hohe Abscheideleistung gegenüber flüchtigen und kondensierten organischen Substanzen erreicht. Die Herausforderung liegt dabei nicht nur in der Abscheidung der prozessimmanenten ultrafeinen (< 100 nm) Partikel durch Diffusionsabscheidung an sich, sondern vielmehr das Erreichen einer hohen und damit wirtschaftlichen Standzeit (hohe Speicherkapazität).

Unter Einsatz des neuen Filtersystems sollen die emittierten Partikel und Stäube von Holzfeueröfen gemäß dem Umweltzeichen "Der Blaue Engel" auf 15 mg/m³ reduziert werden. Mit ersten Projektergebnissen wird im ersten Quartal 2023 gerechnet.

AutorInnen: Maryam Sodagar, M.Sc.

ITA Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Strasse 1, 52074 Aachen, Deutschland

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