TÜRKISCHER STAAT PUSHT LAHMENDE KONJUNKTUR
- Niedrige Zinsen Und Staatliche Förderungen Sollen Konsum Und Investitionen Antreiben
- Weniger Firmengründungen Und Ausländische Direktinvestitionen
Istanbul (GTAI) - Nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15.7.16 will die türkische Regierung die Konjunktur stützen. Finanzielle Erleichterungen, staatliche Förderungen und eine Niedrigzinspolitik sollen Konsum und Investitionen stärken und die aufgekommene Verunsicherung in der Geschäftswelt beseitigen. Gleichzeitig soll die gesamtwirtschaftliche Sparquote erhöht und die Finanzierungsgrundlage für große Infrastrukturprojekte verbessert werden.
Das von der Regierung für 2016 angestrebte Wirtschaftswachstum von real 4,5% scheint inzwischen nicht mehr realistisch. Nach dem beeindruckenden Zuwachs von 4,8% im 1. Quartal 2016 rechnen auch Regierungsvertreter für den Rest des Jahres mit niedrigeren Zahlen, so dass für das Gesamtjahr ein Wachstum von etwa 3,0 bis 3,5% erzielt werden könnte.
Doch nicht nur der gescheiterte Putschversuch und die darauffolgenden innenpolitischen Verwerfungen beeinträchtigen die wirtschaftliche Entwicklung. Auch die in den vergangenen Monaten deutlich angestiegenen geopolitischen Risiken, die kriegerischen Auseinandersetzungen entlang der südöstlichen Grenze zu Syrien und Irak sowie die Bedrohung durch terroristische Anschläge drücken auf das Geschäftsklima.
Die Zahl der Firmengründungen geht bereits seit April 2016 zurück. Im Juli wurde mit einem Minus von über 34% gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres der vorläufige Tiefpunkt erreicht, wie die türkische Kammerunion TOBB (Türkiye Odalar ve Borsalar Birligi) bekannt gab.
Monat | 2015 | 2016 |
Änderung (%) |
---|---|---|---|
Januar | 6.471 | 6.894 | 6,5 |
Februar | 5.509 | 6.363 | 15,5 |
März | 6.092 | 7.117 | 16,8 |
April | 6.022 | 5.860 | -2,7 |
Mai | 5.635 | 5.422 | -3,8 |
Juni | 5.896 | 5.571 | -5,5 |
Juli | 4.760 | 4.760 | -34,1 |
Januar bis Juli | 40.385 | 40.363 | -0,1 |
Quelle: Türkische Union der Industrie- und Handelskammern TOBB (http://www.tobb.org.tr)
"Maßgeschneiderte" staatliche Förderungen für Investoren
Trotz einer steigenden Inflation (Jahresanstieg der Verbraucherpreise Ende Juli 2016: 8,8%) senkt die türkische Zentralbank seit einigen Monaten in kleinen Schritten die Zinsen und sorgt für eine zunehmende Liquidität. Für Investoren plant die Regierung großzügige Subventionen. Die staatliche Investitionsförderung steht nach den Worten von Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci vor grundlegenden Änderungen. Geplant seien "unbegrenzte, maßgeschneiderte und projektbezogene" Förderungen für bestimmte Branchen, die über die bisherigen Anreize weit hinausgingen.
In diesem Zusammenhang nannte Zeybekci die Metallurgie, die Petrochemie, die Pharmaindustrie sowie die Medizintechnik, darüber hinaus die erneuerbaren Energien und moderne Agrartechnologien. Neben umfangreichen Steuererleichterungen sollen die geplanten staatlichen Hilfen auch die Subventionierung der Gehälter von hochqualifizierten Beschäftigten, die kostenlose Zuteilung von Grundstücken, Zinszuschüsse und Energiekostenzuschüsse umfassen. Damit sollen vor allem internationale Investoren gewonnen und Hochtechnologieprojekte unterstützt werden.
Ausländische Direktinvestitionen im 1. Halbjahr 2016 eingebrochen
Die ausländischen Direktinvestitionen gingen nach Angaben des türkischen Wirtschaftsministeriums im 1. Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 55% zurück. Im Jahr 2015 flossen netto insgesamt 16,9 Mrd. US$ und im Jahr 2014 rund 12,5 Mrd. $ in die Türkei. Davon wurden 5,3 beziehungsweise 4,2 Mrd. $ in Immobilien investiert.
Sektor/Branche | 1.Halbjahr 2015 | 1.Halbjahr 2016 | Veränderung (in %) |
---|---|---|---|
Landwirtschaft | 5 | 24 | 380 |
Industrie | 2.710 | 866 | -68 |
Bergbau | 185 | 17 | -91 |
Produzierendes Gewerbe | 1.445 | 607 | -58 |
Lebensmittel, Getränke, Tabakwaren | 257 | 171 | -33 |
Textil und Bekleidung | 399 | 21 | -95 |
Leder und Lederwaren | 2 | 8 | 300 |
Holz und Holzprodukte | 0 | 1 | - |
Papier und Papierprodukte | 4 | 20 | 400 |
Koks und raffinierte Erdölprodukte | 500 | 11 | -98 |
Chemische und pharmazeutische Produkte | 69 | 136 | 97 |
Kautschuk- und Kunststoffprodukte | 21 | 54 | 157 |
Nichtmetallische Mineralprodukte | - | 23 | - |
Metalle und Metallprodukte | 36 | 24 | -33 |
Maschinen und Anlagen | 5 | 20 | 300 |
Elektronische und optische Produkte | 46 | 98 | 113 |
Kraftfahrzeuge | 90 | 8 | -91 |
Möbel | 16 | 12 | -25 |
Elektrizität, Gas | 1.078 | 242 | -78 |
Wasser, Abwasser, Abfallentsorgung | 2 | 0 | -100 |
Dienstleistungen | 2.066 | 1.274 | -38 |
Insgesamt | 4.781 | 2.164 | -55 |
Quelle: Türkisches Wirtschaftsministerium (Ekonomi Bakanligi, http://www.ekonomi.gov.tr)
Staatlicher Fonds zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten gegründet
Von besonderer Bedeutung für die zukünftige Finanzierung von großen Infrastrukturprojekten, vor allem im Verkehrssektor, ist das Gesetz Nr. 6741 vom 19.8.16 zur Gründung des Türkei-Vermögensfonds (Türkiye Varlik Fonu - Sovereign Wealth Fund). Das Gesetz, das im Staatsanzeiger Nr. 29813 am 26.8.16 verkündet wurde, regelt den Aufbau und die Betriebsregeln des neuen Fonds, der anfänglich aus dem Staatshaushalt und Privatisierungserlösen gespeist werden soll und mit einem Gründungskapital von 50 Mio. TL startet. Das Gesetz sieht die Gründung einer Aktiengesellschaft vor, die für Investitionen, Beteiligungen und andere Engagements des Fonds zuständig sein wird. Die Finanzmarktoperationen des Fonds sind laut Artikel 8 des Gesetzes Nr. 6741 von Steuern und Abgaben weitgehend befreit.
Vom neuen Türkei-Fonds verspricht sich die Regierung wichtige Finanzierungsbeiträge für laufende und anstehende Großprojekte. Dazu zählen der dritte internationale Flughafen in Istanbul und der geplante "Kanal Istanbul", der parallel zum Bosporus verlaufen soll. Der Fonds soll nach Vorstellungen der Regierung über die kommenden zehn Jahre einen jährlichen Beitrag von 1,5 Prozentpunkten zum realen Wachstum des BIP leisten. Wirtschaftsminister Zeybekci erwartet über den Fonds langfristig die Kontrolle von Vermögenswerten von rund 200 Mrd. $.
Schulden beim Staat lassen sich in Ratenzahlungen begleichen
Unternehmen, die finanziell unter Druck stehen, sollen mit dem Gesetz Nr. 6736 zur Neustrukturierung von öffentlichen Forderungen vom 3.8.16 entlastet werden. Dieses wurde nach Veröffentlichung im Staatsanzeiger Nr. 29806 zum 19.8.16 in Kraft gesetzt. Mit diesem Gesetz erhalten Firmen und Personen, die Schulden beim Finanzamt oder bei Sozialversicherungseinrichtungen haben, die Möglichkeit, ihre offenen Forderungen samt Versäumniszuschlägen in Ratenzahlungen innerhalb von 18 Monaten zu begleichen. Auf Forderungen bis zu jeweils 50 TL (1 Euro = 3,31 TL) verzichtet der Staat gänzlich. Die Schuldentilgung von Tourismusunternehmen, die 2016 fällig sind, wird laut Gesetz um ein Jahr verschoben.
Private Altersvorsorge für alle Arbeitnehmer soll Sparquote erhöhen
Um die landesweit niedrige Sparquote zu erhöhen, hat die türkische Regierung am 10.8.16 das Gesetz Nr. 6740 verabschiedet, das zum 1.1.17 in Kraft tritt (verkündet im Staatsanzeiger Nr. 29812 am 25.8.16). Mit diesem Gesetz zur Änderung des Gesetzes Nr. 4632 vom 28.3.01 über die freiwillige private Altersvorsorge werden zukünftig alle Arbeitnehmer im Alter von weniger als 45 Jahren und türkischer Staatsangehörigkeit "automatisch" in das System der privaten Altersvorsorge einbezogen. Allerdings haben die betroffenen Beschäftigten das Recht, innerhalb von zwei Monaten ab Einbeziehungsdatum ihren Verzicht zu erklären und aus dem System auszusteigen.
Konjunktur
Necip C. Bagoglu, Germany Trade & Invest www.gtai.de