Unsere Politik artet in eine Verbotspolitik aus – weniger ist mehr

05.04.2023

KLARTEXT mit Dr. Wilhelm Rauch, Geschäftsführer der Industrievereinigung Chemiefaser, zur Lage der Chemiefaserproduktion in Deutschland

Im vergangenen Monat veröffentlichte die Industrievereinigung Chemiefaser IVC e.V. auf ihrem LinkedIn-Profil einen Beitrag mit dem Titel „Sterben der Chemiefaserindustrie nimmt Fahrt auf“. Seit dem 31.12.2021 mussten 7 der 13 in Deutschland beheimateten Faserproduzenten Insolvenz anmelden, was für die Mehrheit zur Einstellung des Betriebs führte. Textination hat für seine Interviewreihe KLARTEXT beim Verbandsgeschäftsführer Dr. Wilhelm Rauch nachgefragt, wie es um die Chemiefaserproduktion in Deutschland bestellt ist.

KLARTEXT mit Dr. Wilhelm Rauch, Geschäftsführer der Industrievereinigung Chemiefaser, zur Lage der Chemiefaserproduktion in Deutschland

Im vergangenen Monat veröffentlichte die Industrievereinigung Chemiefaser IVC e.V. auf ihrem LinkedIn-Profil einen Beitrag mit dem Titel „Sterben der Chemiefaserindustrie nimmt Fahrt auf“. Seit dem 31.12.2021 mussten 7 der 13 in Deutschland beheimateten Faserproduzenten Insolvenz anmelden, was für die Mehrheit zur Einstellung des Betriebs führte. Textination hat für seine Interviewreihe KLARTEXT beim Verbandsgeschäftsführer Dr. Wilhelm Rauch nachgefragt, wie es um die Chemiefaserproduktion in Deutschland bestellt ist.

Im Namen Ihres Verbandes Industrievereinigung der Chemiefaserindustrie ist das böse C-Wort weiterhin ein Bestandteil. In Zeiten, in denen alles per se gut ist, was aus der Natur kommt, und alles schlecht, was aus einem Labor stammt, ist das mutig - oder vielleicht sogar geschäftsschädigend?
Waren Sie nie in Versuchung, die "Chemie" aus der Benennung zu streichen?

 
Die Versuchung einer Umbenennung im Sinne des Mainstreams ist in der heutigen Zeit natürlich gegeben. Darüber haben letztendlich die IVC-Mitgliedsunternehmen zu entscheiden. Wenn man mit dem Begriff „man-made fibers“ – also menschengemachte Fasern – einen wirtschaftlich größeren Erfolg hat, ist das für ein Unternehmen sicher ein Argument. Das würde jedoch nichts an den wissenschaftlich-technischen Grundlagen von synthetischen und cellulosischen Fasern ändern – beide sind ein Ergebnis chemischer Verfahrensweisen. Das gilt übrigens auch für Naturfasern – die gesamte Natur basiert ausschließlich auf physikalisch-chemischen Prozessen. Deshalb zählt die Chemie zu den Naturwissenschaften.


 
Nicht erst in der jüngeren Vergangenheit werden viel Engagement und Geld in die Erforschung von Fasern gesteckt, die so bald als möglich jene aus fossilen Rohstoffen ersetzen sollen. Wie stehen Sie dazu?

Jede Erforschung neuer Fasern ist begrüßenswert. Es stehen sowohl Substitutionen vorhandener Fasern als auch neue Anwendungsgebiete im Fokus. Die Abkehr von fossilen Rohstoffen bedeutet aber nicht zwangsläufig die ausschließliche Hinwendung zu nachwachsenden Rohstoffen. Synthetische Chemiefasern können künftig als CO2-Senke dienen. Ich denke hier an Carbon-Capture and Storage (CCS) und darauffolgend an Produkte aus Synthesen ähnlich der Fischer-Tropsch-Synthese, die mit jüngst entwickelten neuen Katalysatoren direkt mit CO2 und grünem Wasserstoff möglich sind. Diese können dann maßgeschneiderte Rohstoffe für künftige Chemiefasern sein. Denn bei aller Begeisterung für nachwachsende Rohstoffe sollte man nicht aus den Augen verlieren, mit welchen Umweltbelastungen diese verknüpft sein können: beispielsweise Verlust von Anbaufläche für Nahrung, Wasserbedarf, Monokulturen etc.

 

Es ist noch gar nicht lange her, da machte der Begriff „systemrelevant“ die Runde. In welchen Bereichen ist die Chemiefaserindustrie absolut systemrelevant sprich unverzichtbar?

Chemiefasern sind essentielle Bestandteile von Computern, Batterien, Smartphones, Windrädern, Schutzkleidung und Medizinprodukten.

 

Wie sehen Sie die mannigfaltigen Reglementierungen der industriellen Faserproduktion durch europäische und bundesdeutsche Behörden? Ist Deutschland noch ein Industrieland?

Die Politik scheint sich zunehmend sehr viel Mühe zu geben, die Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche Produktion in Europa derart zu verschlechtern, dass Investitionen in anderen Teilen der Welt mit einer solchen Geschwindigkeit interessanter werden, dass wir nur noch das Nachsehen haben. Aktuell haben wir das Deutsche Museum nur in München, aber ich sehe zunehmend die Gefahr, dass bald ganz Deutschland ein Museum wird.    

 

Wie beurteilen Sie unter sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Erwägungen die faktisch bereits bestehende Abhängigkeit Europas bezüglich Chemiefasern von primär asiatischen Anbietern? Was macht Ihnen dabei die größten Kopfschmerzen?

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat gezeigt, welche Folgen Abhängigkeiten haben können. Auch der mit militärischen Mitteln ausgetragene Konflikt zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine führte uns vor Augen, wie verwundbar unsere Wirtschaft ist. Beide Fälle haben aber auch gezeigt, dass wir in der Lage sind, politisch eine gewisse Flexibilität zu entfalten, um solchen Veränderungen zu begegnen. Blicken wir auf mögliche militärische Konflikte im südchinesischen Meer und eine daraus resultierende Konfrontation zwischen China und der westlichen Wirtschaftswelt, lässt das Konsequenzen einer anderen Größenordnung erwarten. Europa müsste sich dann wieder vermehrt auf eigene industrielle Kapazitäten konzentrieren.

 

Wenn Sie eine Rede vor dem europäischen Parlament oder dem deutschen Bundestag halten könnten - worauf würden Sie die politisch Verantwortlichen in Sachen Chemiefaserindustrie gerne nachdrücklich hinweisen?

Mehr Demokratie wagen. Diesen Satz hat Willy Brand in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler 1969 formuliert. Das gilt auch weiterhin. Konkret heißt es, dass die Legislative bei Vorhaben ausreichend Zeit für Stellungsnahmen einräumen muss, so dass Experten auch seriös und fundiert antworten können. Ein paar Tage sind schlicht zu wenig und lassen den Eindruck entstehen, solche Vorhaben möglichst ohne Bürgerbeteiligung durchdrücken zu wollen. Stellungnahmen sind ein Akt gelebter Demokratie. Die Politik sollte davor keine Angst haben, sondern eine Stellungnahme konstruktiv betrachten, um solide Gesetze, Verordnungen und Richtlinien zu verabschieden, die die Beteiligten auch mittragen.

Weniger ist mehr. Es müssen weniger Gesetze und Verordnungen erlassen werden, die dafür aber qualitativ besser sind. Gesetzliche Regelungen müssen in den Betrieben auch umgesetzt werden können, womit wir wieder beim Thema Zeit sind. Die Umsetzung in die Praxis muss gelebt werden. Manchmal sind auch Investitionen notwendig, um legislativen Änderungen zu entsprechen. Man erhält heute den Eindruck, dass Gesetze stakkatoartig erlassen werden, ohne zuvor mit Experten über die Folgen diskutiert zu haben. Wirtschaft ist aber kein Computerspiel, in dem man in Bruchteilen einer Sekunde Einfluss auf die Handlung der Spielfiguren und damit den gesamten Spielverlauf nehmen kann. Wir als Industrie, aber auch als Bürger fühlen uns zunehmend als solche Spielfiguren. Diese Situation zu ändern, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe der Politik.

Mehr Marktwirtschaft wagen. Unsere Politik – sei es national oder europäisch - trägt zunehmend Züge einer Planwirtschaft. Besonders deutlich ist das auf dem Energie- und Umweltsektor. Ein Blick in die Welt zeigt aber, dass Umweltschutz dort am besten vorangebracht wird, wo die Marktwirtschaft die treibende Kraft ist. Mit den USA assoziiert man meistens nicht einen Staat mit besonderen Ambitionen für Umwelt- und Klimaschutz. Dennoch haben gerade die USA den Ausstoß von CO2 in den letzten Jahren deutlich reduziert, wohingegen er in China angestiegen ist. Auch das deutsche sehr akribisch konstruierte System zum Aufbau nicht fossiler Energieerzeuger – übrigens das teuerste der Welt – hat hier mit Blick auf die Emissionen kläglich versagt.  

Anreize statt Verbote. Unsere Politik artet in eine Verbotspolitik aus. Wie reagiert man auf Verbote? Man konzentriert seine Energie darauf, Lücken zu finden, um sie zu umgehen. Man möchte der Letzte sein, den ein Verbot trifft. Was wir benötigen, ist eine Anreizpolitik. Anreize schaffen Wettbewerb, und im Wettbewerb möchte jeder der Erste sein. Energien, die in einem Wettbewerb eingesetzt werden, sind immer konstruktiv auf das Ziel fokussiert. Hier kann die europäische Politik eine Menge von den USA lernen.

Vielen Dank an Dr. Wilhelm Rauch für den KLARTEXT.