Research publications

24.10.2025

Datengetriebenes Green Shopfloor Management für nachhaltige Produktionssysteme

Nonwovens Sustainability Circular economy

Abstract

Die zunehmenden Anforderungen an nachhaltige Produktionssysteme erfordern eine systematische Integration ökologischer und sozialer Zielgrößen in bestehende Lean-Management-Strukturen. In diesem Beitrag wird ein datenbasiertes Konzept für ein Green Shopfloor Management im Rahmen eines Nachhaltigkeitsdatenmanagementsystems (NDMS) vorgestellt. Das Konzept erweitert das klassische Shopfloor Management um Nachhaltigkeitsziele, -kennzahlen und -entscheidungsprozesse und basiert auf vier Komponenten: einem an der Unternehmensstrategie ausgerichteten Zielsystem, einem darauf aufbauenden Kennzahlensystem auf Basis der Overall Sustainability Equipment Effectiveness (OSEE), standardisierten Shopfloor-Runden zur funktionsübergreifenden Entscheidungsfindung sowie einem digitalen Shopfloorboard zur Visualisierung von Kennzahlen und Maßnahmen. Durch die Verknüpfung von Lean-Prinzipien und Nachhaltigkeitsmanagement wird ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess ermöglicht, der ökonomische, ökologische und soziale Dimensionen gleichermaßen berücksichtigt und datenbasiert steuert.

Report

Inhaltsverzeichnis

1       Einleitung und Kontext...................................................................... 3

2       Konzept des Green Shopfloor Management................................. 4

3       Datenmodell der OSEE.................................................................... 11

4       Ausblick und Weiterentwicklung................................................... 16

5       Literaturverzeichnis......................................................................... 18

 

Impressum

Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University

52074 Aachen

Otto-Blumenthalstraße 1

Autoren: Florian Pohlmeyer, Thomas Gries

14.10.2025

DOI: 10.18154/RWTH-2025-08596

 

 

  1. Einleitung und Kontext

Die textile Wertschöpfungskette gehört zu den ressourcenintensivsten Industriesektoren weltweit. Sie ist verantwortlich für bis zu 10 % der globalen CO₂-Emissionen, einen Wasserverbrauch von rund 93 Milliarden m³ pro Jahr und erhebliche Mengen textiler Reststoffe. Innerhalb dieses Sektors nimmt die Vliesstoffindustrie eine besondere Rolle ein: Sie ist technologisch hoch entwickelt, vielseitig anwendbar und sowohl in kurzlebigen Konsumgütern als auch in langlebigen technischen Anwendungen vertreten. Gleichzeitig steht sie unter erheblichem Transformationsdruck – geprägt durch volatile Rohstoffmärkte, niedrige Margen, hohe Qualitätsanforderungen und steigende regulatorische Verpflichtungen im Bereich Nachhaltigkeit. Europäische und nationale Strategien wie der Green Deal, der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft, die EU-Textilstrategie und die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) fordern eine tiefgreifende Neuausrichtung industrieller Produktionssysteme. Unternehmen müssen ökologische, ökonomische und soziale Zielgrößen in ihre Entscheidungsprozesse integrieren, Nachhaltigkeitskennzahlen systematisch erfassen und über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg kommunizieren. Für viele kleine und mittlere Unternehmen stellt dies eine erhebliche Herausforderung dar: Es fehlen häufig die personellen, finanziellen und digitalen Ressourcen, um Nachhaltigkeitsziele messbar zu machen und operativ zu steuern.

Ein wesentlicher Hebel zur Bewältigung dieser Herausforderungen ist die Verfügbarkeit und Nutzung produktionsnaher Daten. Digitale Technologien ermöglichen es, Informationen zu Energie- und Ressourceneffizienz, Qualität und Prozessleistung in Echtzeit zu erfassen und als Entscheidungsgrundlage bereitzustellen. Entscheidend ist dabei, dass Nachhaltigkeit nicht als zusätzliches Berichtsthema, sondern als integraler Bestandteil des täglichen Shopfloor-Managements verstanden wird. Hier setzt das Konzept des Green Shopfloor Management an: Es verbindet die Prinzipien des Lean Managements – also die Vermeidung von Verschwendung und die kontinuierliche Verbesserung – mit den Zielen nachhaltiger Entwicklung. Im Green Shopfloor Management werden operative Prozesse durch ein datengetriebenes Kennzahlensystem transparent gemacht, das ökologische und soziale Dimensionen in bestehende Leistungskennzahlen integriert. Auf dieser Grundlage lassen sich Abweichungen erkennen, Maßnahmen im Sinne des PDCA-Zyklus ableiten und die Zielerreichung messbar verfolgen. Das Konzept zielt darauf ab, Nachhaltigkeit dort zu verankern, wo sie entsteht – am Ort der Wertschöpfung. [Bar24]

Die Verknüpfung von Nachhaltigkeitsmanagement, Lean-Prinzipien und Datenverfügbarkeit eröffnet neue Potenziale für die industrielle Transformation: Prozesse können energie- und ressourceneffizienter gestaltet, Zielkonflikte zwischen Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit besser adressiert und Verbesserungsmaßnahmen datenbasiert priorisiert werden. Gleichzeitig fördert die Integration von Nachhaltigkeitskennzahlen in das Shopfloor Management eine stärkere Beteiligung der Mitarbeitenden und schafft Transparenz über die ökologischen und sozialen Auswirkungen des eigenen Handelns. Vor diesem Hintergrund verfolgt das Green Shopfloor Management das Ziel, Nachhaltigkeit in den operativen Alltag produzierender Unternehmen zu integrieren und durch datenbasierte Entscheidungsunterstützung einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu etablieren. Es bildet damit einen zentralen Baustein auf dem Weg zu einer datengetriebenen, ressourceneffizienten und sozial verantwortlichen Produktion – und leistet einen konkreten Beitrag zur Umsetzung der europäischen Nachhaltigkeitsziele in der Industrie.

  1. Konzept des Green Shopfloor Management

Das Lean Management steht für das Streben nach verschwendungsfreien und ressourceneffizienten Prozessen in der Produktion und der perfekten Organisation [KR22]. Die Mitarbeitenden eines Produktionssystems werden bei der Entscheidungsfindung durch aufbereitete Informationen und Kennzahlen (engl.: Key Performance Indicator (KPI)) unterstützt. [KR22] Die Kommunikation und die Visualisierung von Kennzahlen sind zentrale Elemente des Shopfloor Management im Lean Management, um die KPIs an den Ort der Wertschöpfung zu bringen und den Wertschöpfungsprozess in den Mittelpunkt zu stellen. Nachhaltigkeit und Lean Management sind eng verknüpft, da bei beiden Themen die Vermeidung von Verschwendung im Fokus steht. [Ber20; Bar24]

Die elementaren Bestandteile des hier betrachteten Green Shopfloor Management sind das Zielsystem, das Kennzahlensystem, die Shopfloor-Runden und die Definition von Maßnahmen (siehe Abb. 2.1).

 

Abb. 2.1: Aufbau des Green Shopfloor Management

Zielsystem

Das Zielsystem eines Produktionssystems wird an der langfristigen Vision des Unternehmens und der Unternehmens- und Nachhaltigkeitsstrategie ausgerichtet. Das Zielsystem bildet die Grundlage für das Kennzahlensystem und stellt sicher, dass die entscheidungsbestimmenden Kennzahlen im Produktionssystem auf die Unternehmensziele ausgerichtet sind.

Das Zielsystem ist das Ergebnis eines Zielableitungsprozesses, der einen kaskadierenden Prozess von der Unternehmensvision bis zu den Zielen der operativen Ebene beschreibt (siehe Abb. 2.2) [Ber20]. Der Grad der Zielerreichung kann durch das Kennzahlensystem bestimmt werden. Der Fokus liegt auf den quantifizierbaren Zielen. Beim Aufbau des Zielsystems sind die Grundsätze der VDI-Richtlinien 2870 (Blätter 1-2), 2871 (Blätter 1-2), 2872 (Blätter 1-2) zu beachten [VDI12; VDI13; VDI21; VDI17; VDI19; VDI22].

 

Abb. 2.2: Ableitung des Zielsystems im NDMS

In dieser Arbeit werden die klassischen Zieldimensionen Qualität, Kosten und Zeit um die Dimension Nachhaltigkeit erweitert. Der Ausgangspunkt für die Integration der Dimension Nachhaltigkeit ist die Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens. Aus der Unternehmens- und Nachhaltigkeitsstrategie werden in einem manuellen Zielableitungsprozess messbare, spezifische Ziele abgeleitet. Die Ziele sind auf den Funktionsbereich Produktionssystem bezogen und können zur besseren Vergleichbarkeit auch produktspezifisch sein. Das Ergebnis des Zielableitungsprozesses sind n Jahresziele. Im Prozess ist zu beachten, dass die Anzahl der Ziele überschaubar ist und die Ziele realistisch sind [VDI13]. Die n Ziele werden in einer Datenbank als Tupel aus Kennzahl und Zielwert abgespeichert. Ein Beispiel für das Ziel zur Senkung des Energieverbrauches in einem Produktionssystem ist der Zielwert {Energieverbrauch [kWh/kg]; 1,1}. Der konkrete Aufbau des erforderlichen Datenmodells erfolgt weiter unten in Kapitel 3. Herausforderungen liegen in möglichen Zielkonflikten und einer mangelnden Fokussierung bei zu vielen Zielen [VDI13]. Diesen Herausforderungen wird in der Datenmodellierung begegnet (siehe unten).

Kennzahlensystem

Das Kennzahlensystem dient der Messung der Leistung und Zielerreichung und steht in einem direkten Zusammenhang zum Zielsystem. Die Kennzahlen entsprechen den quantifizierbaren Zielen. [Bar24; Ber20; VDI12] Mit den Leistungskennzahlen muss eine ganzheitliche Bewertung und Überwachung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen auf Abruf möglich sein. Außerdem sollte das Kennzahlensystem möglichst in bestehende Prozesse und Systeme integriert werden und auf prozessnahen Daten beruhen. Die Kennzahlen müssen auf einheitlichen Kalkulationsverfahren beruhen und einen Bezug zur Unternehmensstrategie aufweisen.

Das Kennzahlensystem wird aus dem Zielsystem abgeleitet und entspricht einem Datenmodell aus Kennzahlen, deren Beschreibung und deren Berechnungsvorschriften (siehe Abb. 2.3).

 

Abb. 2.3: Ableitung von Kennzahlen im NDMS

Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) sind das von der EU vorgegebene Rahmenwerk für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. Das Kennzahlensystem sollte sich an diesem Rechtsstandard orientieren, um Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Auch beim Kennzahlensystem werden die Vorgaben der VDI-Richtlinien 2870-2872 beachtet. Auf dieser Grundlage sind die folgenden Anforderungen an die Kennzahlen zu beachten [Ber22; Hel21]:

AK.1:   Kennzahlen müssen SMART (Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realistisch, Terminiert) formuliert sein.

AK.2:   Die Anzahl der Kennzahlen sollte auf 3-5 pro Ebene begrenzt sein.

AK.3:   Die Kennzahlen sollten durch die Mitarbeitenden beeinflussbar sein.

AK.4:   Die Kennzahlen müssen repräsentativ, aussagekräftig, reversibel und zielorientiert sein.

AK.5:   Die Kennzahlen müssen wirtschaftlich ermittelbar sein.

Eine technische Lösung, die die Anforderungen erfüllt ist das Kennzahlensystem der Overall Sustainability Equipment Effectiveness (OSEE) [MA24]. Die Overall Equipment Effectiveness (OEE) ist ein weitverbreitetes Kennzahlensystem, in das die OSEE Nachhaltigkeitsdimensionen integriert. Die Stärke der Lösung liegt im operativen Fokus des Kennzahlensystems und Nachhaltigkeitsdimensionen auf taktischer oder strategischer Ebene werden bewusst ausgeklammert. Die Kennzahlen sind also durch die Mitarbeitenden des Produktionssystems beeinflussbar. Das Kennzahlensystem umfasst 3 Hauptkennzahlen (Ökonomische, Ökologische und Soziale Nachhaltigkeit), die eine beliebige Anzahl von Indikatoren aggregieren.

Die Berechnung der OSEE erfolgt gemäß Gleichung 2.1 als Produkt aus der Ökonomischen Dimension (OEE), der Ökologischen Dimension und der Sozialen Dimension.

Gleichung 2.1

Gleichung 2.1

Die Berechnung der OEE erfolgt gemäß Gleichung 2.2 und ist das Produkt aus der Anlagenverfügbarkeit, dem Leistungsfaktor und der Qualitätsrate.

Gleichung 2.2

Gleichung 2.2

 

 

 

Neben dem Datenmodell des Kennzahlensystems ist ein Datenverarbeitungsdienst zur Berechnung der Kennzahlen bzw. zur Datenverarbeitung erforderlich. Der Dienst implementiert die Berechnungsvorschriften der Kennzahlen und greift auf verschiedene Datenquellen zu. Die Daten werden aus den Datenquellen importiert, harmonisiert und für die Kennzahlberechnung vorbereitet. Abschließend erfolgt die Berechnung der jeweiligen Kennzahlen. Die Kennzahlen werden wiederum in einer für Zeitreihen geeigneten Datenbank gespeichert. Die berechneten Kennzahlen liegen in Tupeln des Formates {Bezeichnung, Wert} vor. Das Konzept der OSEE sieht vor, dass die Kennzahlen einer Relation des IST-Zustandes im Vergleich zum Zielzustand in % entsprechen.

Die wesentliche Herausforderung im Bereich des Kennzahlensystems liegt in der Anzahl der Kennzahlen, die durch die Komplexität der Nachhaltigkeitsdimensionen zu hoch sein kann. Dieser Herausforderung wird hier durch die Aggregation der Kennzahlen durch die OSEE begegnet.

Shopfloor-Runden

Die Shopfloor-Runden sind der Kern des Shopfloor-Managements und dienen der Führung am Ort der Wertschöpfung und einem schnellen und zielgerichteten Informationsfluss. Unter den Shopfloor-Runden sind regelmäßige standardisierte und kurzzyklische Besprechungen mit funktionsübergreifenden Teilnehmern zu verstehen. [Ber20] Die Basis für die Besprechungen bildet das Kennzahlensystem. In den Besprechungen werden die Kennzahlen besprochen und bei Abweichungen Maßnahmen beschlossen. Die Leistungskennzahlen müssen in die Entscheidungsprozesse der jeweiligen Entscheidungsträger integriert werden und dabei abteilungsübergreifende Zielkonflikte berücksichtigen.

In den Shopfloor-Runden sollten in diesem Fall funktionsübergreifend mindestens die Produktentwicklung, der Einkauf und die Materialwirtschaft, die Produktion und der Vertrieb teilnehmen (siehe Abb. 2.4). In den Shopfloor-Runden finden zur Kennzahlvisualisierung Shopfloorboards Anwendung, die nachfolgend für den Anwendungsfall ausgelegt werden.

 

Abb. 2.4: Umfang der Shopfloor-Runden

Der Umfang und die Durchführung der Shopfloor-Runden weicht durch die Integration der Nachhaltigkeitskennzahlen nicht von den üblichen Standards ab. Das Vorgehen nach VDI-Richtlinie 2871-2 bedarf keiner weiteren Anpassung [VDI21]. Außerdem sind die Shopfloor-Runden ein Prozess, der keiner weiteren softwaretechnischen Auslegung bedarf.

Definition von Maßnahmen

Ein Teil der Shopfloor-Runden ist die Definition von Maßnahmen bei Problemen oder Abweichungen. Die Definition, Umsetzung und Überwachung der Maßnahmen dienen der schnellen Problemlösung und Zielerreichung. Dieser Prozess dient der Umsetzung eines nachhaltigen und kontinuierlichen Verbesserungsprozesses unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsdimensionen. Das System trägt zu einem dauerhaften Verbesserungsprogramm bei.

Die Definition von Maßnahmen setzt eine Abweichungserkennung voraus und orientiert sich am PDCA-Zyklus (siehe Abb. 2.5). Die Abweichungserkennung basiert auf den Kennzahlen und Zielwerten. Weichen die Kennzahlen von den jeweiligen Zielwerten ab, werden im PDCA-Zyklus Maßnahmen abgeleitet. Im Sinne des Nachhaltigkeitsmanagements ist keine weitere Anpassung des Prozesses erforderlich, weil die Nachhaltigkeitsdimensionen über das Kennzahlensystem Berücksichtigung finden. Die Umsetzung orientiert sich an den Methoden PDCA und Shopfloor-Management der VDI-Richtlinien VDI 2870 Blatt 2 und VDI-MT 2871 Blatt 2. [VDI13; VDI21]

 

Abb. 2.5: Definition, Umsetzung und Bewertung von Verbesserungsmaßnahmen

Shopfloorboard

Das Shopfloorboard dient der Visualisierung und Transparenz des aktuellen Prozessstatus am Ort der Wertschöpfung und ist das zentrale Kommunikationsinstrument in den Shopfloor-Runden. Mit dem Board soll es möglich sein, den Status eines Produktionssystems auf einen Blick zu erfassen. [VDI19; VDI22; VDI21; CEL19]

Das Shopfloorboard muss in dieser Arbeit auf eine Überwachung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen im Produktionssystem angepasst werden und stützt sich dabei auf das Kennzahlensystem. Das Board ist das Kommunikationsmittel, um die Leistungskennzahlen in die Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen. Das Shopfloorboard muss die Nachhaltigkeitsdaten verständlich, übersichtlich und eindeutig auslegbar als Entscheidungsgrundlage bereitstellen. Dazu kommen aussagekräftige Dashboards zum Einsatz, die eine gleichzeitige Überwachung mehrerer Zielgrößen ermöglichen. Die Visualisierung muss durch eine schnell interpretierbare Form die wahrgenommene Komplexität reduzieren.

Das Shopfloorboard visualisiert die Kennzahlen und die Maßnahmen. Das Board wird in den täglichen Shopfloor-Runden zur Visualisierung von Informationen genutzt. Die Übersicht ist in Abb. 2.6 dargestellt.

 

Abb. 2.6: Übersicht über das Shopfloorboard

In der VDI-Richtlinie VDI-MT 2871 Blatt 2 sind Vorgaben für die Gestaltung von Shopfloorboards enthalten [VDI21]. Die Boards müssen den aktuellen Status eines Produktionssystems zeigen und sollten nicht überentwickelt sein. Wichtig ist außerdem, dass die Boards unternehmensindividuell von den Nutzenden selbst entwickelt werden sollten. Die VDI-Richtlinie VDI 2870 Blatt 1 zeigt ein Beispiel [VDI12].

Für das Shopfloorboard ist ein Datenverarbeitungsdienst zur Visualisierung von Daten erforderlich. Der Dienst implementiert grafische Benutzeroberflächen und greift auf verschiedene Datenquellen zu. Die Daten werden aus den Datenquellen importiert und in verschiedenen Diagrammtypen dargestellt. Die spezifische Auslegung des Dienstes wird hier nicht weiter detailliert, weil unternehmensindividuelle Anforderungen berücksichtigt werden sollten. Allerdings ist in Abb. 2.7 ein beispielhafter Aufbau eines Shopfloorboardes dargestellt.

 

Abb. 2.7: Visualisierung von Kennzahlen und Maßnahmen im Shopfloorboard in Anlehnung an [VDI12]

  1. Datenmodell der OSEE

Das Datenmodell für das Kennzahlensystem dient der einheitlichen Interpretation der Daten und ermöglicht semantische Interoperabilität. Im Datenmodell für das Kennzahlensystem müssen die drei Nachhaltigkeitsdimensionen ganzheitlich abgebildet sein. Außerdem gelten die bereits im Kennzahlensystem festgelegten Spezifikationen. Die Grundlage des Datenmodells bilden das Kennzahlensystem OSEE und die in den Nachhaltigkeitsstrategien der Vliesstoffunternehmen verankerten Nachhaltigkeitsziele.

Das Datenmodell basiert auf der Grundstruktur der Overall Sustainable Equipment Effectiveness (OSEE), welche die Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales systematisch integriert. Zentrales Element ist die Kennzahl OSEE, die sich aus der OEE (Gesamtanlageneffektivität) sowie aggregierten ökologischen S(Ökologisch) und sozialen S(Sozial) Indikatoren zusammensetzt (siehe Abb. 3.1). Die inhaltliche Ausgestaltung dieser Indikatoren erfolgt auf Basis einer systematischen Analyse der Nachhaltigkeitsstrategien von Unternehmen der Vliesstoffindustrie. Zur Sicherstellung von Interoperabilität und Vergleichbarkeit werden im Datenmodell Daten und Metadaten modelliert.

 

Abb. 3.1: Datenmodell für das Kennzahlensystem

Für das Erstellen von Datenmodellen sollten existierende Standards genutzt werden. Das Konzept der OSEE ist in [MA24] definiert. Ein einheitliches Datenmodell der OSEE oder der OEE für die Vliesstoffindustrie ist bislang nicht bekannt. Allerdings sind verschiedene Standards für die Nachhaltigkeitsfaktoren und die OEE für das Vokabular und die Ontologie des Datenmodells zu berücksichtigen. Auf bestehende Normen und Standards für die Nachhaltigkeitsfaktoren wird im weiteren Verlauf bei der Definition einzelner Kennzahlen eingegangen. Für die OEE existieren bestehende Modelle, die in dieser Arbeit nicht weiterentwickelt werden. Die ISO 22400-Reihe bietet einen Rahmen, um KPIs im Manufacturing Operations Management (MOM) standardisiert zu definieren und zu bewerten. ISO 22400-1 beschreibt die grundlegenden KPI-Konzepte [ISO14], während ISO 22400-2 konkrete Kennzahlenformeln (z. B. OEE, Verfügbarkeit, Qualitätsraten) sowie deren zugehörige Zeit- und Datenmodelle definiert [ISO14]. Der Standard ist auch als XML-Implementierung verfügbar [Dol16]. Eine Ergänzung zur ISO 22400 stellt die VDI 3423 dar, die zentrale Zeitarten (z. B. Nutzungszeit, Ausfallzeiten) und Berechnungsgrundlagen für die technische Verfügbarkeit bereitstellt [VDI11]. Diese bilden die zeitlogische Basis für OEE-Kennzahlen und lassen sich konsistent mit den Strukturvorgaben der ISO 22400 kombinieren. Die Normenreihe IEC 62264 (ISA-95) bietet eine konsistente Grundlage für die Modellierung der OEE-Komponente innerhalb des OSEE-Datenmodells [DIN14; DIN14; DIN17]. Sie definiert hierfür eine einheitliche Systemhierarchie, standardisierte Objekt- und Attributstrukturen sowie zugehörige Aktivitätsmodelle für Planung, Ausführung und Analyse. Dadurch lassen sich OEE-relevante Daten verorten, strukturiert erfassen und interoperabel in bestehende Produktions- und IT-Systeme integrieren. Für die technische Implementierung bietet die Verwaltungsschale (AAS) nach IEC 63278 eine standardisierte Struktur zur semantischen Beschreibung von Assets (hier das Produktionssystem) und Kennzahlen [IEC23]. Die konkrete Nutzung der AAS zur Modellierung der OSEE-Kennzahlen wird im folgenden Abschnitt zu den Entwurfsentscheidungen erläutert.

 

 

Die technische Modellierung des Kennzahlensystems erfolgt in vier Schritten:

  1. Ableitung der Faktoren von S(Ökologisch) und S(Sozial) auf der Basis von Nachhaltigkeitsstrategien aus der Vliesstoffindustrie.
  2. Semantisch eindeutige Beschreibung der Faktoren durch eine Zuordnung zu existierenden Standards und Normen.
  3. Zusammenführung der Faktoren und der OEE im erweiterten OSEE-Modell.
  4. Modellierung des Kennzahlensystems in der Verwaltungsschale.

Die Grundlage für die Ableitung der einzelnen Faktoren bildet eine systematische Analyse von Nachhaltigkeitsberichten und -strategien von 23 Unternehmen, die Vliesstoffe produzieren, und die Nachhaltigkeitsstrategie der Edana. Die Grundgesamtheit sind die 73 Mitgliedsunternehmen der Edana in der Kategorie „Nonwoven“ (Stand: Januar 2025). Nicht alle dieser Unternehmen veröffentlichen Informationen über Nachhaltigkeitsstrategien und -ziele. Zur Erhöhung der Vergleichbarkeit werden jeweils spezifische Werte verwendet. Sämtliche Werte werden auf die produzierte Menge von Vliesstoff in m² bezogen. Die 20 Indikatoren für den Faktor S(Ökologisch) sind in Tab. 3.1 aufgelistet und jeweils Standards und Normen zur semantischen Beschreibung zugeordnet.

Tab. 3.1: Indikatoren für den Faktor S(Ökologisch)

 

Die 3 Faktoren für den Faktor S(Sozial) sind in Tab. 3.2 aufgelistet und jeweils Standards und Normen zur semantischen Beschreibung zugeordnet.

Tab. 3.2: Indikatoren für den Faktor S(Sozial)

 

Für eine Vergleichbarkeit der Faktoren müssen sie nachfolgend normiert werden. Im Kontext der OSEE werden die Faktoren auf einen Wertebereich von 0 bis 100 % normiert, wobei 100 % gleichbedeutend mit einer vollständigen Zielerreichung ist. Für sämtliche Indikatoren sind Zielwerte zu definieren (siehe Auslegung des Zielsystems). Für die Berechnung der normierten Faktoren gilt dann:

Berechnung 3.1

Die resultierenden normierten Faktoren werden in ein Datenmodell integriert, das auf der bestehenden OEE-Struktur basiert. Die OEE-Komponente (Verfügbarkeit, Leistung, Qualität) wird nicht neu entwickelt, sondern auf Basis etablierter Standards (z. B. ISO 22400, VDI 3423) übernommen. Die S(Ökologisch)- und S(Sozial)-Indikatoren werden ergänzend als gewichtete Teilkennzahlen eingebunden und in einem gemeinsamen semantischen Modell mit den OEE-Daten verknüpft.

Zur semantischen und strukturellen Abbildung der Kennzahlen wird die Verwaltungsschale (Asset Administration Shell, AAS) gemäß IEC 63278 genutzt. Die relevanten KPI-Daten werden in einem eigenen Teilmodell „OSEE“ modelliert, da ein entsprechendes Teilmodell noch nicht als Template veröffentlicht ist. Bei der Modellierung von Teilmodellen der Verwaltungsschale sind die Grundsätze aus der Spezifikation der Verwaltungsschale zu beachten [Ind24; BDE+21]. Der Grundsatz der Modularisierung besagt, dass komplexe Informationen nicht monolithisch, sondern in fachlich und funktional abgegrenzten Modulen strukturiert werden sollen. Dementsprechend wird das Datenmodell der OSEE in SubmodelElementCollections (SEC) strukturiert (siehe Abb. 3.2).

 

Abb. 3.2: Modularisierung im Teilmodell für das Kennzahlensystem OSEE

Die SECs der Faktoren enthalten jeweils 3 Properties:

  • actualValue: IST-Wert des Indikators
  • targetValue: Zielwert des Indikators
  • normalizedValue: Normierter Faktor

Die Beschreibungen der Faktoren sind über das Attribut description integriert, um Zweck und Inhalt der Faktoren für menschliche Nutzer zu erläutern. Die Zuordnung der Standards und Normen als semantische Beschreibungen der Faktoren erfolgt über das Attribut semanticId der Teilmodellelemente. Die semanticId ist ein Verweis auf den inhaltlichen Bedeutungsgehalt eines Elements [Ind24]. Die semanticIds sind vom Typ ExternalReference. Die GLOBAL_REFERENCEs verweisen über einen Link auf die zugrundeliegenden Normen oder Standards. Zusätzlich werden zwei fachliche Qualifier für die Teilmodellelemente eingesetzt, um die Kennzahlen zu spezifizieren. Die physikalische Einheit der Elemente wird durch Qualifier der Art VALUE_QUALIFIER und dem typeunit“ eindeutig zugeordnet. Die Optimierungsrichtung einer Kennzahl wird durch Qualifier der Art CONCEPT_QUALIFIER und dem typeoptimizationDirection“ eindeutig zugeordnet. Damit sind sowohl die Einheiten als auch die Optimierungsrichtung für Applikationen maschinenlesbar.

 

Abb. 3.3: Ansicht des OSEE-Teilmodells im AASX Package Explorer

  1. Ausblick und Weiterentwicklung

Die in dieser Arbeit vorgestellte Konzeption eines datengetriebenen Green Shopfloor Managements stellt einen ersten Ansatz dar, um Nachhaltigkeitsziele systematisch in die operative Produktionssteuerung zu integrieren. Durch die Verbindung der Lean-Prinzipien mit einem Nachhaltigkeitsdatenmanagementsystem (NDMS) konnte gezeigt werden, dass ökologische und soziale Leistungsdimensionen mess- und steuerbar in bestehende Prozesse eingebettet werden können. Dennoch ergeben sich aus der praktischen Umsetzung und den konzeptionellen Grenzen des Ansatzes mehrere Entwicklungsfelder.

(1) Erweiterung des Datenmodells und Integration weiterer Datenquellen.

Das entwickelte Datenmodell der Overall Sustainability Equipment Effectiveness (OSEE) bildet den gegenwärtigen Stand der Integration von ökonomischen, ökologischen und sozialen Indikatoren ab. Für eine ganzheitliche Betrachtung zukünftiger Produktionssysteme ist eine Erweiterung um zusätzliche Dimensionen, wie z. B. Lieferkettentransparenz, Materialkreisläufe und Produktlebenszyklen, erforderlich. Eine Verknüpfung mit externen Datenquellen – etwa über den Digitalen Produktpass (DPP) – ermöglicht eine Bewertung jenseits der Fabrikgrenzen und unterstützt die Systemtransparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

(2) Automatisierung und Echtzeitfähigkeit der Datenerfassung.

Aktuell beruhen viele Nachhaltigkeitskennzahlen noch auf periodischen Datenerhebungen. Zukünftige Entwicklungen sollten auf eine stärkere Automatisierung und Echtzeitintegration abzielen, um Abweichungen unmittelbar zu erkennen und dynamische Steuerungsmechanismen zu ermöglichen. Hierfür sind Schnittstellen zu Produktions- und Energiemanagementsystemen (z. B. MES, EMS) zu standardisieren und um semantische Datenmodelle zu erweitern.

(3) Integration von Entscheidungsunterstützung und KI-basierten Analysen.

Eine Weiterentwicklung des Green Shopfloor Management liegt in der Nutzung datenanalytischer Verfahren zur Entscheidungsunterstützung. Methoden der künstlichen Intelligenz können Muster in großen Datenmengen erkennen und Optimierungspotenziale in Bezug auf Energieeffizienz, Ressourcennutzung und soziale Faktoren automatisiert identifizieren. Die OSEE kann dabei als Zielgröße für lernende Systeme dienen.

(4) Sozio-technische Implementierung und Organisationsentwicklung.

Die technische Umsetzung muss durch ein angepasstes Change Management flankiert werden. Zukünftige Arbeiten sollten die sozialen Aspekte der Systemeinführung stärker berücksichtigen – insbesondere Schulung, Motivation und Akzeptanz der Mitarbeitenden. Nachhaltigkeit am Shopfloor kann nur gelingen, wenn technologische Innovationen mit einer partizipativen Organisationskultur verbunden werden.

(5) Validierung und Standardisierung.

Eine umfassende Validierung des Konzepts in weiteren industriellen Umgebungen, insbesondere außerhalb der Vliesstoffindustrie, ist erforderlich, um die Übertragbarkeit zu prüfen. Parallel dazu sollte die formale Standardisierung der OSEE und ihrer semantischen Beschreibung in der Verwaltungsschale (AAS) vorangetrieben werden, um eine breite industrielle Anwendung zu ermöglichen.

(6) Verknüpfung mit europäischen Datenräumen.

Langfristig bietet die Anbindung an entstehende industrielle Datenräume wie Catena-X oder Manufacturing-X die Möglichkeit, Nachhaltigkeitsdaten sicher und souverän zwischen Unternehmen auszutauschen. Damit kann das Green Shopfloor Management zu einem operativen Knotenpunkt für Nachhaltigkeitsdaten im Produktionsnetzwerk werden.

 

 

 

  1. Literaturverzeichnis

[Bar24] Bardy, S.:
Shopfloor Management für die ressourceneffiziente Produktion. Darmstadt: Technische Universität Darmstadt, Dissertation,

[Ber20] Bertagnolli, F.:
Lean Management. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2020

[Ber22] Bertagnolli, F.:
Lean Management. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2022

[CEL19] Conrad, R. W.; Eisele, O.; Lennings, F.:
Shopfloor-Management - Potenziale mit einfachen Mitteln erschließen. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2019

[Hel21] Helmold, M.:
Kaizen, Lean Management und Digitalisierung.
Wiesbaden, Heidelberg: Springer Gabler, 2021

[IEC23] IEC 63278-1:2023 2023Asset Administration Shell for industrial applications - Part 1: Asset Administration Shell structure.

[KR22] Kletti, J.; Rieger, J.:
Die perfekte Produktion. 3. AuflageAufl..- Wiesbaden, Heidelberg: Springer Vieweg, 2022

[MA24] Madreiter, T.; Ansari, F.:
From OEE to OSEE: How to reinforce Production and Maintenance Management Indicator Systems for Sustainability?
6th IFAC Workshop on Advanced Maintenance Engineering, Services and Technologies (2024)

[VDI12] Richtlinie VDI 2870 Blatt 1 00.07.2012Ganzheitliche Produktionssysteme - Grundlagen, Einführung und Bewertung.

[VDI13] Richtlinie VDI 2870 Blatt 2 00.02.2013Ganzheitliche Produktionssysteme - Methodenkatalog.

[VDI17] Richtlinie VDI 2871 Blatt 1 00.01.2017Ganzheitliche Produktionssysteme - Führung.

[VDI19] Richtlinie VDI 2872 Blatt 1 00.10.2019Ganzheitliche Produktionssysteme - Lean-Enterprise-System - Grundlagen und Einführung.

[VDI21] Richtlinie VDI-MT 2871 Blatt 2 00.06.2021Ganzheitliche Produktionssysteme - Führung - Methodenkatalog.

[VDI22] Richtlinie VDI 2872 Blatt 2 00.04.2022Ganzheitliche Produktionssysteme - Lean-Enterprise-System - Methodenkatalog.

Authors: Florian Pohlmeyer Thomas Gries

Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University
52074 Aachen
Otto-Blumenthalstraße 1

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12.09.2025

PFAS-freie POF und Vibrationsverbreiterungsstrukturen für soziale Präsenz durch immersive, emotionale und lebendige Erfahrungen von Nähe auf Distanz

Raw materials Fibres Sustainability Smart Textiles

Abstract

Das durch das BMBF geförderte dreijährige Projekt „SPIELEND - Soziale Präsenz durch immersive, emotionale und lebendige Erfahrungen von Nähe auf Distanz“ beschäftigt sich mit der Frage, wie technikunterstützte Spiele gestaltet sein sollten, um Teilnehmenden auch über Entfernungen hinweg das Gefühl der sozialen Nähe zu vermitteln. Explizit zählt hierzu die Repräsentation des Gegenübers bzw. der Mitspielenden. Um die entstandene Nähe messen zu können werden die entsprechenden Evaluationsmöglichkeiten im Rahmen des Projektes aus der psychologischen und kognitionswissenschaftlichen Forschung abgeleitet. Im Rahmen des Projektes werden unterschiedliche, digitale Augmented Reality Spiele designt, umgesetzt und getestet. Um eine immersive und emotionale Erfahrung zu ermöglichen und ein verstärktes Gefühl der sozialen Präsenz zu erzeugen, werden die Augmented Reality Spiele unter Einbezug von smarten, funktionalen Textilien entwickelt.

Report

1.       Einleitung

Unsere Gesellschaft befindet sich im Wandel: Ausbildung, Studium und Beruf, aber auch die Knappheit von Wohnraum in Ballungszentren stellen zunehmend steigende Ansprüche an die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger [1]. Gleichzeitig erweist sich das Reisen hinsichtlich seiner ökologischen und ökonomischen Konsequenzen als nicht dauerhaft tragfähige Lösung [2]. Das Social Distancing in der COVID-19-Pandemie verschärfte die Separierung von Familien, Freunden, Vereinsmitgliedern und Kirchengemeinden. Nach [3] hatten 69 % der Befragten keine privaten Treffen während der Corona-Maßnahmen 2020. Gleichzeitig beschleunigte sich pandemiebedingt die Digitalisierung des sozialen Austauschs. Jede 2. Person im Alter 16-29 Jahre nutzte Videoanrufe, um sich mit Familie und Freunden auszutauschen [4]. Während diese Entwicklungen vor dem Hintergrund der Ressourceneffizienz begrüßenswert erscheinen, zeichnen sich gleichzeitig auch negative Auswirkungen der digitalen Kommunikation ab, die soziale Nähe fehlt: Videokonferenzen können reale Treffen nicht ersetzen; es fehlt an Spontanität, nonverbalem Austausch, Spiel und Emotionalität. Die sogenannte “Zoom-Fatigue” macht sich breit [5]; selten sind Personen gewillt, privat noch eine Videokonferenz mit Familie und Freunden abzuhalten.

Das Ziel des dreijährigen BMBF-Projektes SPIELEND ist die Entwicklung eines Systems, das körperlich-emotionale Immersion im Kontext einer spielerischen Interaktion auf Distanz zur Intensivierung eines Nähegefühls ermöglicht. Dabei werden bekannte Spielkonzepte genutzt, weiterentwickelt und um sensorische Qualitäten insbesondere durch polymeroptische Fasern (POF) und 4D-Textilien erweitert. So lässt sich erreichen nahestehende Menschen, die unter den sozialen Nebenwirkungen räumlicher Trennung leiden, zu unterstützen. Für die Erweiterung der sensorischen Qualitäten wird insbesondere auf smarte Textilien gesetzt. Im Fokus der Untersuchung stehen dabei die Einflussfaktoren der Repräsentation des Mitspielers, der multimodalen Stimulation, sowie der Spielelemente inklusive gemeinsamer Aktivitäten auf die soziale Präsenz.

2.         Material und Methoden

Zur physische Distanzinteraktion werden zwei Arten von smarten Textilien eingesetzt: Zum einen textile Emitter in Form von polymeroptischen Fasern (POF), zum anderen 4D-Textilien.

POF werden entweder als Endlichtfasern oder als Seitenlichtfasern konzipiert. Endlichtfasern leiten das eingekoppelte Licht von der lichtquellennahen Stirnseite der Faser zur lichtquellenabgewandten Stirnseite. Seitenlichtfaser hingegen emittieren zusätzlich Licht über die gesamte Mantelfläche der POF. Endlicht-POF können somit für den Einsatz einer Punktbeleuchtung und integriert in eine textile Struktur für den Einsatz einer Linienbeleuchtung eingesetzt werden. Seitenlicht-POF können als Linienbeleuchtung und integriert in eine textile Struktur als Flächenbeleuchtung eingesetzt werden (s. Abb. 1). Alle kommerziellen lichtleitenden Fasern aus Kunststoff bestehen aus zwei Polymerwerkstoffen. Zum einen Polymethylmethacrylat (PMMA) im Faserkern. Zum anderen einem Fluorpolymer im Fasermantel. Die kommerzielle POF ist daher durch PFAS belastet. Im Rahmens des Projektes werden mögliche alternative Mantelmaterialen eruiert und PFAS-freie POF mittels des Bikomponentenschmelzspinnverfahren hergestellt.

s. Abb. 1 Darstellung verschiedener Verwendungsoptionen von Endlicht-POF und Seitenlicht-POF, jeweils nicht in eine textile Struktur eingebettet (oben) und in eine textile Struktur (unten) eingebettet mit den folgenden Komponenten – 1: Lichtquelle, 2: Bündelung mittels Ferrule, 3: POF, 4: Bereich der Lichtemission

Gängige Materialien für textiler Aktuatoren sind PLA (Polylactid) und TPU (Thermoplastisches Polyurethan). Kritsch sind bzgl. textiler Aktuatoren die Adhäsionseigenschaften und Gewährleistung der Flexibilität des Textils. Für die Vibrationsverbreitungsstruktur wurden die Polymere TPU und PLA, sowie die zwei Textilien, Eurojersey und Buttinette betrachtet.

3.         Ergebnisse

Durch ein theoretisches Material-Screening anhand von optischen, thermischen und wirtschaftlichen Bewertungskriterien konnten die folgenden Polymere als mögliche Alternativen zum derzeitig verwendeten Fluormaterial gefunden werden: Polymethylpenten (PMP) und Polymilchsäure (PLA) – wobei ersteres in praktischen Vorversuchen vielversprechender scheint. Durch ein Material-Screening anhand von optischen, rheologischen und thermischen Bewertungskriterien konnten drei Arten von Polymethylpenten (PMP-Grades) zur Erprobung ausgewählt werden: TPX MX002, TPX DX820 und TPX RT18 – alle von Mitsui Chemicals, Inc., Tokio (Japan) (s. Abb. 2). Durch mehrfach iterative, experimentelle Analysen mittels des Bikomponentenschmelzspinnversuchen sowie anschließenden geometrischen, mechanischen und optischen Bewertungsmethoden konnten Erkenntnisse und Verbesserungen in der Herstellung PFAS-freier erzielt werden. So konnten PFAS-freie POF mit einer Rundheit von über 99 % mit den drei PMP-Grades und jeweils PMMA 7N von der Röhm GmbH, Darmstadt (Deutschland) produziert werden. Die erzielten feinheitsbezogenen Festigkeiten sind vergleichbar mit kommerziellen POF. Mit DX820 als Mantelmaterial, einer maximalen Temperatur des Mantelextruders von 255 °C und einem Durchmesser der Düsenlochkapillare von 3,5 mm wurden PFAS-freie POF (Durchmesser 500 µm) mit der niedrigsten Dämpfung produziert.

s. Abb. 2 Darstellung der verwendeten Granulate a) PMMA 7N als Kernpolymer, b) PMP TPX MX002 als Mantelpolymer und c) PMP TPX DX820 als Mantelpolymer

Für die Anwendung textiler Aktuatoren auf Textilien zeigte sich, dass die gängigen Materialien PLA und TPU mittels Fused Deposition Modeling (FDM) gedruckt werden können. TPU zeigte eine überlegene Haftung im Vergleich zu PLA und wurde aufgrund seiner besseren Adhäsionseigenschaften sowie seiner Flexibilität als geeignetes Material für smarte Textilien ausgewählt. Zur Identifikation geeigneter Materialkombinationen der Vibrationsverbreitungsstruktur wurden die Adhäsion an der Grenzfläche zwischen den Polymeren und den Textilien systematisch analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass PLA die besten Haftungseigenschaften auf Buttinette-Textilien aufweist, während TPU eine verbesserte Adhäsion auf Eurojersey-Textilien zeigt. Diese Materialkombinationen wurden als optimal für die weitere Entwicklung der Vibrationsverbreitungsstruktur bestimmt. Im Rahmen der Untersuchung textiler Aktuatoren wurden TPU und Eurojersey als geeignete Materialkombination identifiziert. Die Auswahl erfolgte basierend auf der weichen Beschaffenheit von TPU sowie dessen verbesserter Adhäsion auf Eurojersey. Diese Eigenschaften ermöglichen eine optimale Interaktion mit der textilen Struktur und sind besonders vorteilhaft für die Umsetzung eines taktilen Feedbacks (s. Abb. 3).

Abb. 3 Darstellung Vibrationsverbreitungsstruktur a) 3D-Modell der Struktur, b) 3D gedruckte Struktur auf vorgespanntes Textil, c) Struktur nach Lösen der Vorspannung im entspannten, gekrümmten Zustand

4.         Zusammenfassung

Das Projekt SPIELEND stellt auf zwei Ebenen einen innovativen Ansatz dar das Erlebnis von digitalen Spielen zur Distanzinteraktion zu erweitern und somit nahbarer zu machen (s. Abb. 4). So werden Vibrationsverbreitungsstrukturen auf Textilen exploriert, welche das Spielerlebnis physisch erlebbar zu machen. Somit kann ein Feedback direkt an den Spieler weitergegeben werden. Als beste Materialkombination wurde thermoplastisches Polyurethan auf einem Eurojersey-Textil eruiert. Zum anderen ermöglicht der Einsatz von lichtleitenden Fasern aus Kunststoff (polymeroptische Faser, POF) das Spielerlebnis durch realerlebbare visuelle Reize zu erweitern. Hierfür wurden PFAS-frei POF theoretisch konzipiert und praktisch mittels des Bikomponentenschmelzspinnverfahrens hergestellt, welche somit nicht durch fluorhaltige Stoffe kontaminiert sind.

s. Abb. 4 Smarte Weste mit POF Leuchtband, der Vibrationsverbreiterungsstruktur und der Ansteuerung durch das RoboHeart vom Projektpartner Augmented Robotics

5.         Danksagung

Wir danken dem Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) für die Förderung des Forschungsprojekts SPIELEND (FKZ: 16SV9098). Zudem möchten wir allen Beteiligten in diesem Projekt für ihre Beiträge und ihr Engagement danken.

 

6.         Literaturverzeichnis

[1]        Deutschland Bundeszentrale für Politische Bildung, Datenreport 2021 ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. 2021.

[2]        Europäische Kommission und Generaldirektion Mobilität und Verkehr, „EU transport in figures : statistical pocketbook 2021“. Publications Office, 2021. Zugegriffen: 11. Februar 2022. [Online]. Verfügbar unter: https://data.europa.eu/doi/10.2832/733836

[3]        „Statista: Häufigkeit von privaten Treffen pro Woche vor und während der Corona-Maßnahmen 2020“, 2020. https://bit.ly/3BlCgOj (zugegriffen 11. Februar 2022).

[4]        „Statista: Umfrage zu erhöhter Nutzung von Videoanrufen während der Corona-Krise nach Alter 2020“.

https://bit.ly/3HOOG3n (zugegriffen 11. Februar 2022).

[5]        J. N. Bailenson, „Nonverbal Overload: A Theoretical Argument for the Causes of Zoom Fatigue“, Technol. Mind Behav., Bd. 2, Nr. 1, Feb. 2021, doi: 10.1037/tmb0000030.

 

Authors: Mark Pätzel Z. Danchen S. Rekik T. Gries

ITA - Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Straße 1, 52074 Aachen

Clothtech POF PFAS-frei TPU 3D-Druck

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31.07.2025

Development of Hybrid Yarn Structures from Carbon, Stainless Steel, and Elastomer Fibers for Composite Applications

Fibres Yarns Composites Recycling Sustainability

Abstract

As part of the IGF research project 01IF22916N, a complete, industry-ready process chain for producing three-component hybrid yarns from rCF, MF, and EF was successfully developed at the ITM of TU Dresden. The process chain comprises fiber preparation, carding, and drafting to form slivers, followed by modified flyer spinning to produce hybrid yarns.

Proof of concept was provided through the production of hybrid yarns with defined fiber volume contents and a functional demonstrator. Fig. 3 illustrates the full process chain from fiber preparation to demonstrator production from rCF, MF and EF at ITM. The resulting yarns ranged from 1500 to 3500 tex and were successfully processed into textile preforms. The resulting composites demonstrated excellent mechanical performance: a maximum flexural strength of 806 ± 18 MPa, flexural modulus of 83 ± 4 GPa, and an impact strength of up to 117 ± 17 kJ/m².

The results show that yarn twist significantly influences composite mechanical properties: moderate twist enhances flexural behavior, while higher twist improves impact resistance. By adjusting the yarn twist level, the mechanical performance of hybrid composites can be effectively tailored.

These novel hybrid yarns are particularly suited for producing cost-efficient, high-performance thermoset composites with complex geometries. Their application-specific performance and process-integrated production offer high innovation and market potential, especially in the fields of materials engineering, lightweight design, sustainability, and resource efficiency. For small and medium-sized enterprises (SMEs) in the textile industry, this technology provides opportunities to develop advanced fiber-reinforced products and establish themselves as key suppliers in sectors such as automotive, mechanical engineering, wind energy, aerospace, medical technology, and sports equipment.

Report

Introduction

The size of the CF-CFRP (carbon fiber-reinforced plastics) market was estimated at USD 21.12 billion in 2023. It is projected to grow from USD 22.57 billion in 2024 to USD 38.4 billion by 2032, with a CAGR of approximately 6.86% during the forecast period (2024–2032) [1]. Due to their high specific stiffness and strength, CFRPs are widely used in the automotive, sports, leisure, and aerospace industries [2]. However, CFRP components are brittle under impact loading, which can result in catastrophic failure and severe splintering [3]. This brittleness raises concerns for the use of thermoset CFRP structures in safety-critical components such as wind turbine blades or automotive B-pillars.

Current hybridization concepts aim to combine materials with high stiffness, strength, and ductility [4]. Existing approaches integrate carbon fibers (CF) with stainless steel fibers (MF) or elastomer fibers (EF) using metal or elastomer films in fiber-metal laminates (FMLs), such as CARALL [5–8], or in elastomer-based laminates, such as KRAIBON [9–14]. Metal films offer higher energy absorption due to their plastic deformability and elongation at break of up to 20%, surpassing CFRP and carbon/aramid hybrid composites [15–17]. Elastomer films reduce hazardous splintering under dynamic loading due to their elastic deformation behavior [9]. While such multilayer systems improve impact and splinter resistance, they also carry a high risk of delamination [18]. Moreover, there is a lack of cost-effective and sustainable composites with enhanced impact and splinter properties that fully utilize the benefits of their individual components.

Objective

The goal of this research project was the simulation-based development of novel three-component hybrid yarns with micro-scale hybridization using three distinct material concepts. These yarns were then used to produce functional composite structures for sustainable lightweight applications. By strategically combining ductile metal fibers (MF), highly elastic elastomer fibers (EF), and high-stiffness, high-strength recycled carbon fibers (rCF), scalable composites with tailored mechanical properties were developed.

The developed hybrid yarns form the basis for application-specific composites with high energy absorption capacity and improved damage resistance.

 

Hybrid Yarn Structures and Related Composites: Development and Characterization

Development and Production of Hybrid Yarns Using Flyer Spinning Technology

Starting from the selected and characterized rCF and EF fiber materials with an average fiber length of 80 mm and defined blend ratios, the fibers were prepared using mechanical pre-opening and blending units. The pre-opened and pre-mixed fibers were processed using a lab-scale carding machine to produce card slivers of rCF and EF. Characterization of these slivers revealed a CF damage level of 10–25%, while EF fibers showed no length reduction.

To avoid damaging the stainless steel fibres during carding, card slivers were firstly produced that were either 100% rCF or a blend of rCF and EF. These were combined with 100% MF slivers to develop sandwich-type structures (rCF/MF or rCF/EF/MF slivers), which served as feed material for the drafting process. The slivers were drafted multiple times to enhance fiber blending and homogeneity. These drafted slivers were then used to produce hybrid yarns.

The ITM’s specialized flyer spinning machine was modified to optimize drafting mechanics, sliver feed, and machine settings to avoid fiber misalignment. Based on experimental investigations, optimal settings were determined, and hybrid yarns with a yarn count of 1500 tex and twist levels ranging from 40 to 150 T/m were produced. These yarns were characterized in accordance with DIN EN ISO 13934-1, evaluating unevenness, yarn structure, and tensile behavior, and were subsequently used to produce composite.

Manufacturing of Recycled Carbon Fiber-Reinforced Composite

Using the developed hybrid yarns, unidirectional (UD) composites were produced via the resin transfer molding (RTM) process. The hybrid yarns were wound under constant tension onto a frame and consolidated under optimized parameters. The resin system consisted of Hexion RIMH 135 and hardener Hexion RIMH 137.

Composite characterization followed standardized test methods. Tensile specimens were prepared based on DIN EN ISO 527-5/A/2, with tensile testing conducted according to             DIN EN ISO 527-4. The flexural properties were evaluated in accordance with DIN EN ISO 14125 and impact resistance was assessed using DIN EN ISO 179-2 (Charpy method). The compression-after-impact (CAI) performance was measured following DIN ISO 18352. Additionally, a custom test rig was developed to analyze splintering behavior using a ZwickRoell HTM 5020 high-speed testing machine. Puncture resistance was evaluated according to DIN EN ISO 6603-2.

Selected Results and Discussion

Fig. 1 presents the relationship between flexural strength and modulus for various twist levels in hybrid yarn-based composites at a constant fiber volume content of 50 vol%. Both a CF-filament-based reference composite and three UD composites made from rCF/MF hybrid yarns (90 wt% rCF / 10 wt% MF) were investigated, differing only in yarn twist (40, 80 and 120 T/m). The reference composite achieved 725 ± 35 MPa flexural strength and a modulus of 74 ± 8 GPa. Notably, the T40 hybrid variant surpassed these values, reaching 806 ± 18 MPa and 83 ± 4 GPa, respectively.

However, increasing the yarn twist (80 and 120 T/m) led to a continuous decline in flexural properties. The intensified helical structure reduces fiber alignment in the load direction, which weakens load transfer and overall flexural performance.

Fig. 2 shows the impact strength of composites made from rCF/MF hybrid yarns at varying yarn twist levels. Results indicate a trend of increasing impact strength with higher twist (40 → 120 T/m), from 85 kJ/m² to 117 kJ/m². This improvement is attributed to a more compact yarn structure, enhanced fiber cohesion, and improved energy absorption during impact. Additionally, the tighter fiber arrangement enhances load transfer and structural integrity by reducing the number of loose fiber ends, resulting in greater resistance to sudden loads.

Summary

As part of the IGF research project 01IF22916N, a complete, industry-ready process chain for producing three-component hybrid yarns from rCF, MF, and EF was successfully developed at the ITM of TU Dresden. The process chain comprises fiber preparation, carding, and drafting to form slivers, followed by modified flyer spinning to produce hybrid yarns.

Proof of concept was provided through the production of hybrid yarns with defined fiber volume contents and a functional demonstrator. Fig. 3 illustrates the full process chain from fiber preparation to demonstrator production from rCF, MF and EF at ITM. The resulting yarns ranged from 1500 to 3500 tex and were successfully processed into textile preforms. The resulting composites demonstrated excellent mechanical performance: a maximum flexural strength of 806 ± 18 MPa, flexural modulus of 83 ± 4 GPa, and an impact strength of up to 117 ± 17 kJ/m².

The results show that yarn twist significantly influences composite mechanical properties: moderate twist enhances flexural behavior, while higher twist improves impact resistance. By adjusting the yarn twist level, the mechanical performance of hybrid composites can be effectively tailored.

These novel hybrid yarns are particularly suited for producing cost-efficient, high-performance thermoset composites with complex geometries. Their application-specific performance and process-integrated production offer high innovation and market potential, especially in the fields of materials engineering, lightweight design, sustainability, and resource efficiency. For small and medium-sized enterprises (SMEs) in the textile industry, this technology provides opportunities to develop advanced fiber-reinforced products and establish themselves as key suppliers in sectors such as automotive, mechanical engineering, wind energy, aerospace, medical technology, and sports equipment.

Acknowledgements

The IGF project 01IF22916N of the research association Forschungskuratorium Textil e.V. was funded via the DLR within the framework of the program for the promotion of industrial collaborative research and development (IGF) by the German Federal Ministry for Economic Affairs and Climate Action, based on a resolution of the German Bundestag. We thank the aforementioned institutions for their financial support.

 

References

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  4. D. Nestler: Beitrag zum Thema Verbundwerkstoffe - Werkstoffverbunde: Status quo und For-schungsansätze. Chemnitz: Univ.-Verl., 2014. – ISBN 9783944640129
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  6. GUPTA, R. K.; MAHATO, A.; BHATTACHARYA, A.: Notch Shape Influence on Damage Evolution of Al/CFRP Laminates Under Tensile Loading: Experimental and Numerical Analysis. Appl Compos Mater (2022). https://doi.org/10.1007/s10443-022-10051-2
  7. TRZEPIECIŃSKI, T.; NAJM, S. M.; SBAYTI, M.; BELHADJSALAH, H.; SZPUNAR, M.; LEMU, H. G.: New Advances and Future Possibilities in Forming Technology of Hybrid Metal–Polymer Composites Used in Aerospace Applications. J. Compos. Sci. 5(2021)8, Pp. 217 f. https://doi.org/10.3390/jcs5080217
  8. PONNARENGAN, H.; KAMARAJ, L.; BALACHANDRAN, S. R.; KATHAR BASHA, S.: Evaluation of me-chanical properties of novel GLARE laminates filled with nanoclay. Polym. Compos. 42(2021)8, Pp. 4015-4028. https://doi.org/10.1002/pc.26113
  9. KRAIBON®: https://www.kraiburg-rubber-compounds.com/kraibon (31.07.2025)
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  11. E. Stelldinger; A. Kühhorn; M. Kober: Experimental evaluation of the low-velocity impact dama-ge resistance of CFRP tubes with integrated rubber layer. Composite Structures 139(2016), Pp. 30-35. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2015.11.069
  12. E. Sarlin; M. Apostol; M. Lindroos; V.-T. Kuokkala; J. Vuorinen; T. Lepistö; M. Vippola: Impact properties of novel corrosion resistant hybrid structures. Composite Structures 108(2014), Pp. 886-893. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2013.10.023
  13. LI, Z.; ZHANG, J.; JACKSTADT, A.; KÄRGER, L.: Low-velocity impact behavior of hybrid CFRP-elastomer-metal laminates in comparison with conventional fiber-metal laminates. 02638223 287(2022), Pp. 115340 f. https://doi.org/10.1016/j.compstruct.2022.115340
  14. FLEISCHER, J. (HRSG.): Intrinsische Hybridverbunde für Leichtbautragstrukturen – Grundlagen der Fertigung, Charakterisierung und Auslegung. Berlin, Heidelberg: Springer Vieweg, 2021. – ISBN 978-3-662-62832-4
  15. Y. Swolfs; P. De Cuyper; M.G. Callens; I. Verpoest; L. Gorbatikh: Hybridisation of two ductile materials Steel fibre and self-reinforced polypropylene composites. Composites Part A: Applied Science and Manufacturing 100(2017), Pp. 48-54. https://doi.org/10.1016/j.compositesa.2017.05.001
  16. H.J. Koslowski: Chemiefaser-Lexikon. Deutscher Fachverlag, 2008. – ISBN 3871508764
  17. H. Schürmann: Konstruieren mit Faser-Kunststoff-Verbunden. Springer-Verlag GmbH, 2007. – ISBN 3540721894
  18. N. Montinaro; D. Cerniglia; G. Pitarresi: Evaluation of interlaminar delaminations in titanium-graphite fibre metal laminates by infrared NDT techniques. NDT & E International 98(2018), Pp. 134-146. https://doi.org/10.1016/j.ndteint.2018.05.004

 

 

Authors: Mahmud Hossain Anwar Abdkader Tobias Lang Thomas Gereke Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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31.07.2025

Entwicklung von Hybridgarnstrukturen aus Carbon-, Edelstahl- und Elastomerfasern für Compositeanwendungen

Fibres Yarns Composites Recycling Sustainability

Abstract

Im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens 01IF22916N wurde am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden eine durchgängige Prozesskette zur industriellen Herstellung von dreikomponentigen Hybridgarnen aus recycelten Carbonfasern (rCF), Metallfasern (MF) und Elastomerfasern (EF) erfolgreich entwickelt und umgesetzt. Die entwickelte Prozesskette umfasst die Faseraufbereitung und Charakterisierung, Krempel- und Verstreckungsprozess zur Bildung eines Faserbandes und die modifizierte Garnbildung im Flyer zur Herstellung der Hybridgarne. Der Eignungsnachweis der Technologie erfolgte durch die Herstellung dreikomponentiger Hybridgarne mit definierten Faservolumengehalten sowie durch die Fertigung eines Demonstrators. Abb. 3 zeigt die vollständige Prozesskette von der Faseraufbereitung bis zur Demonstratorherstellung aus rCF, MF und EF am ITM. Die realisierten Hybridgarne weisen Feinheiten zwischen 1500 tex und 3500 tex auf und konnten erfolgreich zu textilen Halbzeugen weiterverarbeitet werden. Die daraus hergestellten Composites zeigen hervorragende mechanische Eigenschaften: eine maximale Biegefestigkeit von 806 ± 18 MPa sowie ein maximales Biegemodul von 83 ± 4 GPa. Die maximale Schlagzähigkeit liegt bei 117±17 kJ/m². Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Garndrehung einen signifikanten Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften des Verbundmaterials ausübt. Eine moderate Garndrehung kann positiv auf die Verbundbiegeeigenschaften auswirken, während eine höhere Garndrehung vorteilhaft auf die Verbundschlagfestigkeit auswirken. Insgesamt zeigt sich, dass durch die gezielte Einstellung der Garndrehung das mechanische Verhalten der Hybridverbunde erheblich beeinflusst und optimiert werden kann.

Die neuartigen Hybridgarne eignen sich besonders für die Herstellung kosteneffizienter duroplastischer Hochleistungsverbunde mit komplexer Geometrie. Durch ihre anwendungsbezogene Leistungsfähigkeit und die zugrunde liegende prozessintegrierte Technologie verfügen sie über ein hohes Innovations- und Marktpotenzial – insbesondere in den Bereichen Werkstofftechnik, Leichtbau, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Textilindustrie eröffnet sich damit die Möglichkeit, innovative Produkte und Technologien für den Faserverbundmarkt zu entwickeln und sich als leistungsfähige Zulieferer für Branchen wie Automobilbau, Maschinenbau, Luftfahrt, Medizintechnik und Sportgeräteindustrie zu positionieren.

Report

Einleitung

Die Größe des CF-CFK-Marktes wurde im Jahr 2023 auf 21,12 Milliarden US-Dollar geschätzt. Die Branche des CF-CFK-Markets wird voraussichtlich von 22,57 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf 38,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2032 wachsen. Die Markt-CAGR (Wachstumsrate) wird im Prognosezeitraum 2024–2032 voraussichtlich bei etwa 6,86% liegen [1]. Dank ihrer hohen gewichtsspezifischen Steifigkeiten und Festigkeiten finden CFK breite Anwendung in der Automobil-, Sport-, Freizeit- sowie Luft- und Raumfahrtindustrie [2]. Jedoch sind CFK-Bauteile bei Schlagbelastung sehr spröde, was zu katastrophalen Schäden und starker Splitterbildung führen kann [3]. Deshalb ist der Einsatz von duroplastischen CFK-Strukturen in sicherheitsrelevanten Komponenten, wie Rotorblättern von Windkraftanlagen und PKW-B-Säulen, kritisch zu betrachten. Aktuelle Hybridisierungskonzepte zielen darauf ab, Materialien mit hoher Steifigkeit, Festigkeit und Duktilität zu vereinen [4]. Bestehende Ansätze kombinieren Carbonfasern (CF) mit Edelstahlfasern (MF) oder Elastomerfasern (EF) in Schichten aus Metallfolien und CFK als Faserverbund-Metall-Laminate (FML), bspw. CARALL [5-8], oder Elastomerfolien und CFK als Faserverbundlaminate, bspw. KRAIBON [9-14]. Metallfolien bieten aufgrund ihrer plastischen Verformbarkeit mit Bruchdehnungen von bis zu 20 % eine höhere Energieabsorption als CFK und Carbon/Aramid-Hybridcomposites [15-17]. Elastomerfolien reduzieren durch ihre elastische Verformbarkeit die gefährliche Splitterbildung unter dynamischer Belastung [9]. Diese Schichtsysteme verbessern das Impact- und Splitterverhalten zwar, bergen jedoch ein hohes Delaminationsrisiko [18]. Darüber hinaus fehlen kostengünstige und nachhaltige Composites mit geeigneten Impact- und Splittereigenschaften, die die Vorteile der Einzelkomponenten voll ausschöpfen und kostengünstig sowie nachhaltig sind.

Zielsetzung

Das Ziel des Forschungsvorhabens war die simulationsgestützte Entwicklung neuartiger Dreikomponenten-Hybridgarne, die auf Mikroebene hybridisierter sind, auf Basis dreier unterschiedlicher Materialkonzepte sowie deren Umsetzung in funktionale Compositestrukturen für nachhaltige Leichtbauanwendungen. Durch die gezielte Kombination duktiler Metallfasern (MF), hochelastischer Elastomerfasern (EF) sowie hochsteifer und hochfester recycelter Carbonfasern (rCF) sollten Verbundwerkstoffe mit skalierbaren mechanischen Eigenschaften entstehen.

Diese entwickelten Hybridgarne bildeten die Grundlage für die maßgeschneiderte Entwicklung von Composites für anwendungsorientierte Leichtbaulösungen mit hohem Energieabsorptionspotenzial und erhöhter Schadensresistenz.

 

Hybridgarnstrukturen und Composites: Entwicklung und Charakterisierung

Entwicklung und Fertigung von Hybridgarnen mittels Flyerspinntechnologie

Ausgehend von den ausgewählten und charakterisierten Fasermaterialien rCF und EF mit einer mittleren Faserausgangslänge von 80 mm und mit einem definierten Mischungsverhältnis wurden die Fasern mithilfe mechanischer Voröffnungs- und Vormischvorrichtungen aufbereitet. Anschließend wurden die vorgeöffneten und vorgemischten Fasern eine Speziallaborkrempel zugeführt, um Krempelbänder aus rCF und EF zu entwickeln. Die Charakterisierung der Krempelbänder zeigte, dass der Schädigungsgrad der Carbonfasern (CF) zwischen 10 und 25 % lag und die EF keine Fasereinkürzung aufweist.

Zum Schutz der Edelstahlfasern wurde zunächst ein Faserband aus 100 % rCF oder aus rCF und EF mit definierten Mischungsverhältnissen hergestellt. Anschließend wurden aus diesen und 100 % MF-Bändern Sandwichbandstrukturen (rCF/MF-Band oder rCF/EF/MF-Band) hergestellt, die als Ausgangsmaterial für die Strecke dienten. Zur Verbesserung der Gleichmäßigkeit des Faserbandes und zur besseren Durchmischung von rCF, EF und MF in der Faserstruktur wurde das Band mehrfach verstreckt. Die hergestellten Streckenbänder stehen für die weitere Entwicklung von Hybridgarnen zur Verfügung.

Zur Entwicklung von Hybridgarnen wurde der ITM-Spezialflyer hinsichtlich des verzugsstörungsfreien Streckwerks, der Bandzuführelemente und der Maschineneinstellparameter modifiziert. Anschließend wurden experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Aus den ermittelten optimalen Einstellungen des ITM-Spezialflyers wurden Hybridgarne mit einer Feinheit von 1500 tex und verschiedenen Garndrehungen von 40-150 T/m hergestellt. Die entwickelten Hybridgarne wurden in Anlehnung an DIN EN ISO 13934-1 hinsichtlich Ungleichmäßigkeit, Garnstruktur und Kraft-Dehnungsverhalten charakterisiert und stehen für die Herstellung von Verbundplatten zur Verfügung.

Fertigung von recycelten carbonfaserverstärkten Verbundplatten

Auf Basis der entwickelten Hybridgarne wurden unidirektionale (UD) Verbundplatten mittels des RTM-Verfahrens (Resin Transfer Molding) hergestellt und charakterisiert. Hierzu wurden die Hybridgarne zunächst unter konstanter Spannung gleichmäßig auf einen Wickelrahmen gewickelt und anschließend mit optimierten Parametern konsolidiert. Als Harzsystem kam das Injektionsharz Hexion RIMH 135 in Kombination mit dem Härter Hexion RIMH 137 zum Einsatz.

Im Rahmen der Verbundcharakterisierung kamen mehrere genormte Prüfverfahren zur Anwendung. Die Probekörper für den Verbundzugversuch wurden in Anlehnung an DIN EN ISO 527-5/A/2 hergestellt und die Zugprüfung erfolgte gemäß DIN EN ISO 527-4. Zur Bestimmung der Biegeeigenschaften faserverstärkter Kunststoffe wurde die Norm DIN EN ISO 14125 herangezogen und die instrumentierte Schlagprüfung erfolgte nach DIN EN ISO 179-2, welche die Charpy-Schlageigenschaften beschreibt. Zur Bewertung der Restdruckfestigkeit nach Schlagbeanspruchung kam das CAI-Verfahren gemäß DIN ISO 18352 zum Einsatz. Ergänzend wurde ein Prüfstand zur optischen Analyse des Splitterverhaltens entwickelt, wobei die Hochgeschwindigkeitsprüfmaschine HTM 5020 von ZwickRoell zum Einsatz kam. Die Durchstoßversuche orientierten sich an der Norm DIN EN ISO 6603-2.

 

Ergebnisse und Diskussion (Auswahl)

Das in Abb. 1 dargestellte Diagramm zeigt den Zusammenhang zwischen der Verbundbiegefestigkeit und dem Biegemodul bei verschiedenen Garndrehungen eines Faserverbundmaterials mit einem konstanten Faservolumenanteil von 50 Vol.- %. Es wurden sowohl ein Referenzverbund aus CF-Filamentgarnen als auch drei Varianten eines unidirektionalen (UD) Verbunds untersucht, die aus entwickelten rCF/MF-Hybridgarnen bestehen. Diese Hybridgarne setzen sich aus 90 Masse- % recycelten Carbonfasern (rCF) und 10 Masse-% Metallfasern (MF) zusammen. Sie unterscheiden sich ausschließlich in der Garndrehung (40, 80 und 120 T/m). Der Referenzverbund erreicht mit einer Biegefestigkeit von etwa 725 ± 35 MPa und einem Biegemodul von ca. 74 ± 8 GPa bereits ein gutes mechanisches Eigenschaftsprofil. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Variante mit moderater Garndrehung (T40) diese Werte übertrifft: Sie erreicht eine Biegefestigkeit von 806 ± 18 MPa und ein Biegemodul von 83 ± 4 GPa und erzielt damit die höchsten Werte innerhalb der untersuchten Proben. Mit zunehmender Garndrehung (T80 und T120) nehmen hingegen die Verbundbiegefestigkeit und das Biegemodul stetig ab. Die verstärkte Helixstruktur führt zu einer weniger effektiven Ausrichtung der Fasern in Längsrichtung. Dadurch wird die tragende Wirkung in Faserrichtung reduziert und die Verbundwirkung unter Biegebelastung geschwächt.

Die Abb. 2 zeigt die Schlagfestigkeit von Verbundwerkstoffen, die auf Basis neu entwickelter Hybridgarne aus recycelten Carbonfasern (rCF) und gehobelten Metallfasern (MF) hergestellt wurden. Dabei wurde die Schlagzähigkeit in Abhängigkeit von der Garndrehung untersucht. Es wurden drei Verbundplatten mit unterschiedlichen Garndrehungen (T40, T80 und T120) analysiert. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Schlagfestigkeit tendenziell mit steigender Garndrehung (T40 → T120) zunimmt. Bei einer niedrigen Drehung (T40) beträgt die Schlagfestigkeit etwa 90 kJ/m² und bei der höchsten Drehung (T120) eine deutliche Steigerung der Schlagzähigkeit auf etwa 117±17 kJ/m². Dies legt nahe, dass eine höhere Drehung zu einer verbesserten Mikrostruktur und somit zu einer effizienteren Energieaufnahme bei Schlagbelastung führt. Dadurch erhöht sich die Kohäsion zwischen den Fasern, was die Energieaufnahmefähigkeit beim Schlag verbessert. Zudem bewirkt die engere Verspannung der Fasern eine bessere Lastübertragung im Verbund. Eine höhere Garndrehung reduziert auch die Anzahl loser Faserenden, was die strukturelle Integrität steigert. Insgesamt resultiert daraus ein widerstandsfähigeres Material gegenüber schlagartiger Beanspruchung.

Zusammenfassung

Im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens 01IF22916N wurde am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden eine durchgängige Prozesskette zur industriellen Herstellung von dreikomponentigen Hybridgarnen aus recycelten Carbonfasern (rCF), Metallfasern (MF) und Elastomerfasern (EF) erfolgreich entwickelt und umgesetzt. Die entwickelte Prozesskette umfasst die Faseraufbereitung und Charakterisierung, Krempel- und Verstreckungsprozess zur Bildung eines Faserbandes und die modifizierte Garnbildung im Flyer zur Herstellung der Hybridgarne. Der Eignungsnachweis der Technologie erfolgte durch die Herstellung dreikomponentiger Hybridgarne mit definierten Faservolumengehalten sowie durch die Fertigung eines Demonstrators. Abb. 3 zeigt die vollständige Prozesskette von der Faseraufbereitung bis zur Demonstratorherstellung aus rCF, MF und EF am ITM. Die realisierten Hybridgarne weisen Feinheiten zwischen 1500 tex und 3500 tex auf und konnten erfolgreich zu textilen Halbzeugen weiterverarbeitet werden. Die daraus hergestellten Composites zeigen hervorragende mechanische Eigenschaften: eine maximale Biegefestigkeit von 806 ± 18 MPa sowie ein maximales Biegemodul von 83 ± 4 GPa. Die maximale Schlagzähigkeit liegt bei 117±17 kJ/m². Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Garndrehung einen signifikanten Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften des Verbundmaterials ausübt. Eine moderate Garndrehung kann positiv auf die Verbundbiegeeigenschaften auswirken, während eine höhere Garndrehung vorteilhaft auf die Verbundschlagfestigkeit auswirken. Insgesamt zeigt sich, dass durch die gezielte Einstellung der Garndrehung das mechanische Verhalten der Hybridverbunde erheblich beeinflusst und optimiert werden kann.

Die neuartigen Hybridgarne eignen sich besonders für die Herstellung kosteneffizienter duroplastischer Hochleistungsverbunde mit komplexer Geometrie. Durch ihre anwendungsbezogene Leistungsfähigkeit und die zugrunde liegende prozessintegrierte Technologie verfügen sie über ein hohes Innovations- und Marktpotenzial – insbesondere in den Bereichen Werkstofftechnik, Leichtbau, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Textilindustrie eröffnet sich damit die Möglichkeit, innovative Produkte und Technologien für den Faserverbundmarkt zu entwickeln und sich als leistungsfähige Zulieferer für Branchen wie Automobilbau, Maschinenbau, Luftfahrt, Medizintechnik und Sportgeräteindustrie zu positionieren.

 

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 01IF22916N der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über das DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel.

 

Literaturangaben

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  16. H.J. Koslowski: Chemiefaser-Lexikon. Deutscher Fachverlag, 2008. – ISBN 3871508764
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Authors: Mahmud Hossain Anwar Abdkader Tobias Lang Thomas Gereke Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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11.06.2025

PE-based, spun-dyed and sustainable clothing made from organic raw materials

Fibres Yarns Knittings Recycling Sustainability Fashion

Abstract

The bioPEtex project in the BIOTEXFUTURE Innovation Space aims to develop sustainable clothing made from bio-based raw materials in the form of spun-dyed T-shirts. In an industry heavily dominated by fossil-based polymers such as polyester, bio-based polyethylene (bioPE), a bio-based polymer made from fermented starches or sugars, offers an environmentally friendly alternative. BioPE has the same properties as fossil-based PE and is fully recyclable. The use of spun-dyed bioPE also reduces energy and water consumption by 50 % and CO2 emissions by 60 %. The project involves the development of sustainably dyed compounds from bioPE for the spun-dyeing process and the development of multifilament yarns through melt spinning and false-twist texturing. The yarns are knitted on seamless machines and a T-shirt demonstrator is manufactured, which is finished with a sustainable elastic finish. The results will not only reduce the ecological footprint of the textile industry, but also promote innovative approaches to the circular economy.

Report

Introduction

The global annual man-made fibre production is growing steadily and is expected to exceed 100 million tonnes by 2030. Polyethylene terephthalate (PET) from the polyester (PES) family is the most widely used polymer, with an 80 % market share. Global clothing production alone almost doubled between 2000 and 2015. More than 80 % of all fibres produced are now used for clothing. Between 30 and 60 % of PET produced worldwide is used in clothing, i.e. approx. 18 to 36 million tonnes. This makes PET the most widely used material for clothing (as of 2021). The textile industry therefore faces enormous ecological challenges, particularly due to the high proportion of fossil raw materials used in textile production. Fossil-based polyesters account for around 52 % of the market and have a significant negative impact on the environment and resource consumption. Synthetic fibres in clothing are largely made from these fossil-based polyesters, the main component of which is PET, which is not yet 100 % bio-based. Clothing made from 100 % biopolymers has so far only been shown in studies and flagship projects, as it is too expensive for the mass market and not available in sufficient quantities. The bioPEtex project aims to establish 100 % bio-based polyethylene (bioPE) in the clothing market. The large-volume thermoplastic drop-in polymer is used to produce mono material, thermomechanically recyclable clothing. To achieve this, the challenge that PE is not produced for continuous fibre production and that there are no designated types for this purpose and no textile plant technology designed for the polymer must be solved. Based on preliminary work at the Institute für Textiltechnik (ITA), the current project status and Alberghini et al., it is foreseeable that the project will be successful. The consortium's expertise is ideally suited for rapid implementation. [Tex22; AHL+21; SB20Materials and Methods

In the scope of this project, commercially available bio-based polyethylenes are selected, procured and modified (see Figure 1).

Spinnable compounds made from BioPE are then developed. For subsequent spin dyeing in the melt spinning process, colour masterbatches with bio-based colour pigments are developed by our industry partner TECNARO GmbH, Ilsfeld, Germany, in order to realise a sustainable alternative to conventional dyeing with dyes. In addition, conventional dyeing of PE is challenging [BBO+13]. Various textured multifilament yarns with up to 100 filaments are developed from these bioPE compounds using melt spinning and texturing processes on a semi-industrial scale, so that a bio-based T-shirt can be manufactured. Until now, PE has only been used in the industry for staple fibres, highly drawn fibres for technical applications or for carbon fibres – but not yet as yarn in clothing [Fou99; Pei18; Wor17]. In addition to the elasticity provided by the meshes in the knitted fabric, innovative, pre-competitive, sustainable textile finishes are being tested and further developed.

Results

Initial results show promising progress in the processing of bioPE into spun-dyed yarns with suitable properties for textile applications. BioPE can be processed into multifilament yarns in stable melt spinning processes. Process development with dyed bioPE compounds is currently underway (see Figure 2).

The resulting partially oriented yarns (POY) with currently 96 filaments and a single filament titre of approx. 1 dtex have suitable properties for subsequent false-twist texturing (see Figure 3). Production speeds for melt spinning are currently in the industrial range (2,500 m/min). In a next step, yarns with 30 filaments and a higher single filament titre will be spun in order to give the resulting textile more stability in combination with the fine yarns.

Tensile strengths of approx. 20 cN/tex have been achieved to date, thus already meeting the target values derived from PET-POY. False-twist texturing on a laboratory scale (ITA) and on a semi-industrial scale (BB Engineering GmbH, Remscheid, Germany) has also been successful. The mechanical properties of the textured yarns (draw-textured yarn, DTY) are thus improved and the yarn volume and heat retention capacity are increased (see Figure 4). The close-up image of the DTY below shows that no tangling was introduced on a laboratory scale and that the yarn cohesion is therefore not yet ideal. However, the DTY can already be processed into a knitted fabric without any problems. These shortcomings are also remedied on a semi-industrial scale.

The resulting natural fibre-like, cool feel now makes it possible to use the yarn in textiles. Initial knitting trials with the lab-scale DTY have been successful at our industrial partner FALKE KGaA in Schmallenberg, Germany, once again confirming the cooling sensation when the textile is touched. Further yarns are being developed so that the next step can be to produce a T-shirt for sports applications using semi-industrial yarns and validate it as a demonstrator. The development of the bio-based elastic finish is also currently underway.

Summary

The bioPEtex project represents an innovative approach to producing sustainable clothing from bio-based materials. Targeted research and development aims to achieve both ecological and economic benefits. The results achieved could contribute to significantly reducing the ecological footprint of the textile industry and setting new standards for recyclability in the fashion industry. So far, developments with bio-based PE compounds have been successful, and smooth, partially oriented as well as textured yarns can be produced on a semi-industrial scale and processed into a cooling knit fabric. Validation as a demonstrator in the form of a seamless, bio-based T-shirt with elastic bio-based finishing is still pending in the further course of the project.

Acknowledgement

We thank the Federal Ministry of Research, Technology and Space for funding the Innovation Space BIOTEXFUTURE and the research project bioPEtex (031B1496). Furthermore, we would also like to thank everyone involved in this project for their contributions and commitment.

Bibliography

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Authors: M. Ortega J. Langer R. Morgenroth M. van Haren G. Mourgas A. Langer T. Gries

ITA Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Straße 1, 52074 Aachen, Germany

Clothtech SportTec Oekotech

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10.06.2025

PE-basierte, spinngefärbte und nachhaltige Kleidung aus Biorohstoffen

Fibres Yarns Knittings Recycling Sustainability Fashion

Abstract

Das Projekt BioPEtex im Innovationsraum BIOTEXFUTURE zielt darauf ab, nachhaltige Bekleidung aus biobasierten Rohstoffen in Form von spinngefärbten T-Shirts zu entwickeln. In einer Branche, die stark von fossilen Polymeren wie Polyester dominiert wird, bietet biobasiertes Polyethylen (BioPE), ein biobasierter Kunststoff aus fermentierten Stärken oder Zucker, eine umweltfreundliche Alternative. BioPE weist die gleichen Eigenschaften auf wie fossiles PE und ist vollständig recycelbar. Durch die Verwendung von spinngefärbtem BioPE können zudem der Energie- und Wasserverbrauch um 50 % gesenkt werden, während CO2-Emissionen um 60 % reduziert werden. Das Projekt umfasst die Entwicklung von nachhaltig eingefärbten Compounds aus BioPE für das Spinnfärbe-Verfahren sowie die Entwicklung von Multifilamentgarnen durch Schmelzspinnen und Falschdrahttexturierung. Die Garne werden auf Seamless-Maschinen verstrickt und ein T-Shirt-Demonstrator konfektioniert, welcher mit einer nachhaltigen elastischen Ausrüstung versehen wird. Die Ergebnisse werden nicht nur den ökologischen Fußabdruck der Textilindustrie verringern, sondern auch innovative Ansätze zur Kreislaufwirtschaft fördern.

Report

Einleitung

Die weltweite jährliche Chemiefaserproduktion wächst stetig und wird 2030 voraussichtlich 100 Mio. t überschreiten. Der Polyester (PES) Polyethylenterephthalat (PET) ist mit 80 % Marktanteil das meistgenutzte Polymer. Alleine die weltweite Kleidungsproduktion wurde zwischen 2000 und 2015 fast verdoppelt. Mittlerweile werden mehr als 80 % aller produzierten Fasern für Kleidung eingesetzt. Von weltweit produziertem PET werden 30 bis 60 % in Kleidung eingesetzt, also ca. 18 bis 36 Mio. t. So ist PET das meistgenutzte Material für Kleidung (Stand 2021). Die Textilindustrie steht somit vor enormen ökologischen Herausforderungen, insbesondere aufgrund des hohen Anteils an fossilen Rohstoffen in der Textilproduktion. Fossile Polyester machen etwa 52 % des Marktes aus und haben erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt und den Ressourcenverbrauch. Kunstfasern in Bekleidung werden zum Großteil aus diesen fossilen Polyestern mit Hauptbestandteil Polyethylenterephthalat (PET) hergestellt, welches jedoch noch nicht zu 100 % biobasiert hergestellt wird. Kleidung aus 100 % Biopolymeren wird bisher nur in Studien und Leuchtturmprojekten gezeigt, da diese zu teuer für den Massenmarkt und nicht in ausreichender Menge vorhanden sind. Das Projekt bioPEtex verfolgt das Ziel, 100 % biobasiertes Polyethylen (BioPE) im Bekleidungsmarkt zu etablieren. Aus dem großvolumig vorhandenen thermoplastischen Drop-In-Polymer wird sortenreine und thermomechanisch recycelbare Kleidung hergestellt. Dazu muss das Defizit gelöst werden, dass PE nicht für die Endlosfaserherstellung produziert wird und es keine dafür ausgewiesenen Typen sowie keine auf das Polymer ausgelegte, textiltechnische Anlagetechnik gibt. Aufgrund von Vorarbeiten am Institut für Textiltechnik, dem aktuellen Projektstand und Alberghini et al. ist abzusehen, dass das Projekt erfolgreich sein wird. Die Expertise des Konsortiums ist für die schnelle Umsetzung bestens geeignet. [Tex22; AHL+21; SB20]

Material und Methoden

Im Rahmen des Projekts werden kommerziell verfügbare biobasierte Polyethylene ausgewählt, beschafft und modifiziert (vgl. Abbildung 1).

Anschließend werden spinnbare Compounds aus BioPE entwickelt. Für die nachfolgende Spinnfärbung im Schmelzspinnprozess werden durch den Industriepartner TECNARO GmbH, Ilsfeld, Farbmasterbatches mit biobasierten Farbpigmenten entwickelt, um eine nachhaltige Alternative zur konventionellen Färbung mit Farbstoffen zu realisieren. Zudem ist die konventionelle Anfärbung von PE herausfordernd [BBO+13]. Aus diesen BioPE-Compounds werden über Schmelzspinn- und Texturierprozesse im semi-industriellen Maßstab verschiedene texturierte Multifilamentgarne mit bis zu 100 Filamenten entwickelt, sodass ein biobasiertes T-Shirt konfektioniert werden kann. Bisher wird PE in der Industrie lediglich für Stapelfasern, hochverstreckte Fasern für technische Anwendungen oder für Carbonfasern eingesetzt – jedoch noch nicht als Garn in der Bekleidung [Fou99; Pei18; Wor17]. Zusätzlich zur Elastizität durch die Maschen im Gestrick werden innovative, vorwettbewerbliche, nachhaltige Textilausrüstungen getestet und weiterentwickelt.

Ergebnisse

Die ersten Ergebnisse zeigen vielversprechende Fortschritte bei der Verarbeitung von BioPE in spinngefärbten Garnen mit geeigneten Eigenschaften für textile Anwendungen. BioPE kann in stabilen Schmelzspinnprozessen zu Multifilamentgarnen verarbeitet werden. Die Prozessentwicklung mit gefärbten BioPE-Compounds wird zurzeit durchgeführt (vgl. Abbildung 2).

Die resultierenden teilverstreckten Garne (engl. Partially-Oriented Yarn, POY) mit aktuell 96 Filamenten und einem Einzelfilamenttiter von ca. 1 dtex weisen geeignete Eigenschaften für die anschließende Falschdrahttexturierung auf (vgl. Abbildung 3). Produktionsgeschwindigkeiten beim Schmelzspinnen befinden sich zurzeit im industriellen Bereich (2.500 m/min). In einem nächsten Schritt werden Garne mit 30 Filamenten mit höher Einzelfilamenttiter ausgesponnen, um dem resultierenden Textil in Kombination mit den feinen Garnen mehr Stabilität zu verleihen.

Zugfestigkeiten von ca. 20 cN/tex werden bisher erreicht und die angestrebten, von PET-POY abgeleiteten Zielwerte somit bereits erfüllt. Die Falschdrahttexturierung im Labor- (ITA) sowie im semi-industriellen Maßstab (BB Engineering GmbH, Remscheid) ist ebenfalls erfolgreich. Die mechanischen Garnkennwerte der texturierten Garne (engl. Draw-Textured Yarn, DTY) werden somit verbessert und das Garnvolumen sowie das Wärmerückhaltevermögen erhöht (vgl. Abbildung 4). In der Abbildung ist bei der Nahaufnahme des DTY zu sehen, dass im Labormaßstab keine Tangelung eingebracht wurde und der Garnzusammenhalt somit noch nicht ideal ist. Das DTY aus dem Labormaßstab lässt sich jedoch bereits ohne Probleme zu einem Gestrick verarbeiten. Im semi-industriellen Maßstab werden diese Defizite zudem behoben.

Mit dem resultierenden naturfaserähnlichen, kühlen Griff ist der Einsatz im Textil nun möglich. Erste Strickversuche mit dem Labor-DTY sind beim Industriepartner FALKE KGaA, Schmallenberg, erfolgreich und bestätigen erneut das kühlende Gefühl bei Berührung des Textils. Weitere Garne werden entwickelt, damit als nächster Schritt das T-Shirt für Sportanwendungen mit aus semi-industriellen Garnen produziert und als Demonstrator validiert werden kann. Die Entwicklung der biobasierten elastischen Ausrüstung erfolgt zurzeit ebenfalls.

Zusammenfassung

Das Projekt bioPEtex stellt einen innovativen Ansatz dar, um nachhaltige Bekleidung aus biobasierten Materialien herzustellen. Durch gezielte Forschung und Entwicklung sollen sowohl ökologische als auch ökonomische Vorteile realisiert werden. Die erzielten Ergebnisse könnten dazu beitragen, den ökologischen Fußabdruck der Textilindustrie erheblich zu verringern und neue Standards für Recyclingfähigkeit in der Modebranche zu setzen. Bisher sind die Entwicklungen mit biobasierten PE-Compounds erfolgreich und glatte teilverstreckte sowie texturierte Garne können im semi-industriellen Maßstab produziert und zu einem kühlenden Gestrick verarbeitet werden. Die Validierung als Demonstrator in Form eines seamless gestrickten, biobasierten T-Shirts mit elastischer biobasierter Ausrüstung steht im weiteren Projektverlauf noch aus.

Danksagung

Wir danken dem Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) für die Förderung des Innovationsraums BIOTEXFUTURE und des Forschungsprojekts bioPEtex (FKZ: 031B1496). Zudem möchten wir allen Beteiligten in diesem Projekt für ihre Beiträge und ihr Engagement danken.

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    Saechtling Kunststoff Taschenbuch. 31. Ausgabe, [komplett überarb., aktualisiert und zum ersten Mal in Farbe]Aufl..- München: Hanser, 2013

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Authors: Mathias Ortega J. Langer R. Morgenroth M. van Haren G. Mourgas A. Langer T. Gries

Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

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06.06.2025

Kationenfunktionalisierte Chitinfasern – Entwicklung eines kontinuierlichen Spinnprozesses für ionenfunktionalisierte Biopolymerfasern auf Basis von Chitin

Raw materials Fibres Sustainability

Abstract

Im Rahmen des IGF-Projektes „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ wurde erfolgreich ein kontinuierlicher, KMU-gerechter Spinnprozess zur Herstellung neuartiger, kationenfunktionalisierter Chitinfasern entwickelt. Mit diesem Verfahren war es erstmals möglich, reine Chitinfasern aus kostengünstigen Rohstoffen und unter Verwendung unbedenklicher Lösungsmittel im technisch relevanten Maßstab herzustellen. Damit konnte Chitin, eines der am häufigsten vorkommenden Biopolymere, erstmals für faserbasierte Anwendungen wirtschaftlich nutzbar gemacht werden. Durch die Funktionalisierung der Chitinfasern mit bioaktiven Ionen, insbesondere Calciumionen, wurde eine gezielte Modifikation der Fasereigenschaften erreicht. Diese Innovation ermöglichte eine deutlich verbesserte enzymatische Stabilität und damit eine kontrollierte Degradation der Fasern, wie sie für viele medizinische und textile Anwendungen erforderlich ist. Darüber hinaus eröffnete die entwickelte Technologie die Möglichkeit, maßgeschneiderte Funktionalisierungen der Chitinfasern für spezifische Anwendungen zu realisieren. Auf Basis der Projektergebnisse wurde somit unmittelbar produktvorbereitendes Basiswissen geschaffen, das die Entwicklung innovativer Produkte im Bereich der Medizintextilien, der regenerativen Medizin sowie des Tissue Engineering ermöglicht.

Report

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung

Die Textilindustrie steht im Spannungsfeld wachsender Anforderungen: Klimawandel, Ressourcenknappheit und ein zunehmend nachhaltigkeitsbewusstes Konsumverhalten fordern neue Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Bisher wird der Markt von synthetischen Fasern dominiert, die auf fossilen Rohstoffen basieren und damit erheblich zur Umwelt- und Klimabelastung beitragen [1–2]. Naturfasern stellen eine grünere Alternative dar, sind jedoch nicht uneingeschränkt nachhaltig. Ihr Anbau verbraucht oft sehr viel Wasser und es werden Düngemittel und Pflanzenschutzmittel eingesetzt, was ihre Umweltbilanz ebenfalls belastet [3].

In diesem Kontext rückt Chitin, das nach Cellulose zweithäufigste natürlich vorkommende Polymer, zunehmend in den Fokus als vielversprechender, bio-basierter Rohstoff mit hoher Funktionalität [4]. Es fällt in großen Mengen als Nebenprodukt in der Lebensmittelindustrie, beispielsweise bei der Verarbeitung von Krebs- und Schalentieren, an. Damit ist es nicht nur reichlich verfügbar, sondern auch kostengünstig und nachhaltig. Chitin und seine Derivate, wie beispielsweise Chitosan, weisen eine Vielzahl wünschenswerter Eigenschaften auf: Sie sind biologisch abbaubar, bioaktiv, biokompatibel und weisen aufgrund ihrer kristallinen Struktur eine hohe mechanische Festigkeit auf. Dadurch eignet es sich hervorragend für hochwertige, funktionale Textilanwendungen, z. B. im Bereich medizinischer Einwegprodukte, in dem der Bedarf kontinuierlich wächst und gleichzeitig enorme Abfallmengen anfallen. Die Herausforderung besteht jedoch in der technologischen Nutzbarmachung dieses Rohstoffs: Chitin ist aufgrund seiner teilkristallinen molekularen Struktur kaum löslich, was einerseits die positiven Funktionen des Werkstoffs ermöglicht jedoch andererseits die Weiterverarbeitung zu textilen Strukturen erheblich erschwert. Herkömmliche Lösungsansätze setzen auf aggressive und gesundheits- sowie umweltbedenkliche Lösungsmittel wie Trichloressigsäure oder LiCl/DMA. Diese führen zu Polymerabbau, Materialschwächung und aufwendigen Reinigungsschritten [5–7]. Für medizinische Anwendungen sind diese Prozesse ungeeignet und eine Skalierung in den industriellen Maßstab ist kaum umsetzbar.

Ein alternativer, deutlich nachhaltigerer Ansatz ist die Verwendung ionischer Flüssigkeiten (engl. ionic liquids, IL). Diese modernen Lösungsmittel haben das Potenzial, Chitin in Lösung zu bringen, ohne dessen Struktur zu beeinträchtigen. Allerdings sind auch hier die technologischen Barrieren hoch, sodass bisherige Prozesse überwiegend diskontinuierlich und für geringe Produktionsmengen realisiert wurden [8–10]. Somit fehlt bislang ein wirtschaftlich tragfähiger und durchgehend nachhaltiger Prozess, der die Herstellung von Chitinfasern kontinuierlich und in industriell relevanter Menge ermöglicht.

Das Ziel des IGF-Projektes 22568 „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ bestand daher in der Entwicklung eines kontinuierlichen, lösungsmittelbasierten Nassspinnverfahrens für 100 % reine Chitinmultifilamentgarne, das sowohl materialschonend als auch prozesstechnisch skalierbar ist. Durch eine integrierte Funktionalisierung mit bioaktiven Kationen (z. B. Calcium- oder Strontium-Ionen, welche die Knochenregeneration unterstützen) sollte zudem die Grundlage für die Herstellung von Funktionstextilien geschaffen werden, um neue Anwendungsfelder für Unternehmen zu eröffnen – insbesondere im wachstumsstarken Bereich der Smart und Medical Textiles.

Erzielte Ergebnisse

Im IGF-Projekt „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ wurde erfolgreich ein kontinuierlicher, KMU-gerechter Spinnprozess zur Herstellung reiner Chitinmultifilamentgarne im industriell relevanten Maßstab realisiert. Durch die gezielte Funktionalisierung mit bioaktiven Ionen konnten die Fasereigenschaften spezifisch angepasst und eine kontrollierte, enzymatische Abbaubarkeit erreicht werden. Im Folgenden werden die wesentlichen Projektergebnisse und technologischen Entwicklungen im Detail erläutert.

Prozessentwicklung für die kontinuierliche Fertigung von Chitinmultifilamentgarnen

Im Projektverlauf wurden verschiedene IL systematisch auf ihre Eignung als Lösungsmittel für die Filamenterspinnung untersucht. Die besten Ergebnisse lieferte 1-Ethyl-3-methylimidazoliumpropionat (EMIMOPr, proionic GmbH, Raaba-Grambach, AT). Diese IL konnte verschiedene untersuchte Chitinqualitäten und -provenienzen bei moderaten Temperaturen (60 – 90 °C) effizient lösen, ohne das Polymer zu degradieren. Entscheidend war dabei auch, dass EMIMOPr im späteren Prozessschritt vollständig aus den Fasern entfernt werden konnte. In Abbildung 1 sind die ermittelten FT-IR-Spektren am Beispiel des verwendeten Chitinpulvers (grau) sowie der daraus hergestellten Multifilamentgarne (rot) nach dem Spinnprozess graphisch dargestellt. Die Ergebnisse zeigten keine Veränderung der chemischen Struktur des Chitins nach dem Spinnprozess und keine Lösungsmittelspuren.

Mit dieser IL konnten stabile Spinnlösungen mit Chitinkonzentrationen zwischen 3 Gew.-% und 5 Gew.-% hergestellt werden. Um eine gute Prozessführung zu gewährleisten – insbesondere bei der Überführung in den Technikumsmaßstab – wurden die rheologischen Eigenschaften gezielt untersucht und eingestellt. Der im Labormaßstab entwickelte Spinnprozess wurde anschließend erfolgreich auf eine modulare Lösungsmittelnassspinnanlage (Fourné Maschinenbau GmbH, Alfter-Impekoven, DE) mit individuell steuerbaren Zonen für Extrusion, Koagulation, Waschen und Trocknung im semi-industriellen Technikumsmaßstab übertragen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Konfiguration der Spinndüsen, um einen stabilen Spinnprozess und eine homogene Filamentstruktur zu erzeugen.

Im Vergleich zu bisherigen Projektergebnissen und etablierten Spinnprozessen – insbesondere dem konventionellen Chitosanspinnen mit Essigsäure als Lösungsmittel [11] sowie der Verwendung von IL (z. B. 1-Ethyl-3-Methylimidazoliumacetat, EMIMOAc [12]) für Chitosan mit Deacetylierungsgraden über 70 % – zeigen die im Rahmen dieses Projektes hergestellten Chitinfilamentgarne signifikant höhere Festigkeiten von ≥ 20 N (vgl. Abbildung 3, rechts). Die erzielten mechanischen Eigenschaften übertreffen damit sämtliche in bisherigen Vorhaben erzielten Ergebnisse und unterstreichen das große Potenzial des neu entwickelten Spinnverfahrens. Der Forschungsbedarf hinsichtlich der beobachteten Wertestreuungen in Abhängigkeit von der Düsengeometrie sowie anlagenbedingte Limitierungen, die derzeit das Verspinnen von Lösungen mit höheren Viskositäten erschweren, bildet zudem eine solide Grundlage für zukünftige Projekte zur weiteren Prozessoptimierung und -weiterentwicklung.

Funktionalisierung der Chitinfasern mit bioaktiven Ionen

Ein weiteres zentrales Ziel war die Entwicklung eines Verfahrens zur in den Spinnprozess integrierten neuartigen Funktionalisierung von Chitinfasern mit bioaktiven Calcium-, Strontium- und Magnesiumionen, die zusätzliche Eigenschaften mitbringen – insbesondere für den Einsatz in medizinischen Textilien, etwa bei knochenaufbauenden Implantaten oder Wundauflagen. Hierzu wurden drei unterschiedliche methodische Ansätze konzipiert und experimentell untersucht: (1) die direkte Einbringung der Ionen in die Spinnlösung, (2) die Funktionalisierung der Filamente während der Koagulation im Fällbad sowie (3) der Vergleich dieser Inline-Methoden mit einer nachgelagerten Funktionalisierung von Chitinmonofilamenten nach der Erspinnung. Eine schematische Darstellung der untersuchten Funktionalisierungsansätze ist in Abbildung 4 am Beispiel der Funktionalisierung mit Calcium-Ionen dargestellt.

Aussichtsreiche Ergebnisse wurden insbesondere bei der Funktionalisierung direkt im Spinnprozess während der Koagulation erzielt. Durch die Zugabe von Calcium-, Magnesium- oder Strontiumsalzen in das Koagulationsbad (deionisiertes Wasser) konnten die Ionen effektiv in die noch nicht vollständig verfestigten Filamente eingebracht werden. Die Inline-Funktionalisierung ermöglichte eine gleichmäßige Ionenverteilung, ohne die mechanische Struktur der Fasern negativ zu beeinflussen.

Anhand der in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie und Forschung (u.a. Anton Paar GmbH, Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft der TUD) durchgeführten Untersuchungen wie EDX-Analysen (vgl. Abbildung 5), optische Emissionsspektrometrie (ICP-OES) (vgl. Abbildung 6), Zeta-Potential-Messungen und FTIR-Spektroskopie, wurde nachgewiesen, dass die Ionen dauerhaft in der Faserstruktur eingebunden sind, sowohl an der Oberfläche als auch im Inneren des Filaments. Insbesondere Calciumionen weisen eine hohe Affinität zu Chitin auf und bleiben auch nach längeren Wasch- und Trocknungsprozessen in der Faser erhalten. Zur Untersuchung des Ionenabgabeverhaltens bzw. der Ionenfreisetzung unter physiologisch relevanten Bedingungen wurden systematische Elutionsversuche durchgeführt. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass der Großteil der Ionen innerhalb kurzer Zeit (≤ 7 d) aus den Filamenten freigesetzt wird und nur ein geringer Restanteil langfristig in der Faserstruktur verbleibt. Im Hinblick auf potenzielle Anwendungen, beispielsweise in der Entwicklung bioaktiver Medizintextilien oder für Systeme zur gezielten Wirkstofffreisetzung, stellt das beobachtete Freisetzungsverhalten einen Vorteil dar: Die schnelle Ionenabgabe könnte entzündungshemmende, wundheilungsfördernde oder mineralisierende Effekte unmittelbar nach Applikation unterstützen und damit die Funktionalität solcher Materialien deutlich erhöhen.

Trotz der spröden Materialstruktur – eine bekannte Eigenschaft kristalliner Biopolymere, wie Chitin – konnten durch gezielte Prozessanpassung textile Flächenstrukturen realisiert werden. Insbesondere durch die Kombination mit Stützgarnen, wie Baumwolle oder Viskose, konnten Zwirne hergestellt werden, die sich anschließend zu Geweben und Gestricken weiterverarbeiten ließen. Erste Demonstratoren, u. a. Maschen- und Gewebemuster, belegten die grundsätzliche Eignung für technische und medizinische Textilanwendungen (vgl. Abbildung 7). Trotz der derzeit noch hohen Sprödigkeit des Garnmaterials zeigen die Ergebnisse ein großes Potenzial für zukünftige Anwendungen. Durch gezielte Maßnahmen, wie z. B. das Aufbringen von Schlichten oder die Kombination mit anderen bioabbaubaren Polymeren (z. B. Viskose, Cellulose, Baumwolle etc.), könnte die Flexibilität weiter verbessert werden, wodurch ein breites Anwendungsspektrum in medizinischen und technischen Textilien ermöglicht wird. Insgesamt stellt die Entwicklung einen vielversprechenden Ansatz zur Nutzung biobasierter Materialien in anspruchsvollen textilen Anwendungen dar.

 Zusammenfassung

Im Rahmen des IGF-Projektes „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ wurde erfolgreich ein kontinuierlicher, KMU-gerechter Spinnprozess zur Herstellung neuartiger, kationenfunktionalisierter Chitinfasern entwickelt. Mit diesem Verfahren war es erstmals möglich, reine Chitinfasern aus kostengünstigen Rohstoffen und unter Verwendung unbedenklicher Lösungsmittel im technisch relevanten Maßstab herzustellen. Damit konnte Chitin, eines der am häufigsten vorkommenden Biopolymere, erstmals für faserbasierte Anwendungen wirtschaftlich nutzbar gemacht werden. Durch die Funktionalisierung der Chitinfasern mit bioaktiven Ionen, insbesondere Calciumionen, wurde eine gezielte Modifikation der Fasereigenschaften erreicht. Diese Innovation ermöglichte eine deutlich verbesserte enzymatische Stabilität und damit eine kontrollierte Degradation der Fasern, wie sie für viele medizinische und textile Anwendungen erforderlich ist. Darüber hinaus eröffnete die entwickelte Technologie die Möglichkeit, maßgeschneiderte Funktionalisierungen der Chitinfasern für spezifische Anwendungen zu realisieren. Auf Basis der Projektergebnisse wurde somit unmittelbar produktvorbereitendes Basiswissen geschaffen, das die Entwicklung innovativer Produkte im Bereich der Medizintextilien, der regenerativen Medizin sowie des Tissue Engineering ermöglicht.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 22568 „Kationenfunktionalisierte Chitinfasern“ der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über den Projektträger DLR im Rahmen des Programms zur Förderung der „Industriellen Gemeinschaftsforschung“ (IGF) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMBK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Darüber hinaus danken wir den Mitgliedern des projektbegleitenden Ausschusses für ihre Unterstützung während der Projektbearbeitung.

Literatur

[1]        A new textiles economy: Redesigning fashion’s future: Ellen MacArthur Foundation, 2017.

[2]        Deutsche Stiftung Meeresschutz: Studie Mikroplastik im Meer und seinen Klimafolgen.  https://www.stiftung-meeresschutz.org/themen/meeresverschmutzung/mikroplastik-im- meer-und-seine- klimafolgen/ (20.05.2025).

[3]        GOEL, S.: Wool is 44% Carbon. Leonardo 45(2012)2, pp. 186–187.

[4]        SHAMSHINA, J. L.: Chitin in ionic liquids: historical insights into the polymer's dissolution and isolation. A review. Green Chemistry 21(2019)15, pp. 3974–3993.

[5]        EP0051421A1. Kifune; Inoue; Mori: Chitin fibers, process for the production of the same and surgical sutures formed of such chitin fibers.

[6]        NGUYEN, K. D.: Temperature Effect of Water Coagulation Bath on Chitin Fiber Prepared through Wet-Spinning Process. Polymers 13(2021)12.

[7]        LIANG, Y.; JIANG, N.; LIU, X.; NIE, L.; SONG, D.; JIANG, L.; YU, H.; XU, W.; ZHU, K.: Fabrication of Shaped Chitin Fibers by Gradient Regeneration Combined with a Physical Pressure Method. ACS Applied Polymer Materials 6(2024)2.

[8]        SHAMSHINA, J. L.; ZAVGORODNYA, O.; BERTON, P.; CHHOTARAY, P. K.; CHOUDHARY, H.; ROGERS, R. D.: Ionic Liquid Platform for Spinning Composite Chitin–Poly(lactic acid) Fibers.  ACS Sustainable Chemistry & Engineering 6(2018)8.

[9]        ZHU, C.; RICHARDSON, R. M.; SONG, Y.; RAHATEKAR, S. S.; LUCIA, L.; AYOUB, A.: One Step Dissolution, Extrusion, and Fiber Spinning of Chitin Using Ionic Liquid Solvents // Polysac- charide-based Fibers and Composites. Band 18, Cham: Springer, 2018. - ISBN 978-3-319- 56595-8. 117.

[10]      Ota, A.; Beyer, R.; Hageroth, U.; Müller, A.; Tomasic, P.; Hermanutz, F.; Buchmeoser, M. R.: Chitin/Cellulose blend fibers prepared by wet and dry wet spinning. Polymers for Ad- vanced Technologies 32(2021)1, pp. 335.

[11]      TOSKAS, G.; BRÜNLER, R.; HUND, H.; HUND, R.-D.; HILD, M.; AIBIBU, D.; CHERIF, C.: Pure chitosan microfibres for biomedical applications. Autex Research Journal 13(2013)4, pp. 134– 140.

[12]      KUZNIK, I., KRUPPKE, I., PÖTZSCH H. F., CHERIF, C.: Pure chitosan multifilament yarns made using a semi-industrial pilot scale wet-spinning process with ionic liquids. J. Appl. Polym. Sci. 2024, 141(23), e55457.

Authors: Kuznik, Irina Scheele, Sabrina Benecke, Lukas Kruppke, Iris Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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27.10.2023

Leichtigkeit durch Hohlkörper-Platten: Entwicklung leichter Carbonbetonfertigteile auf Basis textiler 3D-Netzgitterträger

Knittings Composites Textile machinery Sustainability Technical Textiles

Abstract

In branchenübergreifender Kooperation wurde am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) und dem Institut für Massivbau (IMB) der TU Dresden leichte Carbonbetonfertigteile für materialeffiziente Decken- und Wandelemente auf Basis einer neuartigen 3D-Netzgitterträgerstruktur entwickelt.

Im Bauwesen sind Fertigteile eine etablierte Lösung für die Unterstützung eines schnellen Bauforschritts von Decken- und Wandelementen. Jedoch stoßen konventionelle Elemente aus Stahlbeton aufgrund ihres massiven Aufbaus und der Korrosionsanfälligkeit des Bewehrungsstahls immer öfter an ihre Einsatzgrenzen. Daher sollen perspektivisch auch im Filigranfertigteilbau textile Bewehrungen für Gitterträger eingesetzt werden, die zusätzliche Hohlräume, bspw. zur Führung von Medien, etc. ermöglichen.

Report

Carbon statt Stahl

Tragendes Element der neuen Fertigteilgeneration sind textile Gitterträger, deren Netzstruktur auf überlagernden, diagonal versetzenden Carbonrovings basiert. Der lastgerechte und korrosionsresistente textile Netzgitterträger ermöglicht eine deutliche Reduzierung der Betondeckung und der damit verbundenen CO2-Emmission und eröffnet innovative Design- und Funktionalisierungsmöglichkeiten durch die Integration von großvolumigen Hohlräumen. (Abbildung 1)

Carbonfaserbasierter 3D-Netzgitterträger

Das ITM der TU Dresden hat die textile Fertigungstechnologie auf Grundlage mehrerer Kettfadenversatzsysteme in Kombination mit einem nachgelagerten Umformprozess für die Herstellung der 3D-Netzgittertäger entwickelt. Hierbei erfolgt die Fertigung der netzartigen 2D-Textilstruktur auf Basis der weiterentwickelten Kettfadenversatztechnologie der Multiaxial-Kettenwirktechnik. Die Umformung und Strukturfixierung erfolgt auf Basis zweier entwickelter technologischer Ansätze als Nass- und Warmumformung durch die modulare Erweiterung konventioneller Beschichtungsanlagen. (Abbildung 2)

Leichtbau-Hohlkörperdecke aus Carbonbeton

Das im Bereich Carbonbeton renommierte IMB der TU Dresden führte eine numerisch gestützte baustatische Auslegung sowie die bautechnische Erprobung der Verstärkungsstruktur mit einer anschließenden simulationsgestützen Topologieoptimierung der 3D-Netzgitterträger aus. Hierzu wurden modifizierte Biegezugversuche nach RILEM RC5 sowie Auszugversuche an umgelenkt einbetonierten Garnen zur Ermittlung der Zug- und Verbundeigenschaften durchgeführt. Die Ergebnisse hierzu sind in Abbildung 3 auszugsweise dargestellt.

Weiterführend wurden neue Designmöglichkeiten, bspw. die Integration von Hohlräumen, Dämmungen und Leitungsschächten in Deckenelementen entwickelt und erprobt. Ergebnis ist eine innovative Produktfamilie für die Anwendung in Sandwichstrukturen, Doppelwänden und im allgemeinen „Filigran“-Fertigteilbau. Hierbei können komplexe geometrische Formen durch neuartige Schalungsmethoden umgesetzt werden.

Um das Potenzial eines leichten, mit 3D-Netzgitterträger bewehrten Hohlkörperplattensystems aufzuzeigen wurde eine umfassende vergleichende Analyse von Plattensystemen mit identischem Querschnitt durchgeführt (siehe Abbildung 5, pdf-Version). Die drei untersuchten Plattensysteme für Decken waren die stahlbewehrte Vollplatte (SVP), die stahlbewehrte Hohlplatte (SHP) und die mit Netzgitterträgern bewehrte Hohlplatte (NHP).

Die vergleichende analytische Untersuchung zeigt, dass aufgrund der höheren Leistungsfähigkeit der mit Netzgitterträgern bewehrten Hohlplatte signifikante Material- und Masseeinsparungen hinsichtlich Beton und Bewehrung in Form von großvolumigen Hohlräumen (36 %) möglich ist. Ein Vergleich der drei unterschiedlichen Plattenarten verdeutlicht eindrucksvoll am Beispiel einer 7,2 m x 1,0 m x 0,155 m großen Deckenplatte (L x B x H), dass bei gleichbleibender Belastung mit einer Nutzlast von 1,5 kN/m² die mit Netzgitterträgern bewehrte Hohlplatte (NHP) 36 % leichter als die stahlbewehrte Vollplatte (SVP) und 27,6 % leichter als die stahlbewehrte Hohlplatte (SHP) ausgeführt werden kann. Dies liegt darin begründet, dass aufgrund der korrosionsresistenten Netzgitterträger-Bewehrung die Betondeckung deutlich reduziert und somit der Hohlraumanteil im Vergleich zur stahlbewehrten Hohlplatte von 11 % auf 36 % gesteigert werden kann. Daraus resultiert eine signifikante Betoneinsparung der mit Netzgitterträgern bewehrten Hohlplatte von 28 % im Vergleich zu Hohlplatten mit korrosionsanfälliger Stahlbewehrung.

Die enorme Material- und Masseeinsparung von Beton und Bewehrung durch Integration von Hohlräumen (ca. 36 %) und Verwendung leichter Carbonbewehrungen der mit Netzgitterträgern bewehrten Hohlplatte im Vergleich zu konventionellen Plattensystemen für Deckenanwendungen bei gleichbleibender Leistungsfähigkeit zeigt das hohe wirtschaftliche und ökologische Potential der textilbewehrten Filigran-Fertigteile für die Bauindustrie auf.

Als Ergebnis des Forschungsprojektes wurde die Carbonbetontechnologie auf das enorm große Marktsegment der Filigranfertigteile übertragen und neue Lösungen für das ressourcenschonende Bauen der Zukunft bereitgestellt.

Das IGF-Vorhaben 21556 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e. V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Authors: Penzel, P.; Ur Rehman, N.; Hahn, L.; Michler, H.; Cherif, C.; Curbach, M.

Technische Universität Dresden, Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) und Institut für Massivbau (IMB)

Dipl.-Ing. Paul Penzel, M. Sc. Nazaib Ur Rehman, Wiss. Mitarbeiter

+49 351 463-422 45 // +49 351 463-404 73

http://tu-dresden.de/mw/itm // https://tu-dresden.de/bu/bauingenieurwesen/imb

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08.09.2023

Mit einem Sustainability-Assessment zur nachhaltigen Unternehmensstrategie

Sustainability Technical Textiles

Abstract

Die Textilindustrie gilt im Sinne der Nachhaltigkeit auf europäischer Ebene als Risikobranche. Warum das eine besondere Herausforderung ist und wie ein systematischer Ansatz zur nachhaltigen Transformation von Unternehmen aussehen kann, erfahren Sie in diesem Artikel.

Die Textilindustrie ist bekannt für ihre Innovationen und Ideen, die weit über die traditionellen Anwendungen von Bekleidung und einfachen Stoffen hinausgehen. Einige Beispiele sind der Einsatz von Glas- oder Carbonfasern zum Ersatz von Stahlbewehrungen in Betonbauteilen, künstliche Herzklappen aus Textilien oder Wasserstofftanks aus Carbonfasern. Allerdings steht die Textilindustrie vor großen Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit. Sie ist weltweit eine der Branchen mit den höchsten Umweltbelastungen und hat auch erhebliche soziale Auswirkungen auf die Arbeitskräfte in der Lieferkette, die häufig auf Baumwollfeldern in Ländern wie China, Indien oder Pakistan beginnt. Hier ist ein systematischer Ansatz zur Nachhaltigkeitsbewertung erforderlich. Das Ergebnis der Nachhaltigkeitsbewertung bildet den Status Quo ab, kann als Benchmark im Vergleich mit anderen Unternehmen der Branche verwendet werden und bietet einen optimalen Ausgangspunkt für die Integration von Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie.

Report

Einleitung

Aachen/München: Die Textilindustrie ist bekannt für ihre Innovationen und Ideen, die weit über die traditionellen Anwendungen von Bekleidung und einfachen Stoffen hinausgehen. Einige Beispiele sind der Einsatz von Glas- oder Carbonfasern zum Ersatz von Stahlbewehrungen in Betonbauteilen, künstliche Herzklappen aus Textilien oder Wasserstofftanks aus Carbonfasern.

Allerdings steht die Textilindustrie vor großen Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit. Sie ist weltweit eine der Branchen mit den höchsten Umweltbelastungen und hat auch erhebliche soziale Auswirkungen auf die Arbeitskräfte in der Lieferkette, die häufig auf Baumwollfeldern in Ländern wie China, Indien oder Pakistan beginnt. Auch die weiterverarbeitenden Prozesse innerhalb der Wertschöpfungskette bergen die Gefahr unzureichender Umweltschutzmaßnahmen und der Missachtung international geltender Menschenrechte. Eine nachhaltige Textilindustrie hingegen setzt sich gezielt und insbesondere für den Einsatz von umweltfreundlichen Materialien, faire Arbeitsbedingungen und die Reduzierung des Energie- und Wasserverbrauchs ein. „Die EU verweist in ihrer neuen Sustainable Product Initiative nicht umsonst verstärkt auf ein hohes Maß an Umweltschutz und notwendige Verbesserungen der Umweltqualität. Wir müssen an den wichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen forschen und neue Technologien schnell in die Umsetzung bringen“, so Prof. Thomas Gries vom Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University.
 

Systematischer Ansatz zur Nachhaltigkeitsbewertung

Auf Unternehmensebene fängt die Transformation mit der Erfassung der notwenigen Daten (Indikatoren) und der der daraus resultierenden Messbarkeit der eigenen Nachhaltigkeitsleistung an. Die TÜV SÜD Industrie Service GmbH hat dazu eine Methodik entwickelt, die in Zusammenarbeit mit dem ITA für die Textilindustrie adaptiert und optimiert wurde: die Nachhaltigkeitsbewertung orientiert sich an den 17 Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen. Auf der Grundlage verschiedener Indikatoren, die durch Branchen- und Ländervergleiche gewichtet werden, wird die Nachhaltigkeitsleistung des Unternehmens objektiv, unabhängig und transparent beurteilt. „Mit unserer Nachhaltigkeitsbewertung ermöglichen wir allen relevanten Akteuren der Wertschöpfungskette Klarheit über den Ist-Zustand der unternehmensspezifischen Nachhaltigkeit zu erlangen, die wesentlichen Nachhaltigkeitsrisiken zu identifizieren und mit den daraus abgeleiteten Verbesserungsmaßnahmen einen wesentlichen Schritt in Richtung eines Nachhaltigkeitsmanagementsystems zu gehen“, so Lucas Wagner von der TÜV SÜD Industrie Service GmbH. Dieser Ansatz umfasst die gesamte Unternehmensstrategie und ist auch für andere Branchen einsetzbar.
 

Integration von Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie

Das Ergebnis der Nachhaltigkeitsbewertung bildet den Status Quo ab, kann als Benchmark im Vergleich mit anderen Unternehmen der Branche verwendet werden und bietet einen optimalen Ausgangspunkt für die Integration von Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie. Die objektive Bewertung bietet zunächst die Möglichkeit, notwendige Schwerpunkte für die Transformation hin zu einem nachhaltigen Unternehmen zu identifizieren. Zusammen mit externen Experten, z. B. aus der Forschung, werden Potentiale identifiziert und konkrete Umsetzungsmaßnahmen abgeleitet. „Das Vorgehen bietet einen holistischen Ansatz, um die nachhaltige Transformation zu einem Kern der Unternehmensstrategie zu machen. Die Wirtschaftlichkeit bildet dabei eine wichtige Säule“, so Prof. Gries. Darüber hinaus bietet die Nachhaltigkeitsbewertung durch die TÜV SÜD Industrie Service GmbH eine ausgezeichnete Ausgangslage, um die Anforderungen der CSRD, also der „Corporate Sustainability Reporting Directive“ zu erfüllen. So wird Nachhaltigkeit zu einem planbaren Erfolgsfaktor für Unternehmen.

Bildunterschriften:

Abbildung 1: 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) der Vereinten Nationen (Quelle: Vereinte Nationen)

Abbildung 2: Methodischer Ansatz für die Nachhaltigkeitsbewertung eines Unternehmens (Quelle: TÜV SÜD Industrie Service GmbH)

Abbildung 3: Wesentlichkeitsanalyse und Strategieentwicklung (Quelle: TÜV SÜD Industrie Service GmbH)

Authors: Pohlmeyer, Florian1 Wagner, Lucas2 Möbitz, Christian1 Gries, Thomas1

1: Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

2: TÜV SÜD Industrie Service GmbH, Westendstraße 199, 80686 München

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20.06.2023

Development of heavy tows from recycled carbon fibers for low-cost and high performance thermoset composites (rCF heavy tows)

Raw materials Fibres Yarns Composites Textile machinery Recycling Sustainability Circular economy Technical Textiles

Abstract

Within the framework of the IGF research project (21612 BR), the entire process chain for the industrial production of novel twist-free rCF heavy tows was developed at ITM. In particular, a novel technology for the production of rCF heavy tows based on recycled carbon (rCF ≥ 90 vol.%) and hot melt adhesive fibers (< 10 vol.%) was designed, constructed and successfully implemented. This includes fiber preparation, the carding process for card sliver formation, the stretching process for drawn sliver formation, and the final fabrication of the rCF heavy tows from rCF and hot melt adhesive fibers in a newly developed test set-up. The suitability of the developed technology is demonstrated by the implementation of rCF heavy tows with different rCF types, fiber lengths and fiber volume contents and a demonstrator. The developed rCF heavy tows with finenesses between 3000-7000 tex and their further processability into textile semi-finished products were successfully demonstrated. The developed rCF Heavy Tows and composites based on them exhibit a maximum composite tensile strength and a maximum Young’s modulus of 1158±72 MPa and 80±5.7 GPa, respectively. The rCF Heavy Tows are thus applicable for low-cost thermoset composites with high performance and complex geometry. Thus, the developed rCF Heavy Tows offer a very high innovation and market potential in the fields of materials and materials, lightweight construction, environmental and sustainability research, and resource efficiency. This opens up the opportunity for SMEs in the textile industry to develop new products and technologies for the fiber composite market and to establish themselves as suppliers for the automotive, mechanical engineering and aerospace, medical and sports equipment industries.

Report

Introduction, problem definition and aim of the project

Carbon fiber-reinforced plastics (CFRP) are increasingly used in lightweight applications due to their high stiffness and strength as well as low density, especially in aerospace, transportation, wind energy, sports equipment or construction. Global demand of CFRP is predicted to increase to 197,000 t/a by 2024, almost tripling compared to 2011. This shows an urgent need for solutions to recycle the high quality carbon fiber (rCF) in terms of the circular economy. This is necessary not only due to strict legal regulations, but also for ecological and economic reasons. In recent years, numerous research institutes and companies developed solutions for the reuse of rCF in the fields of nonwovens, injection molding or as hybrid yarns. However, the majority of these works involve the use of rCF in combination with thermoplastic fibers for thermoplastic composites. In the field of rCF-based thermoset CFRP, mainly rCF nonwovens made of 100% rCF have been so far developed. Since the fibers in the nonwovens mostly have a limited length and a low orientation and process-related additional high fiber damage occurs, with these materials only maximum 30% of the composite characteristic values of CFRP components made of carbon filament yarns can be so far achieved.

Currently, the matrix systems used in the field of high mechanical loaded CFRPs are predominantly thermoset. Such components exhibit high dimensional stability, high stiffness and strength as well as are suitable for the implementation of complex component geometries due to low-viscosity matrix systems. However, primary carbon filament yarns are particularly used for these components due to the insufficient properties of rCF. In addition to low sustainability, the utilization of these filament yarns result in at least 200 % higher cost. The production of primary carbon filament yarn requires a high-energy demand of about 230 MJ/kg with a CO2 emission equivalent to 20 kg CO2/kg CF. Here, a significant improvement of the CO2 balance is required to make a substantial contribution to the envisaged climate protection goals of the Federal Republic of Germany and the EU. For this reason, the focus of the project work is the development of novel, sustainable rCF heavy tows made of recycled carbon fibers (rCF) and associated manufacturing technologies for the implementation of cost-effective thermoset composites with high mechanical performance.

Acknowledgments

The IGF project 21612 BR of the Research Association Forschungskuratorium Textil e.V. was funded by the Federal Ministry of Economics and Climate Protection (BMWK) via the AiF within the framework of the program for the promotion of joint industrial research and development (IGF) on the basis of a resolution of the German Bundestag. We would like to thank the above-mentioned institutions for providing the financial resources.

Authors: Mahmud Hossain, Anwar Abdkader und Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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20.06.2023

Entwicklung von Heavy Tows aus recycelten Carbonfasern für kostengünstige duroplastische Composites mit hohem Leistungsvermögen (rCF-Heavy Tows)

Raw materials Fibres Yarns Composites Textile machinery Recycling Sustainability Circular economy Technical Textiles

Abstract

Im Rahmen des IGF-Forschungsvorhabens (21612 BR) wurde am ITM die gesamte Prozesskette zur industriellen Herstellung neuartiger drehungsfreier rCF-Heavy Tows entwickelt. Insbesondere wurde eine neuartige Technologie zur Herstellung von rCF-Heavy Tows auf Basis recycelter Carbon- (rCF, ≥ 90 Vol.-%) und Schmelzklebefasern (< 10 Vol.-%) konzipiert, konstruiert und erfolgreich umgesetzt. Diese umfasst die Faseraufbereitung, den Krempelprozess zur Krempelbandbildung, den Streckprozess zur Streckenbandbildung sowie die abschließende Fertigung der rCF-Heavy Tows aus rCF und Schmelzklebefasern in einem neuen entwickelten Versuchsstand. Der Nachweis der Eignung der entwickelten Technologie erfolgt mit der Umsetzung von rCF-Heavy Tows mit unterschiedlichen rCF Typen, Faserlängen und Faservolumengehalten und eines Demonstrators. Die entwickelten rCF-Heavy Tows mit Feinheiten zwischen 3000-7000 tex und deren Weiterverarbeitbarkeit zu textilen Halbzeugen wurden erfolgreich nachgewiesen. Die entwickelten rCF-Heavy Tows und darauf basierende Verbunde weisen eine maximale Verbundzugfestigkeit bzw ein maximales Zug-Modul von 1158±72 MPa bzw. 80±5,7 GPa auf. Die rCF Heavy Tows sind somit für kostengünstige duroplastische Composites mit hohem Leistungsvermögen und komplexer Geometrie einsetzbar. Damit bieten die entwickelten rCF-Heavy Tows ein sehr hohes Innovations- und Marktpotential in den Bereichen Werkstoffe und Materialien, Leichtbau, Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung sowie Ressourceneffizienz. Damit eröffnet sich die Gelegenheit für KMU der Textilindustrie neue Produkte und Technologien für den Faserverbundwerkstoffmarkt und sich als Lieferant für die Automobil-, Maschinenbau- sowie Luftfahrt-, Medizin- und Sportgeräteindustrie zu etablieren.

Report

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung

Carbonfaserverstärkte Verbundwerkstoffe (CFK) werden aufgrund ihrer hohen Steifigkeit und Festigkeit sowie der geringen Dichte zunehmend in Leichtbauanwendungen eingesetzt, insbesondere in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Transport, Windenergie, Sport oder Bau. Der globale CFK Bedarf wird sich Prognosen zufolge bis 2024 auf 197.000 t/a erhöhen und damit im Vergleich zu 2011 fast verdreifachen. Das zeigt den dringenden Bedarf an Lösungen zur Wiederverwertung der hochwertigen CF (rCF) im Sinne der Circular Economy. Das ist nicht nur aufgrund strenger rechtlicher Bestimmungen, sondern auch aus ökologischen sowie ökonomischen Gründen eine Notwendigkeit. Zahlreiche Forschungsinstitute und Unternehmen entwickelten in den letzten Jahren Lösungen zur Wiederverwendung von rCF in den Bereichen Vliesstoffe, Spritzgießen oder als Hybridgarne. Diese Arbeiten umfassen allerdings mehrheitlich den Einsatz von rCF in Kombination mit thermoplastischen Fasern für thermoplastische Composites. Für den Bereich rCF basierter duroplastischer CFK wurden bisher vorwiegend rCF-Vliesstoffe aus 100% rCF entwickelt. Da die Fasern in den Vliesstoffen prinzipbedingt nur eine begrenzte Länge und eine geringe Orientierung aufweisen und zusätzlich prozessbedingt hohen Faserschädigung auftreten, sind damit bisher nur max. 30% der Verbundkennwerte von CFK-Bauteilen aus Carbonfilamentgarnen erreichbar.

Aktuell sind die im Bereich hochbelastbarer CFK verwendeten Matrixsysteme überwiegend duroplastisch. Derartige Bauteile weisen eine hohe Formstabilität und hohe Steifigkeiten sowie Festigkeiten auf und eignen sich aufgrund niedrigviskoser Matrixsysteme zur Umsetzung komplexer Bauteilgeometrien. Jedoch werden aufgrund der bisher für diese Bauteile nur ungenügend in rCF abbildbaren, notwendigen Eigenschaften vorrangig Primärcarbonfilamentgarne eingesetzt. Neben einer geringen Nachhaltigkeit verursacht das auch um mind. 200 % höhere Kosten. Die Herstellung primäres Carbonfilamentgarnes erfordert einen hohen Energiebedarf von ca. 230 MJ/kg mit einem CO2-Emissionsäquivalent von 20 kg CO2/kg CF. Hier ist eine deutliche Verbesserung der CO2-Bilanz notwendig, um einen wesentlichen Beitrag zu den anvisierten Klimaschutzzielen der BRD bzw. der EU leisten zu können. Aus diesem Grund ist der Fokus der Projektarbeit die Entwicklung neuartiger, nachhaltiger rCF-Heavy Tows aus recycelten Carbonfasern (rCF) und dazugehöriger Fertigungstechnologien zur Umsetzung kostengünstiger duroplastischer Composites mit hohem Leistungsvermögen.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21612 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel.

Authors: Mahmud Hossain, Anwar Abdkader und Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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25.05.2023

Schutz von Wäldern gegen den Borkenkäfer mittels funktionalisierter Textilien

Fibres Sustainability Technical Textiles

Abstract

Im dem vom BMWK geförderten Projekt „HolzSchutzTex“ haben die Partner „FBW GmbH“ mit Sitz in Niederzier, „Reimann Spinnerei und Weberei GmbH“ mit Sitz in Emsdetten sowie das Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University gemeinsam an der Entwicklung eines funktionalisierten Gewebes zum Schutz von Wäldern und Holz vor Borkenkäfern gearbeitet. Derzeit werden dazu Insektizide eingesetzt, welche auch andere Nutzinsekten töten und schädigend auf Wasserorganismen wirken können. Da Nutzinsekten wichtig für das Ökosystem sind, wird zunehmend an einer kontrollierten Schädlingsbekämpfung gearbeitet. Auch der Holzschutz soll auf aversive als auf tödliche Methoden zurückgehen, um eine umweltfreundlichere Lagerung des Holzes ohne Qualitätsverlust zu gewährleisten.

Ziel des Projekts ist die Entwicklung eines Polymercompounds basierend auf einem für Schadinsekten abstoßenden Geruchsstoff. Als Geruchsstoff wird unter anderem Neemöl verwendet. Anschließend werden aus dem Compound Monofilamente hergestellt und zu einem textilen Netz verarbeitet, dessen Wirksamkeit in Praxisversuchen untersucht wird.

Report

Einleitung


Der Wald spielt in vielen Funktionen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Klimakrise. Ein gesunder und resilienter Wald ist somit von höchster Wichtigkeit für die Zukunft. Starke Dürren zwischen 2018 und 2020 haben den Wald unter enormen Stress gestellt. Wassermangel und Hitzehaben die Bäume geschwächt und anfällig für Schädlinge wie den Borkenkäfer gemacht. Vor allem der Kronenzustand von Fichtenwäldern ist dabei stark betroffen. Der Borkenkäfer ist aktuell der größte Schädling in deutschen Wäldern. Er befällt hauptsächlich Fichten, welche mit 25 % die weitverbreitetste Baumart in Deutschland ist [Joh19a]. Borkenkäfer sind in der Lage großflächig geschwächte, aber auch gesunde Bäume absterben zu lassen und stellen somit ein großes Problem für den Wald dar [Nor15].


Bisherige Methoden zum Schutz der Bäume zielen darauf ab, die Borkenkäferdichte in einer Region allgemein zu senken. Übliche passive Vorgehensweisen sind, dem Käfer das Brutmaterial zu entziehen oder befallenes Holz schnellstmöglich zu entfernen. Mit Fallen können Käfer auch gezielt zu eliminiert werden, wobei Insektizide zum Einsatz kommen. Der Einsatz von chemischen Mitteln im Wald ist immer mit Vorsicht zu behandeln und sollte nur als Ultima Ratio eingesetzt werden, da er ungeplant auf andere, nützliche Tierarten Einfluss haben kann [HS12].


Im Rahmen  des  Projekts „HolzSchutzTex“  wird  ein  Gewebe  aus funktionalisierten Monofilamenten untersucht. In der Praxis soll es auf geschlagenes Holz gelegt werden und dieses vor Borkenkäfern schützen. Dies verhindert einerseits einen wirtschaftlichen Schaden. Dieser entsteht, wenn Borkenkäfer Holzpolter angreifen und somit wirtschaftlich nutzbares Holz unbrauchbar machen. Andererseits kann dem Borkenkäfer so Brutmaterial entzogen werden, wodurch es die Käfer insgesamt schwerer haben, sich auszubreiten. Die mechanische Barriere durch das Gewebe und für Käfer abstoßende Geruchsstoffe sollen die gewünschte Wirkung erbringen, ohne andere Käferarten zu gefährden.

Materialien

Die Monofilamente für das Projekt „HolzSchutzTex“ werden aus einem Polymer-Geruchsstoff-Compound hergestellt. Das verwendete Polymer, Lumicene Supertough 40ST05, ist ein metallocen-katalysiertes Ethylencopolymer. Lumicene Supertough ist der Handelsname eines speziellen Kunststoffes aus der Kunststoff Gruppe der Polyethylene der Firma TOTAL RESEARCH & TECHNOLOGY FELUY, in Belgien [TOT19]. Neemöl und „Termite Repellent Film“ (TRF) wurden als Geruchsstoffe verwendet.

TRF erhält seinen termitenabweisenden Effekt durch seine Inhaltsstoffe Lavendelöl, Pfefferminzöl und Citronellal.  Diese sind Biozid-Stoffe und jeweils mit einer Konzentration von weniger als 0,5 m% im Masterbatch gelöst. TRF ist farblos und riecht durch den Zusatzstoff Citronellal leicht nach Zitrone [FBW21].Bei Neemöl handelt es sich um ein Extrakt aus Samen und Rinde des Neem-Baumes. Es ist ein durchsichtiges, bei Raumtemperatur zähflüssiges Öl [COP+16]. In Neemöl sind mindestens 100 biologisch aktive Stoffe vorhanden, von denen Azadirachtin der Wichtigste ist. Seine repellente Wirkung gegen Kupferstecher wurde bereits 1990 erforscht [WS90]. Die Schmelztemperaturen liegen bei 120°C und 160°C, wodurch sich beide Stoffe in herkömmlichen Extrudern mit dem Polymer gemischt und zu einem Film oder Filament ausgearbeitet werden können. Die Geruchsstoffe und das Polymer werden durch die Firma FBW GmbH zu einem Compounds mit jeweils 2 m% und 5 M% verarbeitet.

Herstellungsmethodik

Es werden jeweils Gewebe mit 25 und 30 Schuss/10 cm für die Compounds TRF-5 M%-2022, Neemöl-5 M%-2022 und aus reinem Lumicene Supertough 40ST05 hergestellt. Die mit dem Geruchsstoff versetzten Monofilamente werden in den Geweben nur als Schussfaden eingetragen. Die Kettfäden werden wegen des hohen Umrüstaufwands und den damit verbundenen Kosten als Standardfilament ausgeführt. Die Kettfäden sind im Gewebe schwarz und grün eingefärbt.

Käferversuche

Die Wirksamkeit der Gewebe gegen Borkenkäfer wurde an Versuchen im Wald erprobt. Dafür wurden Fallen mit den verschiedenen Geweben bestückt und die gefangenen Käfer ermittelt. Bei den Fallen handelt es sich um Schlitzfallen der Firma WITASEK aus Feldkirchen in Kärnten und der Firma THEYSON aus Salzgitter. Diese sind circa 50 cm x 60 cm große schwarze Boxen mit Schlitzen an Vorder- und Rückseite und Auffangbehälter im Inneren (Abbildung 1).

Bei Schlitzfallen handelt es sich um Prallfallen: Die Käfer werden durch das Pheromon TYPOSAN P306 angelockt, fliegen gegen die Falle, prallen davon ab und fallen durch die nach oben geöffneten Schlitze durch einen Trichter in den Auffangbehälter. Es wurden 14 Fallen auf einer ca. 45.000 m² abgeholzten Fläche aufgestellt. Um den Einfluss der Geruchsadditive zwischen Fallen zu minimieren haben sie einen Abstand von mindestens 40 m. Der Mindestabstand zu umgebenden Bäumen beträgt 20 m.

Abbildung 1: Bild einer Schlitzfalle (s. PDF)

Die Anordnung der Fallen ist in Abbildung 2 zu sehen. Die Fallen werden so aufgestellt, dass sie die gleiche Orientierung aufweisen und in Hauptwindrichtung ausgerichtet sind.

Abbildung 2: Anordnung der Schlitzfallen auf der Fläche (s. PDF)

Dadurch kann eine möglichst ähnliche Geruchsausbreitung sichergestellt werden. Gewebe mit und ohne die verschiedenen Additive wurden von außen und innen an Fallen angebracht. Zusätzlich wurde eine Referenzfalle ohne Gewebe getestet. So gab es 8 verschiedene Ausstattungen. Alle 3 Tage wurden die Fallen geleert und die Standorte rotiert, um den Einfluss des Standortes zu minimieren. Bei jeder Leerung wird die Anzahl der gefangenen Käfer erfasst. Die Versuche werden über drei Wochen vom 02.08.2022 bis zum 23.08.2022 durchgeführt.

Ergebnisse und Diskussion


Vor Auswertung der Ergebnisse ist es sinnvoll mögliche Ergebnisse zu betrachten. Bei einer nachweisbaren Wirkung des Geruchstoffes ist zu erwarten, dass in der Referenzfalle (Falle 14) am meisten Käfer gefangen werden. Diese besitzt weder eine geruchliche noch eine mechanische Schutzwirkung, sodass Käfer ungehindert in die Falle fliegen können. Die Fallen 1 bis 4 sind mit einem geruchsstofffreien Gewebe ausgestattet. Es ist zu erwarten, dass durch die mechanische Barrierewirkung weniger Käfer als in Falle 14 gefangen werden. Am wenigsten Käfer sollten in den Fallen gefangen werden, die mit den geruchsstoffversetzten Geweben ausgerüstet sind (Fallen 5 bis 12). Hier lässt sich keine Vorhersage treffen, ob der Geruchsstoff TRF oder Neemöl eine stärkere repellente Wirkung aufweist. Die aufsummierten Anzahlen der gefangenen Käfer pro Falle sind in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung 3: Kumulierte Käferanzahl pro Falle über den gesamten Zeitraum (s. PDF)

Insgesamt werden 2014 Käfer gefangen. In den Daten ist kein Zusammenhang zwischen gefangenen Käfern und Art des Gewebes zu erkennen. In Falle 5 werden am meisten Käfer gefangen. Diese Falle ist mit dem Gewebe TRF- 5 M%-2022 bestückt. Die Falle 12 hat 204 Käfer gefangen. Das Gewebe dieser Falle ist mit Neemöl-5 M%-2022 versetzt. Bei den Fallen mit Geruchsstoff ist allerdings ein umgekehrter Zusammenhang zu erwarten. Beiden Geruchsstoffen ist damit keine direkte repellente Wirkung zuzuordnen.

In Abbildung 4 ist die kumulierte Käferanzahl der Gewebearten ohne Additiv, TRF-Geruchsstoff und Neemöl dargestellt. Für diesen Vergleichswert werden die gesamten Fallenfangzahlen der Gewebearten aufsummiert. Es ist zu erkennen, dass alle Gewebearten nahezu gleich viele Käfer gefangen haben. Wird die Anzahl der gefangenen Käfer der jeweiligen Gewebearten auf die Gesamtkäferanzahl bezogen, so ergibt sich für jede Gewebeart ein Anteil von 29 %. Eigentlich zu erwarten ist, dass die Gewebe ohne Additiv deutlich mehr Käfer fangen.

Abbildung 4: Kumulierte Käferanzahl nach Gewebeart (s. PDF)

Dass bei den Versuchen keine Wirksamkeit der Geruchsstoffe festgestellt wird, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Geruchsstoffe keine repellente Wirkung gegen Borkenkäfer aufweisen. Ebenso ist es möglich, dass die Geruchsadditive im Gewebe zu schwach sind. Genauso ist es möglich, dass das verwendete Pheromon in der Falle zu stark war und die Geruchsstoffe aus den Geweben überlagert hat. In diesem Fall wären alle Fallen gleich attraktiv für die Borkenkäfer. Bei Betrachtung der unterschiedlichen Anbringungsarten des Gewebes lässt sich feststellen, dass Fallen mit außen installiertem Gewebe weniger Käfer fangen als Fallen, bei denen das Gewebe innen angebracht wurde. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 5 zu sehen.


Zusammenfassung und Ausblick

Im Rahmen des Projekts „HolzSchutzTex“ wurden Monofilamente mit Geruchsadditiv zur Vergrämung von Borkenkäfern zu Geweben hergestellt. Diese sollen bereits geschlagenes Holz vor einem Borkenkäferbefall schützen. Zur Wirksamkeitsanalyse der fertigen Gewebe werden diese im Rahmen einer Versuchsreihe mit Borkenkäferschlitzfallen untersucht. Diese Versuchsreihe wird auf einer Lichtung neben einem Fichtenwald durchgeführt. Dabei werden die Fallen mit unterschiedlichen Geweben verschiedener Additive und Eigenschaften bestückt.

Um sicherzustellen, dass die Messwerte nicht durch die verschiedenen Standorte der Fallen beeinflusst werden, werden diese in gleichen Intervallen rotiert. In den Versuchen werden insgesamt 2014 Borken-käfern gefangen, wobei sich jeweils 29 % in Fallen mit 5 % TRF, 5 % Neemöl und ohne Additiv befinden. Die Wirksamkeit der Duftstoffe hinsichtlich der vergrämenden Wirkung konnte nicht abschließend bewertet werden, allerdings kann eine Barrierewirkung des Funktionsgewebes nachgewiesen werden.

Abbildung 5: Mittelwerte der Käferfangzahlen nach Anbringungsart des Gewebes (s. PDF)

 

Quellen
[Bun22] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Ergebnisse der Waldzustandserhebung 2021: März 2022
[FBW21] FBW GmbH: Material Safety Data Sheet – Regulation 1907/2006/EC: 2021, Ausgestellt im Juli 2022
[HS12] Hurling, R.; Stetter, J.: Untersuchungen zur Fangleistung von Schlitzfallen und Fangholzhaufen bei der lokalen Dichteabsenkung von Buchdrucker (Ips typographus)-Populationen, Gesunde Pflanzen Band:64 (2012), H. 2, S. 89–99
[Joh19a] Johann Heinrich von Thünen-Institut: Wald in Deutschland - Wald in Zahlen: 2019
[Nor15] Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt: Integrierte Bekämpfung rindenbrütender Borkenkäfer (2015), https://www.nw-fva.de/fileadmin/nwfva/common/veroeffentlichen/waldschutzpraxis/Waldschutz_PraxisInfo_01_Borkenkaefer_2015-04.pdf, Zugriff am 04.05.2023
[TOT19] TOTAL RESEARCH & TECHNOLOGY FELUY: Lumicene® Supertough 40ST05, https://polymers.totalenergies.com/supertough-40st05, Zugriff am 05.05.2023
185190195200205210215220225230InnenAußenKäferanzahlAnbringungMittelwert

Authors: Schüll, Elena Pursche, Franz Gries, Thomas

Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Straße 1, 52074 Aachen, Germany

Agrotech Oekotech Geotech

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15.05.2023

Google Lens in der Altkleidersortierung

Recycling Sustainability Circular economy Interior Textiles Fashion

Abstract

Die Textilindustrie steht vor enormen ökologischen Herausforderungen, die auf ein lineares Wertschöpfungsmodell zurückzuführen sind. Gegenwärtig fallen 7 bis 7,5 Millionen Tonnen textiler Reststoffe in der EU-27 und der Schweiz jährlich an - dies entspricht mehr als 15 Kilogramm pro Person. Die größte Quelle dafür sind entsorgte Kleidungsstücke und Heimtextilien von Verbrauchern - sie machen etwa 85 Prozent der gesamten textilen Reststoffe aus. Diese großen Mengen an textilen Reststoffen müssen sortiert und verarbeitet werden.

Google Lens ist eine Bilderkennungssoftware von Google, die auf maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz basiert. Mit Hilfe der Kamera eines Smartphones kann Google Lens Bilder von Objekten, Texten oder Landschaften erfassen, diese erkennen und interpretieren. Die Technologie ist in der Lage, eine Vielzahl von Objekten und Materialien zu identifizieren und auf entsprechende Webseiten zu verweisen.

In einer Versuchsreihe am Institut für Textiltechnik wurde der Einsatz von Google Lens in der Altkleidersortierung getestet. Dabei stand die Auswertung der Genauigkeit von Google Lens zur Erkennung von verschiedenen Merkmalen im Vordergrund. Insgesamt zeigen die Ausführungen in diesem Artikel, dass Google Lens noch keine adäquate Lösung für die automatisierte Auswertung in der Altkleidersortierung darstellt. Die Ausführungen zeigen allerdings auch Potentiale für die Weiterentwicklung der Technologie auf. Auch eine Kombination mit weiterer Sensorik (z. B. NIR) oder eigens entwickelten Algorithmen zur Bildauswertung ist vielversprechend.

Report

Abstract:

Die Textilindustrie steht vor enormen ökologischen Herausforderungen, die auf ein lineares Wertschöpfungsmodell zurückzuführen sind. Dieses kennzeichnet sich durch kurze Nutzungsdauern, eine geringe Wiederverwendungsquote und geringes Faser-zu-Faser Recycling der Textilien. So wird ein großer Teil der nicht wiederverwendbaren textilen Reststoffe deponiert oder energetisch verwertet. Die Alttextilien werden von Sortierbetrieben entweder für das Recycling oder für den Weiterverkauf vorbereitet. Hier benötigt es neue Technologien zur Merkmalserkennung von Textilien, um die manuellen Prozessschritte zu ersetzen und zu verbessern. Herausforderungen der bisher händischen Sortierung sind der Arbeitskräftemangel und die unzureichende Objektivität und Qualität der Sortierung. In diesem Artikel werden neue Lösungen zur Automatisierung der Merkmalserkennung ausgewertet.

Herausforderungen in der Altkleidersortierung

Gegenwärtig fallen 7 bis 7,5 Millionen Tonnen textiler Reststoffe in der EU-27 und der Schweiz jährlich an - dies entspricht mehr als 15 Kilogramm pro Person [HJL+22]. Die größte Quelle dafür sind entsorgte Kleidungsstücke und Heimtextilien von Verbrauchern - sie machen etwa 85 Prozent der gesamten textilen Reststoffe aus. Diese großen Mengen an textilen Reststoffen müssen sortiert und verarbeitet werden. Aktuell wird die von Verbrauchern aussortierte Kleidung in Altkleidercontainern entsorgt. Von dort aus werden sie in Sortierbetriebe transportiert, in denen jedes Kleidungsstück inspiziert und händisch in verschiedene Kategorien sortiert wird. Es wird beispielsweise zwischen Qualität oder Art des Materials unterschieden. Diese Schritte gilt es zu automatisieren, um die Anzahl der Fehlsortierungen zu reduzieren und die Limitationen der manuellen Sortierung zu überwinden. Die manuelle Sortierung von Altkleidern ist durch den Arbeitskräftemangel und die unzureichende Qualität stark limitiert. Es gibt erste Ansätze, um die Herausforderungen zur Merkmalserkennung der Textilien zu lösen. Durch Nahinfrarotspektroskopie kann beispielsweise das Material des Textils erkannt und identifiziert werden. Allerdings können mit der Technologie weitere wichtige Merkmale wie die Art des Kleidungsstücks, die Marke und der Zustand nicht analysiert werden. Für die Auswertung dieser Merkmale können allerdings Bildverarbeitungssysteme verwendet werden. Einen Ansatz für die Auswertung von Bildmerkmalen bietet die Software Google Lens.

Die Funktion von Google Lens

Google Lens ist eine Bilderkennungssoftware von Google, die auf maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz basiert. Mit Hilfe der Kamera eines Smartphones kann Google Lens Bilder von Objekten, Texten oder Landschaften erfassen, diese erkennen und interpretieren. Die Technologie ist in der Lage, eine Vielzahl von Objekten und Materialien zu identifizieren und auf entsprechende Webseiten zu verweisen. Die Suchergebnisse werden nach Relevanz und Ähnlichkeit mit dem Objekt auf dem Foto klassifiziert. [Taf21] Darüber hinaus kann Google Lens auch QR-Codes scannen und automatisch Webseiten öffnen, Adressen suchen und Termine in den Kalender eintragen. Die Software ist auch in der Lage, Texte in anderen Sprachen zu erkennen und zu übersetzen, was besonders nützlich für Reisende ist. Insgesamt bietet Google Lens eine schnelle und effektive Möglichkeit, visuelle Informationen zu interpretieren und zu nutzen, um den Benutzern eine bessere Erfahrung zu bieten. Diese Eigenschaften machen einen Einsatz von Google Lens in der Altkleidersortierung interessant. Die Software ist bereits mit einer großen Menge von Daten trainiert und ermöglicht einen gezielten Zugriff auf sämtliche im Internet vorhandene Informationen zu einem Kleidungsstück.

Google Lens für die Sortierung von Altkleidern

In einer Versuchsreihe am Institut für Textiltechnik wurde der Einsatz von Google Lens in der Altkleidersortierung getestet. Dabei stand die Auswertung der Genauigkeit von Google Lens zur Erkennung von verschiedenen Merkmalen im Vordergrund. In dem Versuch wurde die Informationsgewinnung durch den Einsatz von Google Lens in den folgenden sechs Merkmalen geprüft:

  • Typ des Textils bzw. Art der Bekleidung
  • Farbe
  • Material
  • Marke
  • Preisklasse
  • Geschlecht

Die Versuchsdurchführung ist in die folgenden drei Schritte aufgeteilt: Aufnahme von Bildern, Auswertung der Bilder mit Google Lens und Auswertung der fünf relevantesten Suchergebnisse hinsichtlich der sechs Merkmale. Die Aufnahme der Bilder erfolgt in einem statischen Versuchsaufbau. Die Textilien werden auf einem ebenen Untergrund ausgebreitet und von oben unter Beleuchtung fotografiert (siehe Abbildung 1). Für die Auswertung des Versuches werden die sechs Merkmale in definierte Ausprägungen eingeteilt (z. B. werden sechs Preisklassen definiert). Die Auswertung erfolgt anhand der ersten fünf von Google vorgeschlagenen Ergebnisse. Für die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erfolgt eine Einteilung in ein Punktesystem: pro Textil wird je ein Punkt pro Merkmal und Treffer vergeben, wenn dieses Merkmal richtig erkannt wird, sodass pro Textil und Treffer maximal 6 Punkte zu vergeben sind. Ein Merkmal gilt als richtig erkannt, wenn die Information eindeutig aus dem Text auf der weitergeleiteten Webseite hervorgeht. Insgesamt werden 90 Textilien ausgewertet. Die Trefferquote wird als Quotient aus der erreichten Punktzahl und der maximal erreichbaren Punktzahl angegeben.

Zunächst erfolgt eine Auswertung des Einflusses des Alters eines Textils auf die Treffergenauigkeit: neuere Textilien erreichen eine Treffergenauigkeit von 32,96 %, wohingegen ältere Textilien (älter als 30 Jahre) eine Treffergenauigkeit von lediglich 22,58 % erreichen. Dieser Umstand ist auf die höhere Verfügbarkeit von Daten neuer Textilien zurückzuführen. Auch bei der Art der Textilien zeigen sich Unterschiede in der Auswertung: Heimtextilien weisen lediglich eine Trefferquote von 15,00 % auf, wohingegen Textilien in der Kategorie „Bluse/Hemd“ eine Trefferquote von 45,33 % aufweisen. Am besten wird die Art der Bekleidung erkannt (56,22 % Trefferquote), wohingegen die Marke nur zu 4,67 % erkannt wird. Dieser Umstand ist sowohl auf die große Ähnlichkeit verschiedener Marken als auch auf die teilweise nur geringe direkte Erkennbarkeit von Markennamen oder Logos zurückzuführen. Auch das Material wird nur zu ca. 13,11 % richtig erkannt, da dieses Merkmal nicht direkt visuell zu erkennen ist. Zuletzt bietet auch die Betrachtung der Unterschiede in Abhängigkeit der Relevanz der Treffer kein eindeutiges Ergebnis: beim ersten und relevantesten Treffer liegt die durchschnittliche Trefferquote bei 29,66 % und beim zweiten bis fünften Treffer ebenfalls zwischen 25,19 % und 32,09 %. Anzumerken ist allerdings, dass die Ergebnisse insgesamt nicht ausreichend sind. Für einen sinnvollen Einsatz der Technologie sind Trefferquoten von ca. 90-95 % erforderlich. So lässt sich insgesamt feststellen, dass Google Lens mit dem gewählten Versuchsaufbau und der gewählten Auswertelogik nicht für den Einsatz in der Altkleidersortierung geeignet ist.

 

Weiterentwicklung der Technologie

Eine Lösungsmöglichkeit zur Weiterentwicklung der Technologie liegt in der erweiterten Auswertung von Informationen. Zum Beispiel können zusätzlich auch Bilder auf der Webseite (z. B. Fotos von Etiketten) oder der Seitenquelltext ausgewertet werden. Außerdem ist die Einteilung der Merkmalskategorien kritisch zu prüfen, da diese einen erheblichen Einfluss auf die Auswertung hat. Weiterhin sind Änderungen am Versuchsaufbau denkbar: eine Lösung könnte z. B. in der Aufhängung von Textilien bestehen oder in der Änderung der Beleuchtung. Außerdem kann die Suche in Google Lens mit Texten verknüpft werden, sodass eine Suche näher eingegrenzt und mit zusätzlichen Sensoren verknüpft werden könnte. Diese Lösungsmöglichkeiten werden in weiteren Projekten und Versuchen am ITA weiterentwickelt.

Insgesamt zeigen die Ausführungen in diesem Artikel, dass Google Lens noch keine adäquate Lösung für die automatisierte Auswertung in der Altkleidersortierung darstellt. Die Ausführungen zeigen allerdings auch Potentiale für die Weiterentwicklung der Technologie auf. Auch eine Kombination mit weiterer Sensorik (z. B. NIR) oder eigens entwickelten Algorithmen zur Bildauswertung ist vielversprechend.

Bildunterschriften:

Abbildung 1: Aufbau des Versuches (eigene Darstellung)

Literatur:

[HJL+22]                       Hedrich, Saskia; Janmark, Jonatan; Langguth, Nikolai; Magnus, Karl-Hendrik; Strand, Moa:
Scaling textile recycling in Europe - turning textile waste into value: Juli 2022

[Taf21]                           Taffel, S.:
Google’s lens: computational photography and platform capitalism
Media, Culture & Society Band:43 (2021) H. 2, S. 237–25
5

Authors: Pohlmeyer, Florian* Johannsen, Hanna* Möbitz, Christian* Gries, Thomas* Kleinert, Tobias

*alle: Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University, Otto-Blumenthal-Str. 1, 52074 Aachen

Kleinert, Tobias (Lehrstuhl für Informations- und Automatisierungssysteme für die Prozess- und Werkstofftechnik der RWTH Aachen University, Turmstr. 46, 52064 Aachen)

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19.04.2023

Forschung am ITM der TU Dresden für eine Webtechnologie zur Fertigung neuer Thermogewebe

Fabrics Textile machinery Sustainability Smart Textiles Fashion

Abstract

Im Frühjahr des Jahres 2023 ist mit branchenübergreifender Beteiligung der Industrie das IGF-Projekt „Entwicklung einer Webtechnologie zur integralen Fertigung von Vlies-Thermogeweben mit Heizfunktion“ (IGF 22817 BR) am ITM angelaufen. Projektziel ist die Entwicklung eines einstufigen Webverfahrens zur Herstellung gekammerter Mehrlagengewebe mit integriertem Dämmmaterial.

Report

Sport- und Outdoorbekleidung sind heutzutage beliebter denn je, da immer mehr Menschen ihre Freizeitaktivitäten in der Natur verbringen möchten. Mit steigendem Interesse an Wandern, Skifahren und anderen Outdoor-Aktivitäten wächst auch die Nachfrage nach hochwertiger Ausrüstung, wie zum Beispiel Thermojacken und Schlafsäcken.

Solche isolierenden Thermostrukturen werden auch im Automobilbau zur Dachisolation verwendet. Diese mehrschichtigen Strukturen umfassen einen Ober- und Unterstoff sowie den dazwischenliegenden Dämmstoff. Zur Verbindung der Lagen werden Steppnähte eingesetzt, die die Lagen zueinander in Position halten. Durch das eingeschlossene Luftvolumen kann ein hoher Isolationsgrad erreicht werden, der jedoch im Bereich der Steppnähte durch die Komprimierung des Dämmstoffes und den in Wärmedurchgangsrichtung verlaufenden Steppfaden stark abnimmt. Die so entstehenden Kältebrücken reduzieren die Funktionalität der Produkte und begrenzen das Potenzial der Dämmstoffe stark. Darüber hinaus umfasst die Fertigung der Thermostrukturen mehrere teils komplexe zeit- und materialintensive Teilschritte. Zur Vermeidung beschriebener Kältebrücken und Vereinfachung des Herstellverfahrens wird in diesem Projekt die Entwicklung eines Webverfahrens angestrebt, dass die integrale Fertigung von Thermostrukturen erlaubt. Durch die Substitution des Ober- und Unterstoffs durch ein gekammertes Mehrlagengewebe mit Bindekette wird die Verbindung der Lagen ohne Steppnähte gewährleistet.

Eingebrachte Heizstrukturen sollen die Wärmewirkung zusätzlich erhöhen. Die Verwendung einer Jacquardmaschine bietet außerdem die Möglichkeit einer freien Musterung der Deckflächen, deren Designmöglichkeiten zurzeit durch den Steppnahtverlauf begrenzt werden.

Schwerpunkt des Projektes ist die Entwicklung einer industriell verwendbaren und KMU-gerechten Auslegungsmethodik für beschriebene Thermogewebe, wodurch bei individuellen Kundenanfragen schnell strukturelle, geometrische und materialseitige Vorgaben bereitgestellt werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist die konstruktiv-technologische Entwicklung eines Webverfahrens inklusive Trenn-, Vorlage- und Verarbeitungsprozess des Dämmmaterials, die Entwicklung geeigneter Gewebebindungen und einem Konzept für einen produktspezifischen Warenabzug. Die integrale Fertigung der Thermostruktur an Funktionsmustern wird darauf aufbauend beispielhaft erprobt und bewertet.

Die Anwendungsfelder für integral gewebte Thermostrukturen reichen vom Funktionsbekleidungsbereich über den Tierbedarf in Form von z. B. Pferdedecken bis hin zu Isolationsanwendungen im Fahrzeugbau. Die Beteiligung der Industrie mit Vertretern verschiedener Branchen wie Smart Textiles, Vliesstoff-, Gewebe- und Garnherstellung, Softwareentwicklung, Fahrzeugbau und Textilhersteller zeigt den deutlichen Bedarf an solchen Innovationen.

Ziel des Projektes ist es, den Wärmedurchgangskoeffizienten von Thermostrukturen um ca. 20 % im Vergleich zu gesteppten Konstruktionen zu reduzieren. Damit soll ein deutlicher Wettbewerbsvorteil durch die stark verbesserte Performance von Outdoorbekleidung und Thermotextilien in verschiedene Branchen geschaffen werden. Die einstufige Fertigung ermöglicht zusätzlich die Einsparung von Herstellkosten. Mit den Projektergebnissen soll ein Beitrag zur Nachhaltigkeit und kosteneffizienten Fertigung von Thermostrukturen geleistet werden. Darüber hinaus wird eine Verbesserung in den Technologiesektoren Textilmaschinenbau und Weberei erreicht.

Das IGF-Vorhaben 2817 BR (Entwicklung einer Webtechnologie zur integralen Fertigung von Vlies-Thermogeweben mit Heizfunktion) der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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05.04.2023

High-efficiency electrodes with ultralight fabric-based current collectors for lithium-ion batteries

Fabrics Sustainability Technical Textiles

Abstract

Lithium-ion batteries (LIB) are indispensable key components for electro mobility and the success of the energy transition. They offer high energy density and high cycle stability. Eight partners from industry and science are developing technologies and components in the funded project "revoLect" (funding code: 03ETE041) in order to be able to produce resource-saving and more efficient LIBs. The project is pursuing two key innovations: the replacement of the usual metal foils with a metallized fabric structure and the use of silicon as anode material.

Report

Batteries are one of the key components for the success of the global energy transition. They are indispensable as stationary energy storage devices in combination with electricity from renewable energies and are a basic prerequisite for electro mobility. The demand for batteries is currently increasing enormously. Already, about 16% of newly registered passenger cars in Germany have an electric drive [1]. In addition to this increasing demand for electro mobility, there is also an increasing demand for batteries for smartphones, laptops, electric bicycles and stationary energy storage

The most important current battery type is lithium-ion batteries (LIB). Their high energy density and high cycle stability offer a long range for electric vehicles at marketable costs. The task now is to exploit the potential of the batteries by further developing all their components and their production technologies. This is the goal pursued by the eight project partners of the revoLect project funded by the German Federal Ministry of Economics and Climate Protection BMWK. The project partners are pooling their expertise along the entire process chain of battery production. In the project, novel electrodes with lightweight fabric-based current collectors are being developed for lithium-ion batteries using a resource-saving technology. This technology requires less use of primary raw materials such as copper and aluminum compared to previous lithium-ion batteries. At the same time, this technology enables higher energy densities and thus further material savings from the cell to the system level. Another development focus is the use of pure silicon as anode material in combination with the lightweight fabric structure of the electrodes.

Project partner PORCHER INDUSTRIES GERMANY GmbH is a specialist in the production of glass fabrics from glass filament yarns. In the revoLect project, PORCHER INDUSTRIES is developing ultralight glass fabrics as the basis for electricity collectors. The aim here is to produce ultralight fabrics from the finest glass filament yarns. In parallel, the Dresden University of Technology, Institute of Textile Machinery and High Performance Material Technology (ITM), is developing ultralight carbon fabrics based on a carbon spreading technology for the highly efficient electrodes.

The developed carbon and glass fabrics are metallized by elfolion GmbH by vacuum processes for use as current collectors. The current collector strip material is provided for the production of composite electrodes. elfolion itself is aiming at the realization of a cell cathode, consisting of fractal porous solid structures, which are the active component of the electrode. Compared to the state of the art, the open-mesh and lightweight structure of the fabrics and the porous coating lead to significantly reduced material usage and larger active surfaces. This increases the energy density of battery cells significantly in terms of both mass and volume.

The RWTH Aachen University, Chair of Production Engineering of E-Mobility Components (PEM), is developing processes for coating the fabric-based current collectors with slurry-based electrode materials. Among other things, the pilot plant for cell production is being adapted to process the novel materials. In addition, it is investigating the design and production of the battery cells based on the components provided by the project partners.

Fraunhofer FEP's goal in the revoLect project is to develop a process for depositing silicon on the fabric structures. Claus Luber explains: "We have to match the silicon layer and the fabric structures in such a way that an optimum is achieved with regard to the gravimetric energy density of the anode. Fraunhofer FEP has decades of experience in the development of roll-to-roll technologies. Based on this, we will develop a suitable and economically attractive roll-to-roll vapor deposition process."

The partner CUSTOMCELLS ® coats the novel substrates with electrode paste under industry-standard conditions. Subsequently, the performance of the batteries is tested by electrochemical measurements.

The Institute for Experimental Physics at the Technical University of Freiberg is involved in the characterization of the processed individual components and button and pouch cells. From this, microstructure-property correlations as well as design proposals and processing parameters will be derived for the cooperation partners.

ROMONTA GmbH interconnects the manufactured cells to battery systems and carries out final practice-related application tests. In the evaluation, cell parameters such as aging and current/voltage resistance are to be analyzed and transferred to the mobile application. This will ensure the powerful performance of the LIB.

Lithium-ion batteries with significantly increased energy density and lower material consumption compared to the state of the art: this is the ambition of the project consortium. All partners in the revoLect project will be working at full speed over the next 3 years on application-oriented development along the entire process chain for the production of highly efficient lithium-ion batteries.

[1] source: ADAC- new car registrations in November 2022, www.adac.de/news/neuzulassungen-kba/

About the project

revoLect - High-efficiency electrodes with ultralight fabric-based current collectors for lithium-ion batteries. Subproject: Development of vacuum technologies for the productive deposition of columnar silicon layers on fabric.

Funding reference: 03ETE041                   

Duration: 01.09.2022 – 31.08.2025

Project partner:

  • Fraunhofer Institute for Organic Electronics, Electron Beam and Plasma Technology FEP
  • Technische University of Technology – Faculty of Chemistry and Physics - Institute for Experimental Physics
  • Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen - Faculty 4 – Mechanical Engineering – Chair of Production Engineering of E-Mobility Components (PEM)
  • Dresden University of Technology – Faculty of Mechanical Engineering – Institute for Textile Machinery and Textile High Performance Materials
  • Porcher Industries Germany GmbH
  • elfolion GmbH
  • ROMONTA GmbH
  • CUSTOMCELLS®

 

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Fakultät Maschinenwesen
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05.04.2023

Hocheffiziente Elektroden mit ultraleichten Stromsammlern auf Gewebebasis für Lithium-Ionen-Batterien

Fabrics Sustainability Technical Textiles

Abstract

Lithium-Ionen-Batterien (LIB) sind unverzichtbare Schlüsselkomponenten für die Elektromobilität und das Gelingen der Energiewende. Sie bieten eine hohe Energiedichte und hohe Zyklenfestigkeit. Acht Partner aus Industrie und Wissenschaft entwickeln im Förderprojekt „revoLect“ (Förderkennzeichen: 03ETE041) Technologien und Komponenten, um ressourcenschonende und effizientere LIBs produzieren zu können. Das Projekt verfolgt zwei wesentliche Innovationen: der Ersatz der üblichen Metallfolien durch eine metallisierte Gewebestruktur als Stromsammler und der Einsatz von Silizium als Anodenmaterial.

Report

Batterien sind eine der Schlüsselkomponenten für den Erfolg der globalen Energiewende. Sie sind unverzichtbar als stationäre Energiespeicher im Zusammenspiel mit Strom aus erneuerbaren Energien und stellen eine Grundvoraussetzung der Elektromobilität dar. Der Bedarf an Batterien steigt gegenwärtig enorm. Bereits jetzt haben etwa 16% der neuzugelassenen PKW in Deutschland einen Elektroantrieb [1]. Zu diesem steigenden Bedarf bei der Elektromobilität kommt der steigende Bedarf an Batterien für Smartphones, Laptops, Elektrofahrrädern und die stationäre Energiespeicherung.

Der wichtigste gegenwärtige Batterietyp sind Lithium-Ionen-Batterien (LIB). Ihre hohe Energiedichte und hohe Zyklenfestigkeit bieten eine hohe Reichweite für Elektrofahrzeuge zu marktfähigen Kosten. Nun gilt es, das Potenzial der Batterien durch eine Weiterentwicklung all ihrer Komponenten und deren Produktionstechnologien auszuschöpfen. Dieses Ziel verfolgen die acht Projektpartner des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK geförderten Projektes revoLect. Die Projektpartner bündeln ihre Kompetenzen entlang der gesamten Prozesskette der Batterieproduktion. Im Projekt werden neuartige Elektroden mit leichtgewichtigen Stromsammlern auf Gewebebasis für LIB mit einer ressourcenschonenden Technologie entwickelt. Diese Technologie erfordert einen geringeren Einsatz von Primärrohstoffen wie zum Beispiel Kupfer und Aluminium, verglichen mit etablierten Verfahren. Gleichzeitig ermöglicht diese Technologie höhere Energiedichten und dadurch weitere Materialeinsparungen von der Zell- bis zur Systemebene. Ein weiterer Entwicklungsschwerpunkt ist der Einsatz von reinem Silizium als Anodenmaterial in Kombination mit der leichten Gewebestruktur der Elektroden.

Der Projektpartner PORCHER INDUSTRIES GERMANY GmbH ist ein Spezialist für die Fertigung von Glasgeweben aus Glasfilamentgarnen. Im Projekt revoLect entwickelt PORCHER INDUSTRIES ultraleichte Glas-Gewebe als Basis für die Stromkollektoren. Ziel ist hier ultraleichte Gewebe aus feinsten Glasfilamentgarnen herzustellen. Parallel dazu erarbeitet die Technische Universität Dresden, Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM), ultraleichte Carbongewebe auf Basis einer Carbonspreiztechnologie für die hocheffizienten Elektroden.

Die entwickelten Carbon- und Glasgewebe werden von der elfolion GmbH durch vakuumtechnische Verfahren für den Einsatz als Stromkollektoren metallisiert. Das Stromkollektor-Bandmaterial wird zur Herstellung von Elektroden im Verbund bereitgestellt. Die elfolion selbst strebt die Realisierung einer Zell-Kathode, bestehend aus fraktalen porösen Festkörperstrukturen, die die Aktivkomponente der Elektrode darstellen, an. Die offenmaschige und leichte Struktur der Gewebe und die poröse Beschichtung führt gegenüber dem Stand der Technik zu deutlich reduziertem Materialeinsatz und größeren aktiven Oberflächen. Damit wird sowohl masse- als auch volumenbezogen die Energiedichte von Batteriezellen deutlich gesteigert.

Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Lehrstuhl Production Engineering of E-Mobility Components (PEM), erarbeitet Prozesse zur Beschichtung der gewebebasierten Stromkollektoren mit Elektrodenmaterialien auf Slurrybasis. Dazu wird u.a. die Pilotanlage zur Zellproduktion auf die Verarbeitung der neuartigen Materialien adaptiert. Darüber hinaus untersucht sie die Auslegung und Produktion der Batteriezellen beruhend auf den, durch die Projektpartner, zur Verfügung gestellten Komponenten.

Das Ziel des Fraunhofer FEP im Projekt revoLect besteht in der Entwicklung eines Verfahrens zur Abscheidung von Silizium auf den Gewebestrukturen. Claus Luber erläutert: „Die Siliziumschicht und die Gewebestrukturen müssen wir so aufeinander abstimmen, dass hinsichtlich der gravimetrischen Energiedichte der Anode ein Optimum erzielt wird. Das Fraunhofer FEP hat jahrzehntelange Erfahrung in der Entwicklung von Rolle-zu-Rolle-Technologien. Darauf aufbauend werden wir einen passenden und ökonomisch attraktiven Rolle-zu-Rolle Bedampfungsprozess entwickeln.“

Der Partner CUSTOMCELLS® beschichtet die neuartigen Substrate mit Elektrodenpaste unter industrieüblichen Bedingungen. Anschließend wird durch elektrochemische Messungen die Leistungsfähigkeit der Batterien geprüft.

Das Institut für Experimentelle Physik der Technischen Universität Bergakademie Freiberg beschäftigt sich projektbegleitend mit der Charakterisierung der prozessierten Einzelkomponenten sowie Knopf- und Pouch-Zellen. Daraus werden Mikrostruktur-Eigenschaft-Korrelationen sowie Designvorschläge und Prozessierungsparameter für die Kooperationspartner abgeleitet.

Die ROMONTA GmbH schaltet die hergestellten Zellen zu Batteriesystemen zusammen und führt abschließende praxisbezogene Anwendungstests durch. In der Auswertung sollen Zellparameter wie z.B. Alterung und Strom-/Spannungsfestigkeit analysiert und auf die Anwendung im mobilen Bereich übertragen werden. Dadurch wird die leistungsstarke Performance der LIB sichergestellt.

LIB mit einer deutlich erhöhten Energiedichte und einem geringeren Materialverbrauch gegenüber dem Stand der Technik: das ist die Ambition des Projektkonsortiums. Alle Partner des Projektes revoLect arbeiten in den nächsten 3 Jahren mit Hochdruck an der anwendungsnahen Entwicklung entlang der gesamten Prozesskette zur Herstellung hocheffizienter LIB.

[1] Quelle: ADAC- Neuzulassungen im November 2022, www.adac.de/news/neuzulassungen-kba/

Über das Projekt

revoLect - Hocheffiziente Elektroden mit ultraleichten Stromsammlern auf Gewebebasis für Lithium-Ionen-Batterien

Förderkennzeichen: 03ETE041                  

Förderzeitraum: 01.09.2022 – 31.08.2025

Projektpartner:

  • Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP
  • Technische Universität Freiberg – Fakultät für Chemie und Physik – Institut für Experimentelle Physik
  • Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen - Fakultät 4 - Maschinenwesen - Lehrstuhl für Production Engineering of E-Mobility Components (PEM)
  • Technische Universität Dresden - Fakultät Maschinenwesen - Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik
  • Porcher Industries Germany GmbH
  • elfolion GmbH
  • ROMONTA GmbH
  • CUSTOMCELLS®

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29.03.2023

Thermogeneratorpaneele basierend auf multifunktionalen Abstandsgewirken

Knittings Composites Textile machinery Sensor Technology Sustainability Technical Textiles

Abstract

Thermoelektrische Generatoren (TEG) bieten das Potenzial Abwärme verschleiß- und wartungsfrei in elektrischen Strom umzuwandeln und damit zur Einsparung von CO2-Emissionen beizutragen. Die Funktionsweise der TEG beruht auf dem materialinhärenten Seebeck-Effekt. Im Rahmen des IGF- Projektes 21144 BR wurden Thermogeneratorpaneele basierend auf abstandsgewirkten glasfaserverstärkten Paneelen entwickelt. Im Wirkprozess wurde die Integration von Glasfasern und thermoelektrischen Drähte umgesetzt. Dadurch wurden Leichtbaupaneele mit guten strukturmechanischen Eigenschaften (Druck-, Biegefestigkeit) und zusätzlicher Thermogenerator- und Wärmeisolationsfunktion realisiert. Diese sogenannten Multithermogeneratorpaneele (MTP) können mit ihrer autarken elektrischen Leistung für den Betrieb von Sensoren oder Kleingeräten genutzt werden.

Report

Einleitung

Der globale Energiebedarf steigt mit den laufenden industriellen Fortschritten und dem Bevölkerungswachstum stetig an. Die Energieversorgung nachhaltig zu gestalten, ist mit der aktuellen Dringlichkeit des Klimaschutzes, zwingend notwendig, um die Wirtschaft und auch die Zukunft nachfolgender Generationen zu sichern. Im Zuge der rasanten Entwicklung des Internet of Things (IoT) und der Digitalisierung besteht außerdem große Nachfrage nach autarken mobilen Stromquellen, mit denen selbstständig und zuverlässig elektronische Sensoren und Kommunikationsgeräte betrieben werden können. Die meisten technischen Prozesse nutzen nur 25 % bis 40 % der eingesetzten Energie zur Umwandlung in mechanische Energie. Der Rest wird in thermische Energie umgewandelt, die in der Regel verloren geht. Ein vielversprechender Ansatz zur Nutzung dieser thermischen Energie ist der Einsatz von thermoelektrischen Generatoren (TEG).

Die Stromerzeugung mittels TEG wird durch den Seebeck-Effekt beschrieben. Dabei entsteht zwischen der warmen (Th) und der kalten Kontaktstelle (Tk) der thermoelektrischen Funktionsmaterialpaare A und B, auch Thermoelemente (TE) genannt, eine elektrische Spannung (U). Die erreichbare Leistungsausbeute eines TEG ist neben der Umgebungstemperaturdifferenz (ΔT) von den materialspezifischen Parametern der eingesetzten TE abhängig. Diese Parameter werden durch die Gütezahl (ZT) beschrieben und umfassen die Seebeck-Koeffizienten (α in µV/K), die elektrische (σ, möglichst hoch) und die thermische Leitfähigkeit (λ, möglichst gering). Für eine hohe Leistungsausbeute sind Materialien mit einer hohen Differenz im Seebeck-Koeffizienten notwendig. Außerdem ist die Leistungsausbeute eines TEG-Moduls maßgeblich von der Anzahl in Reihe geschalteter TE in einem Modul abhängig. Werkstoffe für einen hohen thermoelektrischen Nutzeffekt basieren auf seltenen Rohstoffen, wie Bismut, Antimon und Tellur, die eine gute elektrische Leitfähigkeit, kombiniert mit einer geringen Wärmeleitfähigkeit aufweisen. Das Vorkommen und die Lebensdauer der Halbleiterelemente ist jedoch begrenzt und das Recycling aufwändig. Sie sind außerdem kostenintensiv und teilweise toxisch.

Daher werden von der Wirtschaft und der Forschung Entwicklungen neuer Materialien oder die Steigerung der Leistung der TEG sowie kostengünstigere Herstellverfahren vorangetrieben. Allerdings bestehen diese entwickelten Verfahren zumeist aus aufwändigen kombinierten Gieß- und Sinterprozessen sowie einer kostenintensiven notwendigen Nachbearbeitung. Zur Schaffung eines effizienten Herstellverfahrens für TEG mit einer produktiven Integrationsmöglichkeit einer hohen Anzahl an TE bietet die Abstandswirktechnik großes Potenzial. Mit dem Einsatz von Funktionsmaterialien und Hochleistungsgarnen in den Abstandsgewirken, wie Glasfasergarne, und einer späteren Infiltrierung und Konsolidierung mit Harzsystemen lassen sich großflächige Faserverbundstrukturen (z. B. Leichtbaupaneele) mit geschlossenen Deckschichten generieren, die neben der TEG-Funktion sehr gute strukturmechanische Eigenschaften aufweisen und auch als tragende Strukturen im Fahrzeug- oder Anlagenbau mit Wärmeisolation einsetzbar sind [1] .

Im Rahmen des Forschungsprojektes IGF 21144 BR wurden Leichtbaupaneele als tragende Bauteile mit multifunktionalen Eigenschaften, Multifunktionsthermogeneratorpaneele (MTP), realisiert, die durch die Umwandlung industrieller Abwärme in elektrischen Strom mit gleichzeitigem Kühleffekt zur Effizienzsteigerung von Batterien oder Elektromotoren in der Elektromobilität und von Hybridsystemen beitragen.


Entwicklung der Multithermogeneratorpaneele (MTP)

Der Grundaufbau der MTP besteht aus einem glasfaserverstärkten Abstandsgewirke, welches schlussendlich verharzt das Substrat des TEG darstellt. Die Thermoelemente (TE) werden in Form von Funktionsdrähten aus Eisen und Konstantan als Polfadensystem in der RR-Raschelwirkmaschine in den Abstand integriert, wie in Abbildung 2 veranschaulicht. Weiterhin gewährleisten Polfäden aus Monofilamenten, sowie Glasfasern (EC9-68x2) die Stabilität gegenüber mechanischer Beanspruchung. In den Deckflächen stellen je zwei Maschenfadensysteme aus PES (100/40 dtex) die Fixierung der Schuss- und Stehfäden sowie der TE sicher. Die Kontaktierung und Verschaltung der TE erfolgt durch die übereinanderliegende Anordnung und Verbindung der Funktionsdrähte in den Maschen der Gewirkebindung.

Zur Entwicklung und Auslegung der thermoelektrischen Struktur der MTP wurde ein elektrisches Modell entwickelt, in welchem die Anzahl und Geometrie der TE, ihre elektrische Kontaktierung, sowie die Art der Verschaltung der TE (Reihen-, Parallel- oder Mischschaltung) variabel ist. Für das Modell wurden gekoppelte multiphysikalische Ersatzschaltungsmodelle unter Ausnutzung der mathematischen Analogien der elektrischen/thermischen/mechanischen Domäne angewendet, in LT-Spice implementiert und im Hinblick auf die zuvor beschriebenen Parameter untersucht (Abbildung 1). Mittels des Modells kann die Schaltung der TE an den Lastwiderstand des Anwendungsfalls angepasst werden, sodass die maximale Leistung des TEG erreicht wird. Das vorhandene Modell wurde weiterhin durch das thermische Verhalten hinsichtlich Wärmeleitung und Wärmekapazität der Struktur erweitert.

Um die angestrebte thermoelektrische Struktur in eine Gewirkebindung für die RR-Rascheltechnologie zu überführen, wurden mehrere Bindungsvarianten für die Funktionsdrähte im Abstand des Paneels erarbeitet, umgesetzt und analysiert [2]. Weiterhin wurden unterschiedliche elektrische Verschaltungen der Funktionsdrähte entwickelt. Dabei ermöglicht eine kombinierte Reihen- und Parallelschaltung die maximale Einbindung von TE pro Fläche von bis zu 150.000 TE/m² und eine bessere Ausfallsicherheit im Vergleich zur Reihenschaltung. Der Innenwiderstand und die elektrische Leistung kann direkt über die Abmaße des Paneels angepasst werden. Die Struktur des Abstandsgewirkes mit dieser Verschaltung ist im Modell in Abbildung 2 dargestellt.

Zur Herstellung des thermoelektrischen Abstandsgewirkes als Halbzeug für die MTP wurde eine RR-Raschelwirkmaschine MiniTronic 808 von RIUS Comatex S.A. eingesetzt. Mit dem Ziel die Funktions- und Hochleistungsmaterialien schädigungsarm zu verarbeiten, wurde eine Nadelbestückung mit der Feinheit E12 verwendet. Für die Maschineneinstellung und die technologisch-konstruktive Weiterentwicklung der Abstandswirktechnik wurde zunächst der Bauraum der RR-Raschelmaschine und der Einzug der Drähte in den vorhandenen Garnlauf analysiert. Der Fadenlängenausgleich für die Maschenbildung, die Fadenwippe, ist kommerziell als Fadenwippe mit Stahlfedern umgesetzt. Dadurch wird die für die Fadensysteme benötigte Fadenzugkraft erreicht. Bei ebendieser Fadenzugkraft entstehen für die Funktionsdrähte aus Eisen- und Konstantan jedoch irreversible Knicke an den Umkehrpunkten der Lochnadeln. Diese Knicke verhindern das Gleiten der Drähte durch die Lochnadeln, sodass ein Drahtbruch entsteht. Die Drähte benötigen eine sehr niedrige Fadenzugkraft sowie einen Längenausgleich mit niedriger Federkonstante, da materialbedingt nur eine geringe elastische Dehnung (0,1 %) vorhanden ist.

Weiterhin waren technologische Modifikationen zur Verarbeitung von Glasfasergarnen als Schuss-, Steh- und Polfaden auf der RR-Raschelwirkmaschine erforderlich. Die Glasfaserrovings (350 tex) wurden bei der Verarbeitung als Polfadensystem aufgrund der Querkräftanfälligkeit bereits vor der Maschenbildung durch die kleinen Umlenkradien in der Lochnadel abgeschert. Daher wurden verzwirnte Glasfaserrovings als Verstärkungsfaser eingesetzt. Zur Verarbeitung dieser Glasfaserzwirne wurde ein Fadenliefersystem mit einer passiven Fadenzufuhr und einer konstanten Fadenzugkraft von 20 cN entwickelt und umgesetzt. Mittels angetriebener Spulenaufnahme für Glasfasern und Tänzerwalze zur Zugkraftregelung lässt sich dieses Prinzip automatisieren und auf ein System für hohe Produktionsgeschwindigkeiten übertragen.

In einem mehrstufigen Handlaminierverfahren wurden die hergestellten MTP-Halbzeuge mit hochtemperaturbeständigem Harz infiltriert und als MTP Demonstrator verarbeitet (Abbildung 3).


Elektrische Leistung der MTP

Zur Auswertung der thermoelektrischen Leistung der MTP wurde ein gekoppelter elektrisch-thermischer Versuchsstand entwickelt, der durch jeweils ein Peltier-Element an der Ober- und Unterseite eine aktive Erwärmung bzw. Kühlung realisiert. Damit sind Temperaturdifferenzen von bis zu 80 K erreichbar. Zwischen den Peltierelementen und der Probe sind Platten aus Aluminium eingeschraubt. Diese erfüllen zwei Funktionen. Erstens homogenisieren sie die Wärmeverteilung. Zweitens sind in den Platten jeweils Pt100-Temperaturfühler (Präzisionsklasse A) eingebracht. Die Temperaturfühler wurden dabei in Bohrungen platziert und mit Wärmeleitpaste verklebt, sodass eine gute Wärmeleitung zwischen Peltierelement, Probe und Temperatursensoren gewährleistet ist und die Temperaturabweichung zwischen Sensor und TEG-Oberfläche minimal ist. Die Widerstände der Pt100-Fühler wurden mit einem Keithley DAQ 6500 Präzisionsmultimeter aufgenommen. Die Ansteuerung des Multimeters erfolgte durch Matlab-Simulink. Anhand der gemessenen Temperaturen wurde die Spannungsquelle über SCPI-Befehle und einen PID-Regler geregelt, um eine präzise und stabile Kontrolle der Temperaturdifferenz zu erreichen. Gleichzeitig ermöglichte das Präzisionsmultimeter die Messung der vom TEG erzeugten Spannung, des durch den Lastwiderstand fließenden Stroms sowie des Innenwiderstands des TEGs. In Abbildung 4 sind der Prüfstand mit dem das Temperaturprofil während eines Versuchs mit 60 K Temperaturdifferenz und die aufgenommene Strom-Spannungs-Kennlinie abgebildet.

Mittels Präzisionsmultimeter wurden außerdem die Kontaktpunkte der Funktionsgarne in der gewirkten TEG-Struktur auf ihre Übergangswiderstände hin überprüft sowie der Gesamtwiderstand der TEG-Module ermittelt. Die Kontaktwiderstände zwischen den Funktionsdrähten lagen konstant unter 0,1 Ω. Entgegen der Erwartungen war dies auch nach der Faserverbundbildung der Fall, sodass der Innenwiderstand des finalen Demonstrators 0,9 Ω beträgt. Auch der thermoelektrische Effekt des MTP wurde durch das Harz nicht nachteilig beeinträchtigt. Dies wurde durch Vergleichsmessungen der MTP am Leibniz Institut für photonische Technologien (ipht) und bei der itp GmbH ebenfalls bestätigt.

Die Projektergebnisse zur Herstellung und zu den Eigenschaften von abstandsgewirkten MTP aus Eisen und Konstantan bilden eine Basis für die zielgerichtete Weiterentwicklung einer effizienten Fertigung von vertriebsreifen TEG. Die Ausnutzung der Produktivität der RR-Raschelwirkmaschine trägt dazu bei, die sonst kostenintensiven alternativen Energiekonzepte für Bevölkerung und Wirtschaft zugänglich und profitabel zu gestalten, sodass zum Erhalt der Umwelt beigetragen wird.


Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21144 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Das Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden (ITM) dankt den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel.

Der Abschlussbericht und weiterführende Informationen sind am Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden vorhanden [3].

Die vollständige Veröffentlichung steht zum Download zur Verfügung.

Authors: Anke Golla, Johannes Mersch, Gerald Hoffmann, Chokri Cherif

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

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06.03.2023

Gewebte Papier-Textil-Strukturen für einen nachhaltigen Leichtbau

Fabrics Composites Textile machinery Sustainability Technical Textiles

Abstract

Mit dem technologischen Nachweis des neuartigen HyPerWeave-Ansatzes steht somit in der Zukunft eine nachhaltige Material- und Leichtbaulösung für eine Vielzahl an Branchen bereit, deren Eigenschaften (Stabilität, Brandschutz) auf den jeweiligen Anwendungsfall maßgeschneidert angepasst werden kann. Darüber ermöglicht die Kopplung von Papier- und Textiltechnik geschlossene Stoffkreisläufe, in denen das betreffende Bauteil gegen Ende der Produktlebenszeit und abhängig von seiner Zusammensetzung getrennt und zu neuen Leichtbaustrukturen recycelt werden kann.

Report

Mit dem konsequenten Einsatz von Leichtbau-Technologien können in vielen industriellen Bereichen sowie in der Mobilitäts- und Baubranche erhebliche Mengen an CO2-Emissionen eingespart werden. Jedoch erfordert die Herstellung entsprechender faserverstärkter Leichtbaustrukturen einen hohen Energie- und Ressourcenaufwand, wodurch eine tatsächliche CO2-Ersparnis erst sehr spät und am Ende der Nutzungsdauer erreicht wird. Zum Beispiel basieren Carbon- oder Aramidfaser in der Regel auf petrochemischen Ausgangsmaterialien und erfordern bei der Herstellung einen immensen Energieeinsatz. Im Gegensatz dazu bieten naturbasierte Verstärkungsfasern ein großes Potenzial zur Senkung von CO2-Emissionen und zur stofflichen Bindung von CO2 bei der Herstellung von Leichtbaustrukturen. Dennoch sind diese Technologien noch nicht weit verbreitet, da die Eigenschaften der Ausgangsmaterialien großen Schwankungen unterliegen und die Kompatibilität mit gebräuchlichen Matrixsystemen nicht immer gegeben ist.

Das branchenübergreifende Projekt "HyPerWeave" erforscht Wege zur Umsetzung eines CO2-armen und damit nachhaltigen Leichtbaus. Wissenschaftler:innen der Papiertechnischen Stiftung Heidenau (PTS) und des Instituts für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden entwickeln im Rahmen der Industriellen Gemeinschaftsforschung gewebte Verstärkungsstrukturen auf Basis von Papier (siehe Abbildung 1) für neuartige, hochstabile Leichtbaupaneele, wie sie in vielen Bereichen der Mobilität, der Gebäudeausrüstung oder dem Anlagenbau benötigt werden. Neben den Anforderungen an eine hohe spezifische Tragfähigkeit solcher Paneele, sind es daher insbesondere die Brandschutzeigenschaften bis DIN 4102 B1, die in der Materialentwicklung von HyPerWeave adressiert werden.

Die papier- und textiltechnologischen Arbeiten der Forschungseinrichtungen sind eng miteinander verzahnt. So konnten in der ersten Projektphase neue Papiere entwickelt werden, die ein vielversprechendes Eigenschaftsprofil hinsichtlich Mechanik, Brandschutz und textiltechnologischer Verarbeitbarkeit aufweisen und nun im Rahmen der zweiten Projektphase schrittweise auf praxisähnliche Versuchsanlagen der PTS hergestellt werden. Für die weitere Verarbeitung der Papiere zu integral verstärkten Leichtbaustrukturen wird am ITM eine neues Webverfahren entwickelt und konstruktiv-technologisch umgesetzt. Dies betrifft insbesondere die Materialführung, bei der das Papier in anforderungsgerechte Streifen geschnitten und in Form von Kettfäden bindungstechnisch in eine Abstandsgewebestruktur eingebracht werden. Die textilbasierte Kopplung zwischen der so aus dem Papier ausgeprägten Kernlage und den gleichzeitig gewebten Decklagen (siehe Abbildung) verspricht dabei gegenüber dem Stand der Technik eine deutlich verbessertes Delaminationsverhalten, gesteigerte Schubstabilität und Schadenstoleranz gegenüber geklebten Waben-Sandwichstrukturen. Die gewebten Papierhalbzeuge können anschließend mit Fixiermitteln und Matrixmaterialien auf Basis nachwachsender Rohstoffe zu hochwertigen Paneelen weiterverarbeitet werden.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21856 BR (Entwicklung von integral gewebten Papier-Textil-Sandwichstrukturen für Leichtbaupaneele (Hybrid High Performance Paper Weaves – HyPerWeave) wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Authors: Vorhof, Michael (1); Wüstner, Cornell (2); Sennewald, Cornelia (1); Cherif, Chokri (1) (1) Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) (2) Papiertechnische Stiftung Heidenau

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden
cornelia.sennewald@tu-dresden.de

Papiertechnische Stiftung Heidenau
Pirnaer Straße 37
01809 Heidenau
cornell.wüstner@ptspaper.de

https://tu-dresden.de/mw/itm | https://www.ptspaper.de

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06.03.2023

Technology Development for the Sustainable Production of High-purity Chitosan Filament Yarns with High Performance and Functionality (Chion)

Raw materials Fibres Yarns Sustainability

Abstract

In the IGF project 21168 BR ‘Chion’, a technology for the manufacturing of chitosan multifilament yarns from ionic liquids was developed, enabling the tailoring of the yarn properties regarding their performance and functionality in all process stages. The material costs, the field of application and the functionalities achievable by the multifilament yarns are defined by the raw material selection. By using ionic liquids, it was possible for the first time to process lower-cost chitosans in various qualities and degree of deacetylation < 90%, previously unavailable with conventional spinning processes. From the achieved and extensively evaluated project results, required process parameters for the successful transfer of the elaborated fundamentals to a pilot scale as well as the process development for the spinning of chitosan multifilament yarns with high performance and strengths up to 28 cN/tex on a pilot solvent wet spinning plant were derived and implemented. To demonstrate the textile processability of the multifilament yarns, textile demonstrators were successfully fabricated for the first time in conventional textile weaving, knitting or braiding processes on standard industrial textile machines.

Report

Introduction and Objective

In the 21st century, society's high level of interest in using products that are manufactured in a sustainable way and minimize environmental impact grows constantly. In this context, the textile and fiber industry has the opportunity to accelerate the development of organic products from renewable raw materials, such as chitin and chitosan, in order to respond to the social, national and international demand for organic products.

The biopolymer chitin and its derivative chitosan are versatile and well-known materials used in (bio-)medicine and pharmacy. However, they are rarely available as a pure textile product. Chitin is the second abundant biopolymer after cellulose with 1.5-105 t/a [1]. The semi-crystalline structure and stable network of molecular bonds limit the solubility of chitin significantly. Therefore, chitin derivative chitosan is being primarily addressed by research and material development. The chitosan class of materials demonstrates excellent biological and antibacterial properties as well as cell colonizability and biodegradability [2, 3]. In the last few years, considerable research efforts have been made to develop efficient chitosan products; nevertheless, the availability of pure chitosan multifilament yarns with long-term stability is currently extremely limited [4]. Likewise, a robust, scalable process for manufacturing of high-performance chitosan filament yarns is urgently needed, as current products are severely limited in terms of mechanical properties. Due to the natural provenance and variability of raw material properties, such as degree of deacetylation (DD), molecular weight (Mw), etc. There are still major challenges in producing of chitosan multifilament yarns using the acid- and alkali-dominated manufacturing processes established so far.

The aim of the IGF research project ‘Chion’ (21168 BR) was therefore to develop a robust wet-spinning process based on ionic solvents for manufacturing of multifilament yarns from 100 % chitosan with high performance and functionality.

Obtained Results

By using ionic liquids (IL), lower cost chitosans with lower Mw and DD < 90% became accessible to the wet-spinning process for the first time. A high content of acetamide groups in chitosan with low DD (< 90%) leads to the increase of intermolecular interactions, which resulted in improved mechanical performance with tensile strengths up to 28 cN/tex and proper textile processing of chitosan multifilament yarns. The extensive research of chitosan-IL-systems with different chitosan proveniences, Mw and DD 60 – 90% with imidazol-based IL was initially carried out on a laboratory scale for monofilaments. Based on the results, important process parameters and promising chitosan-IL combinations were obtained and the developed process was successfully transferred to the multifilament scale. A structural-mechanical adjustment of the properties of the chitosan multifilament yarns was a fundamental object of the research work: Each development step was systematically monitored by material and process characterizations and analyses. Further investigations included the solubility of chitosan in IL, viscosity studies, fiber morphology and geometry, chemical and physical material properties, crystallinity and degradation behavior, as well as on the influence of controlled fiber drawing during the spinning process according the adjustment of the textile-physical properties. By integrating acid- and temperature-sensitive agents into the spinning dope, the functionality of the chitosan multifilament yarns was demonstrated. As a result of the precise tailoring of the molecular fiber properties and the developed spinning process parameters, a robust, scalable wet-spinning process is now available for manufacturing of pure chitosan multifilament yarns in pilot scale. Finally, the textile processability of the chitosan multifilament yarns was investigated and demonstrated by knitting, weaving and braiding processes.

Investigation of the solubility of chitosan in IL and spinning dope preparation

Initially, the dissolving ability of IL for chitosan was investigated and evaluated. Through systematic experiments, 19 commercially available chitosan materials of different qualities (e.g. medical grade chitosan, industrial grade chitosan, etc.), provenance (e.g. shrimps, crabs, fungal-based chitosan), degree of DD (60 – 90%) and Mw were characterized and their solubility evaluated in promising imidazole-based ILs. It was demonstrated that especially short-chain ILs in combination with acetate anions possess excellent solubility for all investigated chitosans (Figure 1). From the results of the dissolution tests, promising chitosan-IL combinations were defined for further process development steps.

The preparation of the chitosan-IL spinning dopes (Figure 2, left) was carried out using thermal processing in solids concentrations of up to 8 wt.-% and was monitored and evaluated by rheological investigations as a function of the temperature and shear rate (Figure 2, right). To investigate the stability, processability and spinnability of the homogeneous chitosan-IL-solutions, the spinning dopes were processed into monofilaments on a laboratory scale. In particular, fiber formation was analyzed as a function of the chitosan raw materials and process parameters, such as solid content, temperature, diffusion rate and residence time in the coagulation medium. The obtained results demonstrated, that all investigated chitosan-IL-combinations can be processed into pure chitosan fibers. Therefore, it was successfully proved that ILs are a suitable and promising solvent for the manufacturing of chitosan multifilament yarns.

Wet-spinning of the chitosan multifilament yarns

In the following step, the basic methods developed on the laboratory scale were successfully transferred to a wet-spinning process on a pilot scale. The chitosan multifilament yarns were spun on the wet-spinning plant (Fourné Maschinenbau GmbH) of the ITM. The pilot spinning plant is specially designed for R&D process developments and enables, in particular, test trials with 2 – 60 liters of spinning dope.

For the spinning trials, chitosan-IL spinning dope was first filtered and degassed under specific temperature and pressure conditions. Different spinneret geometries were used for multifilament spinning, including 78 holes of 90 μm (90 µm/78f) and 24 holes of 160 μm (160 µm/12f), respectively. The prepared tempered spinning dope was extruded into a coagulation bath with deionized water as medium. Overall yarn counts of about 50 – 65 tex and filament diameters of about 30 – 50 µm were achieved depending on the spinneret geometry. In order to achieve tailored functionalities, such as high mechanical strength and crystallinity as well as improved molecular orientation, the influence of fiber drawing during the spinning process was systematically investigated. The produced yarns were analyzed for their mechanical and textile-physical properties and compared with conventionally produced acetic acid (AcOH) based chitosan yarns. The DD of the raw material has an important role in this context: a high content of acetamide groups in chitosan with low DD (< 90%) leads to an increase in intermolecular interactions, resulting in improved mechanical properties. The results obtained demonstrate a high functionality as well as significantly improved mechanical properties of the IL spun chitosan multifilament yarns compared to the conventional chitosan fibers (DD 90%) (Figure 3, right). By means of elaborated drawing parameters, tailor-made textile-physical properties, such as elasticity or tensile strength, can be adjusted according to defined requirements.

Textile processing of the chitosan multifilament yarns

During the final phase of the project, the textile processing of the chitosan multifilament yarns from IL into knitted and woven patterns and braids was successfully implemented (Figure 4). The technical processing of conventional chitosan yarns on textile machines has always been a challenge due to insufficient mechanical strength and knot tearing forces. Trouble-free processing in weaving, knitting or braiding processes without special yarn pretreatment or machine adaptations could not be realized so far using conventional chitosan multifilament yarns. In contrast, the chitosan multifilament yarn produced by IL offers sufficient mechanical stability and flexibility to be processed into knitted, woven or braided structures in conventional textile processes on standard industrial production machines. Additional yarn functionalization, such as sizing, further improves the processability of the material and the quality of the finished product.

Acknowledgement

The IGF project 21168 BR of the Research Association Forschungskuratorium Textil e.V. was funded by the Federal Ministry of Economics and Climate Protection via the AiF within the framework of the program for the promotion of joint industrial research (IGF) on the basis of a resolution of the German Bundestag. We would like to thank the above-mentioned institutions for providing the financial resources. Furthermore, we want to thank the member of the ‘Projektbegleitender Ausschuss’ (project accompanying committee) for their support during the project.

The complete publication is available as download.

Authors: Kuznik, Irina; Kruppke, Iris; Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

chitosan multifilament yarns

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06.03.2023

Technologieentwicklung zur nachhaltigen Herstellung hochreiner Chitosanfilamentgarne mit hohem Leistungs- und Funktionsvermögen (CHION)

Raw materials Fibres Yarns Sustainability

Abstract

Das IGF Projekt 21168 BR „Chion“ umfasst eine Technologieentwicklung zur Herstellung von Chitosanmultifilamentgarnen, die ein Maßschneidern der Garneigenschaften hinsichtlich ihres Leistungs- und Funktionsvermögens in allen Prozessstufen ermöglicht. Dabei werden die Materialkosten, das Einsatzfeld sowie die im Multifilamentgarn erreichbaren Funktionalitäten zunächst durch die Rohmaterialauswahl definiert. Durch die Nutzung von ionischen Flüssigkeiten sind erstmalig kostengünstigere Chitosane in verschiedenen Qualitäten sowie Deacetylierungsgraden < 90 % für einen Lösungsmittelnassspinnprozess einsetzbar, die bisher mit konventionellen Spinnprozessen nicht verarbeitbar waren. Aus den erzielten und ausführlich ausgewerteten Projektergebnissen wurden notwendige Prozessparameter für die erfolgreiche Übertragung der erarbeiteten Grundlagen auf einen Technikumsmaßstab sowie dazugehörige Prozessentwicklung für die Erspinnung vom Chitosanmultifilamentgarn mit hohem Leistungsvermögen und Festigkeiten bis zu 28 cN/tex auf einer Pilot-Lösungsmittelnassspinnanlage abgeleitet und umgesetzt. Zum Nachweis der textilen Verarbeitbarkeit der erzeugten Multifilamentgarne aus 100 % Chitosan erfolgte eine erfolgreiche Umsetzung textiltechnischer Demonstratoren in konventionellen textilen Web-, Strick- oder Flechtprozessen auf industrieüblichen Textilmaschinen.

Report

Einleitung, Problemstellung und Zielsetzung

Im 21. Jh. wächst die hohe Bereitschaft der Gesellschaft, ökologische, ressourcen- und umweltschonend hergestellte Produkte zu verwenden, stets weiter. Hierbei hat die Textil- und Faserbranche die Chance, durch biobasierte Produkte auf Grundlage von nachwachsenden Rohstoffen, wie Chitin bzw. Chitosan, Entwicklungen voranzutreiben, um dem gesellschaftlichen, nationalen sowie internationalen Bedarf an biobasierten Produkten gerecht zu werden.

Das Biopolymer Chitin und sein Derivat Chitosan sind bereits vielseitig genutzte Rohstoffe in der (Bio-)Medizin und Pharmazie, die jedoch kaum als reines textiles Produkt verfügbar sind. Chitin ist mit 1,5·105 t/a das zweithäufigste natürlich vorkommende Biopolymer nach Cellulose [1]. Die halbkristalline Struktur und das stabile Netzwerk aus molekularen Bindungen limitieren jedoch die Löslichkeit von Chitin stark, weshalb vornehmlich das Chitinderivat Chitosan in der Forschung und Materialentwicklung untersucht wird. Die Materialklasse des Chitosans weist hervorragende biologische und antibakterielle Eigenschaften sowie Zellbesiedelbarkeit und Biodegradabilität auf [2, 3]. In den letzten Jahren wurden zwar beträchtliche Forschungsanstrengungen unternommen, um effiziente Chitosanprodukte zu entwickeln, dennoch ist die Verfügbarkeit reiner, langzeitstabiler Chitosanmultifilamentgarne aktuell stark eingeschränkt [4]. Ebenso wird ein robuster, adaptierbarer Prozess zur Erzeugung dieser leistungsstarken Garne dringend benötigt, da heutige Chitosanfilamentgarne hinsichtlich mechanischer Eigenschaften stark limitiert sind. Aufgrund der natürlichen Herkunft und der damit verbundenen Variabilität von Rohmaterialeigenschaften, wie bspw. Deacetylierungsgrad (DA), Molekulargewicht (MW), etc., bestehen nach wie vor große Herausforderungen, Chitosanmultifilamentgarne mittels der bisher entwickelten säure- und alkalidominierten Herstellungsprozesse zu erzeugen.

Das Ziel des IGF Projektes 21168 BR „Chion“ bestand deshalb darin, Multifilamentgarne aus 100 % Chitosan mit hohem Leistungs- und Funktionsvermögen auf Basis eines robusten Lösungsmittelnassspinnverfahrens mit ionischen Lösungsmitteln in reproduzierbarer Qualität und mit einstellbaren Eigenschaften zu erzeugen.

Erzielte Ergebnisse

Durch die Nutzung von ionischen Flüssigkeiten (ionic liquids, IL) werden erstmalig kostengünstigere Chitosane mit geringeren Mw bzw. niedrigen DA < 90 % dem Lösungsmittelnassspinnprozess zugänglich gemacht. Ein hoher Anteil an Acetamidgruppen bei Chitosan mit geringem DA führt zu einer Steigerung der intermolekularen Wechselwirkungen, wodurch ein erhöhtes Leistungsvermögen bis zu 28 cN/tex, sowie eine gute textiltechnische Verarbeitung der mittels IL hergestellter Chitosanmultifilamentgarne resultieren. Die komplexe Erforschung der Chitosan-IL-Systeme mit verschiedenen Chitosanqualitäten, MW sowie DA 60 – 90 % mit imidazolhaltigen IL erfolgte zunächst unter vereinfachten Randbedingungen für Monofilamente. Aus den Ergebnissen wurden wichtige Prozessparameter und aussichtsreiche Chitosan-IL-Kombinationen abgeleitet und der entwickelte Prozess auf den Multifilamentmaßstab übertragen. Eine strukturmechanische Einstellung der Eigenschaften der Chitosanmultifilamente war ein grundlegender Gegenstand der Forschungsarbeiten. Jeder Entwicklungsschritt wurde dabei von systematischen Material- und Prozesscharakterisierungen sowie Analysen begleitet. Systematische Untersuchungen erfolgten zur Löslichkeit von Chitosan in IL, Viskositätsstudien, Fasermorphologie sowie -geometrie, chemischen und physikalischen Materialeigenschaften, Kristallinität- und Degradationsverhalten sowie zum Einfluss einer zielgerichteten Verstreckung während des Spinnprozesses auf strukturmechanische Einstellung der textil-physikalischen Eigenschaften. Durch die Integration säure- und temperaturempfindlicher Modellwirkstoffe in die Spinnlösung wurde die Funktionalisierbarkeit der erzeugten Chitosanfilamentgarne nachgewiesen sowie die Bioaktivität und deren Beständigkeit im Koagulationsbad und am Garn erforscht. Im Ergebnis der gezielten Abstimmung der molekularen Eigenschaften des Chitosans und der erarbeiteten Spinnprozessparameter steht somit ein robuster, übertragbarer Lösungsmittelnassspinnprozess zur Erspinnung der Chitosanmultifilamentgarne im Technikumsmaßstab zur Verfügung. Zum Abschluss wurde die textile Verarbeitbarkeit der erzeugten Chitosanmultifilamentgarne in Strick-, Web- und Flechtprozessen untersucht und nachgewiesen.

Untersuchung des Lösungsvermögens von Chitosan in IL sowie Spinnlösungherstellung

Der erste Schritt der Forschungsarbeiten umfasste die Untersuchung und Bewertung des Lösungsvermögens ionischer Flüssigkeiten (IL) für Chitosan. Mittels systematischer Versuchsdurchführung wurden 19 kommerziell verfügbaren Materialien unterschiedlicher Qualitäten (z.B. medizinisches Chitosan, industrielles Chitosan, etc.), Provenienzen (z.B. Shrimps, Krabben, pilzbasiertes Chitosan), DA (60 – 90 %) sowie MW charakterisiert und deren Löslichkeit in aussichtsreichen imidazolhaltigen IL grundlegend analysiert und ausgewertet. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass besonders kurzkettige IL in Kombination mit Acetat-Anionen ein hervorragendes Lösungsvermögen für alle untersuchten Chitosane aufweisen (vgl. Abbildung 1), woraus eine Ableitung aussichtsreicher Chitosan-IL-Kombinationen für weitere Prozessentwicklungsschritte folgte.

Die Herstellung der Chitosan-IL-Spinnlösungen erfolgte mittels thermischer Unterstützung in Feststoffkonzentrationen bis zu 8 Gew.-% und wurde von rheologischen Untersuchungen in Abhängigkeit von den Parametern Temperatur und Scherrate begleitet und bewertet. Zur Untersuchung der Stabilität, Prozessierbarkeit sowie Spinnbarkeit der hergestellten homogenen Chitosan-IL-Lösungen wurden diese im Labormaßstab zu Monofilamenten verarbeitet. Umfangreiche Analysen umfassten dabei besonders Untersuchungen der Fadenbildung in Abhängigkeit von verwendeten Rohmaterialien sowie Prozessparametern, wie Feststoffgehalt, Temperatur und Verweilzeit im Koagulationsmedium, sowie des Diffusionsverhaltens und der resultierenden Fasereigenschaften. Die erarbeiteten Grundlagen bildeten dabei eine Basis für die Prozessentwicklung der Multifilamentgarnerspinnung aus IL. Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass sich alle untersuchten Chitosan-IL-Kombinationen zu reinen Chitosanfasern verarbeiten lassen, und dienen somit als Nachweis, dass IL ein geeignetes und aussichtsreiches Lösungsmittel zur Herstellung von Chitosanmultifilamentgarnen darstellen.

Erspinnung der Chitosanmultifilamentgarne

Im nächsten Schritt der Forschungsarbeiten fand die erfolgreiche Übertragung der im Labor erarbeiteten Grundlagen auf einen Lösungsmittelnassspinnprozess im Technikumsmaßstab statt. Die Erspinnung der Chitosanmultifilamentgarne erfolgte dabei an der Lösungsmittelnassspinnanlage (Fourné Maschinenbau GmbH) des ITM. Die Pilot-Spinnanlage ist speziell für FuE-Prozessentwicklungen ausgelegt und ermöglicht u. a. Versuche mit 2 – 60 Liter Spinnlösung.

Für die Spinnversuche wurde die Chitosan-IL-Spinnlösung zunächst filtriert und unter bestimmten temperatur- und druckbedingten Konditionen entgast. Die Multifilamenterspinnung erfolgte mittels unterschiedlicher Spinndüsengeometrien, u.a. 78 Löcher à 90 μm (90 µm/78f) bzw. 24 Löcher à 160 μm (160 µm/12f). Die präparierte, temperierte Spinnlösung wurde in ein Koagulationsbad mit deionisiertem Wasser als Medium extrudiert. Die resultierenden Multifilamentgarne weisen Garnfeinheiten von ca. 50–65 tex sowie Filamentdurchmesser von ca. 30–50 µm in Abhängigkeit von der Düsengeometrie auf. Um maßgeschneiderte Funktionalitäten, wie hohe mechanische Festigkeiten und Kristallinitäten sowie verbesserte Molekülorientierung, zu erzielen, wurde der Einfluss des Faserverzugs während des Spinnprozesses systematisch untersucht und mittels gezielter Versuchsplanung effektive Verzugsparameter ausgearbeitet. Die prozessbegleitenden systematischen Untersuchungen umfassten dabei die Charakterisierung der mechanischen und textil-physikalischen Eigenschaften der mittels IL ersponnenen Garne sowie den Vergleich der erzielten Kennwerte mit konventionell hergestellten Chitosangarnen auf Essigsäurebasis (AcOH). Der DA des Rohmaterials spielt dabei eine besonders große Rolle: Ein hoher Anteil an Acetamidgruppen bei Chitosan mit geringem DA (< 90 %) führt zu einer Steigerung der intermolekularen Wechselwirkungen, woraus verbesserte mechanische Eigenschften resultieren. Die erzielten Ergebnisse weisen eine hohe Funktionalität sowie deutlich verbesserte Festigkeiten der mittels IL ersponnenen Chitosanmultifilamentgarne im Vergleich zu den konventionellen Chitosangarnen (DA 90 %) aus AcOH auf (vgl. Abbildung 3, rechts). Mittels erarbeiteten Verzugsparametern lassen sich zudem maßgeschneiderte textil-physikalische Eigenschaften, wie Elastizität oder Festigkeiten, je nach gestellten Anforderungen einstellen.

Textiltechnische Umsetzung der Chitosanmultifilamentgarne

Im letzten Schritt der Projektbearbeitung folgte die erfolgreiche textiltechnische Verarbeitung der Chitosanmultifilamentgarne aus IL zu Strick- und Webmustern sowie Geflechten (vgl. Abbildung 4). Die technische Verarbeitung von konventionellen Chitosangarnen auf Textilmaschinen stellte aufgrund unzureichender mechanischer Festigkeit und Knotenreisskräften bisher immer eine Herausforderung dar. Eine störungsfreie Verarbeitung in Web-, Strick- oder Flechtprozessen ohne eine spezielle Garnvorbehandlung bzw. Maschinenanpassungen konnte bisher für konventionelle Chitosanmultifilamentgarne nicht umgesetzt werden. Die mittels IL hergestelltes Chitosanmultifilamentgarne bieten dagegen die notwendige mechanische Stabilität sowie Flexibilität, um in konventionellen textilen Prozessen auf industrieüblichen Textilmaschinen zu Strick-, Web- oder Flechtstrukturen verarbeitet zu werden. Durch eine zusätzliche Garnfunktionalisierung, wie bspw. Schlichteauftrag, wird die Verarbeitbarkeit des Materials sowie die Qualität des Fertigproduktes noch zusätzlich verbessert.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben 21168 BR der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Wir danken den genannten Institutionen für die Bereitstellung der finanziellen Mittel. Darüber hinaus möchten wir den Mitgliedern des Projektbegleitenden Ausschusses für ihre Unterstützung während der Projektbearbeitung danken.

Die vollständige Veröffentlichung steht zum Download zur Verfügung.

Authors: Kuznik, Irina; Kruppke, Iris; Cherif, Chokri

Technische Universität Dresden
Fakultät Maschinenwesen
Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)
01062 Dresden

https://tu-dresden.de/mw/itm

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