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(c) Nadine Glad
18.07.2023

Digitaler Produktpass für transparente Lieferketten und zirkuläre Produkte

Wer beim Kauf eines Produktes Informationen benötigt, ist aktuell oft noch auf Anleitungen in Papierform oder aufwendige Recherchen angewiesen. In einem aktuellen Projekt arbeitet ein Konsortium aus Forschung und Wirtschaftsverbänden jetzt im Auftrag der EU-Kommission an einem einheitlichen digitalen Produktpass. Dieser soll im Rahmen einer EU-Verordnung z.B. über einen QR-Code alle Produktinformationen entlang der Wertschöpfungskette verfügbar und dezentral abrufbar machen.

Wer beim Kauf eines Produktes Informationen benötigt, ist aktuell oft noch auf Anleitungen in Papierform oder aufwendige Recherchen angewiesen. In einem aktuellen Projekt arbeitet ein Konsortium aus Forschung und Wirtschaftsverbänden jetzt im Auftrag der EU-Kommission an einem einheitlichen digitalen Produktpass. Dieser soll im Rahmen einer EU-Verordnung z.B. über einen QR-Code alle Produktinformationen entlang der Wertschöpfungskette verfügbar und dezentral abrufbar machen.

Absolutes Must-have im Reisegepäck ist für die meisten in der Regel ein Personalausweis oder ein Reisepass. Diese sind international anerkannte Dokumente zur Angabe von Daten über die eigene Person. Dieser für uns selbstverständliche Vorgang soll bald auch für Elektronik- und Textilprodukte sowie Batterien Realität werden. Da Handys, Tablets und Co. selbstverständlich keinen haptischen Reisepass bei sich tragen, sollen ihre „persönlichen Daten“ in Zukunft mittels eines digitalen Produktpasses über einen QR-Code oder RFID-Chip an jeder Stelle der Wertschöpfungskette abrufbar sein.

Verbraucher*innen sollen so beim Kauf von Textilien, Elektronikprodukten, aber auch Möbeln und Spielzeug mehr Möglichkeiten erhalten, sich über wichtige Produktinformationen wie die Energieeffizienzklasse, die Herstellungsbedingungen oder die Reparierbarkeit zu informieren, um darauf aufbauend eine versierte und nachhaltige Kaufentscheidung treffen zu können.

Aber auch für andere Beteiligte z.B. bei der Reparatur oder dem Recycling ergeben sich enorme Potenziale: Bisher kann es bei hoch miniaturisierten Elektronikprodukten schwer herauszufinden sein, welche Rohstoffe oder toxischen Bestandteile im Produkt enthalten sind und wie diese voneinander getrennt werden können. Damit diese Informationen immer auch der richtigen Zielgruppe zur Verfügung stehen, sollen nutzungsspezifische Zertifikate den Zugang reglementieren.

Die Gesamtheit der im Produktpass enthaltenen Informationen ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht endgültig geklärt. Im Projekt CIRPASS erarbeitet die Gruppe um Eduard Wagner am Fraunhofer IZM aktuell, welche gesetzliche Informationspflicht bereits existiert und welche weiteren Informationen für den Produktpass interessant sein könnten. Am Ende soll eine Informationsarchitektur aufgebaut werden, in der geklärt wird, welche Informationen für die Beteiligten der Wertschöpfungskette einen Mehrwert haben und mit welchem Aufwand sie bereitgestellt werden können. Ein Reparaturindikator, der angibt, wie gut sich ein Produkt reparieren lässt, ist beispielsweise in Frankreich seit 2021 verpflichtend und kommt für den digitalen, gesamteuropäischen Produktpass ebenfalls in Frage. „Auch die Angabe der Energieeffizienzklasse ist mittlerweile vorgeschrieben. Doch diese Informationen müssen jetzt noch einzeln ermittelt werden, und bei anderen Werten gibt es noch keine europaweite Anzeigepflicht. Hier ein Höchstmaß an Einheitlichkeit zu schaffen, ist ein wichtiges Ziel des Produktpasses.“ sagt Nachhaltigkeitsexperte Eduard Wagner.

Damit 2026 die ersten Produktpässe verfügbar sind, gilt es also, viele Akteur*innen abzuholen und einen Konsens zu den wichtigsten Informationen zu finden. „Im Projekt haben wir 23 Stakeholder-Gruppen identifiziert, für die wir die jeweiligen Bedürfnisse abfragen. Und das für alle drei Sektoren“, erklärt Wagner. „Bei uns sind Materialproduzent*innen, Elektronikhersteller*innen- sowie Reparateur*innen und Recyclingverbände an Bord.“ Die Ergebnisse dieser Konsultationen werden dann an die EU-Kommission weitergegeben und dienen den aktuellen politischen Aktivitäten als Orientierung, welche in Zukunft die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich des Produktpasses festlegen. Besonders berücksichtigt und gefördert werden sollen hier auch kleinere und mittlere Unternehmen, für die die Bereitstellung zusätzlicher Informationen einen hohen Mehraufwand darstellen kann.

Quelle:

Fraunhofer – Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM

Swijin Inage Swijin
20.06.2023

Innovative Sportbekleidung: Schwimmen und Rennen ohne Umziehen

Rechtzeitig für den Sommer: Das Schweizer Start-up Swijin bringt mit dem «SwimRunner» eine neue Sportbekleidungskategorie auf den Markt – ein Sport-BH mitsamt passenden Unterteilen, die sowohl als Schwimm- wie als Laufbekleidung funktionieren und im Handumdrehen trocknen. Entwickelt wurde das innovative Produkt zusammen mit Empa-Forschenden in einem Innosuisse-Projekt. Testen kann man den „SwimRunner“ dieses Wochenende am „Zurich City Triathlon“.
 
Nach dem Joggen noch schnell ins kühle Nass springen, ohne sich umziehen zu müssen? Swijin (sprich: Swie-Djin), ein neues Schweizer TechTex-Start-up, lanciert ihr erstes Produkt, den «SwimRunner»: einen Sport-BH mit Unterteilen, die sowohl als Schwimm- wie auch als Laufbekleidung fungieren und blitzschnell trocknen.

Rechtzeitig für den Sommer: Das Schweizer Start-up Swijin bringt mit dem «SwimRunner» eine neue Sportbekleidungskategorie auf den Markt – ein Sport-BH mitsamt passenden Unterteilen, die sowohl als Schwimm- wie als Laufbekleidung funktionieren und im Handumdrehen trocknen. Entwickelt wurde das innovative Produkt zusammen mit Empa-Forschenden in einem Innosuisse-Projekt. Testen kann man den „SwimRunner“ dieses Wochenende am „Zurich City Triathlon“.
 
Nach dem Joggen noch schnell ins kühle Nass springen, ohne sich umziehen zu müssen? Swijin (sprich: Swie-Djin), ein neues Schweizer TechTex-Start-up, lanciert ihr erstes Produkt, den «SwimRunner»: einen Sport-BH mit Unterteilen, die sowohl als Schwimm- wie auch als Laufbekleidung fungieren und blitzschnell trocknen.

Diese Innovation ermöglicht Frauen erstmals einen fließenden Übergang zwischen Land- und Wassersportarten, ohne die Kleidung wechseln zu müssen. So können Frauen etwa beim Wandern oder Laufen unkompliziert ins Wasser gehen. Auch Stand-Up-Paddlerinnen genießen mit dem „SwimRunner" uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und gleichzeitig genügend Sitz, sowohl auf dem Board als auch im Wasser.
          
Wissenschaft im Dienste des Sports
Was auf den ersten Blick wie eine relativ einfache Anforderung erscheint, hat sich in der Entwicklung als äußerst komplexes Produkt herausgestellt. Im Rahmen eines Innosuisse-Projekts kam es zur Zusammenarbeit von Swijin mit der Empa-Abteilung für Biomimetische Membranen und Textilien. Unter der Leitung des Empa-Ingenieurs Martin Camenzind definierten die Forschenden zunächst die Anforderungen an das Material und den Schnitt des Sport-BHs. „Bei der Entwicklung hatten wir eine dreifache Herausforderung: Einerseits musste es die Anforderungen an einen hochbelastbaren Sport-BH an Land erfüllen. Gleichzeitig sollte aber die Kompression eines Badeanzugs im Wasser aufrechterhalten werden – und dies bei einer sehr kurzen Trocknungszeit“, sagt Camenzind.

Da es noch keine vergleichbare Bekleidung auf dem Markt gibt, entwickelte das Team auch gleich neue Tests für die Beurteilung des Hochleistungstextils. „Wir haben auch ein Mannequin entworfen: Ein Modell des weiblichen Oberkörpers, mit dem man die mechanischen Eigenschaften von BHs messen kann», erklärt der Forscher. Neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen floss in die Produktentwicklung auch viel Kompetenz von Sportphysiologen, Textilingenieurinnen, Branchenspezialisten, Designerinnen und natürlich Athletinnen ein.

Höchste Ansprüche
Viele dieser Sportlerinnen entstammen der „Swimrun“-Szene. Swimrun ist eine schnell wachsende Abenteuersportart, die in den Schärengärten Schwedens entstanden ist. Im Gegensatz zu Triathleten, die zuerst schwimmen, dann Rad fahren und schließlich laufen, wechseln Swimrunner während des Rennens immer wieder zwischen Trailrunning und Schwimmen im offenen Wasser hin und her. Die Intensität dieser Sportart bot Swijin die optimalen Bedingungen für die Produktentwicklung – und gab auch den Namen der ersten Kollektion, „SwimRunner“. „Das Feedback der Athletinnen war mitentscheidend für den Erfolg des Produkts. Sie schwimmen und laufen oft sechs bis sieben Stunden am Stück. Als sie mit unseren Prototypen zufrieden waren, wussten wir: Der SwimRunner ist ‚ready for market‘“, sagt Swijin-Gründerin Claudia Glass.

Die Produktidee kam Claudia Glass während eines Urlaubs auf Mallorca. Bei ihren morgendlichen Läufen sehnte sie sich danach, kurz ins Meer tauchen zu können. „Sport-BHs sind aber nicht zum Schwimmen konzipiert“, erklärt die Gründerin. „Im Wasser saugen sie sich voll und trocknen aufgrund ihres dicken Kompressionsmaterials scheinbar nie. Letzten Sommer trug ich den ‚SwimRunner‘-Prototyp den ganzen Tag. Morgens lief ich mit meinem Hund zum Zürichsee und sprang hinein. Als ich wieder zu Hause ankam, hätte ich mich einfach an meinen Schreibtisch setzen können und anfangen zu arbeiten – ich war komplett trocken und fühlte mich sehr komfortabel.“
 
Design und Nachhaltigkeit
Das Jungunternehmen legt Wert darauf, Ingenieurwesen und Design zu vereinen. Swijins Kreativdirektorin Valeria Cereda sitzt im Zentrum der Weltmodestadt Mailand und lässt ihre Erfahrung mit Luxusmarken in die Ästhetik von Swijin einfließen. Als ehemalige Leistungsschwimmerin ist sie aber zugleich auf Funktionalität bedacht.

Die Hochleistungsprodukte von Swijin lassen sich nur mit synthetischen Materialien verwirklichen. Das junge Unternehmen ist entschlossen, die Umweltbelastung der Produkte auf ein Minimum zu reduzieren. Die enge Lieferkette hält den CO2-Fussabdruck gering. Die Materialien des „SwimRunner“ sind zu 100 % in der EU hergestellt und auf Qualität ausgelegt.

Herkömmliche Bekleidungsetiketten geben nur Auskunft über den Herstellungsort des Kleidungsstücks. Swijin arbeitet mit dem Anbieter Avery Dennison zusammen, um alle Produkte mit einem „Digital Identity Label“ auszustatten. Dieses bietet den Verbrauchern detaillierte Informationen über die gesamte Wertschöpfungskette, bis hin zu den Investitionen des Textilherstellers zur Verringerung des CO2-Fussabdrucks und zum Einsatz des wasserbasierten, lösemittelfreien Logos. Swijin verpackt alle Materialien in „Cradle to Cradle Gold“ zertifizierten Verpackungen, die von Voegeli AG im Emmental hergestellt werden.

Außerdem geht Swijin proaktiv die Herausforderungen am Ende des Produktlebenszyklus an. Um einer echten Kreislauffähigkeit funktionaler Textilien näher zu kommen, nimmt Swijin als Leuchtturmpartner im „Yarn-to-Yarn®“-Pilotprojekt der Rheiazymes AG teil. Dabei handelt es sich um eine Biotech-Lösung, die Mikroorganismen und Enzyme einsetzt, um aus Alttextilien direkt und klimaneutral neue Ausgangsstoffe zu generieren. Wenn Kundinnen „End-of-Life“ Swijin-Produkte zurückgeben – wofür Swijin auch Anreize bietet – können die hochwertigen Monomere in Ursprungsqualität wieder in die Lieferkette zurückgeführt werden: echte „circularity“.

„Als aufstrebende Marke haben wir die Pflicht und den Luxus, Partner auszuwählen, deren Vision und Werte mit unseren eigenen übereinstimmen“, sagt Claudia Glass. „Ich hatte ein klares Verständnis davon, welche Art von Marke ich kaufen würde, aber ich konnte sie nirgends finden. Mit Swijin fühlen wir uns verpflichtet, unsere Werte auch tatsächlich zu verwirklichen.“

Weitere Informationen:
Sportwear schwimmen BH Synthetikfasern Empa
Quelle:

Claudia Glass, Anna Ettlin, EMPA

Foto: Unsplash
13.06.2023

Umweltauswirkungen von Textilproduktion und -abfällen

  • Mit „Fast Fashion“ hat die Menge der produzierten und weggeworfenen Kleidungsstücke stark zugenommen.

„Fast Fashion“ ist das ständige Angebot an neuer Mode zu sehr niedrigen Preisen. Um die Auswirkungen auf die Umwelt anzugehen, will die EU Textilabfälle reduzieren und den Lebenszyklus und das Recycling von Textilien verbessern. Dies ist Teil des Plans, bis 2050 eine Kreislaufwirtschaft verwirklichen.

  • Mit „Fast Fashion“ hat die Menge der produzierten und weggeworfenen Kleidungsstücke stark zugenommen.

„Fast Fashion“ ist das ständige Angebot an neuer Mode zu sehr niedrigen Preisen. Um die Auswirkungen auf die Umwelt anzugehen, will die EU Textilabfälle reduzieren und den Lebenszyklus und das Recycling von Textilien verbessern. Dies ist Teil des Plans, bis 2050 eine Kreislaufwirtschaft verwirklichen.

Übermäßiger Verbrauch von natürlichen Ressourcen
Für die Herstellung von Textilien werden große Mengen Wasser sowie Flächen zum Anbau von Baumwolle und anderen Fasern benötigt. Schätzungen zufolge wurden in der weltweiten Textil- und Bekleidungsindustrie im Jahr 2015 79 Milliarden Kubikmeter Wasser verbraucht, während sich der Wasserverbrauch in der gesamten Wirtschaft der EU im Jahr 2017 auf 266 Milliarden Kubikmeter belief. Für die Herstellung eines einzigen Baumwoll-T-Shirts werden schätzungsweise 2.700 Liter Süßwasser benötigt, was der Menge entspricht, die eine Person in 2,5 Jahren trinkt.

Der Textilsektor war im Jahr 2020 die drittgrößte Quelle für Wasserverschmutzung und Flächenverbrauch. In diesem Jahr wurden im Durchschnitt neun Kubikmeter Wasser, 400 Quadratmeter Land und 391 Kilogramm Rohstoffe benötigt, um Kleidung und Schuhe für jeden EU-Bürger herzustellen.

Wasserverschmutzung
Durch die Färbung und Veredelung von Textilien im Rahmen ihrer Herstellung werden schätzungsweise rund 20 Prozent der weltweiten Wasserverschmutzung verursacht.

Etwa 35 Prozent des primären Mikroplastiks, das in die Umwelt gelangt, hat seinen Ursprung im Waschen von synthetischen Textilien. Bei einer einzigen Wäsche von Polyesterkleidung können 700.000 Mikroplastikfasern freigesetzt werden, die in die Nahrungskette gelangen können.

Der größte Teil des Mikroplastiks aus Textilien wird bei den ersten Waschgängen freigesetzt. „Fast Fashion“ basiert auf Massenproduktion, niedrigen Preisen und hohen Verkaufszahlen, was viele erste Waschgänge begünstigt.

Das Waschen synthetischer Produkte hat dazu geführt, dass sich mehr als 14 Millionen Tonnen Mikroplastik auf dem Grund der Ozeane angesammelt haben. Zusätzlich zu diesem globalen Problem hat die durch die Bekleidungsproduktion verursachte Umweltverschmutzung verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, Tiere und Ökosysteme vor Ort, wo die Fabriken angesiedelt sind.

Treibhausgasemissionen
Schätzungen zufolge verursacht die Modebranche 10 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen – mehr als internationale Luftfahrt und Seeschifffahrt zusammen.

Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur wurden durch den Kauf von Textilien in der EU im Jahr 2020 pro Person rund 270 Kilogramm CO₂-Emissionen verursacht. Das bedeutet, dass die in der EU verbrauchten Textilerzeugnisse Treibhausgasemissionen in Höhe von 121 Millionen Tonnen verursachten.

Textilabfälle auf Deponien
Auch die Art und Weise, wie sich die Menschen nicht mehr erwünschter Kleidung entledigen, hat sich geändert: Die Kleidungsstücke werden heute eher weggeworfen als gespendet. Weniger als die Hälfte der Altkleider wird zur Wiederverwendung oder zum Recycling gesammelt, und nur ein Prozent wird zu neuer Kleidung recycelt, da Technologien, die das Recycling von Kleidung zu neuen Fasern ermöglichen würden, erst jetzt aufkommen.

Zwischen 2000 und 2015 hat sich die Bekleidungsproduktion verdoppelt, während die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Kleidungsstücks gesunken ist.

Die Europäer kaufen jedes Jahr fast 26 Kilogramm Textilien und werfen etwa elf Kilogramm davon weg. Altkleider können in Länder außerhalb der EU exportiert werden, werden aber größtenteils (87 Prozent) verbrannt oder landet auf Deponien.

Ausschlaggebend für den Anstieg des Verbrauchs ist das Aufkommen von „Fast Fashion“, das zum Teil durch die sozialen Medien und die Industrie vorangetrieben wird, die Modetrends schneller als in der Vergangenheit an mehr Verbraucher weitergibt.

Zu den neuen Strategien zur Bewältigung dieses Problems gehören die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle für den Verleih von Kleidung, die Gestaltung von Produkten, die die Wiederverwendung und das Recycling erleichtern (Kreislaufmode), die Überzeugung der Verbraucher, weniger Kleidung von besserer Qualität zu kaufen („Slow Fashion“) und die allgemeine Lenkung des Verbraucherverhaltens in Richtung nachhaltigerer Optionen.

Die EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien
Im Rahmen des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft stellte die Europäische Kommission im März 2022 eine neue Strategie vor, um Textilien haltbarer, reparierbarer, wiederverwendbar und recycelbar zu machen, gegen „Fast Fashion“ vorzugehen und Innovationen innerhalb des Sektors zu fördern.

Die neue Strategie umfasst neue Ökodesign-Anforderungen für Textilien, klarere Informationen, einen digitalen Produktpass und eine Aufforderung an die Unternehmen, Verantwortung zu übernehmen und Maßnahmen zu ergreifen, um ihren ökologischen Fußabdruck zu minimieren.

Am 1. Juni 2023 legten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments Vorschläge für strengere EU-Maßnahmen zur Eindämmung der übermäßigen Produktion und des Verbrauchs von Textilien vor. In dem Bericht des Parlaments wird gefordert, dass bei der Herstellung von Textilien die Menschen-, Sozial- und Arbeitsrechte sowie der Umwelt- und Tierschutz beachtet werden müssen.

Bestehende EU-Maßnahmen für Textilabfälle
Gemäß der Abfallrichtlinie, die vom Europäischen Parlament im Jahr 2018 angenommen wurde, müssen die EU-Mitgliedstaaten Textilabfälle ab 2025 getrennt sammeln. Die neue Strategie der Kommission umfasst auch Maßnahmen gegen gefährliche Chemikalien und zur Unterstützung der Verbraucher bei der Wahl nachhaltiger Textilien. Zudem werden Hersteller dazu aufgefordert, die Verantwortung für ihre Produkte entlang der Wertschöpfungskette zu übernehmen, auch wenn diese zu Abfall werden.

Mit dem EU-Umweltzeichen, das Hersteller, die ökologische Kriterien beachten, verwenden können, werden ein begrenzter Schadstoffeinsatz und geringere Wasser- und Luftverschmutzung sichergestellt.

Die EU hat auch Maßnahmen eingeführt, um die Umweltauswirkungen von Textilabfällen zu mindern. Mit dem Programm Horizont 2020 wird das Projekt RESYNTEX zur Anwendung von chemischem Recycling gefördert, das ein kreislauforientiertes Geschäftsmodell für die Textilindustrie sein könnte.

Ein nachhaltigeres Modell der Textilproduktion hat auch das Potenzial, die Wirtschaft anzukurbeln. „Europa befindet sich in einer beispiellosen Gesundheits- und Wirtschaftskrise, die zeigt, wie instabil die globalen Lieferketten sind“, sagte der federführende Europaabgeordnete Huitema. „Die Förderung neuer innovativer Geschäftsmodelle wiederum wird neues Wirtschaftswachstum und neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen, die Europa für den Aufbau benötigt.“

Quelle:

Europäisches Parlament

Foto: pixabay
08.02.2023

6 von 10 Verbrauchern achten beim Einkaufen auf Nachhaltigkeitskriterien

Bei Lebensmitteln und Kleidung sind den Verbraucher:innen ESG-Aspekte  am wichtigsten. Besonders junge Menschen fordern Informationen und Transparenz: Nachhaltigkeitssiegel, -zertifizierungen und -berichte sorgen für Vertrauen. Für Händler und Hersteller wird Nachhaltigkeit zum Muss.

Bei Lebensmitteln und Kleidung sind den Verbraucher:innen ESG-Aspekte  am wichtigsten. Besonders junge Menschen fordern Informationen und Transparenz: Nachhaltigkeitssiegel, -zertifizierungen und -berichte sorgen für Vertrauen. Für Händler und Hersteller wird Nachhaltigkeit zum Muss.

Unter welchen Bedingungen werden die Kühe gehalten, deren Milch ich trinke? Duldet der Hersteller meines neuen T-Shirts Kinderarbeit? Geht der Händler meines Vertrauens fair mit Mitarbeitenden und Geschäftspartnern um? Solche Fragen stellt sich die Mehrheit der Deutschen vor einer Kaufentscheidung. 59 Prozent der Verbraucher:innen achten beim Einkaufen immer oder zumindest häufig auf die ökologische, ökonomische oder soziale Nachhaltigkeit von Händlern und Herstellern. Bei den unter 35-Jährigen sind es sogar zwei Drittel, bei den über 55-Jährigen immerhin jede:r Zweite. Zu diesen Ergebnissen kommt eine repräsentative Befragung unter 1.000 Menschen in Deutschland im Auftrag der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland.

Bei Nachhaltigkeit geht es nicht mehr um das „Ob“, sondern das „Wie“
„Nachhaltigkeit hat sich in den vergangenen Jahren zum Mainstream entwickelt. Für Unternehmen ist es längst ein Muss, in ihren Lieferketten auf Nachhaltigkeit zu achten“, kommentiert Dr. Christian Wulff. Der Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei PwC Deutschland ist überzeugt, dass Unternehmen bereits in naher Zukunft gute Gründe nennen müssen, wenn sie bei der Herstellung eines Produkts nicht auf Umwelt, soziale Aspekte und eine gute Unternehmensführung achten. „Beim Thema Nachhaltigkeit geht es also nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie“, so der Handels-Experte weiter.

Nachhaltigkeit beinhaltet verschiedene Aspekte in den drei Bereichen Umwelt, Soziales und nachhaltige Unternehmensführung (auf Englisch: Environment, Social, Governance, kurz: ESG). Bei der umweltbezogenen Nachhaltigkeit stehen Fragen zum Tierwohl - etwa die Haltungsbedingungen oder Tierversuche - und zur Verwendung recyclebarer Materialien im Mittelpunkt. 40 Prozent der Deutschen würden gerne vor einem Kauf darüber aufgeklärt werden. Im sozialen Bereich ist der Mehrheit der Befragten wichtig zu wissen, ob Einzelhandel und Hersteller die Menschenrechte einhalten (58 Prozent) - also beispielsweise Zwangs- oder Kinderarbeit in ihren Wertschöpfungsketten dulden. Mit Blick auf die Governance - also die Unternehmensführung - wünscht sich jede:r Zweite, vor dem Kauf über die Lieferketten Bescheid zu wissen und die Produkte zurückverfolgen zu können.

Bei Lebensmitteln ist Nachhaltigkeit besonders wichtig
Wie genau die Verbraucher:innen auf Nachhaltigkeit schauen, hängt auch vom Produkt ab: So ist ihnen Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln besonders wichtig. 81 Prozent der Deutschen achten beim Kauf von Nahrungsmitteln zumindest auf eines der drei ESG-Kriterien, also Umwelt, Soziales oder eine gute Unternehmensführung. Aber auch beim Kauf von Textilien sind diese Kriterien relevant: Immerhin 63 Prozent geben an, beim Kauf von Kleidung oder Schuhen darauf zu schauen, wie nachhaltig der Artikel entstanden ist. Während bei Lebensmitteln Umweltaspekte die größte Rolle spielen (für 62 Prozent), achten die Verbraucher:innen bei Kleidung, Schuhen und Accessoires vermehrt auf soziale Aspekte (52 Prozent).

Fast jede:r Zweite ist kürzlich zu nachhaltigen Produkten gewechselt
Die wachsende Bedeutung von ESG-Aspekten im Einkaufsverhalten deutscher Verbraucher:innen belegen auch die Verschiebungen hin zum Kauf von nachhaltigen Produkten. Bei Lebensmitteln ist der Trend zu nachhaltigen Produkten am deutlichsten: 45 Prozent der Befragten geben an, dass sie innerhalb der vergangenen zwei Jahre bewusst auf nachhaltigere Produkte umgeschwenkt sind. Den Wechsel (zurück) auf weniger nachhaltige Produkte räumen dagegen nur 17 Prozent ein, von denen jede:r Dritte fehlende finanzielle Mittel als Grund angibt.

Ein möglicher Wechsel zu nachhaltigeren Produkten würde für knapp die Hälfte der Befragten durch eine bessere Verfügbarkeit im stationären Handel unterstützt. Auch gesetzliche Regelungen werden als hilfreich erachtet, sowohl hinsichtlich der Auszeichnung von Produkten (38 Prozent) als auch für den Produktionsprozess (37 Prozent). Ebenfalls würde eine aufmerksamkeitsstärkere Produktplatzierung im Geschäft helfen (37 Prozent).

Vor allem junge Menschen fordern Transparenz und Aufklärung
Das Bedürfnis der Verbraucher:innen nach Transparenz in Sachen ESG ist ausgeprägt: So informieren sich laut Umfrage fast drei Viertel der Deutschen mindestens gelegentlich über ökologische Nachhaltigkeitsthemen. Zwei Drittel recherchieren Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit. Gut die Hälfte macht sich regelmäßig über eine nachhaltige Unternehmensführung schlau.

Dabei hat das Alter großen Einfluss darauf, wie intensiv sich die Menschen mit dem Thema auseinandersetzen: Während 80 Prozent der 16- bis 24-Jährigen sich vor dem Kauf über Umweltaspekte eines Produkts informieren, sind es bei den über 65-Jährigen nur 59 Prozent. „Insbesondere jüngere Menschen informieren sich aktiv und fordern Transparenz rund um ESG-Kriterien“, resümiert Christian Wulff.

Verbraucher:innen wünschen sich Infos auf Verpackungen und online
Um diesem Informationsbedürfnis nachzukommen, rät der PwC-Experte Herstellern und Einzelhandel, insbesondere online ausführlich über ESG-Aspekte der Produkte zu informieren. „Die damit verbundene, deutlich steigende Datenflut stets aktuell zu halten, wird für Unternehmen zunehmend zu einer Herausforderung, die nur durch signifikante Investitionen in neue Technologien zu lösen ist.“

Einig sind sich die Konsument:innen darin, was Unternehmen tun können, um ihren Nachhaltigkeitsaktivitäten mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen: Gut zwei Drittel halten anerkannte Nachhaltigkeitssiegel, Zertifizierungen oder unabhängig geprüfte Nachhaltigkeitsberichte für geeignet, um Aktivitäten in puncto ESG glaubhaft vermitteln können. „Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen, dass Siegel und unabhängige Zertifizierungen sehr wichtig sind, um das Vertrauen der Kund:innen zu gewinnen. Es lohnt sich also, die ESG-Maßnahmen durch externe Organisationen bestätigen zu lassen“, so Christian Wulff.

Händler und Hersteller sollten auf Transparenz setzen
„Hersteller und Einzelhandel stehen vor der Aufgabe, im Hinblick auf die Nachhaltigkeit ihrer Produkte für ein hohes Maß an Transparenz zu sorgen. Dabei ist Ehrlichkeit, aber auch Kreativität gefragt: Bei Mode ist es beispielsweise denkbar, die einzelnen Stationen der Lieferkette detailliert nachzuzeichnen und die dabei anfallenden Kosten darzustellen. So können die Verbraucher:innen genau nachvollziehen, wie ein Preis zustande kommt“, so das Fazit von Christian Wulff.

Quelle:

PwC / Textination

Foto: Unsplash
05.09.2022

McKinsey zum Strommix 2030: Deutschland auf Erdgas angewiesen

  • Erneuerbaren-Ausbau ist Herkulesaufgabe
  • Geschwindigkeit muss zur Erreichung der Ziele massiv zunehmen
  • Indikatoren zum Status der Energiewende in Deutschland verbessern sich leicht: Anteil Erneuerbarer am Bruttostromverbrauch im ersten Halbjahr 2022 bei 49%

Die Rahmenbedingungen für die Energiewende in Deutschland haben sich durch den russischen Angriff auf die Ukraine dramatisch verändert. Die neuen geopolitischen Realitäten und die EU-Entscheidung, zukünftig auf russisches Gas zu verzichten, treffen auch den Stromsektor – denn flexible Gaskraftwerke sollen helfen, die Volatilität erneuerbarer Energien auszugleichen. Vom massiven Ausbau der Erneuerbaren, über eine stärkere Nutzung des Stroms aus Europa bis hin zu weitgehender Selbstversorgung auf Basis von Kohle und Kernkraft – eine Analyse dreier Szenarien für den Strommix im Jahr 2030 zeigt: Deutschland bleibt weiterhin auf Erdgas angewiesen.

  • Erneuerbaren-Ausbau ist Herkulesaufgabe
  • Geschwindigkeit muss zur Erreichung der Ziele massiv zunehmen
  • Indikatoren zum Status der Energiewende in Deutschland verbessern sich leicht: Anteil Erneuerbarer am Bruttostromverbrauch im ersten Halbjahr 2022 bei 49%

Die Rahmenbedingungen für die Energiewende in Deutschland haben sich durch den russischen Angriff auf die Ukraine dramatisch verändert. Die neuen geopolitischen Realitäten und die EU-Entscheidung, zukünftig auf russisches Gas zu verzichten, treffen auch den Stromsektor – denn flexible Gaskraftwerke sollen helfen, die Volatilität erneuerbarer Energien auszugleichen. Vom massiven Ausbau der Erneuerbaren, über eine stärkere Nutzung des Stroms aus Europa bis hin zu weitgehender Selbstversorgung auf Basis von Kohle und Kernkraft – eine Analyse dreier Szenarien für den Strommix im Jahr 2030 zeigt: Deutschland bleibt weiterhin auf Erdgas angewiesen. Diese Zahlen liefert der aktuelle Energiewende-Index (EWI) von McKinsey. Aktuelles Fazit – und eine Verbesserung im Vergleich zum vorherigen EWI aus dem März 2022: 6 der 15 untersuchten Indikatoren  zum Status der Energiewende in Deutschland sind in ihrer Zielerreichung stabil realistisch – 6 stehen auf der Kippe, drei sind unrealistisch. Positiv entwickelte sich vor allem der Indikator Anteil Erneuerbarer am Bruttostromverbrauch, der wegen des guten Wetters im ersten Halbjahr von 41% auf fast 49% zulegte.

Erneuerbaren-Ausbau ist Herkulesaufgabe
„Deutschlands Energiewende steht vor der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte“, sagt Thomas Vahlenkamp, Senior Partner von McKinsey. „Unsere Szenarienanalyse zeigt: Erdgas wird auch zukünftig eine Rolle im Strommix spielen müssen. Wichtig ist es daher, die Importabhängigkeit durch Streuung von Lieferanten zu verringern. Teil der Strategie muss es außerdem sein, vermehrt grünen Wasserstoff für die Verstromung verfügbar zu machen.“

Wo Deutschland im Jahr 2030 bei der Energiewende stehen wird, kommt demzufolge entscheidend auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien (EE) und die Situation am Gasmarkt an. Mit ihrer neuen Ambition, den EE-Anteil in Deutschland bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf 80 % zu erhöhen, hat sich die Bundesregierung viel vorgenommen. Vahlenkamp: „Dieses Ziel zu erreichen, ist eine Herkulesaufgabe. Dafür muss die komplette Wertschöpfungskette rund um den EE-Ausbau befähigt werden: angefangen bei der Aufstockung der Produktionskapazitäten über schnellere Genehmigungsverfahren bis hin zur Anwerbung bzw. Weiterqualifikation ausreichend vieler Fachkräfte für den Bau und Betrieb der Anlagen.“ Um das 80%-Ziel zu erreichen, müssten jährlich PV-Anlagen mit einer Kapazität von 18 GW errichtet werden; in der Onshore-Windkraft müssten pro Jahr 1.800 Anlagen in Betrieb gehen – umgerechnet fünf pro Tag – und in der Offshore-Windkraft müsste sich die Kapazität nahezu vervierfachen. Auch Erdgas wird weiter eine Rolle spielen. Eine Entspannung der Lage aufgrund der breiteren Streuung von Lieferanten erscheint ebenso denkbar wie eine Fortschreibung der aktuell angespannten Situation. Die Folgen von letzterem wurden im aktuellen EWI modelliert. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass Politik und Energiewirtschaft danach streben, dass alle neuen Gaskraftwerke zugleich alternativ auch mit grünem Wasserstoff betrieben werden können.

Jedes der im aktuellen EWI modellierten Szenarien geht davon aus, dass der Strombedarf wie von der Bundesregierung prognostiziert bis 2030 auf 750 TWh ansteigt und der CO2-Preis bei 100 €/t liegt.

Im Basisszenario werden alle Vorgaben der  Bundesregierung zum EE-Ausbau bis 2030 erreicht (215 GW Solar PV, 115 GW Onshore- und 30 GW Offshore-Windkraft). Der Atomausstieg 2022 und der Kohleausstieg bis 2038 finden wie geplant statt; 17 GW Kohlekraftwerke sind 2030 noch in Betrieb. In diesem Szenario steigt 2030 die Produktion aus Erneuerbaren inklusive Biomasse, Wasserkraft und Geothermie auf 751 TWh – das entspricht einem EE-Anteil von 84 % an der deutschen Bruttostromproduktion (Netzverluste und Exporte eingeschlossen). Trotzdem – und ungeachtet der hohen Gaspreise – werden noch immer 68 TWh aus Erdgas erzeugt. Wasserstoff wiederum trägt mit 48 TWh zur Deckung der Stromnachfrage bei, umgerechnet rund 3 Mio. t. Zur Sicherstellung einer lückenlosen Versorgung bleibt Kohlestrom mit 63 TWh weiterhin ein wichtiger Energieträger, wenngleich die Stromproduktion aus Kohle gegenüber 2021 um mehr als 61 % sinken würde. In diesem Szenario würde Deutschland in Phasen hohen EE-Ertrags sogar mehr Strom produzieren als für den Eigenbedarf nötig (rund 91 TWh) und somit zum Netto-Stromexporteur.

Im Szenario „Strom aus Europa“ strebt Deutschland die europäische Integration im Stromsektor an und wird zum Netto- Stromimporteur. Der Grund: Es wird davon ausgegangen, dass Deutschland zwar den EE-Ausbau beschleunigt, aber seine ambitionierten Ziele nicht vollständig erreicht, weil nicht jedes Jahr Zubaurekorde zu erzielen sind. Vielmehr wird angenommen, dass die Ausbauraten einen Mittelwert aus historischem Durchschnitt und historischer Bestleistung bilden. 2030 werden nach diesem Szenario 112 GW Solar PV, 93 GW Onshore- und 23 GW Offshore-Windkraft installiert sein. Die stärkste Abweichung gegenüber dem ersten Szenario weist dabei Solar PV auf, da die Ausbauziele der Bundesregierung für diese Technologie im Vergleich die mit Abstand ambitioniertesten sind. In dem Szenario „Strom aus Europa“ wird simuliert, was passiert, wenn Deutschland hinter die ambitionierten EE-Ausbauziele zurückfällt. Stattdessen werden 33 TWh aus anderen europäischen Ländern importiert, hauptsächlich aus Dänemark, Norwegen und Schweden. Auf eine vermehrt CO2-intensive Stromproduktion wird damit verzichtet. Die Produktion aus Kohle allerdings ist in diesem Szenario trotz der Importe mit 88 TWh deutlich höher als im Basisszenario. Die Erzeugung aus Erdgas liegt mit 69 TWh auf einem vergleichbaren Niveau.

Im Szenario „Weitgehende Selbstversorgung“ versucht Deutschland, seine Energieabhängigkeit von anderen Ländern zu reduzieren und – falls keine Eigenproduktion möglich ist – seine Lieferanten breiter zu streuen. Zur Sicherstellung der Energieversorgung wird zum einen der Kohleausstieg nicht vollständig umgesetzt, so dass 2030 weiterhin Kohlekraftwerke mit einer Leistung von rund 34 GW zur Verfügung stehen. Zum anderen wird die Kapazität von Biomassekraftwerken von rund 9 auf 14 GW erhöht, indem die existierenden Anlagen am Netz gehalten und die jährlich geplanten Ausschreibungsmengen von 600 MW als Neuanlagen hinzugefügt werden. Hierzu müssten ausreichende Flächen für den Anbau von Energiepflanzen bereitgestellt werden, die dann allerdings weder für die Produktion von Nahrungsmitteln oder Biokraftstoff zur Verfügung stünden noch renaturiert werden könnten. Der EE-Ausbau vollzieht sich wie im Szenario „Strom aus Europa“, während sich Stromimport und -export hier in etwa die Waage halten. Hinsichtlich der Nutzung von Atomkraft werden zwei Varianten modelliert: Weiterbetrieb der Atommeiler bis mindestens 2030 und Abschaltung wie geplant. In diesem Szenario „Weitgehende Selbstversorgung“ werden die ambitionierten EE-Ausbauziele 2030 ebenfalls unterschritten und nur rund 520 TWh aus Erneuerbaren erzeugt – rund ein Drittel weniger als im Basisszenario. Stattdessen geht das Szenario von einer weit gehenden Ausnutzung der inländischen Ressourcen aus: Da der Kohleausstieg nicht wie geplant vollzogen worden ist, kann mehr Kohlestrom die Lücke schließen (+91 TWh bzw. +145 % im Vergleich zum Basisszenario). Gleichzeitig rechnet das Szenario mit einer teilweisen Kompensierung durch eine deutlich höhere Produktion von Biomasse (80 TWh gegenüber 49 TWh im Basisszenario). Erdgas- und wasserstoffbasierte Stromerzeugung gehen auf 65 bzw. 38 TWh zurück, denn Kohle ist trotz der CO2-Kosten immer noch günstiger. Die Werte ändern sich leicht, wenn Atomkraftwerke bis 2030 weiterlaufen: In diesem Fall wird die CO2-intensive Kohle- und Gasstromproduktion durch rund 30 TWh Atomstrom zumindest teilweise substituiert, so dass nur noch 143 TWh aus Kohle (-7 %) und 64 TWh (-1 %) aus Gas erzeugt werden. Der EE-Anteil liegt in diesem Szenario (sowohl mit als auch ohne Atomkraft) bei knapp über 67 % und damit unter dem Zielwert von 80 %.

Energiewende-Index September 2022: die 15 Indikatoren im Überblick
Die jüngste Entwicklung der 15 Indikatoren liefert ein gemischtes Bild. Gegenüber dem letzten Energiewende-Index vom März sinkt die Zahl der Indikatoren mit unrealistischer Zielerreichung von fünf auf drei und die mit stabil realistischer Zielerreichung steigt von drei auf sechs. Weitere sechs Indikatoren stehen auf der Kippe.

Der EE-Anteil am Bruttostromverbrauch steigt von 41 % in 2021 auf 49 % in der  ersten Jahreshälfte 2022. Die Verbesserung ist vor allem auf deutlich günstigere Witterungsverhältnisse zurückzuführen. Obwohl der Ausbau der Erneuerbaren weiterhin stockt, bewegt sich die Zielerreichung des Indikators weiter im stabil realistischen Bereich und steigt von 111 % auf 133 %. Allerdings dürfte es mit dem neuen Ziel der Bundesregierung, den EE-Anteil bis 2030 auf 80 % zu erhöhen, zunehmend schwieriger werden, auf dem Zielpfad zu bleiben. Der EE-Anteil am Bruttoendenergieverbrauch stieg um 0,4 Prozentpunkte auf 19,7 %. Hauptgrund ist die wirtschaftliche Erholung in 2021 und der damit einhergehende gestiegene Energiebedarf. Da die Zielmarke jedoch um 1,2 Prozentpunkte angehoben worden ist, sinkt die Zielerreichung des Indikators deutlich von 121 % auf 107 %. Sowohl Haushaltsstrompreis als auch Industriestrompreis haben sich trotz gestiegener Stromkosten deutlich verbessert. Das mag auf den ersten Blick überraschen, liegt aber in der Berechnungsmethodik des Indikators begründet, der die deutsche Strompreisentwicklung im Vergleich zum europäischen Durchschnitt abbildet: Steigen also die Preise im europäischen Ausland stärker als in Deutschland, verbessert sich der Indikator. Beim Haushaltsstrompreis betrug die Differenz zwischen Deutschland und dem europäischen Durchschnitt 2021 noch 22,7 %, im Juni 2022 dagegen nur mehr 16,2 %. Verbessert hat sich der Indikator vor allem deshalb, weil die Preise im europäischen Ausland schneller steigen als in Deutschland. Die Zielerreichung steigt von 111 % auf 137 %. Ob der Trend anhält, ist jedoch fraglich – steigende Großhandelspreise werden wahrscheinlich mit Verzögerung an die Endkunden weitergereicht. Andererseits wiederum dürfte der Wegfall der EEG-Umlage im Juli 2022 auf die hiesigen Haushaltsstrompreise mittelfristig entlastend wirken. Auch der Industriestrompreis ist zuletzt in Deutschland deutlich geringer gestiegen als im Ausland und liegt jetzt nur noch 16 % über dem europäischen Durchschnitt (Vorhalbjahr: 32 %). Der Indikator springt dadurch von 56 % auf jetzt 128 % Zielerreichung und wechselt damit in den realistischen Bereich. Auch hier bedeutet die Verbesserung des Indikators lediglich, dass die Preissteigerungen im Ausland (+33 %) höher ausgefallen sind als in Deutschland (+17 %). Verantwortlich ist dafür vor allem der höhere Anteil an Gebühren und Entgelten am deutschen Industriestrompreis, die durch die steigenden Energiepreise nicht beeinflusst werden. Für den Indikator Ausfall Stromversorgung wurden keine neuen Daten veröffentlicht. Er verharrt deshalb bei einer Zielerreichung von 117 %. Gleiches gilt für die Verfügbare Kapazität für Import aus Nachbarländern. Damit verbleibt auch dieser Indikator mit einer Zielerreichung von 208 % im realistischen Bereich.

Sechs Indikatoren auf der Kippe
Die aktuellen Hochrechnungen für den CO2e-Ausstoß und den Primärenergieverbrauch sehen beide Indikatoren auf der Kippe. Die Emissionen belaufen sich wie schon im Halbjahr zuvor auf 762 Mio. t CO2e; damit verharrt der Zielerreichungsgrad hier bei 84 %. Der Primärenergieverbrauch wiederum liegt nach wie vor bei 12.265 PJ – das entspricht einer Zielerreichung von 70 %. Für den Indikator Sektorkopplung Wärme wurden neue Hochrechnungen veröffentlicht. Der EE-Anteil am Endenergieverbrauch im Bereich Wärme und Kälte liegt danach aktuell bei 16,5 % und damit 0,9 Prozentpunkte über dem Wert des Vorhalbjahres. Damit bewegt sich der Indikator im Zielkorridor, steht aber auf der Kippe. Um dort auch in Zukunft zu bleiben, müsste der EE-Anteil bis Ende dieses Jahres auf 20,2 % steigen. Der Anteil der Gesamtenergiekosten Haushalte am Warenkorb der Verbraucher stieg zuletzt von 10,3 % auf 11,2 %. Damit sinkt die Zielerreichung erneut von 96 % auf jetzt 78 % und der Indikator bewegt sich in der Kategorie „auf der Kippe“ weiter nach unten. Grund hierfür sind die gestiegenen Preise für Benzin und Diesel, aber auch für Erdgas, wo sich die Neukundenpreise für Haushalte innerhalb eines Jahres vervielfacht haben. Für den Indikator Arbeitsplätze in erneuerbaren Energien liegen weiterhin keine neuen Daten vor. Er verharrt deshalb bei seiner bisherigen Zielerreichung von 96 %. Die gesicherte Reservemarge wird seit 2019 nicht mehr von den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) veröffentlicht. Deshalb wird ab dieser Index-Ausgabe die Reservemarge basierend auf der Methodik und den Kernannahmen der ÜNB sowie öffentlich zugänglichen Daten neu berechnet. Im Ergebnis steht die Reservemarge aktuell mit 0,2 % nur knapp über Null und damit stärker denn je auf der Kippe. Der Rückgang gegenüber dem letzten von den ÜNB veröffentlichten Stand (2,3 %) erklärt sich aus der Stilllegung einiger fossiler Kraftwerke. Werden dann Ende dieses Jahres noch Kernkraftwerke mit einer Gesamtleistung von rund 4 GW heruntergefahren, fällt die Reservemarge aller Voraussicht nach bereits in den negativen Bereich. Bei einem Kohleausstieg bis 2030 wären es sogar mehr als 40 GW, die noch in diesem Jahrzehnt vom Netz gehen würden. Das würde die gesicherte Reservemarge massiv unter Druck setzen und fordert Anpassungen im Strommarktdesign, um die Versorgungssicherheit auch in Zukunft jederzeit zu gewährleisten.

Zielerreichung für drei Indikatoren unrealistisch
Der Indikator Sektorkopplung Verkehr sinkt leicht von 44 % auf 43 %. 2021 waren insgesamt 1,3 Mio. E-Fahrzeuge zugelassen, doch es wären 2,8 Mio. nötig, um im Plan zu bleiben. Ganz unerreichbar ist das 2030er-Ziel dennoch nicht, da die E-Mobilität derzeit überproportional wächst, während der Energiewende-Index in seiner Berechnung von einer linearen Entwicklung ausgeht. Die Kosten für Netzeingriffe sind mit aktuell 8,1 € pro MWh weiterhin weit vom Startwert (1 € pro MWh) entfernt. Gegenüber der ersten Jahreshälfte hat sich dieser Wert aufgrund geringerer Aufwendungen für das Einspeisemanagement allerdings leicht verbessert. Der Zielerreichungsgrad steigt von 39 % auf 50 % . Kaum Fortschritte gibt es beim Indikator Ausbau Transportnetze: Zwar wurden in den vergangenen beiden Quartalen rund 160 km fertiggestellt; die Gesamtlänge beträgt jetzt 2.005 km. Allerdings bleibt der Ausbau weiter deutlich hinter dem Zielwert von 4.977 km insgesamt und knapp 500 km pro Halbjahr zurück. Die Zielerreichung des Indikators beträgt 37 %.

Quelle:

McKinsey & Company, Deutschland

31.05.2022

OEKO-TEX® Gemeinschaft feiert 30. Geburtstag

Die internationale OEKO-TEX® Gemeinschaft, die aus insgesamt 17 unabhängigen Forschungs- und Prüfinstituten in Europa und Japan besteht, wird 2022 dreißig. Als eines der Gründungsmitglieder nahm OETI dies zum Anlass, mit OEKO-TEX® Expertin Helene Melnitzky – Abteilungsleiterin des Geschäftsbereiches Ökologie bei OETI – über die Rolle der OEKO-TEX® Gemeinschaft, Marktentwicklungen und OEKO-TEX® Zertifizierungen und Labels zu sprechen.

Die internationale OEKO-TEX® Gemeinschaft, die aus insgesamt 17 unabhängigen Forschungs- und Prüfinstituten in Europa und Japan besteht, wird 2022 dreißig. Als eines der Gründungsmitglieder nahm OETI dies zum Anlass, mit OEKO-TEX® Expertin Helene Melnitzky – Abteilungsleiterin des Geschäftsbereiches Ökologie bei OETI – über die Rolle der OEKO-TEX® Gemeinschaft, Marktentwicklungen und OEKO-TEX® Zertifizierungen und Labels zu sprechen.

Die internationale OEKO-TEX® Gemeinschaft feiert in diesem Jahr ihren dreißigsten Geburtstag. Welche Rolle hat sie bisher beim Thema Produktsicherheit von textilen- und Lederprodukten eingenommen?
Helene Melnitzky:
Im Bereich Produktsicherheit1 hat OEKO-TEX® in den letzten drei Jahrzehnten bewirkt, dass gewisse Schadstoffeinträge, die wir vor 30 Jahren teilweise in Textilien in großen Mengen gefunden haben, nicht mehr existent sind. Wir als OEKO-TEX® Gemeinschaft waren außerdem die ersten, die gewisse Schwermetalle limitiert haben. Gesetzliche Bestimmungen sind dem nachgefolgt. Wir haben verbotene Farbstoffe schon geprüft, bevor es überhaupt eine EU-Verordnung gegeben hat. Selbstverständlich prüfen wir jetzt nach der EU-Verordnung, aber diesbezüglich ist OEKO-TEX® ein klarer Vorreiter.

Neben der Produktsicherheit arbeitet die OEKO-TEX® schon seit 30 Jahren an den Themen „umweltfreundliche und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellte Textilprodukte“ und seit fünf Jahren auch im Bereich der „Lederprodukte“ und mit STeP by OEKO-TEX® seit 2013 an der „Zertifizierung von umweltfreundlichen Betriebsstätten“. Wir bereiten also seit dreißig Jahren den Markt auf. Dabei schaffen wir immer neue Dinge - wie beispielsweise aktuell den Impact Calculator, den STeP zertifizierte Betriebe nun auf freiwilliger Basis Tool nutzen können, um damit ihren CO2 und Wasserfußabdruck zu berechnen. Ab Herbst 2022 gibt es die neue Zertifizierung für Marken und Einzelhändler: RESPONSIBLE BUSINESS by OEKO-TEX®.

Welche Vorteile bringt das den Kund*innen von OEKO-TEX®?
Helene Melnitzky:
Die Kund*innen können diese Berechnungen für die externe Kommunikation verwenden, um auf ihren Produkten oder auf der Webpage zu zeigen, dass ihre Produkte einen geringeren Fußabdruck haben als andere Mitbewerber. Das heißt, bezieht der Kunde alles sehr regional, wird er einen geringeren Fußabdruck haben als eine Firma, die ihre Produkte aus verschiedenen Ländern bezieht. In Zukunft muss es ja so sein, dass der Wasser- und CO2-Fußabdruck am Produkt zu sehen ist, dann kann der Konsument entscheiden, ob er Produkt A oder B kaufen möchte.

Wie wird der Aspekt der fairen Arbeitsbedingungen berücksichtigt?
Helene Melnitzky:
Auch dieses Thema gewinnt seit zehn Jahren immer mehr an Bedeutung. Es gibt mittlerweile genug Druck auf Brands und Einzelhändler, damit die Arbeitsbedingungen vor Ort verbessert werden. Diesen Bereich decken wir im Rahmen der STeP Zertifizierung2 mit dem Modul „soziale Verantwortung“ ab. Der Vorteil für unsere Kund*innen liegt dann darin, dass sie in weiterer Folge mit dem MADE IN GREEN Label darstellen können, wie sie im sozialen Modul abgeschnitten haben.

Was bedeutet Transparenz mit MADE IN GREEN by OEKO-TEX®?
Helene Melnitzky:
Alles, was am Produkt steht, ist transparent. Das MADE IN GREEN by OEKO-TEX® Label ist ein nachverfolgbares Produktlabel für alle Arten von Textilien und Lederartikel, die in umweltfreundlichen Betrieben und an sicheren und sozialverträglichen Arbeitsplätzen produziert wurden. Zudem gibt das MADE IN GREEN Label Konsument*innen die Gewissheit, dass das Textil- oder Lederprodukt aus schadstoffgeprüften Materialien besteht. Um zu gewährleisten, dass die mit dem MADE IN GREEN Label ausgezeichneten Textil- oder Lederprodukte mit umweltfreundlichen Prozessen unter sozialverträglichen Arbeitsbedingungen hergestellt wurden, müssen Konfektionen und Nassproduktionsstätten nach STeP by OEKO-TEX® zertifiziert sein.

Seit einem Jahr kann man im Rahmen der STANDARD 100 Zertifizierung auch recycelte Materialien zertifizieren lassen und in Form eines Anhängeetikett kommunizieren, dass das Produkt zu einem bestimmten Anteil3 aus recycelten Materialien besteht. Auf welche Anforderung des Marktes wird damit geantwortet?
Helene Melnitzky
: Es wird immer mehr gefordert, dass zumindest ein Teil des Produkts aus recyceltem Material hergestellt werden muss. Dies entsteht einerseits aus Druck, weil Rohmaterialien knapp und teuer sind und andererseits freiwillig, um die Verbraucher*innen über Recycling im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu informieren.

Wie blicken Sie auf die nächsten Jahre?
Helene Melnitzky:
Textil- und Lederprodukte umweltfreundlicher und fair zu produzieren und dabei die Wertschöpfungskette transparent darzustellen, ist eine globale Herausforderung, die nicht nur neue ökologische Standards setzt, sondern langfristig auch wichtige ökonomische und soziale Aspekte beinhaltet. Es geht darum, ein größeres Bewusstsein für diese Wechselwirkungen und ein gemeinsames Verständnis für Umweltthemen zu schaffen – bei den Produzenten und natürlich bei den Endverbraucher*innen. Klar erkennbar ist, dass die Nachfrage nach Produkten, die zertifiziert und rückverfolgbar sind, bei den Konsument*innen immer größer wird. Dass spiegelt sich im Kaufverhalten und somit bei der Produktion wider. Trotzdem gibt es noch viel zu tun.

 

1 STANDARD 100 by OEKO-TEX® und LEATHER STANDARD by OEKO-TEX®
2 Die STeP Zertifizierung umfasst die Module Chemikalienmanagement, Umweltleistung, Umweltmanagement, Qualitätsmanagement, Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit und eben auch soziale Verantwortung
3 Das Produkt muss dabei mindestens einen Recycling-Anteil von über 20 Prozent enthalten.

Foto: pixabay
03.05.2022

Auf dem Weg zur CO2-Neutralität: Reduktionstechnologien und Messwerkzeuge

Immer mehr Sport- und Modemarken setzen sich zum Ziel, in den nächsten Jahren klimaneutral zu werden, auf Firmen- wie Produktebene. Die CO2-Bilanz dient dabei als Ausgangspunkt für nachhaltige Bekleidung und mehr Verbrauchertransparenz.

Dieser Prozess beginnt bei den Materialien, die Textilproduzenten liefern, und erfordert Kenntnisse über die Menge an CO2, die während der Produktion emittiert wird. Durch die Bewertung und Quantifizierung der CO2-Emissionen gewinnt die Industrie an Transparenz und kann nachhaltigere Optionen wählen.

Immer mehr Sport- und Modemarken setzen sich zum Ziel, in den nächsten Jahren klimaneutral zu werden, auf Firmen- wie Produktebene. Die CO2-Bilanz dient dabei als Ausgangspunkt für nachhaltige Bekleidung und mehr Verbrauchertransparenz.

Dieser Prozess beginnt bei den Materialien, die Textilproduzenten liefern, und erfordert Kenntnisse über die Menge an CO2, die während der Produktion emittiert wird. Durch die Bewertung und Quantifizierung der CO2-Emissionen gewinnt die Industrie an Transparenz und kann nachhaltigere Optionen wählen.

Die PERFORMANCE DAYS München und Functional Fabric Fair by PERFORMANCE DAYS Portland suchen über drei Messen hinweg gezielt Antworten auf die Frage „Wie lassen sich zukünftig CO2-Emissionen einsparen?“. Der Schwerpunkt „Auf dem Weg zur CO2-Neutralität“ rückt deswegen ab der Frühjahrsmesse, die Anfang April in Portland, Oregon stattfand, sowie vom 27. bis 28. April 2022 auf dem Messegelände München, über die Wintermesse im Oktober/November, bis zur Messe im Frühjahr 2023 Stoffe und Fasern in den Mittelpunkt, die Lösungen bereitstellen, wie man in Zukunft klimaneutral Materialien herstellen und wiederverarbeiten kann.

Wenn heute von Umweltschutz und Klimawandel die Rede ist, fällt immer wieder im Zusammenhang mit CO2-Emissionen, CO2-Reduzierung auch der Begriff CO2-Neutralität. Doch was genau bedeutet CO2-Neutralität eigentlich? Klimaneutralität bedeutet, ein Gleichgewicht zwischen Kohlenstoffemissionen und der Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre in Kohlenstoffsenken herzustellen. Um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, müssen alle Treibhausgasemissionen weltweit durch Kohlenstoffbindung ausgeglichen werden. Zu den Branchen, die weltweit mit am meisten CO2-Emissionen verursachen, zählt auch die Mode- und Sportbekleidungsindustrie.

Will man ihre Emissionen über alle Stufen der Wertschöpfung hinweg betrachten, so lohnt es sich, über Rohstoffe, Produktion, Logistik und Handel hinaus zu blicken. Auch das Verhalten der Konsumenten kann die Emissionen beeinflussen: Laut dem von der Global Fashion Agenda und McKinsey Ende August 2020 „Fashion on Climate“- Report liegt ein noch größerer Hebel bei den Produkten: 61 Prozent der Emissionsverringerung könnten durch CO2-Reduzierung in der Materialproduktion und -verarbeitung, die Minimierung von Produktions- und Herstellungsabfällen und bei der Bekleidungsherstellung erreicht werden. Bis 2030 wären das etwa 1 Milliarde Tonnen jährlich. Und schließlich ist es auch das Verbraucherverhalten, das sich auf die Klimabilanz der Modebranche auswirkt. Wenn noch mehr auf nachhaltige Bekleidung geachtet und wieder- und länger verwendet wird, kann dies laut dem Report zu einer Emissionsverringerung von 347 Millionen Tonnen führen.

Ein deutliches Beispiel auf dem Weg in Richtung Nachhaltigkeit war die Entscheidung der PERFORMANCE DAYS, ab der Messeveranstaltung im November 2019 nur noch nachhaltige Materialien im PERFORMANCE FORUM zu zeigen. Nun wird der nachhaltige Ansatz noch zusätzlich verstärkt. Im Rahmen einer Roadmap will man mit dem neuen Focus Topic über drei Messen hinweg, Aussteller auf ihrem Weg zur Klimaneutralität begleiten. Dabei verfolgen die PERFORMANCE DAYS und Functional Fabric Fair einen 3 Stufen Plan.  

  • Schritt 1, April 2022: Der Fokus der letzten Messe lag auf CO2-reduzierenden Technologien und der Messung des CO2-Fußabdrucks eines Produkts.
  • Schritt 2, November 2022: In der gesamten Produktkategorie des Focus Topics werden ausschließlich Produkte gezeigt, die die bei der Herstellung verursachten CO2-Emissionen angeben und so zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit in der Branche beitragen.
  • Schritt 3, April 2023: Im PERFORMANCE FORUM soll die Menge des emittierten CO2 jedes einzelnen Produkts dargestellt werden. Darüber hinaus werden Lösungsansätze gezeigt, wie CO2, das bei der Herstellung von Materialien freigesetzt wird, kompensiert und weiter reduziert werden kann.

Zur bestmöglichen Umsetzung und Präsentation des neuen Focus Topics arbeiten die PERFORMANCE DAYS und Functional Fabric Fair mit verschiedenen Partnern zusammen: Higg und Climate Partner werden die drei Messen begleiten. Der Higg Materials Sustainability Index (Higg MSI) gilt als führendes Instrument zur Bewertung der Umweltauswirkungen von Materialien in der Bekleidungs-, Schuh- und Textilindustrie. Der Higg MSI kann die Umweltauswirkungen von Millionen möglicher Materialherstellungsvarianten berechnen. Auch eine Verpackungsbibliothek wurde hinzugefügt, mit der nachhaltige Entscheidungen im Verpackungsbereich getroffen werden können. Demnach ist der Higg Index kein Zertifikat oder Label, sondern ein wichtiges Self-Assessment-Tool, das textile Firmen intern einsetzen können, um ökologische und soziale Probleme in ihrer gesamten Wertschöpfungskette identifizieren und verbessern zu können.

Climate Partner wiederum sucht Lösungen für Klimaschutz: Dabei werden CO2-Emissionen bilanziert – diese wiederum sollen die Emissionen von Unternehmen mit anerkannten Klimaschutzprojekten ausgleichen, um Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen klimaneutral zu stellen. Climate Partner sieht sich zudem als Berater von Unternehmen bei ihren Klimaschutzstrategien. Zusammen will man daran arbeiten, CO2-Emissionen zu reduzieren und Klimaschutzprojekte unterstützen, die immer auch den Alltag der Menschen in Entwicklungsländern fördern. 

Weitere Informationen:
Performance Days CO2 Sportbekleidung Messe
Quelle:

PERFORMANCE DAYS

Foto: Lalit Kumar, Unsplash
29.03.2022

Die Chemiefaserindustrie in der Zeitenwende

„Man reißt kein Haus ab, bevor das neue bezugsfertig ist.“

Textination sprach mit dem Geschäftsführer der Industrievereinigung Chemiefaser e.V., Dr. Wilhelm Rauch über seine Einschätzung zur Zeitenwende, der sich die Chemiefaserindustrie aktuell stellen muss. Wo liegen die Risiken und Bedrohungen, was muss sich ändern, um weiterhin ein wettbewerbsfähiger Player auf dem globalen Markt zu bleiben.

„Man reißt kein Haus ab, bevor das neue bezugsfertig ist.“

Textination sprach mit dem Geschäftsführer der Industrievereinigung Chemiefaser e.V., Dr. Wilhelm Rauch über seine Einschätzung zur Zeitenwende, der sich die Chemiefaserindustrie aktuell stellen muss. Wo liegen die Risiken und Bedrohungen, was muss sich ändern, um weiterhin ein wettbewerbsfähiger Player auf dem globalen Markt zu bleiben.

US-Präsident Joe Biden hat seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin im Zusammenhang mit dem Einmarsch in die Ukraine als Kriegsverbrecher bezeichnet. Das höchste Gericht der Vereinten Nationen, der Internationale Gerichtshof in Den Haag, hat angeordnet, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine sofort beenden muss. Wie bewerten Sie persönlich das Verhalten Russlands?
Dr. Rauch:
Mit familiären Wurzeln im Rheinland, Mittel- und Ostdeutschland bin ich in einer Zeit aufgewachsen, wo als Folge der Teilung Europas Familien getrennt und mitten in Deutschland Menschen skrupellos erschossen wurden, die die innerdeutsche Demarkationslinie in Richtung Westen übertreten wollten. Der Fall des Eisernen Vorhangs führte uns seit 1989 in einen Zeitraum, der mehr als 30 Jahre andauerte und uns zumindest in Europa eine Ära des friedlichen Miteinanders der großen Machtblöcke, intensiver Handelsbeziehungen und prosperierender Staaten erleben ließ.

Heute mit ansehen zu müssen, wie seitens Russlands versucht wird, in Europa das Rad der Geschichte mit einer Brutalität zurückzudrehen, welche die jüngste in Europa aufgewachsene Generation bislang glücklicherweise nicht erleben musste, ist mehr als schockierend und ruft schlimmste Erinnerungen an die Zeit des kalten Krieges wach, von der jeder hoffte, sie kehrt niemals wieder. Wenn heute in der Ukraine sogar Anlagen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie beschossen werden, ist eine Dimension erreicht, die man nicht weiter extrapolieren möchte. Neben dem verursachten unsäglichen menschlichen Leid, das wir durch die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen nur ansatzweise mildern können, wird langfristig jegliches Vertrauen in politische Zusagen verspielt, das aber sowohl für eine friedliche Koexistenz als auch für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit essentiell ist. Wir stehen vor einer Neuordnung der Welt, in der man Lieferbeziehungen und Abhängigkeiten mit bzw. von autokratischen Staaten sehr viel sensibler für jeden Einzelfall bewerten muss.

Die wirtschaftlichen Folgen des Russland-Ukraine-Konflikts werden immer deutlicher. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) korrigiert seine Prognose für 2022, sieht aber noch keine Rezession. Mit welchen Erwartungen sehen Sie für die Branche auf das aktuelle Wirtschaftsjahr?
Dr. Rauch:
Die zurückliegenden zwei Jahre der SARS-CoV-2-Pandemie durchlief die Chemiefaserindustrie mit großen Blessuren. Geplante Investitionen wurden zunächst zurückgestellt und dann endgültig aufgegeben. Bis zum Ende des Jahres 2022 werden im Vergleich zum Jahr 2019 drei Chemiefaserproduzenten ihre Tore in Deutschland schließen. In das laufende Jahr startete die Branche sehr hoffnungsvoll, wenngleich die bisherigen Themen wie REACH und vor allem Energiekosten bereits vor dem Russland-Ukraine-Krieg in Schärfe zunahmen. Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges werden sich sowohl direkt in Form gestiegener Energiepreise als auch indirekt durch Veränderungen der internationalen Wettbewerbsbedingungen negativ auswirken.

Was bedeuten der Krieg in der Ukraine und die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland für die vorgelagerten Lieferketten der Chemiefaserindustrie?
Dr. Rauch:
Die unmittelbaren vorgelagerten Lieferketten werden von diesem Krieg zunächst kaum beeinträchtigt. Wir müssen aber damit rechnen, dass Lieferketten in anderen Industrien gestört werden. Wenn z. B. bestimmte Rohstoffe oder Erzeugnisse nicht mehr zur Verfügung stehen, kann das angefangen von der Logistik (Mobilität) bis hin zu Komponenten in produktionstechnischen Anlagen spürbar werden. Als Beispiel sei hier die Verfügbarkeit von Kabelbäumen erwähnt werden, die bislang in der Ukraine hergestellt wurden und in vielen elektronischen Bauteilen für die Chemiefaserproduktion unabdingbar sind.

Welche Relevanz haben die Ukraine und Russland als Absatzmärkte für die IVC-Mitgliedsunternehmen?
Dr. Rauch:
Nimmt man das letzte Jahr vor Ausbruch der SARS-CoV-2-Pandemie als Bezugsjahr, so machen die Exporte in die Ukraine und in die Russische Föderation ca. 1,6 % des Gesamtexportes an Chemiefasern aus Deutschland aus. Ein Ausfall dieser Abnahmeländer ist im Mittel verkraftbar, wobei man nicht vergessen darf, dass im Einzelfall - je nach Produktportfolio einer Firma - durchaus spürbare Belastungen auftreten können. Blickt man über den Tellerrand hinaus, so sind nicht nur die direkten Exporte an Chemiefasern in die Kriegsregion von Bedeutung, sondern auch Lieferungen von Erzeugnissen, in denen Chemiefasern verarbeitet werden. Hier gibt es nun unterbrochene Lieferbeziehungen, die Auftragsverluste für die Chemiefaser-branche nach sich ziehen.

Bestimmte Industriezweige sind von den Folgen besonders betroffen - was bedeutet das für die Chemiefaserbranche als Zulieferindustrie?
Dr. Rauch:
Überall dort, wo entlang der nachgeschalteten Wertschöpfungskette Produktionen zurückgefahren werden, in denen Chemiefasern Einsatz fanden, wird man die Auswirkungen mit zeitlichem Versatz spüren. Das betrifft z.B. Lieferungen in den Automobilbereich, wenn dort wegen fehlender aus der Ukraine stammender Komponenten die Neuwagenproduktion stockt.

Wie wirken sich die explodierenden Energiepreise und das Gasembargo bei den Chemiefaserproduzenten im DACH-Gebiet aus?
Dr. Rauch:
Die europäischen Energiekosten lagen bereits vor dem Russland-Ukraine-Krieg auf einem Niveau, das unseren Mitgliedern schwer zusetzte. So stiegen z. B. die europäischen Gaskosten aufgrund der Kriegshandlungen aktuell um das Zehnfache von ca. 12 EUR/MWh auf ca. 120 EUR/MWh, in den USA „nur“ um das Zweieinhalbfache von ca. 8 EUR/MWh auf ca. 18 EUR/MWh. Ähnlich verhält es sich mit den Strompreisen speziell in Deutschland, die ausgehend von einem ohnehin schon hohen Niveau ebenfalls um den Faktor 10 angestiegen sind. Weitere Preissteigerungen in Europa sind nicht ausgeschlossen, sondern eher wahrscheinlich. Vorgenommene moderate Anpassungen der Chemiefaserpreise stellen vor diesem Hintergrund nur den Tropfen auf den heißen Stein dar. Eine Marktentwicklung mit quasi explodierenden Energiekosten kann keine Firma seriös abbilden oder kostendeckend einpreisen.

Was halten Sie als Industrieverband der Chemiefaserindustrie von "Freeze for Peace" bzw. einem Stopp aller russischen Gas- und Rohstoff-Importe?
Dr. Rauch:
Wir haben uns speziell in Deutschland entgegen aller internationalen Warnungen bewusst in eine Abhängigkeit von russischem Gas begeben, indem wir dieses als notwendig für die Brückentechnologie der Stromerzeugung definierten, die wir nach dem Abschalten der kohle– und nuklearbasierten Kraftwerke benötigen, bevor die Verfügbarkeit einer ausreichenden Menge an sog. „grüner“ Energie gesichert ist. Auch wird Gas zu Heizzwecken und als Rohstoff benötigt, nimmt also die Funktion eines Allrounders ein.

Ein boykottbedingter Importstopp hätte nicht nur gravierende negative Folgen für die Chemiefaserbranche, sondern für die gesamte deutsche Industrie und die meisten privaten Haushalten. Wie ich eingangs erwähnte, ist es ein Gebot der Stunde, durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge dazu beizutragen, menschliches Leid zu lindern. Damit ist die Krise aber nicht ausgestanden. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Kriegssituation nicht kurzfristig gelöst wird. Zur Bewältigung einer langanhaltenden Krisensituation muss aber unsere Wirtschaftskraft erhalten bleiben, um die anstehenden Herausforderungen stemmen zu können. Ein Importstopp wäre in dieser Hinsicht kontraproduktiv. Nachdem aufgrund der jüngsten Entwicklungen die Gaslieferungen nunmehr mit Rubel bezahlt werden sollen, besteht vielmehr die Gefahr, dass Russland seinerseits die Gaslieferungen stoppt. In ihrer Wirkung unterscheiden sich beide Szenarien nicht. Das Einzige was sicher ist, ist die Tatsache, dass die Verfügbarkeit von russischem Gas für Europa nicht mehr sicher ist. Letztendlich wird durch die russische Forderung der Umstellung des Zahlungsverkehrs auf Rubel, die nicht nur die Aufwertung des Rubels zum Ziel hat, deutlich, dass Russland nicht auf Europa als Abnehmer seines Gases angewiesen ist. Damit liefe ein „Freeze for Peace“ ins Leere. Im fernen Osten sitzt bereits ein potentieller Abnehmer russischen Gases, um es günstig und sicher zu beziehen und der zudem ein großer Wettbewerber der europäischen Chemiefaserindustrie ist: China.

Sind Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar eine gute Ersatzlösung für Gas- und Öl-Lieferungen aus Russland?
Dr. Rauch:
Es geht nicht um die Wertung einer Maßnahme im Sinn von gut oder schlecht, sondern darum, ob sie in dieser speziellen Situation geeignet erscheint, einseitige Abhängigkeiten von einem Aggressor zu vermindern, bevor nachhaltige Lösungen in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Insofern sollte es bei den auf Realisierbarkeit zu prüfenden Maßnahmen zunächst keine ideologischen Barrieren geben. Die nach sicherlich sorgfältiger politischer Prüfung mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar abgeschlossenen Verträge sind Einzelfallentscheidungen und stellen nur einen Mosaikstein unter vielen dar.

Passt der Ausspruch „zuerst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu" - auf die gegenwärtige ökonomische Performance der Branche - oder: wie beurteilen Sie in dieser Beziehung den Einfluss der Corona-Pandemie und den der Kriegssituation?
Dr. Rauch:
Sowohl die SARS-CoV-2-Pandemie als auch der Russland-Ukraine-Krieg sind Ereignisse mit globalem Charakter. Während erstere alle Staaten früher oder später gleichermaßen erfasste, muss die Bewertung der Auswirkungen des Russland- Ukraine-Krieges differenzierter erfolgen. Die Kriegsfolgen treffen vor allem Firmen in Europa, und dort insbesondere die Staaten, die sich - wie vorgehend erwähnt – wie Deutschland in einseitige Abhängigkeiten begeben haben. Das ist keine Besonderheit für die Chemiefaserindustrie. Auch wenn man mit anderen Industriezweigen viele Leidensgenossen hat, verbessert dass die Lage natürlich nicht.

Was wünscht sich die Industrie künftig von den politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel?
Dr. Rauch: Die Wunschliste lässt sich an wenigen Kernelementen verankern:
Wir benötigen langfristig eine Energie- und Rohstoffversorgung, die nicht auf Abhängigkeiten von wenigen und zudem autokratischen Staaten basiert. Auf dem Weg dorthin sind vor dem Hintergrund des Russland-Ukraine-Krieges bisherige Ausstiegsszenarien aus Kohle- und Kernenergie hinsichtlich ihrer Zeitachse vorurteilsfrei zu überdenken. Oder etwas prägnanter ausgedrückt: Man reißt kein Haus ab, bevor das neue bezugsfertig ist.

Aber auch Energien aus nachwachsenden Rohstoffen müssen zu Preisen angeboten werden, welche die globale Wettbewerbsfähigkeit erlauben. Die chemische Industrie hat hierfür gemäß einer Studie der DECHEMA und FutureCamp einen Preis von 4 ct/kWh ermittelt (inkl. aller Abgaben und Gebühren). Davon sind wir heute meilenweit entfernt.

Die Revision von REACH darf nicht zu weiterer Bürokratie und zu Auflagen führen, die Kapazitäten in den Firmen bindet. Wir benötigen in Europa nicht die Ausgestaltung des i-Tüpfelchens auf der Maslowschen Bedürfnispyramide, sondern müssen Sorge dafür tragen, dass wir die Pyramidenstufen nicht schrittweise nach unten rutschen und das i-Tüpfelchen ohne „i“ in der Luft schwebt.

Die europäische Kommission muss die europäische Industrie und mit ihr die Chemiefaserbranche verstärkt als Problemlöser erkennen. Chemiefasern sind als Erzeugnisse für die Energiewende (Rotorblätter von Wundkraftanlagen), Leichtbau in der Mobilität (Leichtbaukarosserien im Verbundsystem), nachhaltigem Straßenbau (Geotextilien zur Verstärkung der Fahrbahn und Erhöhung deren Lebensdauer), Reduzierung von stahlbewehrtem Beton und damit Zement, Sand sowie Kies (Bewehrung mit hochzugfesten Chemiefasern) und Medizinprodukten (medizinische Masken, Verbandmaterialien, Stents) unerlässlich.

Wir brauchen in Europa wieder mehr Marktwirtschaft und keine kleinteiligen Vorschriften, die immer wieder angepasst werden und zu einem undurchdringbaren Dickicht wuchern.

Bei allen vorgenannten Wünschen an die Politik lassen Sie mich abschließend mit Blick auf die aktuelle Lage noch folgendes erwähnen: 1961 standen sich nach dem Berliner Mauerbau russische und amerikanische Panzer am Checkpoint Charlie in einer Entfernung von weniger als 50 m schussbereit gegenüber.

Ein Jahr später, im Oktober 1962, trafen in der Kubakrise nuklear ausgerüstete amerikanische und russische Marineeinheiten direkt aufeinander. Sowohl John F. Kennedy als auch Nikita S. Chruschtschow – erbitterte Rivalen im Wettstreit der politischen Systeme – waren seinerzeit besonnen genug, die Situation nicht eskalieren zu lassen.

Aktuell wünsche ich von unseren Politikern national, europäisch und transatlantisch unbedingte Entschlossenheit im Auftritt zur Verteidigung unserer freiheitlich demokratischen Werte, aber ich appelliere auch an alle Politiker weltweit, unbedingt einen der grundlegenden Erkenntnisse Albert Einsteins zu beherzigen: “I don’t know what weapons will be used in the Third World War. But I can tell you what they’ll use in the Fourth – rocks!”

Quelle:

Textination

Das Interview führte Ines Chucholowius, CEO Textination GmbH

Nicolas Meletiou, Pixabay
01.03.2022

Textilien und die Umwelt: die Rolle des Designs in Europas Kreislaufwirtschaft

Aus der Sicht des europäischen Verbrauchs haben Textilien im Durchschnitt die viertgrößten negativen Auswirkungen auf die Umwelt und den Klimawandel, nach Lebensmitteln, Wohnraum und Mobilität. Eine Umstellung auf ein zirkuläres Produktions- und Verbrauchssystem für Textilien mit längerer Nutzungsdauer und mehr Wiederverwendung und Recycling könnte diese Auswirkungen zusammen mit einer Reduzierung des Gesamtverbrauchs verringern. Eine wichtige Maßnahme ist ein kreislauffähiges Design (Circular Design) von Textilien, um die Haltbarkeit, Reparierbarkeit und Wiederverwertbarkeit von Produkten zu verbessern und die Verwendung von Sekundärrohstoffen in neuen Produkten zu gewährleisten.

Aus der Sicht des europäischen Verbrauchs haben Textilien im Durchschnitt die viertgrößten negativen Auswirkungen auf die Umwelt und den Klimawandel, nach Lebensmitteln, Wohnraum und Mobilität. Eine Umstellung auf ein zirkuläres Produktions- und Verbrauchssystem für Textilien mit längerer Nutzungsdauer und mehr Wiederverwendung und Recycling könnte diese Auswirkungen zusammen mit einer Reduzierung des Gesamtverbrauchs verringern. Eine wichtige Maßnahme ist ein kreislauffähiges Design (Circular Design) von Textilien, um die Haltbarkeit, Reparierbarkeit und Wiederverwertbarkeit von Produkten zu verbessern und die Verwendung von Sekundärrohstoffen in neuen Produkten zu gewährleisten.

Kernaussagen
Im Jahr 2019 erzielte der Textil- und Bekleidungssektor der EU einen Umsatz von 162 Mrd. EUR und beschäftigte über 1,5 Millionen Menschen in 160 000 Unternehmen. Wie in vielen anderen Branchen hat die COVID-19-Krise zwischen 2019 und 2020 zu einem Umsatzrückgang von 9 % für Textilien insgesamt und von 17 % für Bekleidung geführt.

  • Im Jahr 2020 hatte der Textilkonsum in Europa im Durchschnitt die vierthöchsten Auswirkungen auf die Umwelt und den Klimawandel aus einer globalen Lebenszyklusperspektive. Er war der Verbrauchsbereich mit den dritthöchsten Auswirkungen auf Wasser- und Landnutzung und den fünfthöchsten in Bezug auf den Rohstoffverbrauch und die Treibhausgasemissionen.
  • Um die Umweltauswirkungen von Textilien zu verringern, ist eine Umstellung auf zirkuläre Geschäftsmodellen, einschließlich kreislauffähigen Designs (Circular Design), entscheidend. Dazu sind technische, soziale und geschäftsmodellbezogene Innovationen erforderlich, aber auch Verhaltensänderungen und politische Unterstützung.
  • Kreislauffähiges Design (Circular Design) ist ein wichtiger Wegbereiter für den Übergang zu einer nachhaltigen Produktion und einem nachhaltigen Verbrauch von Textilien durch Kreislaufgeschäftsmodellen. Die Entwurfsphase spielt bei jedem der vier Wege zur Verwirklichung einer kreislauffähigen Textilbranche eine entscheidende Rolle: Langlebigkeit und Haltbarkeit, optimierte Ressourcennutzung, Sammlung und Wiederverwendung sowie Recycling und Materialnutzung.

Textilien werden im EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft als eine der wichtigsten Wertschöpfungsketten bezeichnet und in der bevorstehenden EU-Strategie 2022 der Europäischen Kommission für nachhaltige und kreislauffähige Textilien und der EU-Initiative für nachhaltige Produkte behandelt. Dieses Briefing zielt darauf ab, das Verständnis der Umwelt- und Klimaauswirkungen von Textilien aus einer europäischen Perspektive zu verbessern und Gestaltungsprinzipien und Maßnahmen zur Erhöhung der Kreislauffähigkeit von Textilien zu identifizieren. Es stützt sich auf einen Bericht des „European Topic Centre on Circular Economy and Resource Use“ der EUA, der hier (auf Englisch) verfügbar ist.

1. Produktion, Handel und Verbrauch von Textilien
Textilien sind ein wichtiger Wirtschaftszweig in der EU. Im Jahr 2019 erwirtschaftete der Textil- und Bekleidungssektor der EU einen Umsatz von 162 Mrd. EUR und beschäftigte über 1,5 Millionen Menschen in 160.000 Unternehmen. Wie in vielen anderen Branchen ging der Umsatz zwischen 2019 und 2020 aufgrund der Gesundheits- und Wirtschaftskrise COVID-19 bei Textilien insgesamt um 9 % und bei Bekleidung um 17 % zurück (Euratex, 2021).

Verbrauch
Die europäischen Haushalte verbrauchen große Mengen an Textilwaren. Im Jahr 2019 gaben die Europäerinnen und Europäer wie schon 2018 im Durchschnitt 600 EUR für Bekleidung, 150 EUR für Schuhe und 70 EUR für Heimtextilien aus (Köhler et al., 2021; Eurostat, 2021b).

Die Reaktion auf die COVID-19-Pandemie, die mit Maßnahmen zum zu Hause bleiben und der Schließung von Unternehmen sowie Geschäften einherging, führte insgesamt zu einem Rückgang der Textilproduktion und der Nachfrage (Euratex, 2021). Infolgedessen ging der Pro-Kopf-Verbrauch von Bekleidung und Schuhen im Jahr 2020 gegenüber 2019 zurück, während der Verbrauch von Heimtextilien leicht anstieg. Der durchschnittliche Textilverbrauch pro Person belief sich im Jahr 2020 auf 6,0 kg Bekleidung, 6,1 kg Heimtextilien und 2,7 kg Schuhe (siehe Abbildung 1).

Abgesehen von diesem COVID-bedingten Rückgang des Verbrauchs im Jahr 2020 blieb der geschätzte Verbrauch von Bekleidung und Schuhen in den letzten zehn Jahren relativ konstant, mit leichten Schwankungen zwischen den Jahren (siehe Abbildung 2). Gleiches gilt für den Verbrauch von Heimtextilien, mit einem leichten Anstieg im Laufe des Jahrzehnts.

Bei der Berechnung des "geschätzten Verbrauchs" auf der Grundlage von Produktions- und Handelsdaten aus dem Jahr 2020, ausgenommen sind industrielle/technische Textilien und Teppiche, liegt der Gesamttextilverbrauch bei 15 kg pro Person und Jahr, die sich im Durchschnitt wie folgt zusammensetzen:

  • 6,0 kg Bekleidung
  • 6,1 kg Heimtextilien
  • 2,7 kg Schuhe.

2. Umwelt- und Klimaauswirkungen von Textilien
Die Produktion und der Konsum von Textilien haben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und den Klimawandel. Umweltauswirkungen in der Produktionsphase ergeben sich aus dem Anbau und der Produktion von Naturfasern wie Baumwolle, Hanf und Leinen (z. B. Nutzung von Land und Wasser, Düngemittel und Pestizide) und aus der Produktion von Kunstfasern wie Polyester und Elastan (z. B. Energieverbrauch, chemische Ausgangsstoffe) (ETC/WMGE, 2021b). Die Herstellung von Textilien erfordert große Mengen an Energie und Wasser und verwendet eine Vielzahl von Chemikalien in verschiedenen Produktionsprozessen. Vertrieb und Einzelhandel sind für Transportemissionen und Verpackungsabfälle verantwortlich.

Bei der Nutzung und Pflege - Waschen, Trocknen und Bügeln - werden Strom, Wasser und Waschmittel benötigt. Auch Chemikalien und Mikrofasern werden in das Abwasser abgegeben. Gleichzeitig tragen Textilien mit erheblichen Mengen zu Textilabfällen bei. Am Ende ihrer Lebensdauer landen Textilien oft im allgemeinen Abfall und werden verbrannt oder deponiert. Bei der getrennten Sammlung von Textilabfällen werden die Textilien je nach ihrer Qualität und Materialzusammensetzung sortiert und wiederverwendet, recycelt oder entsorgt. Im Jahr 2017 wurde geschätzt, dass weniger als 1 % aller Textilien weltweit zu neuen Produkten recycelt werden (Ellen MacArthur Foundation, 2017).

Um das Ausmaß der Auswirkungen des Textilverbrauchs auf den Rohstoffverbrauch, die Wasser- und Flächennutzung und die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu anderen Verbrauchskategorien zu veranschaulichen, hat die Europäische Umweltagentur ihre Berechnungen der Umwelt- und Klimaauswirkungen des Lebenszyklus in der EU aktualisiert. Verwendet wurden Input-Output-Modelle auf der Grundlage von Daten aus der Exiobase-Datenbank und von Eurostat. Im Einklang mit dem geringeren Textilverbrauchsniveau im Jahr 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie sind die Umweltauswirkungen von 2019 auf 2020 zurückgegangen.

Verwendung von Rohstoffen
Für die Textilproduktion werden große Mengen an Rohstoffen eingesetzt. Für die Herstellung aller von den EU-Haushalten im Jahr 2020 gekauften Bekleidung, Schuhe und Heimtextilien wurden schätzungsweise 175 Millionen Tonnen Primärrohstoffe verwendet, was rund 391 kg pro Person entspricht. Etwa 40 % davon entfallen auf Kleidung, 30 % auf Heimtextilien und 30 % auf Schuhe. Damit sind Textilien die fünftgrößte Verbrauchskategorie in Europa in Bezug auf den Primärrohstoffverbrauch (siehe Abbildung 3).

Zu den Rohstoffen gehören alle Arten von Materialien, die bei der Herstellung von Natur- und Kunstfasern verwendet werden, wie fossile Brennstoffe, Chemikalien und Düngemittel. Dazu gehören auch alle Baumaterialien, Mineralien und Metalle, die für den Bau von Produktionsanlagen verwendet werden. Auch der Transport und der Handel mit den Textilwaren sind eingeschlossen. Nur 20 % dieser Primärrohstoffe werden in Europa hergestellt oder gewonnen, der Rest wird außerhalb Europas gewonnen.

Dies zeigt den globalen Charakter der textilen Wertschöpfungskette und die hohe Ab-hängigkeit des europäischen Verbrauchs von Importen. Dies bedeutet, dass 80 % der durch den europäischen Textilkonsum verursachten Umweltauswirkungen außerhalb Europas stattfinden. So finden beispielsweise der Baumwollanbau, die Faserproduktion und die Bekleidungsherstellung hauptsächlich in Asien statt (ETC/WMGE, 2019).

Wasserverbrauch
Für die Herstellung und Verarbeitung von Textilien werden große Mengen an Wasser benötigt. Bei der Wassernutzung wird zwischen "blauem" Wasser (Oberflächenwasser oder Grundwasser, das bei der Bewässerung, bei industriellen Prozessen oder im Haushalt verbraucht wird oder verdunstet) und "grünem" Wasser (im Boden gespeichertes Regenwasser, das in der Regel zum Anbau von Pflanzen verwendet wird) unterschieden (Hoekstra et al., 2012).
 
Für die Herstellung aller von den EU-Haushalten im Jahr 2020 gekauften Bekleidung, Schuhe und Heimtextilien wurden etwa 4.000 Millionen m³ blaues Wasser benötigt, das sind 9 m³ pro Person, womit der Wasserverbrauch für Textilien an dritter Stelle nach Lebensmitteln sowie Freizeit und Kultur steht (siehe Ab-bildung 4).

Zusätzlich wurden etwa 20.000 Millionen m³ grünes Wasser verwendet, hauptsächlich für die Baumwollproduktion, was 44 m³ pro Person entspricht. Blaues Wasser wird zu etwa gleichem Anteil für die Herstellung von Kleidung (40 %), Schuhen (30 %) sowie Heim- und anderen Textilien (30 %) verwendet. Grünes Wasser wird hauptsächlich für die Herstellung von Kleidung (fast 50 %) und Heimtextilien (30 %) ver-braucht, wobei die Baumwollproduktion den größten Anteil hat.

Der Wasserverbrauch für in Europa verbrauchte Textilien findet größtenteils außerhalb Europas statt. Es wird geschätzt, dass für die Herstellung von 1 kg Baumwolle etwa 10 m³ Wasser benötigt werden, in der Regel außerhalb Europas (Chapagain et al., 2006).

Landnutzung
Die Herstellung von Textilien, insbesondere von Naturtextilien, erfordert große Mengen an Land. Der Flächenverbrauch in der Lieferkette für Textilien, die von europäischen Haushalten im Jahr 2020 gekauft werden, wird auf 180.000 km² geschätzt, das sind 400 m² pro Person. Nur 8 % der verbrauchten Flächen befinden sich in Europa. Über 90 % der Auswirkungen auf die Flächennutzung finden außerhalb Europas statt, hauptsächlich im Zusammenhang mit der (Baumwoll-)Faserproduktion in China und Indien (ETC/WMGE, 2019). Fasern auf Tierbasis, wie Wolle, haben ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Landnutzung (Lehmann et al., 2018). Damit ist der Textilsektor der Sektor mit den dritthöchsten Auswirkungen auf die Flächennutzung, nach Nahrungsmitteln und Wohnraum (siehe Abbildung 5). Davon fallen 43 % auf Kleidung, 35 % auf Schuhe (einschließlich Lederschuhen, die aufgrund des Bedarfs an Viehweiden eine hohe Auswirkung auf die Landnutzung haben) und 23 % auf Heim- und andere Textilien.

Treibhausgasemissionen
Die Herstellung und der Verbrauch von Textilien verursachen Treibhausgasemissionen, insbesondere durch die Gewinnung von Ressourcen, die Produktion, das Waschen und Trocknen sowie die Abfallverbrennung. Im Jahr 2020 verursachte die Herstellung von Textilwaren, die in der EU konsumiert wurden, Treibhausgasemissionen von insgesamt 121 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent (CO2e), was 270 kg CO2e pro Person entspricht. Damit sind Textilien der Verbrauchsbereich der Haushalte, der für die fünftgrößten Auswirkungen auf den Klimawandel verantwortlich ist, nach Wohnen, Ernährung, Verkehr und Mobilität sowie Freizeit und Kultur (siehe Abbildung 6). Davon entfallen 50 % auf Kleidung, 30 % auf Haushalts- und andere Textilien und 20 % auf Schuhe. Die Treibhausgasemissionen wirken sich zwar weltweit aus, aber fast 75 % werden außerhalb Europas freigesetzt, vor allem in den wichtigen textilproduzierenden Regionen in Asien (ETC/WMGE, 2019).

Etwa 80 % der gesamten Klimaauswirkungen von Textilien entstehen in der Produktionsphase. Weitere 3 % entstehen im Vertrieb und Einzelhandel, 14 % in der Nutzungsphase (Waschen, Trocknen und Bügeln) und 3 % am Ende des Lebenszyklus (Sammlung, Sortierung, Recycling, Verbrennung und Entsorgung) (ECOS, 2021; Östlund et al., 2020).

Textilien aus Naturfasern, wie z. B. Baumwolle, haben im Allgemeinen die geringsten Klimaauswirkungen. Textilien aus synthetischen Fasern (insbesondere Nylon und Acryl) haben im Allgemeinen eine höhere Klimabelastung, da sie aus fossilen Brennstoffen hergestellt werden und bei der Produktion Energie verbraucht wird (ETC/WMGE, 2021b; Beton et al., 2014).

3. Design als Wegbereiter für zirkuläre Geschäftsmodelle für Textilien
Um die Auswirkungen von Textilien auf die Umwelt und den Klimawandel zu verringern, ist die Umstellung auf zirkuläre Geschäftsmodelle von entscheidender Bedeutung, um Rohstoffe, Energie, Wasser und Landnutzung, Emissionen und Abfall einzusparen (ETC/WMGE, 2019). Die Umsetzung und Skalierung von Kreislaufwirtschaftsmodellen erfordert technische, soziale und geschäftsmodellbezogene Innovationen sowie die Förderung von Politik, Konsum und Bildung (EUA, 2021).

Kreislauffähiges Design ist ein wichtiger Bestandteil von zirkulären Geschäftsmodellen für Textilien. Es kann eine höhere Qualität, eine längere Lebensdauer, eine bessere Nutzung von Materialien und bessere Optionen für Wiederverwendung und Recycling gewährleisten. Während es wichtig ist, das Recycling und die Wiederverwendung von Materialien zu ermöglichen, sollten lebensverlängernde Strategien, wie z. B. Design für Langlebigkeit, einfache Wiederverwendung, Reparatur und Wiederaufbereitung, Vorrang haben. Die Vermeidung der Verwendung gefährlicher Chemikalien und die Begrenzung der Schadstoffemissionen und der Freisetzung von Mikroplastik in allen Phasen des Lebenszyklus sollten in die Produktgestaltung einbezogen werden.

Das Design für Kreislaufwirtschaft ist die jüngste Entwicklung im Design für Nachhaltigkeit. Die Ausweitung eines technischen und produktorientierten Fokus auf Veränderungen auf Systemebene (unter Berück-sichtigung von Produktions- und Verbrauchssystemen) zeigt, dass diese jüngste Entwicklung viel mehr Disziplinen erfordert als das traditionelle technische Design. Das Produktdesign als Bestandteil eines kreislauforientierten Geschäftsmodells hängt vom Verbraucherverhalten und den Richtlinien ab, um sein Potenzial auszuschöpfen und seine Umsetzung zu ermöglichen. Abbildung 7 zeigt die Zusammenhänge zwischen dem Kreislaufwirtschaftsmodell, dem Produktdesign, dem Verbraucherverhalten und den Richtlinien. Sie alle sind notwendig, um den Zyklus zu verlangsamen und zu schließen, damit er kreislauffähig wird.

Quelle:

Europäische Umweltagentur
Übersetzung durch Textination

Foto: pixabay
04.01.2022

EU Projekt: Kreislaufwirtschaft und innovatives Recycling von Textilien

Das dreijährige im Rahmen des Programms Horizon 2020 EU-finanzierte Projekt SCIRT steht für "System Circularity & Innovative Recycling of Textiles" und wird von VITO, einer unabhängigen flämischen Forschungsorganisation im Bereich Cleantech und nachhaltige Entwicklung, koordiniert.

Ziel des Projekts ist die Darstellung eines vollständigen Textil-zu-Textil-Recyclingsystems für ausrangierte Kleidung - oder Post-Consumer-Textilien - unter Einbeziehung aller Akteure der Wertschöpfungskette und mit Schwerpunkt auf dem Recycling von Naturfasern, Kunstfasern und Fasermischungen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich das Projekt vier Hauptziele gesetzt.

Das dreijährige im Rahmen des Programms Horizon 2020 EU-finanzierte Projekt SCIRT steht für "System Circularity & Innovative Recycling of Textiles" und wird von VITO, einer unabhängigen flämischen Forschungsorganisation im Bereich Cleantech und nachhaltige Entwicklung, koordiniert.

Ziel des Projekts ist die Darstellung eines vollständigen Textil-zu-Textil-Recyclingsystems für ausrangierte Kleidung - oder Post-Consumer-Textilien - unter Einbeziehung aller Akteure der Wertschöpfungskette und mit Schwerpunkt auf dem Recycling von Naturfasern, Kunstfasern und Fasermischungen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich das Projekt vier Hauptziele gesetzt.

  • Bereitstellung einer geschlossenen Recyclinglösung für Alttextilien.
  • Anregung und Förderung eines bewussten Designs und einer bewussten Produktionspraxis.
  • Schaffung neuer Geschäftsmöglichkeiten durch Förderung der textilen Wertschöpfungskette.
  • Bewusstsein für die ökologischen und sozialen Auswirkungen des Kleidungskaufs schaffen.

Das Projekt SCIRT, an dem 18 Partner aus fünf Ländern beteiligt sind, wurde Mitte 2021 virtuell gestartet, um das Problem des Abfalls und der Wiederverwertbarkeit von Kleidungsstücken anzugehen, eine der größten Herausforderungen für die Modeindustrie von heute.

Während sich Bekleidungsmarken ehrgeizige Ziele setzen und versprechen, recycelte Fasern in ihre Produkte einzubauen, stapeln sich die ausrangierten Textilien rund um den Globus in Hülle und Fülle. Obwohl es so den Anschein hat, dass Angebot und Nachfrage für diesen Teil der Kreislaufwirtschaft im Einklang stehen, werden laut einem 2017 veröffentlichten Bericht der Ellen MacArthur Foundation weniger als 1 % des Textilabfalls zu neuen Textilfasern recycelt. Dieser winzige Prozentsatz deutet auf ein größeres Problem hin: Die Verwirklichung der Kreislaufwirtschaft in der Modeindustrie ist nicht nur eine Frage von Angebot und Nachfrage, sondern der Verbindung zwischen beiden. Es mangelt an Wissen über die technologische, wirtschaftliche und ökologische Machbarkeit des Recyclings von Fasermischungen, und es besteht die Notwendigkeit, die Qualität und die Kosten von Recyclingprozessen mit den Anforderungen von Textilunternehmen und Modemarken in Einklang zu bringen.

SCIRT wird Lösungen entwickeln, um systemische Innovationen für ein stärker kreislauforientiertes Bekleidungssystem zu unterstützen und diese Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen. Um die Nachfrageseite der Gleichung anzugehen, wird SCIRT ein umfassendes Textil-zu-Textil-Recycling-System für aus-rangierte Kleidung, auch bekannt als Post-Consumer-Textilien, demonstrieren, das die Akteure der gesamten Wertschöpfungskette einbezieht und sich auf das Recycling von Natur- und Kunstfasern sowie Fasermischungen konzentriert. Mit Unterstützung von technischen Partnern und Forschungsinstituten werden die Bekleidungsmarken Decathlon, Petit Bateau, Bel & Bo, HNST und Xandres sechs verschiedene repräsentative Kleidungsstücke aus recycelten Post-Consumer-Fasern entwickeln, prototypisieren und produzieren. Dazu gehören formelle und legere Kleidung, Sportbekleidung, Unterwäsche und Uniformen. Dabei wird SCIRT den Schwerpunkt auf Qualität und Kosteneffizienz legen, um das Vertrauen des Marktes zu gewinnen und die breite Verwendung von Post-Consumer-Recyclingfasern zu fördern.

Aus einer nichttechnologischen Perspektive wird SCIRT unterstützende strategische Maßnahmen und Instrumente entwickeln, um den Übergang zu einem Kreislaufsystem für Bekleidung zu erleichtern. Dazu gehören ein Konzept für ein ökologisch moduliertes System der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) und ein True-Cost-Modell zur Quantifizierung der Kreislaufwirtschaft und zur Erhöhung der Transparenz der Wertschöpfungskette. Besondere Aufmerksamkeit wird auch der Verbraucherperspektive gewidmet. Zu diesem Zweck werden Citizen Labs, die Verbraucher an verschiedenen europäischen Standorten einbeziehen, sowie eine breitere Online-Engagement-Plattform entwickelt, um die Bevölkerung während des gesamten Projekts einzubeziehen, um so die Wahrnehmungen, Motivationen und Emotionen zu verstehen, die ihr Verhalten in Bezug auf den Kauf, die Nutzung und die Entsorgung von Textilien bestimmen.

In den nächsten drei Jahren werden die SCIRT-Projektpartner daran arbeiten, die derzeitigen technologischen, wirtschaftlichen, sozioökonomischen und regulatorischen Hindernisse für das Textilrecycling zu überwinden, um eine echte, dauerhafte Kreislaufwirtschaft für die Bekleidungsindustrie zu schaffen.

2021:
Das SCIRT-Projekt läuft an, und die Partner ermitteln den aktuellen Stand in den Bereichen Bekleidungsdesign, -produktion und -recycling, Herausforderungen und Markttrends sowie die Bedürfnisse der Interessengruppen.

2022:
Entwicklung und Erprobung eines Faser-zu-Faser-Systems zur Herstellung recycelter Garne und Fasern, die frei von schädlichen Substanzen sind.

2023:
Formelle Kleidung, Freizeitkleidung, Sportbekleidung, Unterwäsche und Uniformen werden unter Einsatz der entwickelten optimierten Garne entworfen und hergestellt.

Partners

  • Modeunternehmen: Bel&Bo, HNST, Decathlon, Xandres, Petit Bateau
  • Forschungseinrichtungen: VITO, CETI, Prospex Institute
  • Universitäten: BOKU, TU Wien, ESTIA
  • Akteure der Branche: Altex, AVS Spinning - A European Spinning Group (ESG) Company, Valvan
  • KMUs: Circular.fashion, FFact
  • Non-profit Organisationen: Flanders DC, IID-SII

 

ALTEX
ALTEX ist ein in Deutschland ansässiges Textilrecyclingunternehmen, das mit Hilfe modernster Maschinen Textilabfälle zu neuen, hochwertigen Produkten recycelt. Zu den Produkten gehören unter anderem Reißfasern, Naturfasern, Kunstfasern und Fasermischungen.

Bel & Bo
Bel&Bo ist ein belgisches Familienunternehmen mit rund 95 Einzelhandelsgeschäften in ganz Belgien. Sein Ziel ist es, farbenfrohe, modische und nachhaltig produzierte Kleidung für Männer, Frauen und Kinder zu einem erschwinglichen Preis anzubieten.

CETI
Das Europäische Zentrum für innovative Textilien (CETI) ist eine gemeinnützige Organisation, die sich der Entwicklung, Erprobung und Prototypisierung innovativer textiler Materialien und Produkte durch private und gemeinschaftliche Forschungs- und Entwicklungsprojekte widmet.

circular.fashion
circular.fashion bietet Software für Kreislauf-Design, intelligente Textilsortierung und Kreislauf-Recycling, einschließlich der Circular Design Software und der circularity.ID®, sowie Schulungen und praktische Unterstützung für Modemarken an.

Decathlon
Mit mehr als 315 Geschäften in Frankreich und 1.511 auf der ganzen Welt ist Decathlon seit 1976 ein innovatives Unternehmen, das sich zum Hauptakteur für sportliche Menschen entwickelt hat. Das Unternehmen setzt sich für die Reduzierung der Umweltauswirkungen durch eine Reihe von Maßnahmen ein.

ESG
Die European Spinning Group (ESG) ist ein Textilkonzern mit Sitz in Belgien, der eine Reihe von Garnen anbietet, die mit einer hochtechnologischen Open-End-Spinnerei für verschiedene Anwendungen hergestellt werden, z. B. für Heimtextilien, Mode und technische Textilien.

ESTIA
ESTIA ist ein französi-sches Institut, das seit 20 Jahren Aus- und Weiterbildungen im Bereich der industriellen Technologien anbietet. Seit 2017 hat ESTIA ein Programm, das sich auf neue Materialien und disruptive Prozesse in der Mode- und Textilindustrie konzentriert.

FFACT
FFact ist eine Gruppe von Unternehmensberatern, die die Umsetzung von Nachhaltigkeit aus unternehmerischer Sicht erleichtert und Fakten in nützliche Managementinformationen umsetzt. FFact hat seinen Sitz in den Niederlanden und Belgien.

Flanders DC
Die Flanders District of Creativity, eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Belgien, informiert, coacht, fördert und inspiriert kreative Unternehmer in verschiedenen Branchen, einschließlich der Modeindustrie, die ihr Unternehmen aufbauen oder erweitern möchten.

HNST
HNST ist eine belgische Circular-Denim-Marke, die gebrauchte Jeans zurückgewinnt und in der EU zu neuen Stoffen recycelt. So entstehen haltbare und zu 100 % recycelbare Jeans, die 82 % weniger Wasser verbrauchen und 76 % weniger Kohlendioxid ausstoßen als herkömmliche Jeans.

Petit Bateau
Petit Bateau ist eine französische Bekleidungsmarke, die sich auf Strickwaren spezialisiert hat. Als vertikales Unternehmen führt Petit Bateau sein eigenes Stricken, Färben, Konfektionieren und Ladenmanagement mit der Unterstützung von 3.000 Mitarbeitern durch.

Prospex Institute
Das Prospex-Institut hat sich zum Ziel gesetzt, die Beteiligung von Bürgern und Interessenvertretern an einem gesellschaftlich relevanten Entscheidungsdialog und an der Entwicklung zu fördern, indem es mit Theoretikern und Praktikern in Belgien und im Ausland zusammenarbeitet.

IID-SII
Das Institut für nachhaltige Innovation ist ein französischer gemeinnütziger Verband mit Sitz in Paris. Das IID-SII wurde von LGI, einem französischen KMU, initiiert und hat die Aufgabe, als Denkfabrik für nachhaltige Innovationen zu fungieren, um die Einführung neuer Lösungen zu unterstützen.

TU Wien
Die TU Wien ist eine offene wissenschaftliche Einrichtung, an der seit 200 Jahren unter dem Motto "Technik für Menschen" geforscht, gelehrt und gelernt wird. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte liegt in den Bereichen Recyclingtechnologie und Faserinnovation

BOKU
Die Forschung am Institut für Umweltbiotechnologie der BOKU in Wien konzentriert sich auf die Nutzung von Enzymen als leistungsstarke Biokatalysatoren für die Verarbeitung von Biomaterialien im Rahmen von Recyclinganwendungen.

Valvan
Valvan Baling Systems verfügt über 30 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und dem Bau von maßgeschneiderten Maschinen und ist spezialisiert auf Ballenpressen und Sortieranlagen für Faserhersteller, Sammler, Sortierer und Recycler von Textilien.

VITO
VITO, eine führende unabhängige europäische Forschungs- und Technologieorganisation in den Bereichen Cleantech und nachhaltige Entwicklung, zielt darauf ab, den Übergang zu einer nachhaltigen Gesellschaft durch die Entwicklung nachhaltiger Technologien zu beschleunigen.

Xandres
Xandres ist eine Marke, die von und für Frauen inspiriert ist. Sie ist in einer hoch angesehenen Modetradition verwurzelt, von Qualität getrieben und für das Leben, das Frauen heute führen, geschaffen. Xandres bietet innovative Designs mit Rücksicht auf Luxus und Umwelt.

(c) nova-Institut GmbH
07.12.2021

Finalisten für „Cellulose Fibre Innovation of the Year 2022” stehen fest

Zellulosefaser-Innovation des Jahres 2022: Zellulosefaser-Lösungen erweitern sich von Hygieneartikeln und Textilien sowie Vliesstoffen bis hin zu Alternativen für Carbonfasern für Leichtbauanwendungen.

Die Auswahl der Finalisten für den Innovationspreis war aufgrund der hochklassigen Einreichungen eine Herausforderung: Alle bieten vielversprechende nachhaltige Lösungen für die Wertschöpfungskette von Zellulosefasern. Sechs von ihnen erhalten die Chance, ihr Potenzial einem breiten Publikum vor Ort in Köln und Online zu demonstrieren.

Zellulosefaser-Innovation des Jahres 2022: Zellulosefaser-Lösungen erweitern sich von Hygieneartikeln und Textilien sowie Vliesstoffen bis hin zu Alternativen für Carbonfasern für Leichtbauanwendungen.

Die Auswahl der Finalisten für den Innovationspreis war aufgrund der hochklassigen Einreichungen eine Herausforderung: Alle bieten vielversprechende nachhaltige Lösungen für die Wertschöpfungskette von Zellulosefasern. Sechs von ihnen erhalten die Chance, ihr Potenzial einem breiten Publikum vor Ort in Köln und Online zu demonstrieren.

Das nova-Institut kürt zum zweiten Mal die „Cellulose Fibre Innovation of the Year“ im Rahmen der „International Conference on Cellulose Fibres 2022“ (2.-3. Februar 2022). Der Konferenzbeirat hat sechs Produkte nominiert, von Zellulose aus Orangen- und Holzzellstoff bis hin zu einer neuartigen Technologie zur Zellulosefaserherstellung. Die Präsentationen der Kandidaten, die Wahl des Gewinners durch das Konferenzpublikum und die Preisverleihung finden am ersten Tag der Konferenz statt.

Zellulosefasern weisen ein immer breiteres Anwendungsspektrum auf, während die Märkte gleichzeitig durch technologische Entwicklungen und politische Rahmenbedingungen, insbesondere Verbote und Beschränkungen für Kunststoffe und steigende Nachhaltigkeitsanforderungen, bewegt werden. Die Konferenz bietet einen ausführlichen Überblick über die Perspektiven für Zellulosefasern durch eine Einschätzung der politischen Rahmenbedingungen, eine Session zu Nachhaltigkeit, Recycling und alternativen Rohstoffen sowie Informationen zu den neuesten Entwicklungen in Zellstoff, Zellulosefasern und Garne. Dazu gehören Anwendungen wie Vliesstoffe, Verpackungen und Verbundwerkstoffe.

Das sind die Nominierten:
Kohlenstofffasern aus Holz - Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (Deutschland)
Die HighPerCellCarbon®-Technologie ist ein nachhaltiges und alternatives Verfahren zur Herstellung von Kohlenstofffasern aus Holz. Die Technologie beginnt mit dem Nassspinnen von Zellulosefasern unter Verwendung ionischer Flüssigkeiten (IL) als direktes Lösungsmittel in einem umweltfreundlichen, geschlossenen Filamentspinnverfahren (HighPerCell®-Technologie). Diese Filamente werden durch einen Niederdruck-Stabilisierungsprozess direkt in Kohlenstofffasern umgewandelt, gefolgt von einem geeigneten Karbonisierungsprozess. Während des gesamten Prozesses entstehen keine Abgase oder giftige Nebenprodukte. Darüber hinaus ermöglicht das Verfahren ein vollständiges Recycling von Lösungsmittel und Vorläuferfasern, wodurch ein einzigartiger und umweltfreundlicher Prozess entsteht. Kohlenstofffasern werden in vielen Leichtbauanwendungen eingesetzt und sind eine nachhaltige Alternative zu Fasern auf fossiler Basis.

Fibers365, Wirklich kohlenstoffnegative Frischfasern aus Stroh – Fibers365 (Deutschland)
Fibers365 sind die ersten kohlenstoffnegativen Fasern aus frischem Stroh auf dem Markt. Das Fibers365-Konzept basiert auf einem einzigartigen, hochmodernen Verfahren zur Herstellung funktioneller, kohlenstoffnegativer und wettbewerbsfähiger Nichtholz-Biomasseprodukte wie Frischfasern für Papier- Verpackungs- und Textilzwecke sowie hochwertige Prozessenergie-, Biopolymer- und Düngemittel-Nebenströme. Die Produkte werden aus den Stängeln einjähriger Nahrungspflanzen wie Stroh durch eine chemikalienfreie, regionale, bäuerliche Dampfexplosionsauflösungstechnologie gewonnen, die eine einfache Trennung der Fasern von Zucker, Lignin, organischer Säure und Mineralien ermöglicht. Bei einjährigen Pflanzen werden die CO2-Emissionen innerhalb von 12 Monaten nach dem Produktionsdatum zurückgewonnen, so dass ein sofortiger jährlicher Ausgleich der entsprechenden Emissionen möglich ist.

Iroony® Hanf- und Flachszellulose – RBX Créations (Frankreich)
Iroony® ist eine Marken-Zellulose, die von RBX Créations aus Hanf hergestellt wird. Die widerstandsfähige Hanfpflanze wächst schnell innerhalb weniger Monate, bindet massiv Kohlenstoff und weist einen hohen Zellulosegehalt auf. Die Biomasse wird direkt von französischen Landwirten geerntet, die sie ohne Chemikalien und Bewässerung in ausgedehnten Rotationszyklen anbauen und so zur Regeneration des Bodens und zur Artenvielfalt beitragen. Für ein diversifiziertes Angebot kann der Hanf mit biologisch angebautem Flachs kombiniert werden. Durch sein patentiertes Verfahren gewinnt RBX Créations hochreine Zellulose, die sich perfekt für Spinntechnologien wie HighPerCell® des DITF-Forschungszentrums eignet. Die daraus gewonnenen Fasern weisen vielseitige Eigenschaften wie Feinheit, Festigkeit und Dehnbarkeit auf und eignen sich für Anwendungen wie Bekleidung oder technische Textilien. Iroony® vereint geringe Umweltauswirkungen, Nachverfolgbarkeit und Leistung.

SPINNOVA, Nachhaltige Textilfasern ohne schädliche Chemikalien – Spinnova (Finnland)
Die innovative Technologie von Spinnova ermöglicht die Herstellung nachhaltiger Textilfasern in einem mechanischen Verfahren, ohne Auflösen oder schädliche Chemikalien. Das Verfahren umfasst die Verwendung von Zellstoff in Papierqualität und die mechanische Raffination zur Herstellung mikrofibrillierter Zellulose (MFC). Die aus MFC bestehende Fasersuspension wird ohne Regenerationsverfahren zu Textilfasern extrudiert. Beim Spinnova-Verfahren fallen keine Nebenabfälle an, und der ökologische Fußabdruck von SPINNOVA® umfasst 65 % weniger CO2-Emissionen und 99 % weniger Wasser im Vergleich zur Baumwollproduktion. Die Lösung von Spinnova ist außerdem skalierbar: Spinnova strebt an, in den nächsten 10 bis 12 Jahren eine jährliche Produktionskapazität von 1 Million Tonnen zu erreichen.

Nachhaltige Menstruationsunterwäsche: Anwendungsorientierte Funktionalisierung von Fasern – Kelheim Fibres (Deutschland)
Die pflanzlichen und biologisch abbaubaren Fasern von Kelheim leisten einen wichtigen Beitrag für eine nachhaltige Zukunft im Bereich der wiederverwendbaren Hygienetextilien. Durch innovative Funktionalisierung werden sie gezielt auf die Anforderungen der einzelnen Lagen abgestimmt und erreichen dadurch eine vergleichbare Leistungsfähigkeit wie synthetische Fasern. Es entsteht eine einzigartige Dualität in der Fasertechnologie: nachhaltig hergestellte Zellulosefasern, die einen hohen Tragekomfort und Wiederverwendbarkeit bei außergewöhnlicher, langlebiger Leistung ermöglichen. Die Faserkonzepte umfassen Celliant® Viscose, eine faserinterne Infrarotlösung und Danufil®-Fasern in der Oberschicht, Galaxy, eine trilobale Faser für die ADL, Bramante, eine Viskosehohlfaser, im absorbierenden Kern und ein wasserabweisendes Gewebe, eine biologisch abbaubare PLA-Folie oder eine nachhaltige Beschichtung als Unterschicht.

Lyocellfaser der Marke TENCEL™ aus Orangen- und Holzzellstoff – Orange Fiber (Italien)
Orange Fiber ist das weltweit erste Unternehmen, das eine nachhaltige Textilfaser aus einem patentierten Verfahren zur Gewinnung von Zellulose herstellt, die aus den Resten von Zitrusfrüchten gesponnen wird, von denen allein in Italien mehr als 1 Million Tonnen pro Jahr anfallen. Das Ergebnis der Partnerschaft mit der Lenzing Gruppe, dem weltweit führenden Hersteller von Spezialfasern auf Holzbasis, ist die erste Lyocellfaser der Marke TENCEL™, die aus Orangen- und Holzzellstoff hergestellt wird. Eine neuartige Zellulosefaser, die die Nachhaltigkeit in der gesamten Wertschöpfungskette weiter vorantreibt und die Grenzen der Innovation verschiebt. Diese Faser, die Teil der TENCEL™ Limited Edition Initiative ist, zeichnet sich durch eine weiche Anmutung und eine hohe Feuchtigkeitsaufnahme aus. Sie hat bereits das OEKO-TEX Standard 100 Zertifikat erhalten und wird derzeit einer Reihe weiterer Nachhaltigkeitsbewertungen unterzogen.

30.11.2021

Initiative für mehr Resilienz: Fraunhofer präsentiert White Paper »RESYST«

Vor dem Hintergrund aktueller Krisen wie der Corona-Pandemie oder der Hochwasserkatastrophe des Sommers 2021 wird deutlich: Krisen, die auf unzureichend resiliente Wertschöpfungsketten treffen, können dramatische Auswirkungen auf Unternehmen und sogar ganze Volkswirtschaften haben. Mit dem White Paper »RESYST« stellen 17 Fraunhofer-Institute eine Analyse aller Faktoren und Bedingungen für Resilienz vor und geben praktische Handlungsempfehlungen. Das Fazit der Forschenden: Wer nachhaltige Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz einführt, bleibt selbst in Krisen innovativ und erfolgreich.

Die Folgen der Corona-Pandemie haben auch die deutsche Wirtschaft stark getroffen. Viele Branchen melden Lieferschwierigkeiten, allen voran die Autoindustrie, aber auch die Baubranche, Möbelhersteller, die Papierindustrie und Fahrradhersteller – sogar Spielwaren sind knapp.

Vor dem Hintergrund aktueller Krisen wie der Corona-Pandemie oder der Hochwasserkatastrophe des Sommers 2021 wird deutlich: Krisen, die auf unzureichend resiliente Wertschöpfungsketten treffen, können dramatische Auswirkungen auf Unternehmen und sogar ganze Volkswirtschaften haben. Mit dem White Paper »RESYST« stellen 17 Fraunhofer-Institute eine Analyse aller Faktoren und Bedingungen für Resilienz vor und geben praktische Handlungsempfehlungen. Das Fazit der Forschenden: Wer nachhaltige Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz einführt, bleibt selbst in Krisen innovativ und erfolgreich.

Die Folgen der Corona-Pandemie haben auch die deutsche Wirtschaft stark getroffen. Viele Branchen melden Lieferschwierigkeiten, allen voran die Autoindustrie, aber auch die Baubranche, Möbelhersteller, die Papierindustrie und Fahrradhersteller – sogar Spielwaren sind knapp.

Die Industrie sollte die dramatischen Lieferengpässe zum Anlass nehmen, ihre Fähigkeit zur Resilienz zu überprüfen und zukunftsorientierte Maßnahmen zu planen. Hier setzt das White Paper »RESYST Resiliente Wertschöpfung in der produzierenden Industrie – innovativ, erfolgreich, krisenfest« an. 17 Fraunhofer-Institute des Fraunhofer-Verbunds Produktion bringen ihre langjährigen, umfassenden Erfahrungen und aktuellen Forschungsergebnisse ein. Die Autorinnen und Autoren wenden sich dabei nicht nur an ein Fachpublikum, sie wollen ihre Erkenntnisse auch einer breiten Öffentlichkeit aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik nahebringen.    

Reaktion auf Krisen und unerwartete Störfälle
Das White Paper untersucht die Auswirkungen unerwarteter Störfälle und plötzlich hereinbrechender Krisen auf Unternehmen und diskutiert Maßnahmen und Weichenstellungen, die auf den Ebenen der Unternehmen, des Wertschöpfungssystems oder der Politik getroffen werden können, um die Resilienz deutlich zu erhöhen. Wesentliche Faktoren sind dabei unter anderem Qualifikation und Motivation der Mitarbeitenden, der Aufbau alternativer Prozessketten oder eine schnellere Zertifizierung von Produkten und Prozessen durch die zuständigen Institutionen. Darüber hinaus sollten sich staatliche Unterstützungsleistungen nicht punktuell auf einzelne Branchen oder Unternehmen fokussieren, sondern ganze Wertschöpfungssysteme in den Blick nehmen.

»Von internationalen Handelskonflikten über die Auswirkungen des Klimawandels bis hin zur Corona-Pandemie – die vergangenen Jahre haben gezeigt: Resilienz ist eine tragende Säule für eine funktionierenden Wirtschaft, insbesondere der produzierenden Industrie,« sagt Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. »Die deutsche Wirtschaft steht heute vor enormen Herausforderungen. Sie muss innovative Technologien im Kampf gegen den Klimawandel auf den Markt bringen und ihre technologische Souveränität im globalen Wettbewerb ausbauen. Das White Paper »RESYST« vertieft das Verständnis für eine resiliente Wertschöpfung und bietet produzierenden Unternehmen praxisnahes Know-how zur Steigerung ihrer Resilienz und damit langfristiger Erfolgssicherung.«

Prof. Holger Kohl, stellvertretender Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK und Koordinator des White Papers zum Forschungsprojekt RESYST, ergänzt: »Das Thema Resilienz wird immer noch unterschätzt. Unser White Paper will das Bewusstsein für dieses komplexe Thema schärfen, damit die Verantwortlichen der produzierenden Industrie frühzeitig Maßnahmen zur dringend notwendigen Verbesserung der Resilienz ergreifen. Eine zentrale Erkenntnis von RE-SYST ist dabei, dass eine sorgfältige Analyse der internen Geschäftsprozesse, Strukturen und oftmals versteckten Abhängigkeiten grundlegend für den erfolgreichen Aufbau resilienter Wertschöpfungssysteme ist.«
 
Rahmenmodell für resiliente Wertschöpfung

Das White Paper stellt erstmals das »Rahmenmodell für Resiliente Wertschöpfung« vor, das die Fraunhofer-Forschenden institutsübergreifend gemeinsam entwickelt haben. »Das Rahmenmodell bildet ein durchgängiges Gerüst, das alle relevanten Aspekte der Resilienz adressiert, sie miteinander vernetzt und mit handlungsorientierten Lösungsbausteinen verknüpft«, erläutert Kohl. Das gibt Unternehmen die Möglichkeit, die strategisch angelegten Resilienz-Ziele nahtlos mit den Erfordernissen des Tagesgeschäfts zu verbinden. Die »RESYST«-Autoren begnügen sich nicht mit theoretischen Erörterungen. Das Rahmenmodell und die Analysen werden mit praktischen Handlungsempfehlungen, konkreten Beispielen und einer Reihe von Case Studies anschaulich gemacht.
 
Die Forschenden der Fraunhofer-Gesellschaft senden mit ihrem White Paper »RESYST« aber auch eine optimistische Botschaft aus. »Resilienz ist mehr als nur Krisenvorsorge, vielmehr hilft sie auch jenseits von Krisen innovativ und agil zu bleiben. Denn intakte und resiliente Wertschöpfungssysteme sind essenziell für den Wirtschaftsstandort Deutschland«, sagt Holger Kohl.

Das White Paper »RESYST« steht in einer Printversion und als kostenloser Download im PDF-Format zur Verfügung.

(c) Messe Frankfurt Exhibition GmbH / Jens Liebchen
31.08.2021

Textilservice als Schlüssel zu nachhaltigen Lösungen und umweltfreundlichen Verfahren

Wie können die großen Herausforderungen der Nachhaltigkeit in der Textilindustrie bewältigt werden? Dem Textilservice, dessen Geschäftsmodell seit jeher auf Langlebigkeit und Wiederverwendung beruht, kommt hier eine wichtige Rolle als Botschafter zu. Im Vorfeld der Texcare International spricht Elena Lai, Generalsekretärin der European Textile Services Association (ETSA), über diese Herausforderungen und ihre Erwartungen an die Texcare International vom 27. November bis 1. Dezember 2021.

Wie können die großen Herausforderungen der Nachhaltigkeit in der Textilindustrie bewältigt werden? Dem Textilservice, dessen Geschäftsmodell seit jeher auf Langlebigkeit und Wiederverwendung beruht, kommt hier eine wichtige Rolle als Botschafter zu. Im Vorfeld der Texcare International spricht Elena Lai, Generalsekretärin der European Textile Services Association (ETSA), über diese Herausforderungen und ihre Erwartungen an die Texcare International vom 27. November bis 1. Dezember 2021.

Der Textilsektor wurde im Rahmen des europäischen Green Deal und des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft als vorrangiger Sektor eingestuft. Welche Auswirkungen hat das auf die europäische Textilservicebranche?
Elena Lai: Wir befinden uns in einer wahrhaft historischen und spannenden Zeit für den Textilservice. Wir sind uns alle bewusst, dass unsere Branche der Schlüssel zu nachhaltigen Lösungen und umweltfreundlichen Verfahren ist. Wir hatten eine Reihe von Webinaren bei ETSA, die sich mit Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft als Schlüsselelemente des Green Deal befassten. Unsere größeren Unternehmen, wie z. B. industrielle Wäschereien, wichtige Textilhersteller und innovative Maschinenbauer, sind alle dieser Aufgabe gewachsen und bieten effektive Lösungen an. Auch unsere nationalen Verbände, die Mitglieder von ETSA sind, arbeiten synergetisch zusammen, um sich über die besten Wege auszutauschen, in Europa und darüber hinaus, da wir auch Partner aus den USA haben. Diese Bemühungen innerhalb der ETSA-Wertschöpfungskette machen uns wirklich stolz und wir sind bestrebt, die Extrameile zu gehen und unsere Mitglieder auch in den Bereichen zu unterstützen, die uns als die größten Herausforderungen erscheinen. Zum Beispiel das neue EUKlimagesetz, das eine 55-prozentige CO2-Reduzierung bis 2030 fordert: Das bedeutet, dass alle europäischen Industrien mehr tun müssen, damit wir diese Ziele in weniger als neun Jahren erreichen. Wir wissen, dass ETSA das richtige Netzwerk sein könnte, um den besten Weg in dieser Frage zu finden und wirklich das zu leisten, wofür die EU eintritt.

Wie kann der Textilservice zur Verwirklichung der Kreislaufwirtschaft in der Textilindustrie beitragen?
Elena Lai: Das Geschäftsmodell des Textilservice ist von Natur aus kreislauforientiert. Ein Geschäftsmodell, das sich auf die Vermietung und Wiederverwendung von Textilien konzentriert, bietet eine ganze Reihe von Vorteilen für den EU-Aktionsplan der Kreislaufwirtschaft. Erstens verlängern Textilserviceunternehmen durch die Vermietung den Lebenszyklus von Produkten und reduzieren so die Menge der Textilien, die überhaupt erst anfallen. Gleichzeitig verringern sie Abwasser und Energie, die für den Waschprozess benötigt werden. Zweitens bleiben Textilprodukte durch Wiederverwendung und Reparatur länger in den Händen der Verbraucher. Das ist von größter Bedeutung, da unsere Branche gegen die geplante Obsoleszenz kämpft. Beides sind wichtige Pfeiler unserer Industrie, die sowohl den Verbrauchern als auch dem Planeten helfen. Und schließlich können wir durch den weiteren Ausbau von Recycling und Upcycling die Abfallmenge minimieren und sicherstellen, dass ein Produkt so lange wie möglich in der europäischen Wirtschaft bleibt. Dies sind alles wichtige Schritte, mit denen wir unseren Teil dazu beitragen, dass Europa seine Emissions- und Nachhaltigkeitsziele erreichen kann.

Textilrecycling ist ein sehr wichtiger Punkt. Wie kann Ihrer Meinung nach die Textilrecyclingrate erhöht werden?
Elena Lai:
Die Kommission wird die getrennte Abfallsortierung von Textilien bis zum Jahr 2025 vorschreiben. Daher müssen Recycling, Upcycling und Wiederverwendung am Ende des Lebenszyklus verbessert werden. In Kürze wird auch ein Verbot der Verbrennung unbenutzter Textilien in Kraft treten, was Anreize für weiteres Recycling und Abfallreduzierung schaffen wird. Grundsätzlich müssen wir im Bereich des Textilservice weiterhin reduzieren, wiederverwenden und recyceln. Wir können die Recyclingquote erhöhen, indem wir die Verbraucher für Miettextilien und Textildienstleistungen sensibilisieren, und so die öffentliche Nachfrage nach diesen Dienstleistungen steigern.

Wie kann die Nachhaltigkeit im Textilservice weiter verbessert werden?
Elena Lai:
Um die Nachhaltigkeit in unserer Branche zu fördern, müssen wir auf der bestehenden Kultur der Innovation und des Unternehmertums aufbauen, in der spannende, neue und unkonventionelle Ideen entwickelt und verfeinert werden können. EU-Programme wie Horizon Europe, die den Schwerpunkt auf grüne und digitale Lösungen für gemeinsame Probleme legen, sind ein ausgezeichneter Weg. Sie befähigen Bürger, Textildienstleister und lokale Gemeinschaften, die Initiative zu ergreifen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Die EU-Rechtsvorschriften zur Sorgfaltspflicht sind ein Beispiel dafür, wie sowohl Verbraucher als auch Unternehmen zusammenkommen und proaktiv handeln können, um die Nachhaltigkeit zu verbessern, nicht nur bei Textilien und Textildienstleistungen, sondern in der europäischen Industrie im weiteren Sinne. Um es deutlich zu sagen: Wir müssen sowohl unsere technologische Innovation stärken als auch Verbraucher, lokale Gemeinschaften und Textilserviceunternehmen ermutigen. Wir glauben, dass unsere Arbeit auf EU-Ebene dazu beiträgt, dies zu verwirklichen.

Wie fördert ETSA neue Projekte im Bereich der Nachhaltigkeit?
Elena Lai: Wir von ETSA haben uns bei den politischen Entscheidungsträgern der EU intensiv für eine verantwortungsvolle Gesetzgebung eingesetzt und gleichzeitig die Öffentlichkeit für die Erfolgsmodelle der Branche sensibilisiert. Seit kurzem ist ETSA auch Botschafter des Klimapaktes der EU-Kommission. Dies ist eine tolle Gelegenheit, die es uns ermöglicht, eng mit europäischen Institutionen zusammenzuarbeiten, um unsere Mitglieder, nationale Verbände und die Industrie insgesamt zu informieren und zu echten Klimaschutzmaßnahmen zu inspirieren. ETSA ist eine Plattform, auf der Interessenvertreter, Bürger, Industrie und Vertreter der Europäischen Union zusammenkommen und einen Dialog über die besten Möglichkeiten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit Europas führen können. Darüber hinaus haben wir intensiv daran gearbeitet, Informationen über Erfolgskonzepte zu verbreiten, die Europa dabei helfen werden, die CO2-Emissionen um 55 % zu reduzieren. Außerdem informieren wir über Chemikalien, Abwasser, Mikroplastik und andere wichtige Umweltthemen. Unsere Arbeit ist noch lange nicht getan, aber wir freuen uns darauf, mit unserer fokussierten Arbeitsgruppe für Umwelt und unseren Webinaren voranzukommen, um die Welt wieder grün und nachhaltig zu machen.

Welche Rolle wird Nachhaltigkeit und Circular Economy auf der Texcare spielen?
Elena Lai: Mehrere europäische und internationale Staats- und Regierungschefs haben betont, dass der Klimawandel das wichtigste Thema unserer Zeit ist und dass wir jetzt handeln müssen. Der Klimawandel ist auch ein Thema mit globaler Ausstrahlung und daher haben wir alle einen klaren Anreiz, Lösungen zu finden und miteinander zu arbeiten. Wir brauchen einen zukunftsorientierten Dialog, der die dringende Notwendigkeit von Nachhaltigkeit entlang der gesamten textilen Wertschöpfungskette betrachtet. Wir arbeiten mit einem unserer Mitglieder, dem Deutschen Textilreinigungs-Verband, daran, auf der Texcare ein Panel zusammenzustellen, das sich der Nachhaltigkeitsdebatte widmet, mit vielen Mitgliedern und Teilnehmern, die sich engagieren möchten.

Was erwarten die Mitglieder der ETSA von der diesjährigen Texcare?
Elena Lai: Wir von ETSA freuen uns, auf der Texcare zu sein. Wir denken, dass dies eine großartige Gelegenheit ist, nicht nur um sich mit anderen relevanten Akteuren der Branche zu vernetzen, sondern auch um sich über Erfolgsmodelle, Anliegen und vor allem Chancen auszutauschen. Aufgrund der Pandemie hatten wir ein schwieriges Jahr 2021. Der Bedarf an grünen, nachhaltigen und digitalen Lösungen ist jedoch zwingend erforderlich. Wir freuen uns darauf, zu erfahren, wie sich die Branche weltweit nicht nur an die COVID-Situation anpasst, sondern auch, wie sie den grünen und digitalen Wandel in Angriff nimmt. Wir von ETSA freuen uns von ganzem Herzen auf diese Veranstaltung.

Die Texcare International findet vom 27. November – 1. Dezember 2021 in Frankfurt am Main statt.

Foto: pixabay
20.07.2021

Pilotprojekt zum Closed-Loop-Recycling von Einweg-Gesichtsmasken

  • Kunststoffe im Kreislauf halten: Fraunhofer, SABIC und Procter & Gamble kooperieren

Der Fraunhofer Cluster of Excellence Circular Plastics Economy CCPE und das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT haben ein innovatives Recyclingverfahren für Altkunststoffe entwickelt. Das Pilotprojekt, an dem auch SABIC und Procter & Gamble beteiligt sind, soll zeigen, dass Einweg-Gesichtsmasken für das sogenannte Closed-Loop-Recycling geeignet sind.

Der Übergang von einer Linear- zu einer Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffproduktion kann dann gelingen, wenn die beteiligten Akteure und Akteurinnen zusammenarbeiten. Der Fraunhofer Cluster of Excellence Circular Plastics Economy CCPE bündelt die Kompetenzen von sechs Fraunhofer-Instituten und setzt auf eine enge Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie.

  • Kunststoffe im Kreislauf halten: Fraunhofer, SABIC und Procter & Gamble kooperieren

Der Fraunhofer Cluster of Excellence Circular Plastics Economy CCPE und das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT haben ein innovatives Recyclingverfahren für Altkunststoffe entwickelt. Das Pilotprojekt, an dem auch SABIC und Procter & Gamble beteiligt sind, soll zeigen, dass Einweg-Gesichtsmasken für das sogenannte Closed-Loop-Recycling geeignet sind.

Der Übergang von einer Linear- zu einer Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffproduktion kann dann gelingen, wenn die beteiligten Akteure und Akteurinnen zusammenarbeiten. Der Fraunhofer Cluster of Excellence Circular Plastics Economy CCPE bündelt die Kompetenzen von sechs Fraunhofer-Instituten und setzt auf eine enge Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie.

Durch den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zählt das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT zu den Vorreitern beim nachhaltigen Umgang mit Energieträgern und Rohstoffen. Gemeinsam mit verschiedenen Partnern und Partnerinnen erforschen und entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Fraunhofer UMSICHT spannende Produkte, Prozesse und Dienstleistungen zum Thema Nachhaltigkeit.  

Das Fraunhofer-Institut UMSICHT, SABIC und Procter & Gamble (P&G) arbeiten im Rahmen eines innovativen Pilotprojekts zur Kreislaufwirtschaft zusammen, das die Möglichkeiten zur Rückführung von Einweg-Gesichtsmasken in den Verwertungskreislauf aufzeigen soll.

Die milliardenfache Verwendung von Einweg-Gesichtsmasken zum Schutz vor dem Coronavirus birgt große Gefahren für die Umwelt, insbesondere wenn die Masken in der Öffentlichkeit, z.B. in Parks, bei Open-Air-Veranstaltungen oder an Stränden, gedankenlos weggeworfen werden. Neben der Herausforderung, eine nachhaltige Lösung für derart große Mengen unverzichtbarer Hygieneartikel zu finden, bedeutet die bloße Entsorgung der gebrauchten Masken auf Mülldeponien oder in Verbrennungsanlagen einen Verlust an wertvollem Rohstoff, mit dem sich neue Materialien herstellen ließen.

»Vor diesem Hintergrund haben wir untersucht, wie gebrauchte Gesichtsmasken wieder zurück in die Wertschöpfungskette der Maskenproduktion gelangen könnten«, so Dr. Peter Dziezok, Director R&D Open Innovation bei P&G. »Doch für eine echte Kreislauflösung, die sowohl nachhaltige als auch wirtschaftliche Kriterien erfüllt, braucht es Partner. Deshalb haben wir uns mit den Expertinnen und Experten vom Fraunhofer CCPE und Fraunhofer UMSICHT sowie den Technologie- und Innovations-Fachleuten von SABIC zusammengetan, um Lösungen zu finden.«

Im Rahmen des Pilotprojekts sammelte P&G an seinen Produktions- und Forschungsstandorten in Deutschland gebrauchte Gesichtsmasken von Mitarbeitenden und Besuchenden ein. Auch wenn diese Masken immer ordnungsgemäß entsorgt werden, fehlte es doch an Möglichkeiten, diese effizient zu recyceln. Um hierbei alternative Herangehensweisen aufzuzeigen, wurden extra dafür vorgesehene Sammelbehälter aufgestellt und die eingesammelten Altmasken an Fraunhofer zur Weiterverarbeitung in einer speziellen Forschungspyrolyseanlage geschickt.

»Einmal-Medizinprodukte wie Gesichtsmasken haben hohe Hygieneanforderungen, sowohl in Bezug auf die Entsorgung als auch hinsichtlich der Produktion. Mechanisches Recycling wäre hier keine Lösung«, erklärt Dr. Alexander Hofmann, Abteilungsleiter Kreislaufwirtschaft am Fraunhofer UMSICHT. »Unser Konzept sieht zunächst die automatische Zerkleinerung und anschließend die thermochemische Umwandlung in Pyrolyseöl vor.

Unter Druck und Hitze wird der Kunststoff bei der Pyrolyse in molekulare Fragmente zerlegt, wodurch unter anderem Rückstände von Schadstoffen oder Krankheitserregern wie dem Coronavirus zerstört werden. Im Anschluss können daraus neuwertige Rohstoffe für die Kunststoffproduktion gewonnen werden, die zudem die Anforderungen an Medizinprodukte erfüllen«, ergänzt Hofmann, der auch Leiter der Forschungsabteilung Advanced Recycling am Fraunhofer CCPE ist.

Das Pyrolyseöl wurde im nächsten Schritt an SABIC weitergereicht, wo es als Ausgangsmaterial für die Herstellung von neuwertigem Polypropylen (PP) zum Einsatz kam. Das Polymer wurde nach dem allgemein anerkannten Massenbilanz-Prinzip hergestellt, bei dem das alternative Ausgangsmaterial im Produktionsprozess mit fossilen Rohstoffen kombiniert wird. Das Massenbilanz-Prinzip gilt als wichtige Brückenlösung zwischen der heutigen Linearwirtschaft und der nachhaltigeren Kreislaufwirtschaft der Zukunft.

»Das in diesem Pilotprojekt gewonnene, hochwertige zirkuläre PP-Polymer zeigt deutlich, dass Closed-Loop-Recycling durch die aktive Zusammenarbeit von Akteuren aus der gesamten Wertschöpfungskette erreicht werden kann«, betont Mark Vester, Global Circular Economy Leader bei SABIC. »Das Kreislaufmaterial ist Teil unseres TRUCIRCLE™-Portfolios, mit dem wertvolle Altkunststoffe wiederverwertet und fossile Ressourcen eingespart werden sollen.«

Mit der abschließenden Lieferung des PP-Polymers an P&G, das dort zu Faservliesstoffen verarbeitet wurde, schloss sich der Kreis. »Durch dieses Pilotprojekt konnten wir besser beurteilen, ob der Kreislaufansatz auch für Kunststoffe, die bei der Herstellung von Hygiene- und Medizinprodukten zum Einsatz kommen, geeignet wäre«, so Hansjörg Reick, Senior Director Open Innovation bei P&G. »Natürlich muss das Verfahren noch verbessert werden. Die bisherigen Ergebnisse sind jedoch durchaus vielversprechend.«

Das gesamte Kreislaufprojekt – von der Einsammlung der Gesichtsmasken bis hin zur Produktion – wurde innerhalb von nur sieben Monaten entwickelt und umgesetzt. Der Einsatz innovativer Recyclingverfahren bei der Verarbeitung anderer Materialien und chemischer Produkte wird im Fraunhofer CCPE weiter erforscht.

Foto: pixabay
06.07.2021

»Waste4Future«: Vom Abfall zum Rohstoff - Kunstoff-Recycling

Fraunhofer Institute ebnen neue Wege

Eine nachhaltige Gesellschaft mit klimaneutralen Prozessen benötigt erhebliche Anpassungen in den Wertschöpfungsketten, die nur durch Innovationen möglich werden. Sieben Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft bündeln im Leitprojekt »Waste4Future« ihre Kompetenzen, um neue Lösungen für dieses Ziel zu entwickeln, von der Rohstoffbasis über die Stoffströme und Verfahrenstechnik bis zum Ende des Lebenszyklus eines Produkts. Insbesondere wollen sie die Energie- und Ressourceneffizienz beim Einsatz von Kunststoffen erhöhen und somit den Weg ebnen für eine Chemieindustrie, die weniger fossile Rohstoffe benötigt und weniger Emissionen verursacht.

Fraunhofer Institute ebnen neue Wege

Eine nachhaltige Gesellschaft mit klimaneutralen Prozessen benötigt erhebliche Anpassungen in den Wertschöpfungsketten, die nur durch Innovationen möglich werden. Sieben Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft bündeln im Leitprojekt »Waste4Future« ihre Kompetenzen, um neue Lösungen für dieses Ziel zu entwickeln, von der Rohstoffbasis über die Stoffströme und Verfahrenstechnik bis zum Ende des Lebenszyklus eines Produkts. Insbesondere wollen sie die Energie- und Ressourceneffizienz beim Einsatz von Kunststoffen erhöhen und somit den Weg ebnen für eine Chemieindustrie, die weniger fossile Rohstoffe benötigt und weniger Emissionen verursacht.

Ohne Kunststoffe wie Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) oder Polystyrol (PS), die derzeit fast durchweg aus fossilen Rohstoffen hergestellt werden, wären viele Alltagsprodukte und moderne Technologien undenkbar. Der im Kunststoff enthaltene Kohlenstoff ist dabei eine wichtige Ressource für die chemische Industrie. Wenn es gelingt, solche kohlenstoffhaltigen Bestandteile in Abfällen besser zu erkennen, besser zu verwerten und daraus wieder hochwertige Ausgangsmaterialien für die Industrie herzustellen, kann der Kohlenstoff im Kreislauf gehalten werden. Das reduziert nicht nur den Bedarf an fossilen Ressourcen, sondern auch die Umweltverschmutzung mit CO2-Emissionen und Plastikmüll. Zugleich verbessert sich die Versorgungssicherheit der Industrie, weil eine zusätzliche Kohlenstoffquelle erschlossen wird.

Im Leitprojekt »Waste4Future« sollen deshalb neue Möglichkeiten für das Recycling von Kunststoffen geschaffen werden, um den darin enthaltenen Kohlenstoff als »grüne« Ressource für die Chemieindustrie bereitzustellen. »Wir bahnen somit den Weg für eine Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft, in der aus Kunststoffabfällen wertvolle neue Basismoleküle gewonnen und Emissionen weitgehend vermieden werden: Der Abfall von heute wird zur Ressource von morgen«, sagt Dr.-Ing. Sylvia Schattauer, stellvertretende Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS, das die Federführung für das Projekt hat. »Mit dem Know-how der beteiligten Institute wollen wir zeigen, wie das umfassende Recycling von kunststoffhaltigen Abfällen ohne Verlust von Kohlenstoff durch ineinandergreifende, vernetzte Prozesse möglich und schlussendlich auch wirtschaftlich ist.« Ergebnis des bis Ende 2023 laufenden Projekts sollen innovative Recyclingtechnologien für komplexe Abfälle sein, mit denen sich hochwertige Rezyklate gewinnen lassen.

Konkret geplant ist die Entwicklung eines ganzheitlichen, entropiebasierten Bewertungsmodells, das die bis dato prozessgeführte Recyclingkette zu einer stoffgeführten Kette reorganisiert (Entropie = Maß für die Unordnung eines Systems). Eine neuartig geführte Sortierung erkennt, welche Materialien und insbesondere welche Kunststofffraktionen im Abfall enthalten sind. Aufbauend auf dieser Analyse wird der Gesamtstrom getrennt und für die entstehenden Teilströme dann zielgerichtet entschieden, welcher Weg des Recyclings für diese spezifische Abfallmenge der technisch, ökologisch und ökonomisch sinnvollste ist. Was mittels werkstofflichen Recyclings nicht weitergenutzt werden kann, steht für chemisches Recycling zur Verfügung, stets mit dem Ziel des maximal möglichen Erhalts von Kohlenstoffverbindungen. Die thermische Verwertung kunststoffhaltiger Abfälle am Ende der Kette ist damit eliminiert.

Die Herausforderungen für Forschung und Entwicklung sind beträchtlich. Dazu gehören die komplexe Bewertung sowohl von Inputmaterialien als auch von Rezyklaten nach ökologischen, ökonomischen und technischen Kriterien. Das werkstoffliche Recycling gilt es zu optimieren, Verfahren und Technologien für die Schlüsselstellen der stofflichen Nutzung von Kunststofffraktionen müssen etabliert werden. Außerdem ist geeignete Sensorik zu entwickeln, die Materialien im Sortiersystem zuverlässig identifizieren kann. Dabei kommen auch Methoden des maschinellen Lernens zum Einsatz, und es wird eine Verknüpfung mit einem digitalen Zwilling angestrebt, der die Eigenschaften der prozessierten Materialien repräsentiert.

Für die Entwicklung der entsprechenden Lösungen stehen die beteiligten Institute im engen Austausch mit Unternehmen aus der chemischen Industrie und Kunststoffverarbeitung, der Abfallwirtschaft, dem Recycling-Anlagenbau und dem Recycling-Anlagenbetrieb, um zielgerichtet den Bedarf der Industrie zu berücksichtigen und somit die Chancen auf eine schnelle Umsetzung der erzielten Ergebnisse zu erhöhen.

Am Fraunhofer-Leitprojekt »Waste4Future« sind folgende Einrichtungen beteiligt:

  • Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS (Federführung)
  • Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren IZFP
  • Fraunhofer-Einrichtung für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS
  • Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB
  • Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR
  • Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF
  • Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV
Foto: Pixabay
15.06.2021

Bundeskabinett verabschiedet Entwurf zum deutschen Lieferkettengesetz

Am 3. März 2021 beschlossen, tritt es ab 01.01.2023 in Kraft – das Lieferkettengesetz für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden. Der vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten – das Lieferkettengesetz – soll noch vor der Sommerpause vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden.

Mit dem Brand einer Textilfabrik in Pakistan 2013, bei dem 250 Brandopfer zu beklagen waren, bekam das Thema des Lieferkettenmanagements und der Nachhaltigen Beschaffung eine große Öffentlichkeit und wurde auf verschiedenen Ebenen auf die politische Agenda gesetzt: Unternehmen können zwar ihre Produktion ins Ausland verlagern – nicht aber ihre Verantwortung.

Am 3. März 2021 beschlossen, tritt es ab 01.01.2023 in Kraft – das Lieferkettengesetz für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden. Der vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten – das Lieferkettengesetz – soll noch vor der Sommerpause vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden.

Mit dem Brand einer Textilfabrik in Pakistan 2013, bei dem 250 Brandopfer zu beklagen waren, bekam das Thema des Lieferkettenmanagements und der Nachhaltigen Beschaffung eine große Öffentlichkeit und wurde auf verschiedenen Ebenen auf die politische Agenda gesetzt: Unternehmen können zwar ihre Produktion ins Ausland verlagern – nicht aber ihre Verantwortung.

In den letzten Jahren wurden weltweit einige Schritte unternommen, um die Situation in den globalen Wertschöpfungsketten zu verbessern. Es geht insbesondere um das Einhalten von Menschenrechten, Soziale Belange und den Umweltschutz. Die Bilanz ist jedoch ernüchternd: Nach Angaben des BMZ verrichten aktuell 25 Mio. Menschen Zwangsarbeit, 75 Mio. Jungen und Mädchen weltweit sind von ausbeuterischer Kinderarbeit betroffen.

Doch wo fängt Verantwortung an, und wo endet diese? Der vor kurzem verabschiedete Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten ist ein Kompromissbeschluss der beteiligten Ministerien für Entwicklung, Arbeit und Wirtschaft.

Experten der akkreditierten Berliner Zertifizierungsorganisation GUT Certifizierungsgesellschaft für Managementsysteme mbH haben Kernaussagen und Einschätzungen zusammengestellt:

Auf welche Menschenrechte beziehen sich die Sorgfaltspflichten?

  • Unversehrtheit von Leben und Gesundheit
  • Freiheit von Sklaverei und Zwangsarbeit
  • Schutz von Kindern und Freiheit von Kinderarbeit
  • Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen
  • Schutz vor Folter
  • Gerechte Arbeitsbedingungen (Arbeitsschutz, Pausen)
  • Umweltbezogene Pflichten zum Schutz der menschlichen Gesundheit

Kreis der betroffenen in Deutschland ansässigen Unternehmen und Fristen:

  • Ab 2023: Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden (über 600 Unternehmen in Deutschland)
  • Ab 2024: Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden (2.900 Unternehmen).

Pflichten in der Wertschöpfungskette
Die Verantwortung erstreckt sich neben dem eigenen Geschäftsbereich der betroffenen Unternehmen zunächst nur auf deren direkte Zulieferer und Dienstleister. Im Rahmen eines Risikomanagements sollen dabei nachteilige Auswirkungen auf die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten ermittelt und in entsprechenden Risikoberichten dokumentiert werden.

Solange keine konkreten Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen vorliegen, liegt das Kontrollieren der mittelbaren Zulieferer nicht in der Verantwortung der betroffenen Unternehmen.

Die Überprüfung der Dokumente soll durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erfolgen. Bei Verstößen gegen das Gesetz drohen den Unternehmen zunächst Sanktionen in Form von Bußgeldern, bei schwerwiegenden Verstößen jedoch auch der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Alles in allem sieht das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ jedoch weder eine Erfolgspflicht noch eine Garantiehaftung vor, sondern fordert von den betroffenen Unternehmen in erster Linie Maßnahmen im Rahmen einer „Bemühungspflicht“ ein.

Eine zivilrechtliche Haftung für etwaige Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette sieht das Gesetz nicht vor. Jedoch sollen ausländische Beschäftigte bei Verstößen gegen Menschen- und Arbeitsrechte die Möglichkeit bekommen, sich von Gewerkschaften und vor deutschen Gerichten vertreten zu lassen.

Was muss ein Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich und beim unmittelbaren Zulieferer tun?
Unternehmen müssen folgende Maßnahmen umsetzen:

  • Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte verabschieden
  • Risikoanalyse: Verfahren zur Ermittlung nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte ein- und durchführen
  • Risikomanagement (inkl. Abhilfemaßnahmen), um potenziell negative Auswirkungen auf die Menschenrechte abzuwenden
  • Beschwerdemechanismus einrichten
  • Transparent und öffentlich Bericht erstatten
  • Im Fall einer Verletzung müssen im eigenen Geschäftsbereich unverzüglich Abhilfemaßnahmen ergriffen werden, die zwingend zur Beendigung der Verletzung führen. Zudem müssen weitere Präventionsmaßnahmen eingeleitet werden
  • Wenn die Verletzung beim unmittelbaren Zulieferer nicht in absehbarer Zeit beendet werden kann, muss ein konkreter Plan zur Minimierung und Vermeidung erstellt werden. Es sind hierfür geeignete Maßnahmen zu treffen, von einer Lieferantenentwicklung in einem festgelegten Zeitrahmen bis hin zum Einstellen der Geschäftsbeziehungen.

Was muss ein Unternehmen beim mittelbaren Zulieferer tun?
Hier gelten die Sorgfaltspflichten nur anlassbezogen. Erlangt das Unternehmen Kenntnis von einem möglichen Verstoß bei einem mittelbaren Zulieferer, so hat es unverzüglich:

  • eine Risikoanalyse durchzuführen
  • ein Konzept zur Minimierung und Vermeidung umzusetzen
  • angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber dem Verursacher zu verankern

Ist das ein Durchbruch? Kaum.
Mit dem Ziel, die menschenrechtliche Lage entlang der Lieferkette deutscher Unternehmen zu verbessern und damit die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umzusetzen, verabschiedete die Bundesregierung bereits im Jahr 2016 den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Dieser forderte Unternehmen dazu auf, ihre Geschäftstätigkeiten und -beziehungen im Hinblick auf menschenrechtliche Risiken zu überprüfen und notwendige Maßnahmen umzusetzen – auf freiwilliger Basis.

Die Bilanz der Bundesregierung fiel jedoch ernüchternd aus. So ergab das von 2018 bis 2020 durchgeführte Monitoring des Umsetzungsstandes der Forderungen des NAPs, dass bisher weniger als 20% der befragten deutschen Unternehmen freiwillig ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachgekommen sind.

Nun werden die ethischen Pflichten zumindest für die großen Unternehmen in Deutschland Teil der Compliance. Der Großteil der betroffenen „Riesen“ ist mit der Pflicht bereits im Rahmen der EU-Konfliktmineralienverordnung und/oder der EU-CSR-Richtlinie vertraut: Die unternehmerische Verantwortung in der Lieferkette ist ein obligatorischer Teil der nicht-finanziellen Berichterstattung. Die Wesentlichkeitsbetrachtung wird dabei jedoch durch Schadensgrößen und nicht die Aktualität des Problems in der Lieferkette definiert.

Was ändert das neue Gesetz? Beim verabschiedeten Gesetz bleibt erstmal alles beim Alten: Das tiefere Betrachten und das Entwickeln der eigenen Lieferkette ist immer noch keine Pflicht.

Status Quo
Aus der Erfahrung beim Validieren von Nachhaltigkeitsberichten sehen GUTcert-Auditoren, dass sich viele deutsche Unternehmen verschiedener Größen auf Grundlage der eigenen unternehmerischen Nachhaltigkeit und den ethischen Pflichten bereits mit den Nachhaltigkeitsbelangen in der Lieferkette beschäftigen:

Die Einführung eines Code of Conduct als Verhaltenskodex für die Geschäftspartner gehört bereits zum Alltag in vielen Betrieben. Bei der erstmaligen Listung und Verlängerung der Verträge müssen die unmittelbaren Lieferanten und Dienstleister gewisse Pflichten übernehmen und in die eigene Wertschöpfungskette weitertragen.

Auch eine im Gesetz geforderte Dokumentation der Risikoanalyse und deren Ergebnisse ist kein Novum mehr. Spätestens im Rahmen der konventionellen wirtschaftlichen Belange sind die Risiken in Lieferketten nicht mehr wegzudenken. Die Pandemie hatte angesichts vielerorts unterbrochener Lieferketten dieses Thema noch stärker in den Fokus gerückt. Viele Unternehmen haben bereits die rein wirtschaftlichen Risiken um nachhaltigkeitsrelevante Themen, also um Umwelt- und soziale Belange, Menschenrechtsklauseln und Antikorruptionsregeln erweitert.

Was jedoch oft fehlt, ist eine wirksame Kontrolle über die jeweilige Leistung der Geschäftspartner. Die Selbstauskunft ist das gängige Instrument bei der Nachweisführung der Nachhaltigkeit in der Lieferkette. Vor-Ort Kontrollen sind mit hohen Kosten und oft mit der Unwissenheit über das mögliche Instrumentarium eines Nachhaltigkeitsmanagements verbunden. Einige Risiken bleiben daher oft „blind spots“.

Was tun?
Eine über die Länder, Branchen und Produkte bezogene Matrix von eigenen unternehmerischen Nachhaltigkeitsrisiken der Wertschöpfungskette ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Mit und ohne Gesetz: Wichtig ist, die eigene Lieferkette ernsthaft zu betrachten und die Grenzen so zu legen, dass an bestehenden Risiken der Verletzung tatsächlich gearbeitet werden kann – Schritt für Schritt. So kann jedes Unternehmen die wesentlichen Risiken und Chancen mit überschaubarem Aufwand herausarbeiten. Hilfe bieten einige international anerkannte Quellen, die als Grundlage zur Risikobetrachtung dienen können.

Aus den wesentlichen Risiken und Chancen sollten Ziele und Maßnahmen abgeleitet werden. Diese können von eigenen Kontrollen über die Verbandsarbeit in der eigenen Branche bis hin zur Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen, Plattformen und Zertifizierungen reichen. Es gibt viele Optionen, wenn danach gesucht wird.

Quelle:

GUT Certifizierungsgesellschaft für Managementsysteme mbH

(c) Befeni GmbH
27.04.2021

Befeni: FashionTech contra Fast Fashion

  • Nachhaltige Mode durch hochautomatisierte Just-in-time-Produktion auf Kundenwunsch

Die Befeni Gruppe mit Sitz in Langenfeld (NRW) und Bangkok (Thailand) ist mit mehr als 200 Mitarbeiter*innen und rund 200.000 verkauften Maßhemden und -blusen eines der weltweit führenden FashionTech-Unternehmen.

Durch hochautomatisierte Prozesse und eine Just-in-Time-Produktion ist das Mode-Startup, das seit vier Jahren am Markt ist, in der Lage, innerhalb kürzester Zeit individuell gestaltete und auf persönlichen Kundenwunsch gefertigte Maßmode in hoher Qualität anzubieten. Das Sortiment umfasst neben Hemden und Blusen auch Pullover, Wäsche und Accessoires.

  • Nachhaltige Mode durch hochautomatisierte Just-in-time-Produktion auf Kundenwunsch

Die Befeni Gruppe mit Sitz in Langenfeld (NRW) und Bangkok (Thailand) ist mit mehr als 200 Mitarbeiter*innen und rund 200.000 verkauften Maßhemden und -blusen eines der weltweit führenden FashionTech-Unternehmen.

Durch hochautomatisierte Prozesse und eine Just-in-Time-Produktion ist das Mode-Startup, das seit vier Jahren am Markt ist, in der Lage, innerhalb kürzester Zeit individuell gestaltete und auf persönlichen Kundenwunsch gefertigte Maßmode in hoher Qualität anzubieten. Das Sortiment umfasst neben Hemden und Blusen auch Pullover, Wäsche und Accessoires.

Befeni lässt Kund*innen persönlich vermessen und erfasst die Daten in einem Onlinesystem. Auf dieser Basis wird in der hauseigenen Produktion in Bangkok ein Schnittmuster erstellt und das Kleidungsstück als individuelles Einzelstück produziert. Anschließend wird die maßgefertigte Bestellung durch ausgebildete Befeni Modeberater*innen persönlich übergeben.

Durch den bewussten Verzicht auf Zwischenhändler setzt das Unternehmen auf eine globale Wertschöpfungskette und bietet Mode aus hauseigener Produktion zu überzeugenden Konditionen an: Die Mitarbeiter*innen in Bangkok erhalten eine überdurchschnittliche Bezahlung. Das individuell gefertigte Maßhemd ist zum Festpreis von 39,90 EUR erhältlich. Und der Verkauf der Produkte erfolgt ausschließlich über 5.000 qualifizierte Modeberater*innen im Direktvertrieb.

Sustainable Fashion als Zukunftsmarkt

Stetig neue Trends, schnell produzierte Saisonartikel in Mengen und die Entsorgung von überschüssigen Artikeln gehören in der heutigen Modewelt zum Alltag. Im Zuge der Coronakrise hat sich diese Lage weiter zugespitzt.

„Wir glauben, dass der Fast Fashion Trend endlich ist und ein Umdenken bei Kundschaft, Modebranche und Produktionen stattfinden wird“, so Maik Ernst, Gründer und Geschäftsführer von Befeni. „Durch unser hochautomatisiertes Geschäftsmodell sind wir in der Lage, unter Ausschluss jeglicher Zwischenhändler direkt aus unserer fairen, hauseigenen Produktion zu verkaufen. So liefern wir maximal 3 Wochen nach Eingang des Kundenauftrags das hochwertige und handgefertigte Produkt aus – mit persönlicher Beratung durch über 5.000 qualifizierte, selbständige Modeberater*innen.“

Jan Fennel, Befeni Gründer und Geschäftsführer der hauseigenen Produktion in Bangkok ergänzt: „Von der direkten Verbindung zwischen Produktion und Kundschaft möchten wir auch unsere Mitarbeiter*innen in Asien profitieren lassen. Wir sind stolz, ihnen nicht nur durch einen monetären Mitverdienst, sondern auch durch eine direkte Rückmeldung und Wertschätzung – zum Beispiel via Video direkt von den Kund*innen – eine Freude zu bereiten. Mit unseren Arbeitsbedingungen möchten wir zudem zeigen, dass Gesundheit, Spaß und Fürsorge einen zentralen Teil bei der Arbeit in unserem Team ausmachen.“

Neu denken: Wie wird Mode produziert und wie wird sie angeboten

Das Befeni Trinkgeldprinzip
Das Unternehmen hat ein System entwickelt, bei dem zufriedene Kund*innen „ihren“ persönlichen Schneider*innen ein Trinkgeld geben können. Dieses geht ohne Abzug direkt an die Schneider*innen in der hauseigenen Fertigung. Das Unternehmen will damit als Vorbild vorangehen und sieht den Ansatz als Beleg, dass sich ein international aufgestelltes Modeunternehmen aktiv für bessere Arbeitsbedingungen in den Herstellungsländern einsetzen kann.

Zahlen und Fakten vier Jahre nach Unternehmensgründung

  • Produktion
    Befeni produzierte im Jahr 2020 30% mehr Blusen und Hemden im Vergleich zum Vorjahr.Keine Fast Fashion, nachhaltige, bedarfsgerechte Fertigung: Produktionsbeginn erst nach Kundenauftrag, maßangefertigt nach individuellem Ausmessen der Kund*innen
  • Umsatzsteigerung
    erwirtschafteter Umsatz 2020: rund 6 Mio. EUR, +155% im Vergleich zum Vorjahr
  • Kundenanzahl
    +100% im Vergleich zum Vorjahr: Die Anzahl der Kunden stieg von 40.000 auf über 80.000 Kunden, davon knapp 10.000 in Österreich
  • Personalpolitik
    Festanstellung der Mitarbeiter*innen, überdurchschnittliche Gehälter und Trinkgeldprinzip
  • Customizing: Mode nach individuellem Kundenwunsch
    Zwischen mehr als 80 Stoffen, verschiedenen Kragen- und Manschettenformen sowie Designs können Kund*innen für jedes Modestück auswählen.
(c) Neonyt/Messe Frankfurt GmbH
30.03.2021

Circularity und Fashion: Interview zur Business- und Kommunikationsplattform Neonyt

Kreislauf- statt Wegwerfwirtschaft – von Fast Fashion zur Zero-Waste-Philosophie. Die Eckpfeiler der Circular Economy im Modebusiness lauten: Vermeidung von Abfällen und Verschmutzung durch neue Verfahren, kontinuierliche Wiederverwertung von Produkten und Materialien und Regeneration der natürlichen Systeme. Textination sprach mit Olaf Schmidt, Vice President Textiles & Textile Technologies, und Thimo Schwenzfeier, Show Director Neonyt, von der Messe Frankfurt über das Messeformat Neonyt als Business- und Kommunikationsplattform für Circularity & Fashion.
 
Es ist rund 10 Jahre her, dass sich die Messe Frankfurt auf das „nachhaltige“ Fashion-Messeparkett wagte. Zunächst mit der Ethical Fashion Show, dann mit dem Greenshowroom gab es zwei Messeformate in Berlin, die sich dem Thema grüne Mode widmeten. Was hat Sie als Messeveranstalter damals zum Launch eines solchen Spezialformats in Deutschland bewogen?

Kreislauf- statt Wegwerfwirtschaft – von Fast Fashion zur Zero-Waste-Philosophie. Die Eckpfeiler der Circular Economy im Modebusiness lauten: Vermeidung von Abfällen und Verschmutzung durch neue Verfahren, kontinuierliche Wiederverwertung von Produkten und Materialien und Regeneration der natürlichen Systeme. Textination sprach mit Olaf Schmidt, Vice President Textiles & Textile Technologies, und Thimo Schwenzfeier, Show Director Neonyt, von der Messe Frankfurt über das Messeformat Neonyt als Business- und Kommunikationsplattform für Circularity & Fashion.
 
Es ist rund 10 Jahre her, dass sich die Messe Frankfurt auf das „nachhaltige“ Fashion-Messeparkett wagte. Zunächst mit der Ethical Fashion Show, dann mit dem Greenshowroom gab es zwei Messeformate in Berlin, die sich dem Thema grüne Mode widmeten. Was hat Sie als Messeveranstalter damals zum Launch eines solchen Spezialformats in Deutschland bewogen?

Olaf Schmidt: Das Texpertise Network der Messe Frankfurt vereint die international bedeutendsten Textilmessen – auf rund 60 Veranstaltungen weltweit zeigen wir, was die Textil- und Modebranche bewegt. Wir bilden die aktuellen Themen und Trends ab und setzen Impulse für die gesamte textile Wertschöpfungskette. Die Messe Frankfurt hat früh den Bedarf an einer geeigneten Plattform für das Zukunftsthema Nachhaltigkeit erkannt und es war daher naheliegend, unsere Expertise im Bereich Fashion zu erweitern und der Nachfrage aus diesem Segment entgegenzukommen. Dafür haben wir bestehende Formate adaptiert und neu ausgerichtet: Nach dem Start der Ethical Fashion Show in Paris im Jahr 2004 übernahm die Messe Frankfurt France die Veranstaltung im Jahr 2010. Zwei Jahre später gründete die Messe Frankfurt in Deutschland die Ethical Fashion Show Berlin und fand mit dem Umzug des Events in die polarisierende Hauptstadt die richtige Location für die kommenden Jahre. Die Messe Frankfurt legte den dort bereits bestehenden Greenshowroom mit der Ethical Fashion Show zusammen und ab Januar 2015 fanden die beiden Messen in einer gemeinsamer Venue statt. Die Ausrichtung dieser Veranstaltungen war für die Messe Frankfurt der nächste logische Schritt auf unserem Weg in eine nachhaltige Modezukunft – das Konzept ist inzwischen am Markt für Sustainable Fashion etabliert und besitzt ungebrochenes Wachstumspotential. Der Zusammenschluss des Messeduos 2019 unter dem aktuellen Namen Neonyt ermöglichte uns, unseren Aussteller*innen und Besucher*innen eine neue inhaltliche Ausrichtung und einen holistischen Ansatz beim Thema Nachhaltigkeit sowie einen direkteren Zugang zum konventionellen Modemarkt, insbesondere was den Handel angeht. Im Sommer 2021 findet die Neonyt erstmals am neuen Fashion Hotspot Frankfurt im Rahmen der neuen Frankfurt Fashion Week statt.

 
2019 wurden beide Veranstaltungsformate verschmolzen, die neue Messe Neonyt war geboren und aus 1 + 1 wurde was? Welche Komponenten bietet die Neonyt zusätzlich zu den vorherigen Messekonzepten, was ist so „neu-neu“ und wie kamen Sie eigentlich auf den Namen?

Thimo Schwenzfeier: Aus eins plus eins, wie Sie so schön sagen, wurde mit der Neonyt nämlich nicht einfach nur zwei. Aus eins plus ein wurde einzigartig, neoneu, international relevant: Das Messe-Business wurde unter anderem um das internationale Konferenzformat Fashionsustain und einen Showcase ergänzt, um das Thema Nachhaltigkeit schrittweise mit den Themen Technologie, Innovation und Vorstufe zusammenzuführen. Für den nötigen Lifestyle sorgt unser Content Creator-Format Prepeek und den Glamour der Modewelt bringt die Fashionshow. Neonyt vereint die wichtigsten Elemente der internationalen Textil- und Modebranche – Style, Business, Inspiration, Innovation, Wissen, Spaß und Community. Und genau das ist es auch, was Neonyt so „neu-neu“ macht. Progressiv und polarisierend – das Kunstwort Neonyt leitet sich ab vom altgriechischen Wort „neo“ (dt. neu, revolutionär) und dem skandinavischen Wort „nytt“ (dt. neu). „Das erneuerte Neu“ – Neonyt ist unser Synonym für den fundamentalen Transformationsprozess der Textil- und Modebranche, eine Neuinterpretation dessen, was bereits da gewesen ist und unseren Anspruch, nicht stillzustehen und gemeinsam positive Veränderungen voranzutreiben.

 
Für das Neonyt-Messeformat haben Sie sich mit Partnern - beispielsweise für Konferenzkomponenten und im Designbereich - verstärkt.
Welche Expertise bringen diese ein, und worin liegt der Mehrwert für Aussteller und Besucher?

Thimo Schwenzfeier: Wir wissen, mit welchen Zukunftsthemen sich unsere Brands und die Community gerade befassen und schaffen dafür die richtige Plattform – für persönliche Begegnungen und Austausch, für Networking und erfolgreiche Geschäftsabschlüsse. Schlicht gesagt: Wir machen Messen, wir veranstalten Events, wir sorgen für die richtigen Rahmenbindungen, wir connecten Menschen und Business. Die Neonyt bildet somit die globale Schnittstelle zwischen den unterschiedlichen Akteur*innen der Textil- und Modebranche – zwischen Industrie, Handel, Politik, Dienstleistung und Konsum. Und damit ein lebendiger, transparenter und vor allem authentischer Dialog zwischen allen Counterparts entstehen kann, greifen wir natürlich auf das Wissen von Branchenexpert*innen zurück und gehen starke Partnerschaften ein, um Fashion und Sustainability weiter nach vorne zu bringen. Denn nur gemeinsam können wir wirkliche Veränderungen erreichen und garantieren, dass unsere Community mit ausreichend und vor allem der richtigen Information versorgt ist, um eigenbestimmte Entscheidungen treffen zu können.
 

In den letzten Jahren trifft man allerorten in der Modeindustrie auf das Schlagwort Zirkularität – oder vielmehr auf Circularity und Closing the Loop. Ob Stella McCartney, die Ellen MacArthur Foundation, große Handelskonzerne – viele Akteure und Entscheider sind der Ansicht, dass nur in einer Kreislaufwirtschaft und nicht in einem – wie auch immer gearteten – Downcycling die Zukunft für die Modewelt liegt. Wie sieht das die Neonyt?
         
Thimo Schwenzfeier: Richtig, das Konzept der Circular Economy ist kein neues und auch nicht nur auf die Textil- und Modeindustrie begrenzt. Circularity – eigentlich das Nonplusultra für jedes Produkt, jede Indus–trie, für unsere globale Gesellschaft. Das Konzept ist vermeintlich einfach: Alle Materialien und Produkte werden in einem geschlossenen Kreislauf gehalten, die Nutzungsdauer erhöht und am Ende des Produktlebenszyklus wird alles wieder zurückgeführt. Viele nachhaltige Modelabels zeigen bereits, wie’s gemacht wird. Neonyt-Brands sind ganz vorne mit dabei und setzen jetzt schon Praktiken um, die schnellstmöglich zum Standard werden sollten: angefangen bei T-Shirts oder Schuhen aus recycelten Materialien und Rücknahmesysteme für Kollektionsteile über kompostierbare Kleidung, die sich am Ende des Produktlebenszyklus „auflöst“ und in ihre natürlichen Bestandteile zerfällt, bis hin zu Repair-Services und Leasing-Modellen für Denim und Co. – ganzheitlich denken, nachhaltig handeln und zirkulär produzieren, das sind definitiv die Trends der kommenden Modesaisons und mindestens ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Bestandteil der zukünftigen Modewelt.

 
Damit der Gedanke einer Kreislaufwirtschaft erfolgreich implementiert werden kann, bedarf es eines Zusammenspiels von Technologie, Produktion, Design und Vertrieb. Welche Präsentationsoptionen und Kommunikationsformen hält die Neonyt für die verschiedenen Komponenten bereit?  

Thimo Schwenzfeier: Die kombinierte Innovationskraft aus den Bereichen Technologie, Nachhaltigkeit und Digitalisierung ist ein wichtiger Treiber für die aktuellen Entwicklungen in der Textil- und Modebranche – auch beim Thema Circularity. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette verändern sich Prozesse und Produktionsabläufe – die Branche muss sich größtenteils neu erfinden. Die Neonyt zeigt, wie dies nachhaltig erfolgreich funktioniert, mit dem international etablierten Konferenzformat Fashionsustain – mit Spin-offs in China, Europa und den USA –sowie dem ergänzenden Showcase. Diese beiden Formate bieten gemeinsam die ideale Mischung aus Orientierung und Inspiration, um die Branche für die Zukunft zu wappnen. Virtuelle Mode, authentische Marken und textile Wertschöpfungsketten, Wissenschaft und Innovation sowie Retail, Business Models und Impact Investment – bei der Fashionsustain tauschen sich hochkarätige Expert*innen mit einem interessierten Fachpublikum aus und diskutieren den Wandel und neue Lösungen der Textil- und Modebranche. Der Neonyt Showcase vertieft die Themen und Innovationen, die auf der Bühne der Fashionsustain präsentiert und diskutiert werden. Expert*innenwissen on-demand sozusagen: ob Microfactories oder Installationen – Neonyt-Brands aber auch Brands aus dem restlichen Texpertise Network der Messe Frankfurt, wie zum Beispiel Aussteller*innen der Texprocess, bekommen so die Chance, nachhaltige Innovationen, neue Technologien und Materialien, Initiativen, Change-Maker-Kampagnen oder Forschungsprojekte zu präsentieren und in den direkten und praxisnahen Austausch mit der internationalen Cross Sector-Community der Neonyt zu treten.
 

Das letzte Jahr war aufgrund der Pandemie-Situation für Messeunternehmen eine bisher ungesehene Herausforderung. Auch die Neonyt hat es getroffen – und Präsenzveranstaltungen mussten abgesagt werden. Mit einem digitalen Format „Neonyt on Air“ haben Sie versucht, Ausstellern und Besuchern eine alternative Plattform zu bieten. Wie sind Ihre Erfahrungen: Haben der Messefokus und dessen Community vielleicht sogar dazu beigetragen, eine solche virtuelle Veranstaltung einfacher zu platzieren?  

Olaf Schmidt: Corona hat bereits vieles verändert und wird das sicherlich auch weiterhin auf die eine oder andere Art tun. Dennoch wird es weiterhin unsere Aufgabe als Messeveranstalter sein, der Industrie die bestmöglichen Begegnungsplattformen anzubieten, um ihre neuen Produkte weltweit zu präsentieren. Wir sind fest davon überzeugt, dass sich auch in Zukunft Menschen persönlich begegnen möchten, um sich über neue Produkte und Dienstleistungen auszutauschen. Das gilt ganz besonders für den Bereich Textil, in dem Haptik eine ganz entscheidende Rolle spielt. Wir gehen davon aus, dass sich nach der Krise sogar ein gewisser Nachholeffekt einstellt. Denn was die letzten beiden sehr erfolgreichen digitalen Saisons der Neonyt on Air beispielsweise dennoch deutlich gemacht haben: Mode lebt von Persönlichkeiten, von Inszenierung und Inspiration. Da können digitale Formate begleiten, aber keinen vollen Ersatz bieten.
 
Thimo Schwenzfeier: Die digitale Neonyt on Air war bei Weitem kein voller Ersatz für die ausgefallenen physischen Saisons, aber dennoch ein voller Erfolg. Eine Woche lang diskutierten Fashion-, Lifestyle- und Digitalexpert*innen in zahlreichen Keynotes, Interviews und Panel Discussions über mehr Authentizität, Unmittelbarkeit und Transparenz in der Textil- und Modebranche. Mit mehr als 24.000 internationalen Follower*innen auf Instagram generierten wir mit unseren „Presenting Partners“ Grüner Knopf, Hessnatur und Oeko-Tex in nur fünf Tagen rund 50.000 Impressionen und mehr als 4.700 Content-Interaktionen. Diese Zahlen zeigen, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und branchenübergreifend diskutiert wird. Ich denke, dass die Polarisierung und vor allem die vorherrschenden Einschränkungen, was Handel und Commerce angehen, sicherlich dazu beigetragen haben, ein erfolgreiches digitales Format abzuhalten. Digitalisierung war in dem Fall wirklich der Booster für die Modeindustrie: Statt den persönlichen Austausch zu ersetzen, hilft sie gerade in der aktuellen Zeit dabei, die Geschäftstätigkeit von Brands aufrecht zu erhalten und auszubauen. Und ganz klar, der Bedarf an Austausch in der Fashion-Branche und die Motivation, gemeinsam einen Wandel einzuleiten, sind weiterhin enorm. Das hat uns Neonyt on Air nochmals deutlich gezeigt. Aber wir freuen uns bereits jetzt auf die nächste physische Ausgabe der Neonyt.
 

Die COVID19-Pandemie hat auch in der Textil- und Bekleidungsbranche deutliche Spuren hinterlassen. Wenn Sie auf ein knappes Jahr „Ausnahmezustand“ zurückblicken – was nehmen Sie an positiven Erfahrungen mit, wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf, für welche Unterstützung sind Sie dankbar und wo haben Sie sich allein gelassen gefühlt?  

Olaf Schmidt: Ein Jahr wie kein anderes – das lässt sich über das letzte wohl eindeutig sagen. Die Corona-Pandemie traf alle unvorbereitet, uns als Messeveranstalter, aber natürlich auch unsere Austeller*innen, Besucher*innen und Partner*innen. Vor allem in unmittelbarer Zukunft müssen wir weiterhin damit rechnen, dass Messen zunächst erst einmal nur unter strengeren Sicherheits- und Gesundheitsvorgaben stattfinden können. Die Messe Frankfurt hat hier schnell reagiert und dazu ein umfangreiches Schutz- und Hygienekonzept erarbeitet. Klar war: Wir alle müssen uns umstellen und mit einer neuen Situation umgehen. Und das haben wir bisher gemeinsam super gemeistert, das Teamverständnis untereinander, der enge Kontakt – zwar physisch auf Abstand, aber global vernetzt – zwischen allen Involvierten, lässt mich positiv gestimmt in die Zukunft blicken. Für mich ist eine wichtige Erkenntnis dieser globalen Pandemie, ein Credo schon fast, offen für neue Wege und Chancen zu sein und eher Möglichkeiten zu finden, Dinge zu kombinieren als sie zu trennen: Hybride Lösungen sozusagen.    

Thimo Schwenzfeier: Für die Neonyt gab es gab keinen Masterplan und stellenweise trat auch das Gefühl in den Vordergrund, man müsse jetzt für „das Rad neu erfinden“: Wie funktioniert Zusammenarbeit, wenn persönliche Treffen nicht stattfinden können? Kann digitalisierte Nähe die aktuell auferlegte soziale Distanzierung auffangen und ermöglichen, trotzdem eng zusammenzuarbeiten? Wie können Geschäftsbeziehungen gepflegt werden, während Läden geschlossen haben? Wie können Prioritäten gesetzt werden, wenn erprobte Lösungen und etablierte Jahrespläne ihre Gültigkeit verlieren? Wer bin ich selbst, wer sind ‚die anderen‘ und was macht Gemeinschaft aus? Nie waren Fragen zu unserem Schaffen und Dasein, zu dem, was uns ausmacht und dazu, wer oder was wir sein wollen, relevanter als jetzt gerade. Etwas, das ich aus der aktuellen Zeit mitnehme und das mich trotz schwieriger Umstände weiter positiv nach vorne blicken lässt, ist die Tatsache, dass der Zusammenhalt untereinander und die Solidarität miteinander – privat wie beruflich – enorm an Bedeutung gewonnen haben. Die Krise hat wie eine Lupe bestehende Chancen, aber auch Herausforderungen vergrößert und das Essenzielle in den Fokus gerückt. Ich denke, wenn wir weiterhin versuchen, Dinge bewusster zu erleben und nicht als selbstverständlich ansehen, solidarisch handeln und koopetitiv arbeiten, schaffen wir es gemeinsam, ein „New Normal“ zu definieren und gestärkt aus dieser Krise hervorzukommen.
 

Wie früher in Berlin, so ist die Neonyt aktuell auch in Frankfurt im Umfeld der Fashion Week zusammen mit konventionellen Messe-Angeboten platziert. Können Sie sich vorstellen, dass ein besonderes Veranstaltungskonzept wie die Neonyt in einigen Jahren unnötig sein wird, da sich weltweit in der Bekleidungsindustrie das Circularity-Konzept durchgesetzt hat?

Olaf Schmidt: Klares Nein. Nachhaltigkeit per se ist schon jetzt kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Wichtig ist, am Zahn der Zeit zu bleiben, sich an Trends zu orientieren oder besser noch neue Trends selbst aufzuspüren und sie weiterzuentwickeln. Dinge, Strategien, Konzepte werden sich immer ändern – wenn uns das letzte Jahr eines gezeigt, dann sicherlich das. Es ist mehr als wünschenswert, dass wir alle aus dieser Krise lernen und uns auf die wirklich wichtigen Werte besinnen, auf die Solidarität zwischen Partner*innen, auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Möglicherweise werden genau deshalb Unternehmen, die besonders viel Wert auf Nachhaltigkeit legen, noch stärker aus dieser Krise hervorgehen. Sie können also sicher sein, dass wir als internationaler Leitmesse-Veranstalter für die Textilwirtschaft auch weiterhin auf Nachhaltigkeit setzen und zukunftsorientierte Unternehmen und Lösungen unterstützen werden. Obsolet werden unsere Formate durch die Etablierung und Normalisierung von ganzheitlichen Geschäftspraktiken im Textilsegment dadurch aber nicht. Eine exakte Prognose für die kommenden Dekaden abzugeben, ist aber unmöglich. Über die letzten Monate haben wir selbst alle im persönlichen Alltag oder im Berufsleben gemerkt, wie unsicher und volatil die Zukunft ist. Was jedoch klar ist, ist, dass sich die Modebranche – die Welt allgemein – noch schneller verändern wird als bisher. Und darin liegt dann wiederrum die Chance für Formate wie die Neonyt. Die zehnjährige Geschichte zeigt, in wie vielen Richtungen sich die Neonyt schon weiterentwickelt hat, inhaltliche Fokuspunkte geshiftet sind und sie sich neoneu erfunden hat – das wird auch in Zukunft so bleiben.
 

Herr Schwenzfeier, seit 2018 sind Sie neben Ihrer Aufgabe als Leiter Marketing-Kommunikation der Textilmessen der Messe Frankfurt auch Show Director der Neonyt. Sie haben mit vielen Ausstellern und Besuchern gesprochen – welche Ideen oder Kreationen haben Sie besonders beeindruckt?

Thimo Schwenzfeier: Ich glaube, es sind weniger die einzelnen Innovationen oder Kreationen der Aussteller*innen unserer Messen. Und ich wähle hier bewusst den Plural. Denn in meiner Funktion als Leiter der Marketingkommunikation im Bereich Textiles & Textile Technologies der Messe Frankfurt ist die Neonyt nur eine „meiner“ Veranstaltungen. Ich glaube, es ist mehr die Fülle an modischen, technischen und fachlichen Neuheiten, die Brands, Labels, Unternehmen, Start-Ups und Designer*innen jährlich präsentieren. Aber müsste ich wirklich eine Innovation wählen, dann wären das wohl die veganen „Currywurst“ Sneaker aus rotem Pfeffer und recycelten PET-Flaschen – beim selben Label gibt es auch Schuhe aus Holz, Stein, Kaffee und Pilzen oder mittlerweile sogar Meteoritenteilchen. Es ist beeindruckend, in jeder Saison aufs Neue erleben zu können, wie kreativ die Textil- und Modebranche ist.
 

Neue Wege zu gehen, bedeutet Entscheidungsfreudigkeit, Überwindung von Ängsten – und damit auch Mut zum Scheitern. Nicht jedes Projekt kann gelingen. Über welche unternehmerische Entscheidung der Messe Frankfurt sind Sie im Nachhinein besonders froh, dass sie so getroffen wurde?
 
Olaf Schmidt: Eindeutig die Entscheidung, die Neonyt zu gründen. Ein eigenes Messeformat für Mode, Nachhaltigkeit und Innovation zu schaffen und die Freiheiten und den Lifestyle, die dieses Thema mit sich bringen in unser Event zu integrieren. Nach mehr als einer Dekade verabschieden wir uns 2021 zwar vom Standort Berlin, aber nicht von unserer Community und unseren Spirit. Gemeinsam blicken wir zurück auf viele modische Saisons und tolle Locations in der Hauptstadt: angefangen im Hotel Adlon Kempinski über das Ewerk, den Postbahnhof, den Kronprinzenpalais, das Funkhaus und das Kraftwerk bis zur letzten physischen Veranstaltung im Tempelhof. Mit dem Jahreswechsel und im Rahmen der Frankfurt Fashion Week steht für die Neonyt der Umzug in die Metropole am Main ins Haus. In Frankfurt prallen Welten aufeinander: Wolkenkratzer und Gründerzeitvillen. Bausünden und architektonische Meisterwerke. Business und Bürgerlichkeit. Rotlichtmilieu und Luxusmeile. In diesem Spannungsfeld setzt die Frankfurt Fashion Week neue Impulse. Und mitten drin die Neonyt. Die Zeichen stehen auf Neuanfang – ein Restart für die gesamte Fashion-Szene, gemeinsam heben wir Nachhaltigkeit auf das nächste Level – die Fokusthemen Applied Sustainability und Applied Digitisation lassen ein vollkommen neues Fashion Week-Ecosytem in Mainmetropole entstehen.
 

Wenn alles klappt, kann die Neonyt im Juli 2021 erstmals wieder als Face-to-Face-Veranstaltung durchgeführt werden. Wie sehen Ihre Planungen aus? Auf was und wen dürfen sich Besucher freuen? Und welches Backup für ein Worst-Case-Szenario gibt es?

Thimo Schwenzfeier: Natürlich ist es aufgrund der derzeit immer noch angespannten Lage rund um Covid-19 schwierig, verbindliche Aussagen zur nächsten physischen Veranstaltung zu treffen. Derzeit gehen wir aber davon aus, dass sich die Situation in den Sommer hinein entspannt und wir die Neonyt wie geplant und in einem sicheren, positiv gestimmten und nach vorne blickendem Umfeld in unserer Homebase Frankfurt veranstalten können. Die anhaltend volatile Lage macht es für uns alle notwendig, weiterhin mit Einschränkungen bei großen Veranstaltungen zu rechnen. Im Mittelpunkt unserer Planungen für die Neonyt im Sommer 2021 steht daher die Gesund aller – der Aussteller*innen, Besucher*innen, Partner*innen und Mitarbeiter*innen der Neonyt. Die Messe Frankfurt hat ein Konzept erarbeitet, das detaillierte hygienische Maßnahmen umfasst: Hygiene, Abstand und Frischluftzufuhr sind wichtige Faktoren, die wir mit den zuständigen Behörden in Frankfurt und den Verantwortlichen der Frankfurt Fashion Week abstimmen. Die Neonyt-Community bekommt zu gegebener Zeit Hinweise und Empfehlungen für den Messeauftritt und -besuch, die den aktuellen Bestimmungen entsprechen. Über ein konkretes Backup für ein Worst-Case-Szenario haben wir uns noch keine Gedanken gemacht, da wir Stand heute von einem physischen B2B-Event ausgehen – die letzten beiden Saisons haben aber bewiesen, sollte es nicht möglich sein, die Neonyt face-to-face zu veranstalten, dass wir mit der digitalen Neonyt on Air durchaus gut aufgestellt sind und das Format sicherlich noch ein weiteres Mal zur Sommerveranstaltung adaptieren könnten. Wir tauschen uns regelmäßig mit allen Marktteilnehmer*innen aus und versuchen auch von unserer Community mittels Umfragen ein Gefühl zu deren Einschätzungen und Wünschen zu bekommen. Abwarten und Tee trinken, würde man auch sagen – am Ende müssen wir uns auch danach richten, was die aktuelle gesundheitliche Lage erlaubt und welche Entscheidungen seitens Politik getroffen werden.

Das Interview führte Ines Chucholowius,
Geschäftsführerin der Textination GmbH

(c) Schweizerische Textilfachschule STF
23.02.2021

Sustainability Management in Textiles - Interview mit Sonja Amport, Direktorin der STF

Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Homeoffice: Das Coronavirus hat unseren Alltag auf den Kopf gestellt und das öffentliche Leben nahezu auf Null reduziert. Durch die Auswirkungen der Pandemie hat sich der bestehende Handlungsdruck zur Erreichung der Sustainable Development Goals noch weiter erhöht. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Themenkomplexe Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung im Bewusstsein von Industrie und Konsumenten an Boden gewinnen. Neue Managementqualitäten sind gefordert.

Textination sprach mit Sonja Amport, der Direktorin der Schweizerischen Textilfachschule über den neuen Ausbildungsgang Sustainability Management in Textiles. Nach Stationen in der Industrie und im Verbandswesen bringt die Betriebsökonomin mit Master im International Management ihr Wissen aus Textil, Bildung, Betriebswirtschaft sowie Marketing und Sales mit Elan und Herzblut seit 2015 bei der STF ein.

Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Homeoffice: Das Coronavirus hat unseren Alltag auf den Kopf gestellt und das öffentliche Leben nahezu auf Null reduziert. Durch die Auswirkungen der Pandemie hat sich der bestehende Handlungsdruck zur Erreichung der Sustainable Development Goals noch weiter erhöht. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Themenkomplexe Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung im Bewusstsein von Industrie und Konsumenten an Boden gewinnen. Neue Managementqualitäten sind gefordert.

Textination sprach mit Sonja Amport, der Direktorin der Schweizerischen Textilfachschule über den neuen Ausbildungsgang Sustainability Management in Textiles. Nach Stationen in der Industrie und im Verbandswesen bringt die Betriebsökonomin mit Master im International Management ihr Wissen aus Textil, Bildung, Betriebswirtschaft sowie Marketing und Sales mit Elan und Herzblut seit 2015 bei der STF ein.

Die Geschichte der STF Schweizerische Textilfachschule hat 1881 begonnen. In diesem Jahr wurden Pablo Picasso geboren und Billy the Kid erschossen. Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach erlebten ihre Uraufführung und Thomas Alva Edison baute das erste Elektrizitätswerk der Welt. Am Stuttgarter Marktplatz öffnete das Warenhaus Breuninger und in Wismar das erste Geschäft von Rudolph Karstadt.
Was führte in dieser Zeit parallel zur Gründung der STF und welchen Werten fühlen Sie sich bis heute verpflichtet?

1881 blühte die Textilindustrie in der Schweiz. Unternehmen im Bereich Spinnerei, Weberei, Veredlung und weitere keimten auf. Jedoch fehlten ausgebildete Fachkräfte, welche die Maschinen hätten bedienen oder reparieren können. So kam es, dass die Unternehmen sich zusammentaten und die Schweizerische Textilfachschule gründeten. Ein Ort zur Aus- und Weiterbildung von Fachkräften für die Schweizer Textil- und Bekleidungsindustrie. Aus diesem Grund ist die STF auch heute noch genossenschaftlich organisiert. Entsprechend fühlen wir uns den Werten Kompetenz, Kundenorientierung, Innovation, Inspiration und Passion bis heute verpflichtet.

Wenn Sie jemandem, der die Schweizerische Textilfachschule nicht kennt, Ihre Bildungseinrichtung in 100 Worten vorstellen müssten: Wie definiert sich die Schule heute und auf welche Betätigungsfelder konzentriert sie sich?
Die STF Schweizerische Textilfachschule steht für eine nachhaltige Bildungskompetenz rund um den gesamten Lebenszyklus eines Textil-, Fashion oder Lifestyleproduktes. Mit dem «STF-LAB» positioniert sich die STF als Bildungsdienstleisterin mit drei Businessfeldern. Das Kernfeld ist die «Education», wo die STF zahlreiche Aus- und Weiterbildungen, von der Grundbildung über Bachelordiplome bis hin zum Master-Abschluss anbietet. Im «Incubator & Makerspace» (STF Studio) liegt der Hauptfokus auf der geteilten Infrastruktur, gegenseitiger Inspiration und damit dem gemeinsamen Vorwärtskommen. Im dritten Businessfeld dem «ThinkTank & Consulting» steht die Schule als Denkfabrik zur Verfügung, Fachexperten können «gemietet» werden und es wird Management auf Zeit angeboten.

Stichwort lebenslanges Lernen: Welche Weiterbildungsangebote hält die STF für die Textil- und Bekleidungsindustrie auch nach einem erfolgreichen Studienabschluss bereit?
Welche Branchenbereiche und welche Länder haben Sie im Fokus?

Einerseits bieten wir der Textil- und Bekleidungsindustrie und dem Handel vielseitige informelle Modulkurse, in welchen man sich innerhalb von 45 Lektionen einen guten Überblick zu einem speziellen Fachthema bilden kann. Beispiele dafür sind: Welding & Bonding, Smart & Functional Textiles, Start-up in Fashion oder das Steiger Stitch Modul, bei welchem man lernt, eigene Strickdesigns zu programmieren und diese anschließend an der STF an einer „Shared Machine“ ausstricken kann. Auch bieten wir jeweils zweiwöchige Intensiv-Sommerkurse an, wie beispielsweise in Sustainable Fashion Design. In der formalen Bildung kann ich unseren Master in Product Management Fashion & Textile in Deutsch oder unsere beiden CAS in Sustainability Management in Textiles empfehlen. Einmal mit Präsenzunterricht in deutscher Sprache und einmal per E-Learning in englischer Sprache. Derzeit fokussieren wir unsere Angebote auf die DACH-Region. Unsere Internationalisierungsstrategie wurde wegen Covid-19 jäh gestoppt. Dabei hatten wir mit englischen Masterangeboten insbesondere die Märkte Indien und China im Fokus. Wir stellen uns nun mit englischsprachigen Angeboten strategisch neu auf und starten ab 2022 wieder mit der Vermarktung. Das Ziel sind flexible, modulare Masterangebote mit einem hohen E-Learning-Anteil, so dass die Kosten moderat bleiben und das Reisen reduziert stattfinden kann.

Nachhaltigkeit – oder Sustainability – hat sich von einem Buzzword zu einer Selbstverständlichkeit gewandelt: Die jüngste OTTO Trendstudie sagt sogar, nachhaltiger Konsum ist im Mainstream der Gesellschaft angekommen. Was bedeutet das für die Textil- und Bekleidungsindustrie? Sind die Unternehmen personalseitig so aufgestellt, dass sie diesen Themenkomplex professionell in ihrem Leistungsportfolio verankert haben?
Die Schweizer Unternehmen haben erkannt, dass sie gegenüber den Mitbewerbern im Ausland nur eine Chance haben, wenn sie innovationsfähig sind, konsequent in einer Nische agieren und sich durch eine nachhaltige Produktion abheben können. Die Nachhaltigkeit ist somit ein absolut zentraler USP. In diesem Sinne beschäftigen sich viele Firmen damit und entsenden ihre Mitarbeitenden natürlich auch zu uns in die Weiterbildung.

Die STF bietet - im deutschsprachigen Raum bisher einzigartig - eine international anerkannte Weiterbildung im Bereich des textilen Sustainability Managements als Certificate of Advanced Studies CAS an.
Welche Teilbereiche von Design, Produktion, Prozessoptimierung bis zur Vermarktung bildet das Zertifikat ab?

Die STF bietet das international anerkannt Fachhoch-schulzertifikat in Zusammenarbeit mit SUPSI, der Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana im Tessin, an.

Im Studiengang betrachten wir aus ganzheitlicher Sicht und rund um die gesamte Wertschöpfungskette eines Textils, d.h. vom Design über die Produktion bis hin zur Vermarktung, die globalen Herausforderungen, wo Nachhaltigkeit als multilaterales Lösungskonzept fungiert. Zudem werden das normative und strategische Management der Nachhaltigkeit, Themen rund um die soziale Verantwortung sowie Initiativen und Standards für den Textilbereich beleuchtet. Ein wichtiger Bestandteil des CAS bilden Rohstoffe und Produkte, d.h. nebst nachhaltigen Fasern auch Stoffe oder der Einsatz von chemischen Mitteln. Nicht zuletzt werden auch Aspekte rund um Biodiversität, Animal Welfare, das Marketing, Labeling sowie mögliche Zukunftsszenarien und Best Practice Beispiele beleuchtet.

Für wen könnte das CAS Sustainability Management in Textiles spannend sein und warum? Welchen Push kann das Zertifikat im Berufsleben bewirken?
Das CAS ist einerseits für Führungspersonen interessant, die sich generell Gedanken über die strategische Ausrichtung eines Unternehmens machen, wie auch für Fach-Mitarbeitende in Design, Produktentwicklung, Einkauf, Verkauf oder im Qualitätsmanagement, wenn diese die Operationalisierung der Nachhaltigkeitsstrategie verantworten. Und selbstverständlich begrüßen wir jederzeit gerne junge Designer/innen mit eigenen Labels, die neue, nachhaltige Wege gehen und sich von anderen dadurch abheben möchten. Der Push im Berufsleben hängt stark mit der eigenen Persönlichkeit zusammen. Bisher haben jedoch alle Absolvierenden den Besuch der Weiterbildung als äußerst fruchtbar für den eigenen Karriereweg empfunden.

Wie steht es um die formalen Aspekte des CAS? Gibt es beispielsweise Auswahlkriterien, bis wann muss man sich anmelden, wie sieht der Stundenplan aus, auf welche Kosten müssen sich Interessenten einstellen?
Wir starten jeweils Ende August mit den Bildungsgängen. Eine frühzeitige Anmeldung, möglichst bis Mitte Mai, ist zu empfehlen, um sich einen Platz zu sichern. Im Präsenzlehrgang finden 120 Lektionen in Zürich und im Tessin statt, und es ist mit Kosten von CHF 5‘900.-, inkl. Lehrmittel und Prüfungsgebühren, zu rechnen. Im E-Learning-Kurs, mit einigen wenigen Präsenztagen vor Ort, werden die Inhalte synchron per MS-Teams durch i.d.R. dieselben Dozenten vermittelt. Hier beträgt der Studienpreis CHF 5‘600.-.

In diesen Kosten sind die persönlichen Auslagen sowie die Reise- und Übernachtungskosten noch nicht inkludiert. Interessierte entnehmen die Facts & Figures unserer Homepage:
(www.stf.ch/kurse/cas oder www.stf.ch/kurse/cas-online)

Die COVID19-Pandemie hat uns die Grenzen der Mobilität deutlich aufgezeigt. Wie haben Sie als Bildungseinrichtung darauf reagiert?
Die physischen Grenzen kann man mit E-Learning leicht überwinden. Unter anderem ein Grund, weshalb unser Unterricht während der gesamten Pandemie-Zeit ganz normal weiterlief. Für die Zeit nach Covid-19 planen wir, nebst Präsenz-Studienmodulen, auch weitere reine Online-Seminare, wie unseren CAS-Online. Diese werden vermehrt auch in englischer Sprache angeboten werden. Derzeit testen wir zudem mögliche Formen des hybriden Unterrichts. Dies bedeutet, während die einen vor Ort in Zürich beschult werden, können Personen mit langem Anfahrtsweg, wie z.B. aus der DACH-Region, dem Unterricht virtuell und live aus der Ferne beiwohnen.

Das letzte Jahr hat in der Textil- und Bekleidungsbranche deutliche Spuren hinterlassen. Wenn Sie auf ein Jahr „Ausnahmezustand“ zurückblicken – was nehmen Sie an positiven Erfahrungen mit, wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf?
Es war definitiv ein Jahr des Ausnahmezustands! Positiv zu werten ist, dass wir an der STF bereit waren und ab Tag eins des Lockdowns online unterrichten konnten. Die Lernenden, Studierenden und mein Team zeig-ten alle größtes Verständnis und höchste Flexibilität. Doch als Institut im Textil-, Fashion- und Lifestyle-Bereich lebt der Unterricht auch von Anschauungsmaterialien. Die Garne und Stoffe fühlen und riechen zu können sowie über die Erfahrungen und das Erlebte persönlich zu diskutieren, sind wichtige Lernerfahrungen. Es ist definitiv eine Herausforderung, solche zentralen Lernelemente online umzusetzen. Alles in allem hat uns Covid-19 als Institution, rund um das Thema Digitalisierung, um gefühlte zwei Jahre nach vorne katapultiert. Dankbar wäre ich nun allerdings, wenn wir baldmöglichst zu einer Normalität zurückfinden könnten und zu einem Alltag mit „weniger Distanz“.

Neue Wege zu gehen, bedeutet Entscheidungsfreudigkeit, Überwindung von Ängsten - und damit auch Mut zum Scheitern. Nicht jedes Projekt kann gelingen. Über welche Entscheidung, die Sie für das Profil der STF getroffen haben, sind Sie im Nachhinein besonders froh?
Ich bin stolz sagen zu dürfen, dass die meisten in Angriff genommenen Projekte gelingen. Es gibt fast immer einen Weg. Manchmal muss man während dem Voranschreiten einfach etwas die Richtung anpassen, um ans Ziel zu gelangen. Eine wegweisende Neuerung war sicherlich die Modularisierung (fast) aller Studiengänge. Studierende haben so die Möglichkeit, von einer vielseitigen Wahlmöglichkeit zu profitieren und sich ihr eigenes Curriculum zusammenzustellen.

Eine zweite Entscheidung, über die ich dankbar bin, war, dass wir als kleines Institut bereits sehr früh sehr viel in den Ausbau unserer digitalen Fähigkeiten und in die Infrastruktur investiert haben. Das kommt uns nun zu Gute. Mit sehr gut ausgebildeten Dozierenden und einer Lernplattform, einer VM-Plattform und mo-dernster 3D-Software in verschiedenen Themenbereichen, zählen wir uns europaweit zu einem Vorreiter in Sachen E-Learning und Digitalisierung. Fähigkeiten, die zudem auch auf das Thema Nachhaltigkeit einzahlen.

Das Interview führte Ines Chucholowius, Geschäftsführerin der Textination GmbH

 

Weitere Informationen:

(c) pixabay
10.11.2020

Mode- und Textilindustrie will trotz COVID-19-Pandemie nachhaltiger werden

  • Neue Forschungsergebnisse: Geschäftsführer wichtiger Mode-, Einzelhandels- und Textilunternehmen priorisieren nachhaltige Ausrichtung trotz COVID-19-Pandemie
  • Bedeutung von Daten für nachhaltiges Geschäftsmodell ist allgemein anerkannt, lückenhafte Erhebung legt aber bessere Datenqualität für schnelleren Wandel nahe
  • Trotz Covid-19 halten führende Modemacher häufig wechselnde, erschwingliche und nachhaltige Mode für machbar und nutzen Krise, um ihre Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit zu intensivieren

Eine neue Studie verdeutlicht das Ausmaß, in dem die Modeindustrie weltweit das Thema Nachhaltig-keit verfolgt.  Trotz der COVID-19-Pandemie betrachtet die Branche Nachhaltigkeit als zweitwichtigstes strategisches Ziel.

  • Neue Forschungsergebnisse: Geschäftsführer wichtiger Mode-, Einzelhandels- und Textilunternehmen priorisieren nachhaltige Ausrichtung trotz COVID-19-Pandemie
  • Bedeutung von Daten für nachhaltiges Geschäftsmodell ist allgemein anerkannt, lückenhafte Erhebung legt aber bessere Datenqualität für schnelleren Wandel nahe
  • Trotz Covid-19 halten führende Modemacher häufig wechselnde, erschwingliche und nachhaltige Mode für machbar und nutzen Krise, um ihre Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit zu intensivieren

Eine neue Studie verdeutlicht das Ausmaß, in dem die Modeindustrie weltweit das Thema Nachhaltig-keit verfolgt.  Trotz der COVID-19-Pandemie betrachtet die Branche Nachhaltigkeit als zweitwichtigstes strategisches Ziel.

Die neuen Erkenntnisse des U.S. Cotton Trust Protocol und der Economist Intelligence Unit (EIU) basie-ren auf einer Umfrage unter 150 Spitzenmanagern großer europäischer und US-amerikanischer Mode-, Einzelhandels- und Textilunternehmen sowie ausführlicher Interviews mit namhaften Modemarken wie Puma, H&M und Adidas. Die Ergebnisse des gemeinsamen Berichts „Is Sustainability in Fashion?“ erscheint zu einem Zeitpunkt, in dem die Modebranche vor einer richtungsweisenden Ent-scheidung steht: weiter in Nachhaltigkeit investieren oder die Bemühungen angesichts der Pandemie zurückfahren.

Für Manager in Mode, Handel und Textilwirtschaft ist Nachhaltigkeit entscheidend für Erfolg
Trotz der Pandemie betrachten viele der globalen Spitzenmarken der Studie zufolge Nachhaltigkeit mittlerweile als entscheidenden Faktor für ihren Geschäftserfolg. Die Mehrheit der befragten Füh-rungskräfte (60 %) nannte die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen als eines der beiden wich-tigsten strategischen Ziele für ihr Unternehmen. Nur die Verbesserung des Kundenerlebnisses war mit 64 % noch wichtiger. Dagegen beurteilt nicht einmal jeder sechste Befragte (14%) die Interessen der Aktionäre als wichtigstes Unternehmensziel.

Manager geben in der Studie an, dass sie Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit in der gesamten Lieferkette ihres Unternehmens einführen. Von der Beschaffung nachhaltig produzierter Rohstoffe (65%) über die Einführung eines Kreislaufwirtschaftssystems und der Reduzierung von Treibhausgasen (51%) bis hin zu Investitionen in neue Technologien wie 3D-Druck und Blockchain (41%). Insgesamt zeigte sich die Mehrheit (70%) optimistisch, dass schnell wechselnde, erschwingliche und zugleich nachhaltige Mode machbar ist.

Daten als entscheidender Faktor
Daten bilden eine wichtige Grundlage für den Erfolg der unternehmerischen Nachhaltigkeit, lautet eine wesentliche Erkenntnis aus der Untersuchung des U.S. Cotton Trust Protocol und der EIU. Gefragt nach den aktuellen Maßnahmen für eine nachhaltigere Gestaltung ihrer Unternehmen, nannten die Firmenlenker mit 53% Prozent die Erfassung von Daten aus dem gesamten Unternehmen und der Lieferkette zur Leistungserfassung besonders häufig. Nur die Entwicklung und Umsetzung einer Strategie für ökologische Nachhaltigkeit mit messbaren Zielen war den Befragten (58%) noch wichtiger.

Daten sind für die Führungskräfte dabei nicht nur kurzfristig relevant. Drei von zehn Studienteilnehmern (29%) betrachten die Verfügbarkeit verlässlicher Daten als wesentlichen Faktor für mehr Nachhaltigkeit im kommenden Jahrzehnt. Des Weiteren sehen fast drei Viertel der Befragten (73%) globale Benchmarks und Schwellenwerte als wirksames Mittel zur Messung der Nachhaltigkeitsleistung und zur Förderung des gesamten Fortschritts in der Branche.

Probleme mit lückenhafter Datenerhebung
Obwohl die befragten Unternehmen Daten eine hohe Bedeutung beimessen, zeigen die Ergebnisse der Studie, dass die Beschaffung qualitativ hochwertiger Daten für Top-Modemarken, Einzelhändler und Textilunternehmen eine echte Herausforderung darstellen kann.

In der Umfrage berichten Entscheider in Unternehmen von relativ hohen Datenerhebungsraten über die Nachhaltigkeitspraktiken ihrer Zulieferer. Diesen Befund unterstützen auch Interviews mit führenden Marken (65%) und Interviews zu Arbeitnehmerrechten, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz in der Lieferkette (62%). Allerdings misst ein erheblicher Anteil der Unternehmen (45%) nicht die Treibhausgasemissionen der gesamten Produktion, oder der Herstellung und des Vertriebs der verkauften Produkte. Darüber hinaus erfassen 41% der befragten Unternehmen nicht, wie viel Wasser und Strom für die Produktion der von ihnen bezogenen Rohstoffe verbraucht wird.

In Zukunft sieht mehr als ein Viertel (26%) der Entscheider einen Mangel an verfügbaren und leicht zu-gänglichen Daten als Hindernis für die branchenweite Zusammenarbeit im Bereich Nachhaltigkeit. Wie einige Befragte im Interview erklärten, ist die Datenerhebung zwar schwierig, aber dennoch wichtig.

Gary Adams, Präsident des U.S. Cotton Trust Protocol, zur Untersuchung: „Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass Marken ihre unternehmerische Nachhaltigkeit weiterentwickeln müssen. Präzise und zuverlässige Daten unterstützen die Unternehmen bei dieser Herausforderung. Daten weisen nicht nur harte Arbeit und Fortschritte nach, sie zeigen auch, wo weitere Verbesserungen möglich sind. Das Cotton Trust Protocol bietet deswegen eine besonders robuste Datengrundlage für ein wesentliches Material der Industrie – Baumwolle. Unternehmen profitieren so von einem außergewöhnlich hohen Maß an Transparenz.“

Partnerschaft ermöglicht weitere Fortschritte
Mode, Einzelhandel und Textilwirtschaft können den Wandel nicht isoliert vorantreiben, so eine weitere zentrale Erkenntnis der Studie. Stattdessen ist eine branchenübergreifende Zusammenarbeit notwendig. Ein Vertreter des kalifornischen Modelabels Reformation zufolge geschieht dies bereits: „Wir freuen uns über die Kooperation in der gesamten Branche und gehen davon aus, dass die Zusammenarbeit künftig weiter zunimmt.“

Im Hinblick auf externe Unterstützung zur Steuerung dieser Entwicklung betrachten die befragten Un-ternehmensführer weitere Regulierungen nicht unbedingt als geeignete Lösung. Die UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung sowie staatliche Eingriffe wurden jeweils nur von einem Viertel der Befragten (jeweils 24%) als treibende Kraft für nachhaltige Veränderungen genannt. Regulatorische Anforderun-gen zählen für ein Drittel (33%) der befragten Wirtschaftsführer zu den drei wichtigsten Faktoren für den Fortschritt nachhaltiger Entwicklungen im nächsten Jahrzehnt.

Jonathan Birdwell, Regional Head of Public Policy and Thought Leadership, The Economist Intelligence Unit: „Aus den Umfrageergebnissen und unseren Interviews mit Wirtschaftsführern geht klar hervor, dass die Branche beim Thema Nachhaltigkeit deutliche Fortschritte machen möchte. Wir waren besonders beeindruckt von der Tatsache, dass Nachhaltigkeit weitgehend als vorwettbewerblich aufgefasst wird. Hinter den Kulissen teilen Unternehmen ihre Ressourcen und Erfahrungen.“

Auswirkungen von Covid-19  
Die Entschlossenheit für nachhaltigere Vorgehensweisen steht der gesellschaftlichen und ökonomischen Unsicherheit der COVID-19-Pandemie gegenüber. Allerdings gaben nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten (54%) an, dass Nachhaltigkeit durch die Krise innerhalb der Branche an Priorität verlieren würde.

Das U.S. Cotton Trust Protocol ist eine junge Initiative, die einen neuen Standard für nachhaltig angebaute Baumwolle definiert. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Erzeugern liefert das U.S. Trust Protocol präzise und konsistente Daten zu sechs wichtigen Nachhaltigkeitskennzahlen, die von der unabhängigen Prüfstelle Control Union Certification kontrolliert werden. Die Kennzahlen umfassen unter anderem THG-Emissionen, Wasserverbrauch, Bodenkohlenstoff und Bodenverlust. Zum ersten Mal können Unternehmen jedes Jahr auf Daten der verantwortlichen Betriebe zugreifen und die gesamte Wertschöpfungskette ihrer Baumwolle somit vom Feld bis zur Auslage im Einzelhandel zurückverfolgen.

Forschungsergebnisse auf der Grundlage einer quantitativen Umfrage unter 150 Führungskräften in der Mode-, Einzelhandels- und Textilindustrie in Europa und den Vereinigten Staaten, die von der Economist Intelligence Unit zwischen dem 9. Juli und dem 28. Juli 2020 durchgeführt wurde. Die Umfrage wurde durch qualitative Erkenntnisse aus Interviews mit zehn Fachleuten aus dem Bereich Mode und Nachhaltigkeit ergänzt.